
Magische Metropolen – Paris

Alessandra Reß, 16.10.2025
Lust auf Pariser Flair mit phantastischem Anklang? Vom Großstadt-Märchen bis zur düster-romantischen Vampirgeschichte hat die Fantasy hier eine Fülle von Geschichten zwischen Eiffelturm und Schloss Versailles zu erzählen.
„Schon das Wort ‚Paris‘ versetzte mich in einen Freudenrausch […] Paris zog mich an sein Herz, sodass ich mich selber ganz vergaß …“
Derart überwältigt beschreibt der Vampir Louis in Anne Rice‘ Interview mit einem Vampir seine Gefühle ob der Aussicht, nach Paris zu reisen.
Mit dieser Glückseligkeit ist er nicht allein. Noch immer ist Paris für unzählige Menschen der Sehnsuchtsort schlechthin. Paris, die Stadt der Liebe und Lichter. Wo man am Straßenrand in Cafés einen Hauch von Bohème verspüren kann, während man den (anderen) Touristen zusieht, die sich Richtung Eiffelturm wälzen. Wo einem auf Schritt und Tritt Chansons und die Kompositionen von Yann Tiersen in den Ohren klingen, die vermutlich kein Pariser mehr hören mag. Und wo die radikale Umgestaltung durch Georges-Eugène Haussmann vielerorts die Zeugen der Epochen übertüncht hat, welche die Stadt zuvor geprägt hatten.
Setting mit verträumtem Flair
Wie London oder Venedig ist Paris einer dieser Orte, die man nicht selbst besucht haben muss, um mit ihm gewisse Klischees zu verbinden. Nicht zuletzt liegt das an den unzähligen Medien, die Paris bereits beschrieben und besungen haben. Oft dominiert dabei ein verklärt-romantisches Bild, das im phantastischen Film z. B. durch das Großstadt-Märchen Die fabelhafte Welt der Amélie oder die nostalgische Zeitreise Midnight in Paris unterstützt wird.
Ihr populäres Bild macht die Stadt wiederum zu einem dankbaren Teilzeit-Setting für Filme oder Romanreihen, die das Flair unterschiedlicher Orte als Storytelling-Element verwenden. In der Fantasy taucht Paris entsprechend in Reihenbänden wie Deborah Harkness‘ Time’s Convert: Bis ans Ende der Ewigkeit, Anna James‘ Pages & Co.: Matilda und die verschwundene Buchmagie, Victoria Schwabs City of Ghosts: Im Reich der vergessenen Geister oder Cassandra Clares Chain of Thorns: Die letzten Stunden auf.
Das freundliche Bild von Paris eignet sich zudem gut für Kinder-Fantasy, wie neben den Beispielen von Schwab und James z. B. Kathrin Tordasis Birds of Paris, Andrea Schützes Valérie: Die Meisterdiebin von Paris oder Mareike Allnochs Schokomagie-Reihe beweisen.
Stadt der zwei Gesichter
Gleichwohl ist das sympathisch verträumte Image nur eine Seite.
„It’s french history: beheaded people, red wine, and blood all over the place […]“ Diese Worte stammen nicht von einem Vampir, sondern vom Sänger der Metalband Gojira. In einem mit dem Rolling Stone geführten Interview erklärte er so den denkwürdigen Auftritt der Band im Rahmen der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 2024. Vor der Kulisse der Conciergerie und mit Dutzenden geköpften Marie Antoinettes in den Fenstern, spielten Gojira und die Opernsängerin Marina Viotti ihre Version von „Ah! Ça ira!“ („Mea Culpa“). Die Inszenierung traf nicht von allen den Geschmack, aber in Frankreich im Allgemeinen und Paris im Speziellen wird mit ambivalentem Stolz auf die wenig zimperliche Vergangenheit geschaut. Und auf den prägenden Pomp des Ancien Régime sowie dessen Ende durch die Französische Revolution.
