Science Fiction

Raumschiffcrews im Wandel der Zeit

Science Fiction Jahr 2022 Teaser

Lena Richter, 09.02.2023

Wie haben sich Raumschiffcrews verändert? Star Wars und Star Trek sind wohl die bekanntesten Beispiele für einen Trend zur Diversität und Queerness. Autorin Lena Richter betrachtet die Entwicklung in der Science Fiction.

Frühe Space Operas und die ersten Raumschiff-Crews

Ab den 1920er-Jahren entstand das, was wir heute als Space Opera kennen, auch wenn der Begriff erst in den 1940ern geprägt wurde. Pulp-Magazine wie AMAZING STORIES veröffentlichten Abenteuer­geschichten im Weltraum, in denen es abweichend zu anderen Science-Fiction-Geschichten um Spannung, Drama und Romantik und weniger um wissenschaftliche Gedankenexperimente ging. Als erste Space Opera gilt vielen der 1928 als Fortsetzungsgeschichte veröffentlichte Roman The Skylark of Space von Edward E. Smith und Lee Hawkins Garby mitsamt seinen Fortsetzungen. Dort finden sich sowohl erste Ansätze eines Teams, das längere Zeit zusammen­arbeitet, als auch das Konzept eines männlichen, übermenschlich begabten Helden, der das Zentrum dieses Teams bildet; eine Vor­stellung, von der sich die Space Opera bis heute noch oft beeinflussen lässt. Protagonist Seaton ist der Weltbeste in so vielen Dingen, dass man eine solche Figur heute wohl völlig übertrieben fände, passt aber gut in die Zeit, in der auch die ersten Superheldencomics ent­standen. Auch das Konzept von Raumschiff-Familie kommt hier schon vor: Seatons Verlobte Dorothy ist ursprünglich zwar nur das Entführungsopfer, das ihn ins Abenteuer lockt, doch in späteren Teilen reisen er und sein Kollege Crane immer mit ihren Ehefrauen durchs All. Zusammenarbeit mit Außerirdischen wird thematisiert, auch wenn es bis zum ersten regulären Alien-Bordmitglied eines Raumschiffs noch etwas dauern sollte.

Denn Aliens und Roboter als Teil eines Teams wurden erst einige Jahre später modern. Als Marketingmaschinen für Merchandise und gesponsert durch Firmen wie Kellogs oder Nestlé erlangten in den 1950ern Serien wie TOM CORBETT, SPACE CADET, CAPTAIN VIDEO AND HIS VIDEO RANGERS und SPACE PATROL große Beliebtheit, auch über die Zielgruppe von Kindern und Jugendlichen hinaus. Teilweise basierend auf Romanen, teilweise auf Radiohörspielen, wurden sie günstig und größtenteils live produziert und wiesen alle irgendeine Art von Team auf.

Hier finden sich weiterhin übermenschliche Gestalten, aber auch die Ansätze von Elementen, die auch später bei Raumschiffcrews beliebt werden würde: Roboter (der erste Roboter in einer Fernseh-SF-Serie war I Tobor aus CAPTAIN VIDEO), Aliens (Venusier Astro aus TOM CORBETT war das erste Alien-Mitglied einer Crew) und ein Team mit verschiedenen Kompetenzen. Auch die Vorstellung einer übergeordneten Organisation, wie hier beispielsweise die »United Planets Space Patrol«, wurde bereits zu dieser Zeit eingeführt und entwickelte sich später zu Konzepten wie der Sternenflotte und der Föderation aus STAR TREK weiter. Die Geschichten der besagten Serien sind größtenteils unzusammenhängend, haben aber viele Elemente, die auch spätere Space Operas wieder aufgreifen: Aliens, Raumschiffpirat*innen, Besuche auf fremden Planeten und generell eine Mischung aus klassischen Science-Fiction-Elementen auf der einen und Fantasy-Wesen wie Weltraumspinnen und unsichtbaren Monstern auf der anderen Seite. Später wird diese Verschmelzung zu Science Fantasy von anderen Formaten wieder aufgegriffen, am berühmtesten darunter sicherlich STAR WARS.

