
Verführerische Monster und dunkle Herrscher: Vampire im 21. Jahrhundert

Judith Madera, 09.10.2025
Vampire gehen eigentlich immer. Seit Dracula sind sie aus dem Horrorgenre nicht mehr wegzudenken. Doch auch in anderen Subgenres der Phantastik tauchen sie immer wieder in Wellen auf. Judith Madera bringt uns auf den neuesten Stand, was an Vampiren gerade so durch die Literatur flattert.
Vampire sind längst keine reinen Horrorgestalten mehr, sondern düstere Fantasywesen – gefürchtet und begehrt. Während sie über viele Jahre vor allem in der (Dark) Romantasy, oftmals als Teil magischer Parallelgesellschaften, zu finden waren, widmen sich Autor*innen heute wieder verstärkt dem ursprünglichen Wesen der Vampire als bluttrinkende Monster.
Alessandra Reß hat Euch schon (fast) alles verraten, was Ihr über Vampire wissen müsst, und ihre Wandlung von Horrorgestalten zu Fantasywesen nachvollzogen. Als bluttrinkende Wiedergänger waren Vampire ursprünglich weiblich gedacht. Der literarische Vampir im 19. Jahrhundert war dagegen männlich und wandelte sich im 20. Jahrhundert zu einem nahezu menschlich aussehenden, dunklen Verführer – tödlich und melancholisch, hadernd mit seiner Unsterblichkeit und berauscht von seiner Macht. Im 21. Jahrhundert sind Vampire meist keine Horrorgestalten mehr, sondern düstere Fantasywesen, die teilweise noch an ihre historischen Vorbilder erinnern. Sie ertragen das Sonnenlicht nicht, auch wenn die wenigsten heute noch zu Staub zerfallen. Sie trinken noch immer Blut und sind potenziell unsterblich; sie altern nicht, doch man kann sie unter bestimmten Umständen töten. Silber, Kreuze und Knoblauch spielen dagegen nur selten noch eine Rolle.
In der modernen Urban Fantasy sind Vampire Wesen der Nacht neben Werwölfen und Gargoyles und gehören oftmals magischen Parallelgesellschaften an wie aktuell in der Horrorserie Wednesday (2022), wo sie lediglich als Randfiguren vorkommen. In der Romantasy sind sie attraktive, melancholische Love Interests und verlieben sich beispielsweise in Hexen wie in Witch of Fate and Poison (2025) von Alexandra Fuchs oder in Feen wie in der Reihe Whispers and Moonlight (2025) von Jeanine Krock. Um ihren Blutdurst zu stillen, töten Vampire in der modernen Fantasy seltener. Oft verfügen sie über mentale Fähigkeiten, die es ihnen erlauben, von Menschen zu trinken und ihre Opfer den Biss vergessen zu lassen, wie in All Lovers Lost von Madeleine Puljic (2022). Oder Menschen teilen freiwillig ihr Blut mit Vampiren. Oder sie greifen auf Blutkonserven zurück. Dadurch wurde den Vampiren ein Teil ihrer Gefährlichkeit genommen, der Fokus lag oftmals stärker auf ihrer überirdischen Schönheit und Stärke – und dem Biss, der immer seltener tödlich und stattdessen eine erotische Erfahrung war.
Back to the bloody roots
Nachdem Vampire in den 2010ern zwar beliebte Fantasywesen waren, aber neben anderen magischen Kreaturen verblassten, widmen sich heutige Romane wieder verstärkt den Ursprüngen der dunklen Kreaturen. Robert Eggers versuchte mit seiner Nosferatu-Neuverfilmung (2024) ebenfalls an einen Klassiker des Genres anzuknüpfen und hinterlässt die Zuschauerschaft zwiegespalten. Während manche Nosferatu – Der Untote als neues Meisterwerk betrachten, wirkt der Horror auf andere unfreiwillig komisch und erzwungen. Unter dem Eindruck moderner Horrorfilme und Vampirgeschichten erscheint Nosferatu aus der Zeit gefallen und schafft es nicht, Altes und Neues auf überzeugende Weise zu vereinen.