Die vielseitige französische Geschichte schlägt sich in der Phantastik nieder: In Delia Shermans Die Porzellantaube verbindet sich ein Familienfluch mit den Wirren der Französischen Revolution. In Markus Heitz‘ Judassohn beteiligt sich der Protagonist u. a. an dem Sturm auf die Bastille. In der international erfolgreichen Vampyria-Trilogie des gebürtigen Franzosen Victor Dixen befindet sich der Hof von Versailles fest in Vampirhand. Und in China Miévilles in mehrfacher Hinsicht surrealer Alternate History Die letzten Tage von Neu-Paris kämpfen im Jahr 1950 Nazis und Résistance einen Guerillakrieg in einer von (Alb-)Träumen und Manifestationen geprägten Stadt.
Die Schatten und ihre Jäger
Schon an Judassohn, Vampyria, Time’s Convert und unserem eingangs begeisterten Louis zeigt sich, dass Vampire eine besondere Affinität zu Paris besitzen. Kein Wunder bei all den Katakomben, die Schutz bieten vor der Sonne oder den Friedhöfen, auf denen man alte Weggefährten besuchen kann! Fam Schapers Where Blood Reigns macht schon im Titel klar, dass die Pariser gut damit fahren, nicht an Knoblauch zu sparen. Auch die in kühlen Bildern gehaltene Netflix-Fernsehserie Vampires aus 2020 ist in Paris angesiedelt.
Dabei sind Vampire längst nicht die einzigen Wesen, die sich in den Pariser Schatten wohlfühlen – man denke nur an Guy Endores mehrfach verfilmten Klassiker The Werewolf of Paris (1933)!
Kein Wunder, dass sich im Laufe der Fantasyliteratur unterschiedlichste Organisationen und Gesellschaften gebildet haben, die dafür Sorge tragen sollen, dass bei allem magischen Potpourri ein gewisses Maß an Ordnung bestehen bleibt. Beispiele dafür finden wir in Stefanie Schuhens Die rastlosen Geister des Salon Nocturne, in Oliver Plaschkas Die Magier von Montparnasse, in Laura Cardeas They Who Guard the Night, in Alexandra Flints Silent Secrets oder in Lara Großes City of Dust and Shadows. Wie sich das für die Stadt der Liebe gehört, geht es bei aller Pflichterfüllung dabei gerne romantisch zu.
Paris aus Sicht französischer Fantasy
In der französischsprachigen Urban Fantasy dominieren Krimi-Elemente und Werke spielen häufig während der Belle Époque. Hier ermittelt z. B. der Protagonist aus Pierre Pevels Le Paris de Merveilles in der magischen Gesellschaft. Mehr auf private Faust unterwegs sind die Heldin der Comicreihe Adeles ungewöhnliche Abenteuer (verfilmt von Luc Besson) oder der legendäre Privatdetektiv Vidocq im gleichnamigen Film.
Thematische Abwechslung bietet die Pariser Fantasy, wo sie an Horror und Science Fiction anknüpft. Wer seine Französischkenntnisse erproben möchte, kann sich z. B. an Pierre Bordages Rive Gauche heranwagen, was das Metro 2033-Universum um ein Pariser Szenario erweitert. Noch mehr Postapokalypse-Paris, aber mit mehr Magie, bietet Estelle Fayes Un eclat de givre. Und wer es lieber mit einer Übersetzung ins Deutsche hält: In Enki Bilals Alexander Nikopol: Die Geschäfte der Unsterblichen (verfilmt und in die USA versetzt als Immortal – New York 2095: Die Rückkehr der Götter) mischen altägyptische Gottheiten ein von Atomkriegen verheertes Paris auf.
Ob auch die Gottheiten ein Freudenrausch dazu veranlasst hat, ausgerechnet Paris aufzusuchen? Jedenfalls befinden sie sich hier in guter Gesellschaft zu all den anderen phantastischen Wesen, die sich an den Ufern der Seine ähnlich wohlfühlen wie die menschlichen Besucher und Bewohner.

Alessandra Reß
Seit 2012 hat sie mehrere Romane, Novellen und Kurzgeschichten veröffentlicht, zudem ist sie seit mehr als 15 Jahren für verschiedene Fanzines tätig und betreibt in ihrer Freizeit den Blog „FragmentAnsichten“. Ihre Werke waren u. a. für den Deutschen Phantastik Preis und den SERAPH nominiert.
Mehr unter: https://fragmentansichten.com/