Fantasy

Spotlight on: Fantasy-Miniaturen bemalen

Gruppenbild von Fantasykrieger*innen aller Art vor einer Art Burgmauer

Ruggero Leo, 28.09.2023

In einer Welt, in der alles winzig ist, braucht man eine Lupenbrille. Die Rede ist von der Welt der Miniaturen, genauer gesagt, der Fantasy-Miniaturen. Ruggero Leo erklärt uns, was hinter diesem Hobby steckt.

Meist gehören diese Minis zu einem Spielsystem – zu Tabletop-Wargames oder Brettspielen. In den letzten Jahren haben diese Spiele sehr an Popularität hinzugewonnen. Für das Bemalen der kleinen Figuren gibt es keine offizielle Bezeichnung. In der zugehörigen Community bezeichnet man es meist als „Das Hobby“. Miniaturenbemalen ist ein sperriges Wort, das daher kaum jemand verwendet. Doch wie haben wir uns dieses Hobby vorzustellen?

Im Grunde tut man das Offensichtliche: Man trägt Farbe auf Plastik- oder Resinfiguren auf, malt sie an, macht sie bunt, und das ist wohl eher was für die Nerds unter den Nerds. Als ich einen meiner besten Freunde erstmals traf, sagte er irgendwann: „Ich bemale Zinnfiguren.“ Das löste in meinem Kopf Bilder aus, einige davon nicht vorteilhaft, und ich hielt ihn damals für ziemlich schräg. Doch dann brachte er mir eines Tages bei, wie man Minis bemalt, und das Hobby schlug mich gleich in seinen Bann, denn Bemalen geht in Wahrheit über das reine Auftragen von Farben hinaus und hat eine Historie.

Miniaturen sind ein altes Geschäft

Die Kunst rund um Miniaturen reicht bis in die Antike zurück. Anfangs dienten Zinnfiguren eher als Pilgerzeichen, später wurden sie zu Spielzeug, und zwar verstärkt seit den 1920er Jahren. Zinnfiguren mit historischen Motiven gibt es bis heute, aber in den letzten Jahrzehnten ist der Markt für phantastische Minis expandiert, und diverse Kunststoffe haben das Zinn weitgehend abgelöst.

Eine riesige Industrie ist entstanden. Einer der größten Player weltweit ist die Firma Games Workshop, die nach ihrer Gründung im Jahr 1975 eine beeindruckende Entwicklung hingelegt hat. Man kann sagen, GW hat das Mini-Gaming, die Tabletop Wargames, groß gemacht und ist heute noch immer so ziemlich der größte Player von allen. Neben GW gibt es zahllose Firmen, viele davon klein, und seit der 3D-Druck in die Privathaushalte Einzug hielt, ist die Zahl der Figurenanbieter nochmals explodiert. Viele Sculptor (Modellierer) haben sich selbständig gemacht und bieten ihre Figuren auf Patreon, Etsy oder ähnlichen Plattformen zum Download an. Was mal eine absolute Nische war, ist nun auf dem besten Wege, unübersichtlich zu werden.

Für viele hat Games Workshop alles losgetreten. Zum ersten Mal im Leben kam ich durch das Spiel Hero Quest mit Miniaturen in Berührung. Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich mit meinen Freunden damit verbracht habe, durch den Dungeon zu streifen, Fallen zu entschärfen und Monster zu erschlagen. Damals konnte ich mir nicht vorstellen, diese Figuren auch zu bemalen.