Wesentlich besser gelingt der Mix aus klassischem Vampirbild und moderner Erzählweise V. E. Schwab in Bury Our Bones in the Midnight Soil (2025). Mit ihrer potenziellen Unsterblichkeit eignen sich Vampire besonders gut für epische Fantasyromane, die sich über große Zeiträume erstrecken und dabei Historische Fantasy und Urban Fantasy vereinen. Während die Menschen um sie herum altern und sterben und die Welt sich wandelt, bleiben Vampire ewig jung. Ihr Geist verändert sich jedoch, muss Verluste und Traumata verkraften und sich in der steten Veränderung zurechtfinden. V. E. Schwabs Vampire sind (wieder) weiblich und ihr Weg in die Nacht ist einer der Selbstermächtigung.
Ihre drei sehr unterschiedlichen Vampirinnen haben ihre Verwandlung in unterschiedlichen Zeiten erlebt und unter unterschiedlichsten Bedingungen. Für zwei von ihnen war die Verwandlung eine Befreiung: von männlicher Gewalt und gesellschaftlichen Zwängen. Für die dritte war sie zunächst erzwungen. Sabine ist die älteste von ihnen und lebt seit dem 16. Jahrhundert als untote, ewig junge Frau in Europa, durch das sie eine Spur aus Blut und Leichen zieht. Sie muss lernen, diese Spuren zu verwischen, denn auch wenn sie nicht altert und nie krank wird, kann man sie töten. Sabine beweist große Anpassungsfähigkeit, sie wird zu einer guten Beobachterin, lernt, ihren unstillbaren Hunger zu ertragen, und fügt sich immer wieder in neue Gesellschaften ein. Doch die Zeit hinterlässt Spuren, nicht an ihrem Körper, aber in ihrer Seele. Je älter sie wird, desto mehr verliert sie von ihrer einstigen Menschlichkeit. Äußerlich bleibt sie atemberaubend schön, doch innerlich schreitet der Verfall voran und entblößt ein finsteres Monster.
Zu Vampiren fällt vielen Menschen wohl zuerst Bram Stokers Dracula (1897) ein, dessen Geschichte in zahlreichen Romanen, Comics und Filmen immer wieder neu erzählt wurde. S. T. Gibsons A Dowry of Blood (2025) ist quasi eine feministische Neuerzählung des Schauerromans (wobei der Name Dracula niemals fällt) – aus Sicht der Vampirbraut Constanta. Sie wurde von einem Vampir gerettet, der sie halbtot gefunden und zu seiner Gefährtin gemacht hat. Sie ist mit ihm durch Liebe und Blut verbunden, doch ihre Beziehung ist von Manipulation, Unterdrückung und Gewalt geprägt. Bald erkennt sie in dem Vampir das Monster, das er ist, kann sich jedoch nicht von ihm lösen. Auch nicht, als er sich zwei weitere Geliebte nimmt, erst eine spanische Edeldame, später einen jungen Künstler. Es entwickelt sich eine polyamore Ehe und Constanta erfährt, dass diese nicht nur aus Gewalt und Unterdrückung bestehen muss. Doch erst in den 1920ern gelingt es ihr, sich zur Wehr zu setzen. A Dowry of Blood vereint Horror und Dark Romance und erzählt von Vampiren, die ähnlich wie in Bury Our Bones in the Midnight Soil der sich stets wandelnden Welt trotzen. Auch Constanta ist als Vampirin ein Monster, das Blut trinkt und tötet, doch ihr vampirischer Ehemann ist dazu noch eine ganz andere Art von Monster: ein toxischer, manipulativer Mann, der seine Geliebten zerstört.