In den Crews dieser frühen Fernsehserien zeigen sich schon einige Strukturen, die später weiter auftauchen, beispielsweise Kommando­strukturen und militärähnliche Ränge, aber auch Geheimdienst­mitarbeitende und Wissenschaftler*innen. Die beliebte Trope der Space Cadets, die gemeinsam ihre Ausbildung an einer Art Militär-Akademie durchlaufen und dann zusammen auf Reise durchs All gehen, stammt ebenfalls aus dieser Phase der Space Operas. Ver­schiedene politische Systeme, denen die Figuren entstammen, finden sich hier ebenfalls schon, wie beispielsweise Tonga, eine Figur aus SPACE PATROL, die der königlichen Familie des Neptuns entstammt. Bereits erwähnt werden die ersten nicht mensch­lichen Crew-Mitglieder. Einerseits werden hier also verschiedene Kompetenzbereiche geschaffen und das Spektrum der Figuren erweitert, andererseits ist aber der Einfluss von Pulpheften und hyper­kompetenten Hauptfiguren noch immer groß und es kann durch die unzusammenhängenden Geschichten kaum von einer kontinuier­lichen Charakterentwicklung die Rede sein.

Freundschaft und Familie

1966 startete die erste STAR TREK-Serie, die das Genre der Space Opera und die Konzepte von Raumschiffcrews bis heute prägt. Die erste Besatzung der Enterprise ist bis heute eine der ikonischsten und beliebtesten Crews aller Zeiten. Und auch wenn die Enterprise in jeder Folge ein neues Abenteuer erlebt, ist doch die Kontinui­tät der Figuren groß genug, dass sich diese in ihren Beziehungen zueinander entwickeln können, was in den sich anschließenden Filmen noch fortgesetzt wird. STAR TREK entwirft seine Hauptfiguren nicht nur mit Augenmerk auf ihre Kompetenzen, sondern auch auf ihre Persönlichkeiten: Der impulsive und wagemutige Kirk, der ana­lytische und gefühlskalte Spock und der aufbrausende, moralisch integre McCoy, der beide immer wieder bremst, wenn sie zu weit gehen wollen, sind so angelegt, dass zwischenmenschliche Konflikte und deren Beilegung ein fester Bestandteil der Geschichten sind. Dabei sind alle drei in gewisser Weise ein überzeichnetes Klischee – so sehr, dass es in den späten Neunzigern sogar eine Analyse des SF-Autors Peter David dazu gab, wie die drei die freudschen Kon­zepte von Es, Ich und Über-Ich verkörpern (und somit eigentlich erst zusammen eine runde, glaubhafte Person ergeben würden). Die Beziehung zwischen der Enterprise-Crew jedenfalls, vor allem die zwischen Kirk und Spock, ist bis heute vermutlich eine der prägends­ten des Space-Opera-Genres, und es ist sicher auch kein Zufall, dass die ersten modernen Fanfictions davon inspiriert wurden. Dass die persönlichen Beziehungen innerhalb des Teams eine so große Rolle spielen und ein Teil der Zuschauenden genau deshalb dranblieb, ist der Beginn einer Entwicklung, die später noch mehr Gewicht erhalten würde.

Doch STAR TREK setzte auch neue Maßstäbe in punkto Diversität der Figuren, ob das nun Lt. Uhura als Schwarze Frau auf der Brücke ist, der russische Chekov als Hoffnung eines irgendwann überwundenen Kalten Krieges, der japanisch-amerikanische Sulu oder Spock als Alien. Trotzdem war die Serie ein Kind ihrer Zeit: Die ursprünglich von Roddenberry geplante Brückencrew (zu sehen noch in der ersten Pilotfolge “The Cage”) beinhaltete neben Spock als Wissenschaftsoffizier eine Frau als erste Offizierin, was vom Sender abgelehnt wurde. Auch die Idee von Rodenberry, Sulu solle sämtliche asiatischen Menschen repräsentieren, würde heute zurecht kritisiert werden. Damals jedoch war Star Trek diesbezüglich revolutionär, und das Franchise ist bis heute oft eine Speerspitze des SciFi-Fernsehens, was Diversität angeht. Schon die erste Serie vermittelte die Idee, dass eine Crew in einer utopischen Zukunft die Unterdrückungen und Konflikte der Gegenwart überwunden haben sollte.

