Judith Madera, 20.06.2025
In einer Zeit multipler Krisen, in der die Zukunft zunehmend dunkler aussieht, lohnt es sich, über die drohende Apokalypse hinaus zu schauen und sich der Zeit danach zu widmen. Eine Zeit, die noch vom Schrecken des Untergangs geprägt ist, aber in der auch Neues entsteht. Eine Zeit, die auf den ersten Blick dystopisch ist, aber die auch Platz für kleine Utopien hat.
Alessandra Reß hat in ihrem Artikel von 2018 bereits grob umrissen, was man über das Genre der Postapokalypse wissen sollte, und schloss mit der Erkenntnis, dass viele postapokalyptische Romane vor allem eine Warnung vor dem Ende seien. Bereits im 19. Jahrhundert gab es postapokalyptische Geschichten wie Mary Shelleys Der letzte Mensch, in der eine Seuche sich über alle Kontinente ausbreitet und nahezu alle Menschen tötet. Die Science Fiction des frühen 20. Jahrhunderts war eher von einem Wissenschaftsoptimismus geprägt. Neuen Technologien folgten Träume vom Besiedeln fremder Planeten, von einer technisierten, glorreichen Zukunft. Zwei Weltkriege und die Atombombe zerstörten diese Träume, die SF wurde pessimistischer und widmete sich verstärkt der (Post-)Apokalypse. Wissenschaft wurde zunehmend kritisch betrachtet, neue Technologien konnten auch das Ende der Menschheit bedeuten und in der SF galt es, vor dieser Möglichkeit zu warnen.
In diesem Artikel wollen wir uns Werken widmen, die sich vor allem mit einer Welt danach beschäftigen, die zugleich erschreckend und irritierend schön sein kann. Im Gegensatz zu Endzeitromanen, in denen verzweifelte und brutale Kämpfe geführt werden, zeigen Postapokalypsen eine veränderte, oft noch beschädigte Welt, in der das Leben weitergeht. Die Menschen sind von einem kollektiven Trauma geprägt, die Ruinen der Apokalypse sind noch zu sehen, doch die Welt heilt langsam und Neues entsteht. Diesen hoffnungsvollen Aspekten der Postapokalypse wollen wir uns in diesem Artikel widmen.
Hopepunk und Anarchie
Nach apokalyptischen Ereignissen entsteht Raum für neue Gesellschaftsformen. Oftmals ist die Menschheit stark dezimiert, die Überlebenden sind traumatisiert und die Lebensumstände sind mindestens widrig. In Wasteland (2019) und Laylayland (2022) von Judith und Christian Vogt liegt Europa nach mehreren Kriegen in Trümmern, große Teile des Kontinents wurden von Biowaffen kontaminiert. Diese Wastelands sind sehr grün und sehr tödlich. Dazwischen kämpfen die zukünftigen Menschen ums Überleben und teilen sich grob in zwei Lager: Die sogenannten Toxxer haben sich zu hierarchischen Gangs zusammengeschlossen, die in Mad Max-Manier auf aufgemotzten Fahrzeugen durch die Landschaft zwischen den Wastelands heizen und ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen wollen. Diese Menschengruppe ist wie der Name bereits andeutet toxisch, die Mitglieder folgen brutalen Anführer*innen, verklären die Vergangenheit, gieren nach Macht und Drogen und machen das Leben in der Postapokalypse noch schwerer, als es sowieso schon ist.
Auf der anderen Seite gibt es sogenannte Hoper: Menschen, die sich zu familienähnlichen Gruppen zusammengeschlossen haben. Sie helfen sich gegenseitig und versuchen, das Beste aus der Postapokalypse zu machen. Die Hoper sind anarchisch und ihre Gesellschaft beruht auf Kooperation. Unterschiedlichste Geschlechter und Menschen unterschiedlichster Herkünfte leben friedlich zusammen, doch sie wissen sich auch gegenüber den Toxxern zu behaupten und ihre Lebensweise zu verteidigen. Und so steckt sehr viel Hoffnung in Wasteland – eine trotzige Hoffnung, die zeigt, dass wir nicht den Umständen ausgeliefert sind, sondern auch eine kaputte Welt noch gestalten können.
In Proxi (2024) von Aiki Mira sind Klimakrise, Artensterben und Umweltverschmutzung soweit eskaliert, dass es nur noch wenige hochtechnisierte Megastädte gibt und die meisten Menschen den Großteil ihrer Zeit in virtuellen Welten verbringen. Sie leben quasi in einer konservierten, sich nie mehr veränderten Vergangenheit, während in der Realität vieles verloren ist. In Europa hat sich eine gigantische Landschaft aus Müll entwickelt: Mikroplastik türmt sich zu Dünen auf, Plastiglomerate ragen wie verkrüppelte Bäume in den trüben Himmel. Auf den ersten Blick ist diese Landschaft – Proto – lebensfeindlich und leer. Als ihre virtuelle Welt – Proxi – kollabiert, brechen die drei Protagonist*innen auf, um das Backup ihrer Welt auf einem geheimen Server zu finden und so in ihre Leben zurückkehren zu können.
Auf ihrer Reise durch das bizarre Proto treffen sie unerwartet auf Menschengruppen, die dort leben. Da wären beispielsweise die Elder, die altes Wissen bewahrt und gelernt haben, in der Müllwüste zu existieren. Oder die Solartrolls, die eine eigene kleine Stadt errichtet haben, eine Schimäre aus Cyberpunk und Solarpunk. Und auch Tiere, Pflanzen und Pilze gedeihen in Proto, noch in geringer Zahl, doch hier verändert sich etwas, hier findet Evolution statt. Das Leben geht in der Postapokalypse weiter, es findet neue Wege und die Protagonist*innen finden eine neue Welt, in der sie neue Leben leben können.