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Pride Phantastik: Queere Buchtipps

Pride Phantastik: Queere Buchtipps
© Dragonfly

Laura Papenberg, 25.06.2025

Wir haben Pride Month und es ist an der Zeit meine liebste Buch-Kombination in den Mittelpunkt zu stellen: Queerness und Phantastik. Buchtipps von Laura Papenberg.

Phantastik in all ihren Ausprägungen ist schon von Natur aus der ideale Ort für queere Literatur. Was sonst sind Fantasy, Science-Fiction und Horror, wenn nicht Möglichkeits- und Imaginationsräume? Wenn wir Welten voller Feuer speiender Drachen, stählerner Roboter oder gespenstischer Schattenwesen erdenken können, sollte es nur ein kleiner Schritt sein, sich queere Identitäten vorzustellen, die diese Welten bewohnen.

Phantastik und Queerness sind wie füreinander gemacht, nicht weil Phantastik nach manch literaturwissenschaftlicher Definition alles umfasst, was Naturgesetzen trotzt (Queerness war schon immer und wird auch immer natürlich sein), sondern weil beiden eine revolutionäre Kraft innewohnt.

Eine Kraft, gesellschaftliche Zustände und Systeme unserer Zeit, fantastisch verpackt zu spiegeln und neu zu denken. Welten zu entwickeln, die unsere Denkmuster sprengen und neue Visionen unserer Vergangenheit, Gegenwart oder einer anderen Zukunft aufzeigen können. Phantastik bietet Räume sich auszuprobieren, eine Vielfalt an Sexualität, Geschlecht und Begehren zu zeigen.

Beispiele dafür hat es in der Geschichte zwar immer wieder gegeben, wie z.B. „Carmilla“ von Sheridan Le Fanu, eine der ersten Vampirnovellen, die einen starken sapphic Subtext aufweist (hervorragend neu aufgelegt bei Hobbit Presse, Klett Cotta) oder Ursula K. Le Guins „Die linke Hand der Dunkelheit“ (2023 neu übersetzt bei Fischer Tor) ein feministischer Science-Fiction Klassiker, der Geschlechterkategorien und Rollenbilder hinterfragt.

Wenn man die Phantastik mit einem genauen Blick abklappert, findet sich also immer mal wieder ein queeres Juwel. Die große Welle an queeren Neuerscheinungen hat sich jedoch erst mit gestiegener Akzeptanz in der Gesellschaft und durch Vorreiterrollen und Vorarbeit von queeren Literaturinstituten und Autor*innen im letzten Jahrzehnt eingestellt. Da haben es in den Mainstream zunehmend mehr Bücher mit Repräsentation geschafft. Begünstigt wurde dies im Deutschen auch durch die von Judith Vogt, James A. Sullivan und Nora Bendzko konzipierte und aktiv voran getriebene Progressive Phantastik

Zugleich formiert sich gegen queere Menschen eine immer stärkere Gegenbewegung, die sich konkret in dem Angriff auf queere Menschenrechte, aber auch gesteigerte Zensur von progressiven Titeln zeigt. Mehr Grund denn je, queere Literatur sichtbar zu machen, zu lesen und damit ein starkes Signal an Verlage zu richten, diese weiterhin zu verlegen.

Für alle, die gerne aktuellen Lese-Nachschub möchten, sind hier fünf Empfehlungen aus der queeren Phantastik:

Meister der Dschinn | P. Djèlí Clark (2023)

Alternative Geschichte, Steampunk, Krimi Fantasy

1912 in Kairo angesiedelt, bietet dieser Roman eine faszinierend ausgestaltete Steampunk-Realität, in der 40 Jahre zuvor der Schleier zwischen unserer und der magischen Welt zerrissen wurde. Das Resultat ist eine Realität, in der sich Dschinns, Ghoule oder belebte Automaten tummeln. Die magischen Aktivitäten werden vom Ministerium für Alchemie, Zauberei und übernatürliche Wesen kontrolliert.

Die junge Fatma ist eine der ersten Frauen, die in dem Ministerium arbeitet und eine ihrer besten Agentinnen. Zum Glück, denn ein in der Stadt umgehender Unruhestifter, der Morde begeht und sich für einen wiederkehrten legendären Mystiker ausgibt, sorgt für Aufruhr auf den Straßen und droht das Gefüge der Welten ins Wanken geraten zu lassen. Höchste Zeit, dass die äußerst stilsichere, wie wehrhafte queere Fatma die Ermittlungen aufnimmt!