Ein durchgehendes Thema im Star Trek-Franchise ist ein Aspekt, der auch schon in den Serien der 50er-Jahre auftauchte und das Space Opera-Genre noch immer prägt: Die übergeordnete, wohlmeinende Organisation und die Kommandostruktur, die der eines Marine-Schiffs entspricht. Die Föderation und die Sternenflotte sind auch dafür wohl die bekanntesten Beispiele. Interessanterweise sind oft die Grundsätze der Föderation und der Umgang damit im Fokus der Folgen, während die Sternenflotte als Institution nur in ausgewählten Geschichten eine Rolle spielt. Obwohl bei allen Crews der verschiedenen Star Trek-Generationen zumindest der überwiegende Teil in die Rangstrukturen der Sternenflotte eingeordnet ist, sorgen die Ideale dieser und der Föderation gleichzeitig dafür, dass es auf der Brücke selten zugeht wie in einer Bundeswehrkaserne. Dass Probleme von vielen klugen Köpfen besser gelöst werden können als von einer Person allein und dass alle die Chance haben sollten, ihre Meinung zu äußern, ist oft wichtiger als wer wen im Rang übertrumpft. Zwar ist es in hektischen Situationen wichtig, dass klar ist, wer gerade das Kommando hat, und es wird schon einmal “Dies ist ein Befehl!”, gerufen, aber es würde wohl niemand Star Trek auch nur entfernt unter Military-Science-Fiction einsortieren. Somit findet sich bei Star Trek eigentlich durchgehend eine Crew, die in ihren Kompetenzen und Rangordnungen klar sortiert ist, in der aber trotzdem alle frei sprechen dürfen und freundschaftliche Beziehungen miteinander pflegen.

Auch in der ersten deutsche Science-Fiction-Serie Raumpatrouille Orion, die ebenfalls 1966 ausgestrahlt wurde, gibt es sowohl die utopische Vorstellung von überwundenen Nationalstaaten auf der einen Seite als auch die militärischen Strukturen und Behörden wie den Galaktischen Sicherheitsdienst auf der anderen Seite. Doch auch dort dauert es nicht einmal alle sieben Folgen der Serie, bis die Sicherheitsbeamtin, die den aufmüpfigen Raumschiffkapitän überwachen soll, doch einsieht, dass seine Alleingänge oft gut und richtig sind und sich darüber hinaus natürlich in ihn verliebt. Neben der Idee von Freundschaft und Vertrauen als verbindendem Element kommt zur selben Zeit die von einer Familie als Crew auf: 1965, ein Jahr vor Star Trek, startete die Serie Lost in Space, die seither mehrfach neu aufgelegt wurde. Die fünfköpfige Familie Robinson, die auf einem Raumschiff neue Welten besiedeln soll, aber durch die Sabotage des feindlichen Agenten Smith verloren geht, entwirft eine ganz andere Vorstellung von Crew, und auch das ursprüng­liche Ziel der Reise ist nicht Entdeckung oder Forschung, sondern das Gründen einer neuen Heimat. Dabei ist allerdings die Weltall­reise der Familie fortschrittlich, während das Familienbild seiner Zeit gerecht wird: Maureen Robinson, die Ehefrau und Mutter, hat zwar einen Doktortitel, verbringt aber die meiste Zeit mit Kochen, Gärtnern und anderer Sorgearbeit. Will, der einzige Sohn, ist ein Technik-Genie, während die älteste Tochter Judy oberflächlich und weniger intelligent als ihre Eltern ist und die Reise vor allem antritt, weil sie sich in den Piloten verguckt hat. Die mittlere Tochter Penny mag Tiere und Musik und adoptiert schnell ein Alien-Haustier. Interessanterweise entwickelte sich im Laufe der ersten Staffel der eigentliche Gegenspieler Smith, der nach seiner Sabotage nicht mehr von der Familie wegkam, zu einer der beliebtesten Figuren und dem heimlichen Publikumsliebling – vielleicht schon ein früher Finger­zeig zu den Antihelden und beliebten Bösewichten, die erst später die Bildschirme bevölkern würden.