 Inzwischen male ich seit ein paar Jahren und beobachte die Szene der Malenden, die den meist grauen Modellen durch ihre Arbeit – oder Kunst – Leben einhaucht. Es ist keine gesicherte Erkenntnis, aber doch wahrscheinlich, dass die Pandemie zum Wachstum der Szene beigetragen hat, denn das Malhobby wuchs in den letzten drei Jahren merklich, und die Zahl der thematisch relevanten YouTube-Kanäle schoss wie Pilze aus dem Bildschirm. Die große Nachfrage für Brettspiele mit Miniaturen wurde und wird durch Plattformen wie Kickstarter gedeckt, auf der auch große Firmen Spiele anbieten, die zum Teil 200 Miniaturen oder mehr enthalten und schnell die 300-Euro-Grenze überschreiten. Auch der Markt für Malzubehör (Minihalter, Nasspaletten, Farben etc.) ist größer denn je.

Die Faszination des Kleinen

Was aber ist so faszinierend an diesem Hobby, dass es immer mehr Leute in seinen Bann schlägt?

Zum einen werten bemalte Minis jedes Spiel erheblich auf und erhöhen die Immersion deutlich. Zum anderen ist die Tätigkeit des Bemalens quasi therapeutisch. Man verfällt in einen Zustand der Ruhe, in dem die Zeit anders (schneller) vergeht, und in dem man sich stark auf ein Kunsthandwerk fokussiert, bei dem es kleinste Details zu bemalen gilt. Die so verbrachte Zeit gleicht durchaus einer regelmäßigen Meditation, die den Gang zur Therapie ersparen kann. Man verfällt beim Bemalen in einen Zustand tiefer Entspannung, verliert das Zeitgefühl und erholt sich vom Alltag, vergisst kurzzeitig manche Sorge. Das geht nicht nur mir so, sondern das bestätigen viele aus der Szene.

Bei manchen ist die Faszination für Minis groß, aber es fehlt wegen des vollen Terminplans die Zeit, die vielen Figuren selbst zu bemalen. In diesem Fall gibt so mancher seine Spieleminis an einen professionellen oder privaten Bemalservice. Ich hatte beispielsweise schon einmal die Ehre, für Jay Kristoff und Bernhard Hennen bemalen zu dürfen.

Die meisten, die selbst den Pinsel schwingen, malen aus Spaß, aber es gibt auch Leute, die sich mit anderen KünstlerInnen auf international bekannten Wettkämpfen messen. Wer da mitmacht, will zeigen, was er kann, und der Lohn ist die Anerkennung.

Es gibt beim Bemalen große Qualitätsunterschiede, und die Grenzen der Bemalstandards gehen fließend ineinander über. Letztlich zeigt sich die Qualität der Bemalung immer durch die Zeit, die man in eine Figur investiert. Im Wesentlichen kann man drei Standards erkennen:

Tabletop-Standard: Die Figur soll als Spielfigur eingesetzt werden. Ein Modell wird in einem kurzen Zeitraum bemalt, etwa von einer bis sechs Stunden. Hat man eine Armee zu bemalen, muss es eben schnell gehen. Meist geben sich die Maler dann mit Heldenfiguren mehr Mühe als mit der Gegner-Horde.

Display-Standard: Die Figur wird als Ausstellungsstück bemalt, in etwa 30 bis 60 Stunden. Hier geht es um jedes Detail, auch in der Farbtheorie. Eine bereits aufwändige Bemalung. Hier ein Beispiel:

Competition-Standard: Hier kommt es zum Overkill. Das Modell soll so weit wie möglich zur Perfektion gebracht werden. Die besten MiniaturenmalerInnen der Welt beherrschen diesen Standard und investieren mitunter mehrere hundert Stunden in ihr Projekt, das dann auf einem Malwettbewerb bewertet und (hoffentlich) ausgezeichnet wird. Es gibt viele Malwettbewerbe in der Szene, die mit ehrwürdigen Preisen locken, allen voran der Golden Demon von GW.