Auch Markus Heitz vereint in Die Schwarze Königin (2023) Historik und Urban Fantasy und greift dabei auf die komplette Ahnenreihe Vlad III. zurück, der Bram Stoker zu Dracula inspirierte. Er widmet sich jedoch weniger dem Schicksal einzelner Vampire, sondern dem Krieg gegen sie. Protagonist Len ist ein Nachfahre von Vlad II. und wird in der Gegenwart in den Konflikt zwischen Vampiren und anderen magischen Wesen hineingezogen. Aus der historischen Persönlichkeit Barbara von Cilli macht Heitz eine dunkle Alchimistin, die im 15. Jahrhundert als Schwarze Königin gegen die Strigoi genannten Blutsauger kämpft. Auf zwei Zeitebenen entfaltet sich eine finstere Fantasygeschichte, die Vampire als brutale Monster zeichnet. Übrigens ist in diesem Jahr eine Neuauflage von Vampire! Vampire! erschienen, in dem Markus Heitz seine Recherchen zum historischen Hintergrund des Vampirmythos darlegt.
Vampire als Herrscherklasse
Vampire leben meist unerkannt unter Menschen, die sie jagen würden, wüssten sie von ihnen. Zudem macht die Anonymität es leichter, Opfer zu finden. Fantasyreihen wie Vampyria (2023) oder Das Reich der Vampire (2022) gehen einen anderen Weg und setzen die Blutsauger als herrschende Klasse ein, die die Menschheit versklavt. Victor Dixens Vampirreich in Der Hof der Finsternis ist Frankreich, wo Ludwig XIV. zum Unsterblichen wurde und als Ludwig der Unwandelbare seit Jahrhunderten herrscht. In Frankreich scheint die Zeit still zu stehen, denn Fortschritt ist unnötig, wo der Herrscher ewig lebt. Ausgewählte Adlige verwandelt er in Vampire, die in Versailles in obszönem Reichtum schwelgen, während die Menschen ihr Blut als Steuern hergeben müssen. Protagonistin Jeanne kommt als Sterbliche nach Versailles und bemüht sich um einen Platz in der Leibgarde des Königs – um ihn zu vernichten. Vampyria ist ein wilder Mix aus Vampirklischees und historisch inspirierter Fantasy, die mit Versailles ein opulentes Setting für aristokratische Vampire bietet.
Jay Kristoffs Reich der Vampire ist die Fantasywelt Elidean, die eine Vampirapokalypse erlebt hat: 27 Jahre zuvor ging die Sonne unter, und danach nicht mehr richtig auf, sodass Vampire immer mehr Land eroberten. Nur wenige Inseln des Lichts sind geblieben, Orte, an denen Menschen leben können. Der Orden der Silberwächter hat sich dem Ewigen König entgegengestellt, doch die Vampire haben gewonnen. Nun ist nur noch Gabriel de León übrig, ein Halbvampir, der sich dem Kampf gegen die Kreaturen der Nacht verschworen hat. Er landet in Gefangenschaft und erwartet den Tod, doch die Vampire wollen zuerst seine Geschichte hören – und so erzählt Gabriel davon, wie er versucht hat, seine Welt zu retten. Die Erzählstruktur erinnert an Interview mit einem Vampir, doch Das Reich der Vampire ist mehr epische High Fantasy voll blutiger Kämpfe und Intrigen mit Anleihen christlicher Mythologie.
Anika Beer verortet in ihrer Trilogie Blutgabe (Neufassung 2024) die Vampirapokalypse im Nordamerika des 23. Jahrhunderts. Menschen sind hier vom Aussterben bedroht und leben auf Zuchtfarmen – als Nahrungsquelle für Vampire, die die herrschende Klasse bilden. Protagonist Red flieht von einer Zuchtfarm, um seine Freundin zu finden, und trifft auf extremistische Vampirjäger. Man könnte nun eine Widerstandsgeschichte inklusive Kampf gegen die Blutsauger erwarten, doch Anika Beers vampirische Zukunft ist komplexer. Unter den Vampiren gibt es Feinde und Verbündete. Mit Requiem für einen blutroten Stern (2023) hat Anika Beer übrigens einen weiteren Vampirroman verfasst, der im viktorianischen London spielt und von der klassischen Schauerliteratur inspiriert ist – und mit Cedric einen der Vampire aus Blutgabe als Protagonisten hat.