Auch in den ersten Staffeln von DOCTOR WHO, die ab 1963 aus­gestrahlt wurden, gibt es eine Familiengeschichte. Der erste Doktor reist mit seiner Enkelin Susan (und zwei ihrer Lehrer*innen) durch Raum und Zeit. In den ersten Konzepten der Serie sollte der Doktor eigentlich in Begleitung einer Alien-Prinzessin namens Suzanna sein, die telepathische Kräfte hat und die TARDIS ebenso gut fliegen kann wie der Doktor. Doch dieses Konzept wurde verworfen: Die jüngeren Zuschauenden sollten sich mit einem ganz normalen Teenage-Mädchen identifizieren können. Anthony Coburn, der Drehbuchautor der ersten Folge, fügte dann die Großvater-Enkelin-Beziehung hinzu, da ihm ansonsten die gemeinsame Reise von älterem Mann und junger Frau unbehaglich erschien. Susan hatte in der Serie dann allerdings wenig zu tun außer gut auszusehen und verängstigt zu sein, was die Schauspielerin Carole Ann Ford so frus­trierte, dass sie die Serie nach 51 Folgen verließ.

Die 1960er-Jahre und ihre Raumschiffcrews zeigen sich also einer­seits geprägt von der Hoffnung, dass die Menschheit ihre Konflikte überwinden wird. Trotz ordnender Strukturen prägen vor allem Freundschaft und gegenseitiges Vertrauen die Zusammenarbeit. Andererseits ist auch die Kernfamilie als Crew-Konzept beliebt, die dabei aber fest in den Rollen- und Möglichkeitsvorstellungen der Zeit verhaftet bleibt. Ob Sternenflottenbrücke oder Familien­schiff, die Crewmitglieder haben eine positive und vertrauensvolle Beziehung zueinander und spiegeln damit die hoffnungsvolle Auf­bruchsstimmung der Epoche wider.

Blue Collar Crews, Kriminelle und Zufallsbegegnungen

Nachdem Drehbuchautor Dan O’Bannon schon mit Dark Star (einer Parodie zu 2001: Odyssee im Weltraum) die in der Rangordnung weiter unten angesiedelten Raumschiff-Besatzungsmitglieder in den Mittelpunkt rückte, schuf er mit Alien (1979) eine ganze Crew, die mit diplomatischen Missionen, Erforschung des Weltalls oder Rettung der Menschheit wenig am Hut hat. Die »Nostromo« ist ein Frachtschiff, die Mannschaft ist weder ausgestattet noch trainiert für die Begegnung mit dem Alien, sondern vielmehr das Äquivalent zu irdischen Logistik- oder Speditionsarbeitenden. Sie suchen nicht das Abenteuer, sondern das Abenteuer findet sie. Alien gilt als einer der wichtigsten Vertreter des Blue-Collar-Science-Fiction-Genres, in dem nicht Kommandant*innen, Forschende oder hochrangige Mili­tärs im Mittelpunkt stehen, sondern Arbeiter*innen. Dass genau dieser Film auch als erster Actionfilm mit weiblicher Hauptfigur auf­wartet, ist eine bemerkenswerte Reflexion der Tatsache, dass es auch Blue-Collar-Haushalte waren, in denen Frauen keine rein häusliche Rolle einnahmen oder einnehmen konnten, weil es schlicht finanziell nicht möglich war.