Leider sind solche Wettbewerbe bzw. Conventions hierzulande weitgehend ausgestorben, und man muss nach Italien, England oder Amerika verreisen, um daran teilzunehmen. Hier eine Büste von Roman Lappat, die auf einem solchen Wettbewerb gute Siegeschancen hätte:

MeisterInnen ihres Fachs

Die berühmtesten Mini-MalerInnen haben auf Instagram 130.000+ Follower, und diese Follower bilden nur einen Bruchteil der Leute ab, die zu Hause ihre Modelle bepinseln. Fast jedes Land hat seine „GroßmeisterInnen“, allen voran Spanien und Italien, im Grunde dicht gefolgt vom Rest der Welt. Diese Profis können tatsächlich davon leben, Plastikfiguren zu bemalen. Nicht selten halten sie Malkurse für Einzelne oder Gruppen ab, unterhalten Patreons oder verkaufen ihre Werke. Farbenhersteller verkaufen „Signature-Sets“ mit Farben, die diese KünstlerInnen gern benutzen und von Fans gekauft werden, in der Hoffnung, dasselbe Malniveau zu erreichen. Die bekannten MalerInnen sind oft Werbeträger für die großen Firmen, hier gelten im Nerdtum dieselben Regeln wie überall sonst auch.

Aber es gibt auch KünstlerInnen, die lieber ihre Werke für sich sprechen lassen. Einer davon ist Roman Lappat aus Augsburg.

Ist es wirklich Kunst, eine Miniatur zu bemalen?

Die Frage ist diskussionswürdig, und aus meiner Sicht lautet die Antwort darauf: „Hängt davon ab“. Wer seine Figur in zwei, drei Stunden zum Spielen bemalt, tut dies eher aus pragmatischen Gründen und hat kaum Raum für kunstvolle Arbeit. Zugleich kann man mit Übung erstaunlich rasch gute Ergebnisse erzielen, dennoch würde ich die schnelle Art der Bemalung eher dem Kunsthandwerk zuordnen.

Anders sieht es aus, wenn eine KünstlerIn ein Diorama erstellt, das eine Geschichte erzählt. Das kann im Kleinen anfangen – etwa mit der Figur eines Hundes, der traurig auf eine Tür blickt. Oder wir sehen einen Krieger, der blutüberströmt über ein Schlachtfeld stürmt. Oder ein kleiner Astronaut, der staunend in einer fremdartigen Welt steht. Die Möglichkeiten sind endlos, und hier findet die Kunst ihren Ausdruck in der Komposition der Elemente, die filigrane Bemalung ist Mittel zum Zweck.

Manche KünstlerInnen versehen ihre Projekte auch mit „Freehands“, d. h. mit frei gemalten Elementen. Zum Beispiel kann eine Figur ein Banner halten, auf dem ein echtes Miniaturgemälde zu sehen ist. Das ist eine Königsdisziplin.

Bewegen wir uns auf diesem Terrain – angefangen bei der meisterhaften Bemalung, der dabei getroffenen Wahl der Lichtverhältnisse bis hin zur Komposition und Geschichte –, dann lautet die Antwort auf die Frage „Ist das Kunst?“ eindeutig „Ja!“

Macht also nicht denselben Fehler wie ich und haltet dieses Hobby/diese Kunst für etwas, das nur schräge Leute betreiben. Es würde mich nicht wundern, wenn viele von euch eine ähnliche Faszination dafür entwickeln wie wir Malende, wenn ihr es erst einmal ausprobiert habt.

Falls sich jemand dafür interessiert, sind hier ein paar Links, die den Einstieg erleichtern.

Einleitung zum Bemalen von Squidmar

Einleitung von Miniac

Bilder zum Staunen und Workshops von Roman Lappat

Wer weiß, vielleicht wächst die Mini-Szene ja noch mehr?

Ruggero Leò

Ruggero Leò arbeitet als freiberuflicher Übersetzer und Lektor in Berlin. Zuvor hat er als Lektor für große Publikumsverlage gearbeitet, zuletzt für die FISCHER-Verlage. In seiner Freizeit bemalt er Miniaturen. Seine Sammlung ist bei Instagram unter dem Account Minirug zu finden.

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