Sol - Das Spiel der Zehn | Aidan Thomas (2023)

Jugendbuch, Fantasy

Wer schon immer gedacht hat, es braucht eine Mischung aus den Tributen von Panem und Percy Jackson, mit einem ebenso witzigen Protagonisten, in queer und mit mexikanisch inspirierter Götterfolklore, muss schleunigst zu Sol greifen. Schon mit „Cemetery Boys“ hat Aidan Thomas ein Jugendbuch mit queeren Protagonisten und Liebesgeschichte geschrieben. Mit „Sol“, dem ersten Teil der „Sunbearer Trials“-Dilogie, hat Thomas ein action-geladenes Abenteuer geschaffen, in dem die jugendlichen Charaktere in einem tödlichen Wettkampf gegeneinander antreten müssen. Der trans Hauptcharakter Teo wird dabei überraschend als geringerer Halbgott auserwählt, anzutreten und muss sich fortan im Spiel um Leben und Tod beweisen.

Sparks - Die Magie der Funken | J. R. Dawson (2024)

Zeitreise, alternative Geschichte, Fantasy

Man könnte sagen, Dawsons „Sparks“ ist das Buch der Stunde. Was bei einem Zeitreiseroman ironisch anmuten mag. Doch diese Geschichte, um einen Zirkus, der zwischen den beiden Weltkriegen durch Zeit und Raum reist, um Menschen einen helfenden Funken Hoffnung und Inspiration in dunklen Zeiten zu bringen, hat wie kaum ein anderes Buch der letzten Jahre queeres Aufbegehren und Widerstand gegen eine gegen sie gerichtete Welt eingefangen.

Sparks, sind dabei Menschen, die besondere magische Fähigkeiten während des 1. Weltkrieg erlangt haben und von der Gesellschaft misstrauisch beäugt werden. Zusammen mit ihrer mit Heilkräften ausgestatteten Ehefrau Odette und der durch die Zeit sehenden Mauve, gibt die Zirkusdirektorin Rin einer Gruppe von Sparks ein Zuhause und eine Familie, während sie zugleich versuchen, große zeithistorische, wie persönliche Bedrohungen abzuwenden.

Ein Buch wie eine Warnung, was passieren kann, wenn wir Faschismus nicht Einhalt gebieten und was wir diesem im Kleinen entgegenhalten können.

Chain-Gang All Stars | Nana Kwame Adjei-Brenyah (2024)

Dystopie, Near-Future

Heftig, brutal, und schwer verdaulich: Diese Gesellschaftskritik, die das amerikanische Gefängnissystem in den Fokus nimmt, hat es in sich. Der actiongeladene Roman könnte sich als auf die Spitze getriebene antikapitalistische, antirassisistische Kritik, Dystopie oder Near- Future-Abrechnung lesen lassen, angesichts der amerikanischen Verhältnisse sind wir da wohl nur nicht allzu weit entfernt.

In einer zeitlich undefinierten Zukunft sind das Gefängnissystem zu live gestreamtem Unterhaltungsprogramm und die lebenslänglich Verurteilten, zu modernen Gladiatoren mutiert.

Darunter Loretta Thurwar und Hamara “Hurricane Staxxx” Stacker, die beide tragische Zuneigung miteinander inmitten all der Gewalt finden und zugleich um ihre Freiheit und ihr Leben kämpfen.

Der multiperspektivisch erzählte Roman beleuchtet zahlreiche Aspekte dieses erschreckend anmutigen Szenarios von den Insassen, Zuschauenden, Gegenaktivisten, Spielmacher und mehr. Gekonnt schafft er es durch zusätzliche Fußnoten-Verweise den Blick auf den derzeitigen Zustand zu richten.

Ein Psalm für die wild Schweifenden | Becky Chambers (2024)

Solarpunk, Hopepunk, Utopie

Den meisten Leser*innen dürfte Becky Chambers diverse und cozy Science-Fiction- Reihe Wayfarers bekannt sein (wenn nicht, dann unbedingt sofort nachholen!). Weniger bekannt, aber zum Glück letztes Jahr ins Deutsche übersetzt, ist dagegen die Novelle „Ein Psalm für die wild Schweifenden“, der erste Teil der „Dex & Helmling“-Dilogie. Eine kleine Solarpunk-Geschichte, die vor Hoffnung und nachdenklicher Sinnsuche nur so strotzt. Der nichtbinäre Teemönch bereist dabei den Planeten Panga, um den Menschen, die es am meisten brauchen, einen Moment der Besinnung, Tee und ein gutes Gespräch zu schenken. Als sich Dex dazu entschließt auf Abwege zu geraten und dabei einen Menschen aufgeschlossenen Roboter trifft, beginnt eine Reise, die auch im inneren zu Veränderungen führt.
Für alle, die in diesen Zeiten etwas Leichtes, Aufbauendes vertragen können.

Laura Papenberg

Laura Papenberg ist studierte Buchwissenschaftlerin & gelernte Buchhändlerin aus Leidenschaft und freut sich immer ganz besonders, wenn sie im Laden Bücher aus dem Bereich der Phantastik empfehlen darf. Sonst verteilt sie auch in ihrer Freizeit Buchtipps auf ihrem Instagram-Account @lora_papi.

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