Etwa zur selben Zeit beginnt auch die Ära von STAR WARS. Auch wenn das Franchise über sehr lange Zeit nicht mit festen Raum­schiffbesatzungen arbeitet, werden zwei Konzepte eingeführt, die sich bis heute im Genre immer wieder finden: der kriminelle und geldgierige Charakter, der doch das Herz am rechten Fleck hat, und das durch Schicksal oder Zufall zusammengewürfelte Team. Dass Luke, Leia, Han, Chewbacca, R2-D2 und C-3PO gemeinsam gegen das Imperium kämpfen, liegt nicht an einer gemeinsamen Ausbildung oder geplanten Mission, sondern ergibt sich aus der Geschichte. Ein weiteres Beispiel für diese Zufallsgemeinschaft ist die ebenfalls Ende der 1970er-Jahre erschienene PER ANHALTER DURCH DIE GALAXIS-Reihe von Douglas Adams, in der zwei zufällig überlebende Menschen der Erde, der Präsident der Galaxis, ein Reiseführer verfassendes Alien und ein melancholischer Androide zusammengeführt werden, ohne dass irgendjemand von ihnen das wirklich beabsichtigt hätte. Während man bei STAR WARS durch­aus sagen kann, dass die zufällig zusammengewürfelte Gruppe von Rebell*innen auch sehr kompetent ist, würde das von der Besatzung der »Heart of Gold« wohl niemand behaupten. Doch die humo­reske Zusammenstellung war außerordentlich beliebt. Dass eine Raumschiffcrew auch aus einem Haufen sympathischer, aber nicht sonderlich kompetenter Personen bestehen kann und das Publikum daran Freude hat, sorgte für weitere Comedy-Crews in den nächsten Jahren und Jahrzehnten: die britische SF-Serie RED DWARF aus dem Jahr 1988 zum Beispiel, die es mit ihrer Crew aus einem nieder­rangigen Techniker, dem Hologramm seines Vorgesetzten, dem vergesslichen Bordcomputer und einer Lebensform, die sich aus einer Katze entwickelt hat, immerhin auf 12 Staffeln brachte. Auch Parodien wie Spaceballs oder Galaxy Quest nahmen die typischen Space Opera-Crews auf die Schippe und erfreuten sich damit großer Beliebtheit.

Nachdem also erst einmal etabliert war, dass der Reiz einer SF-Geschichte nicht nur an deren Schauplätzen, Abenteuern und Ideen festzumachen ist, sondern auch an den Figuren und deren Entwicklung und Beziehungen untereinander, war auch Raum, diese Teams weiterzuentwickeln und die bisherigen Entwürfe von ultrakompetenten Elite-Crews aufzubrechen. Im Cockpit eines Raumschiffs dürfen sich jetzt auch Arbeiter*innen, Farmboys auf Heldenreise und inkompetente Zufallsraumfahrende tummeln. Hier zeigt sich der Beginn des Gedankens, dass Raumschiffe für alle da sind, doch es ist trotz Figuren wie Prinzessin Leia, Ripley und Lando Calrissian noch ein weiter Weg, bis diese Überlegung nicht mehr überwiegend weiße heterosexuelle cis-Männer umfasst.

Komplexe Figuren und Wahlfamilie

Die Weiterentwicklung von Crews in den 1990ern und 2000ern kann auf dem aufbauen, was in den Jahrzehnten zuvor etabliert wurde, und viele Crews fallen in die vorgenannten Kategorien. Trotzdem gab es weitere Veränderungen und Entwicklungen. Beispielsweise bestehen sowohl die Crews in STAR TREK: DEEP SPACE 9 und STAR TREK: VOYAGER weiterhin aus kompetenten und größtenteils elitären Figuren, die für eine übergeordnete Organisation arbeiten. Aber in beiden Serien werden diese Grundgerüste auch aufgebrochen: In DS9 ist Kira Nerys als erste Offizierin nicht Teil der Sternenflotte und stellt diese und deren Handeln auch immer wieder infrage. Mit Quark als eher mit der Unterwelt verbandeltem Charakter gibt es eine weitere Haupt­figur, die außerhalb der Sternenflotten-Kommandostruktur steht. VOYAGER löst sich noch mehr von den Teams der älteren Serien. Im Auftakt der Serie werden Mitglieder zweier verfeindeter Parteien gleichermaßen ans andere Ende der Galaxis versetzt, womit sie das Konzept der durch Schicksal und Zufall zusammengeführten Crew umsetzt. Auch wenn die Mitglieder von Sternenflotte und Maquis sich schon sehr schnell und gefällig zu einer neuen Crew zusammenfinden, kommen die alten Konflikte immer wieder einmal vor. Mit Neelix und Kes, zwei Aliens, die auch gleich zu Beginn an Bord kommen, werden von Anfang an zwei zivile Figuren integriert. Mit der Borg-Aussteigerin Seven of Nine kommt später eine Figur hinzu, die zunächst aufgrund ihrer Vergangenheit überhaupt kein Verständnis für Kommandostrukturen hat, da ihr schon die Vor­stellung eines Individuums, das nicht ständig im Austausch mit allen anderen Teilen eines Kollektivs steht, fremd ist. Damit ist die Serie zwar immer noch STAR TREK mit dem üblichen Fokus auf die Brückencrew und andere wichtige Besatzungsmitglieder, aber inner­halb dieser Parameter werden die Hauptfiguren abwechslungsreicher aufgestellt.