(Dark) Romantasy mit Vampiren
In der Romantasy waren Vampire nie wirklich weg und spätestens seit Dark Romance in aller Munde ist, setzen auch große Verlage wieder auf romantische Vampirgeschichten. Heute zieren die Cover jedoch seltener Skylines mit schönen Frauen oder halbnackten Männern. Stattdessen kommen diese im aktuellen Romancelook in blumigem Schwarz oder Weiß daher. Scarlett St. Clair erzählt in King of Battle and Blood (2023) von einer Prinzessin, die einen Vampirkönig heiraten und töten soll, doch dieser und sein Volk sind ganz anders, als gedacht – und seiner Anziehungskraft kann sie kaum widerstehen. In Immortal with your kiss (2025) von Sara Hill wird die Protagonistin entführt und verfällt in ihrer Gefangenschaft einem mächtigen Vampir, der tief in ihre Gedanken dringt. Währenddessen schließt sich ihre vampirische Ziehmutter Vampirjägern an. Maria Winter lässt in When the Moon touches my Soul (2025) den inzwischen uralten Kampf zwischen Vampiren und Werwölfen wieder aufleben, inszeniert in einem Urban-Fantasy-Setting, das an Sookie Stackhouse denken lässt. Dark Academia mit Vampiren bietet Tigest Girma in Immortal Dark (2025), wo Menschen und Blutsauger gemeinsam an einer Eliteuniversität studieren und dunklen Geheimnissen auf den Grund gehen.
Für jüngere Leser*innen gibt es in Bella Morte (2023) von Bella Higgin quasi wieder Vampire mit Glitzer, denn diese sind hier so etwas wie Stars. Protagonistin Renie verdingt sich als Blutspenderin und zieht in ein glamouröses Vampirhaus ein, in dem sie nach Spuren ihrer verschwundenen Schwester sucht. In Duel with the Vampire Lord (2025) von Elise Kova werden Vampire als verfluchte Wesen dargestellt, die Protagonistin Floriane retten soll. Diese hasst jedoch Vampire und greift lieber zum Schwert – bis sie von Vampirfürst Ruvan entführt wird. In Shadow Games (2025) lässt Lisa Schubert Menschen in einer grausamen TV-Show darum kämpfen, in Vampire verwandelt zu werden, inspiriert von Die Tribute von Panem.
Allzu viel Neues gibt es also nicht in der (Dark) Romantasy, eher scheint es, als wären die Geschichten aus den 2000ern zurück – von denen sich heutige Autor*innen wohl haben inspirieren lassen und nun ihre eigenen Versionen beliebter Vampir-Tropes schreiben. Die Blutsauger eignen sich immerhin perfekt für dunkle Liebesgeschichten voller Leidenschaft und Begierde.
So vielfältig wie nie
Vampire sind keine mythischen Horrorgestalten mehr, die in Särgen schlafen und ganze Landstriche entvölkern. Viel mehr sind sie heute etablierte, dunkle Fantasywesen, die den Menschen oft sehr ähnlich sind und die auf unterschiedlichste Weise interpretiert werden. Manche Autor*innen greifen auf klassische Motive zurück und lassen sich von der Schauerliteratur des 19. Jahrhunderts inspirieren. Sie ergründen das Wesen der Vampire und sind dem Horror oft näher als der Fantasy. Andere verleihen den Blutsaugern in der Fantasy ganz neue Attribute und inszenieren sie als magische Wesen. Damit schließen heutige Vampirgeschichten an die Vielseitigkeit in Manga an und inszenieren die Blutsauger in unterschiedlichsten Settings: ob Urban Fantasy, Horror, Thriller, Romance, Science Fiction oder High Fantasy, Vampire beißen heute in alle phantastischen Subgenres zu.

Judith Madera
Judith Madera ist Literatopia-Chefredakteurin und Herausgeberin des Online-Fanzines PHANTAST. Seit 2019 schreibt sie gelegentlich für TOR online über Science Fiction, Anime und Manga. Mehr unter www.literatopia.de