Zwei weitere Science-Fiction-Serien der 1990er und 2000er werden ebenfalls als wegweisend angesehen: BABYLON 5 und BATT­LESTAR GALACTICA von 2004. Beide haben dazu beigetragen, dass Space Operas und ihre Figuren weniger formelhaft und klischee­belastet wurden und mehr Charaktertiefe und -entwicklung etabliert wurde. BABYLON 5 setzt dabei weiterhin auf Figuren, die viel Macht und Kontrolle haben, war aber als erste SF-Serie mit einem über fünf Staffeln hinweg geplanten Handlungsbogen wegweisend und hatte großen Einfluss auf das Genre. Sie sorgte unter anderem dafür, dass auch das zur gleichen Zeit laufende DS9 mehr lange und folgenübegreifende Plots bekam, was eine tiefgreifendere Veränderung und Entwicklung der Figuren ermöglichte. BATTLESTAR GALACTICA hin­gegen schrieb sich nichts Geringeres als die Revolutionierung des Genres auf die Fahnen: Schöpfer Ronald D. Moore veröffentlichte vor Beginn der Dreharbeiten einen Essay, in dem er verkündete, mit der Serie einen ganz neuen Ansatz an Science Fiction und vor allem Space Operas finden zu wollen: die naturalistische Science Fiction. »Wir nehmen es als gegeben an, dass die traditionelle Space Opera, mit ihren Figuren von der Stange, Tech-Babble, holprigen Aliens, theatralischem Schauspiel und leerem Heldentum ausgedient hat und ein neuer Ansatz notwendig ist. Dieser Ansatz ist, Realismus in ein Genre einzuführen, das bisher entschlossen unrealistisch war.« Dies betraf alle möglichen Aspekte, wie Optik und Kameraführung, aber auch bezüglich der Figuren wollte die Serie neue Wege gehen: »Unsere Figuren sind lebende, atmende Leute mit all der emotio­nalen Komplexität und den Widersprüchen, die es in Dramen wie THE WEST WING oder THE SOPRANOS gibt.« Damit gab es nun nicht nur eine behutsame Weiterentwicklung, sondern sogar einen ent­schiedenen Gegenentwurf zu allzu platten Figuren, die sich nicht fortentwickeln. Auch wenn es auch neuere Raumschiffcrews gibt, die sich nach wie vor stark an den typischen Tropen und Figuren orientieren (z. B. THE ORVILLE), ist der Ansatz von lebensechten und komplexen Charakteren heute Standard.

Ein weiteres wichtiges Konzept entwickelte sich ebenfalls seit den 1990er-Jahren, nämlich das der Crew als Wahlfamilie oder Found Family. Schon in STAR TREK: THE NEXT GENERATION erklärt Captain Picard, dass die Crew für ihn wie eine Familie ist. Dasselbe äußert auch Paris in VOYAGER, wo die Besatzung des Raumschiffs durch die Entfernung zu ihrer Heimat noch enger zusammenwächst. »Ich glaube, einer der großen, zentralen Faktoren von Veränderung in der modernen Welt ist die Bewegung weg von der biologischen und hin zur Wahlfamilie als der wichtigsten Sache im Leben«, sagt Science-Fiction-Autor Paul Cornell, auch bekannt für seine DOCTOR WHO-Drehbücher, dazu. Aus neueren Serien ist die Idee der Wahlfamilie inzwischen kaum noch wegzudenken. Oft ersetzt sie dabei auch die Wichtigkeit von größeren oder übergeordneten Institutionen. In STAR TREK: DISCOVERY beispielsweise sind Sternenflotte und Föde­ration immer noch wichtig, aber die Crew ist die eigentliche Kons­tante. Ebenso verhält es sich bei LEGENDS OF TOMORROW oder AGENTS OF S.H.I.E.L.D. Während die größeren Strukturen sich immer wieder ändern, feindlich werden oder aufhören zu existieren, ist das Team der Kern der Geschichte und hält alles zusammen. Mit STAR WARS: REBELS bekam auch das STAR WARS-Franchise eine Found Family, die über alle Staffeln hinweg zusammenbleibt, füreinander da ist und aneinander wächst.

Die Entwicklungen sind zum Teil den gestiegenen Ansprüchen an Space Operas geschuldet, doch spiegeln sie auch die Erkenntnisse der 1990er-und 2000er-Jahre wider: Die Welt ist komplizierter, als es vielleicht schien, und wir werden nicht immer an dem Ort leben, wo wir geboren wurden und wo unsere ganze Familie wohnt. Militär und Regierungen meinen es nicht immer gut, Strukturen können sich ändern und zerfallen, und wir brauchen Vertraute und Freund*innen, die an unserer Seite stehen.

Queerness und neue Konzepte gegen alte Tropen

Die eben erwähnte Wahlfamilie findet sich auch im echten Leben und ist vor allem für Menschen wichtig, die von ihrer leiblichen Familie nicht akzeptiert werden, durch diese Leid erfahren oder mit ihr keinen Kontakt mehr haben. Überdurchschnittlich oft betrifft das marginalisierte Personen, zum Beispiel chronisch körperlich oder psychisch erkrankte, neurodiverse, queere oder von Rassismus betroffene Personen. Umso erstaunlicher ist es, dass genau diese Art von Figuren in den fiktiven Crews, die einander als Familie ansehen, lange Zeit unter- oder gar nicht repräsentiert waren. STAR TREK hat beispielsweise schon von Beginn an immer BI_PoC-Figuren in den Crews, doch es dauerte bis zum Start von DISCOVERY im Jahr 2017, bis zum ersten Mal queere Figuren vorkommen durften. Und damit liegt die Serie erschreckenderweise zeitlich gar nicht so weit hinter der Repräsentation von Queerness generell zurück. Im US-Fernsehen gab es 2009 die erste offen queere Hauptfigur in einer Space Opera, nämlich Camille Wray in STARGATE UNIVERSE, die gleichzeitig auch die erste lesbische asiatisch-amerikanische Figur ist, die in einer US-Mainstream-Fernsehserie auftauchte. Schon etwas früher, nämlich 2005, tauchte mit Captain Jack Harkness als pan/omnisexuellem Mann eine queere Nebenfigur in DOCTOR WHO auf und bekam 2006 mit TORCHWOOD ein eigenes Spin-off; viele weitere Nebenfiguren folgten zwar, eine offen queere Hauptfigur aber erst 2017. Immerhin in gegenwärtigen Medien sieht es dies­bezüglich besser aus. In Romanen wie Charlie Jane Anders’ Victories Greater Than Death oder Seven Devils von Laura Lam und Elizabeth May ist auch Queerness ein Aspekt der divers besetzten Crews. Die Crew der Waverider aus LEGENDS OF TOMORROW ist eine der queers­ten der Fernsehgeschichte, und auch DOCTOR WHO scheint sich in den neuesten Folgen zu trauen, eine Beziehung zwischen der weib­lichen 13. Doktor-Inkarnation und der Begleiterin Yaz zu erzäh­len. THE EXPANSE oder Becky Chambers’ Novelle To Be Taught, If Fortunate erforschen die Idee von Raumschiffcrews in polyamoren Beziehungen – eine neue und queere Art von Space Family. Und auch STAR TREK ist inzwischen auf der Höhe der Zeit angekommen: Einer der progressivsten und relevantesten Aspekte der zwischenmensch­lichen Beziehungen in Discovery ist die Elternrolle, die Paul Stamets und Hugh Culber als schwules älteres Paar für die beiden jungen trans und nicht-binären Figuren Adira und Gray einnehmen – ein Fingerzeig dazu, wie auch im echten Leben ältere queere Menschen Hilfe, Rat und Unterstützung für jüngere leisten, gerade weil diese sie nicht immer bei der leiblichen Familie finden können.

Ein weiteres Thema, das immer wieder bezüglich Raumschiff­crews auftaucht, ist die Frage, ab wann ein Wesen als Person gilt. Droiden, Roboter, künstliche Intelligenzen und Bordcomputer, das alles gehört schon von Beginn an zu Space Operas dazu, und oft ent­wickelten diese mehr Eigenleben, als das von dienstbarer Technik erwartet würde. Gleichzeitig bewegen sie sich oft in einem Grau­bereich, in dem man ihnen zwar ihre eigene Persönlichkeit durchaus zugesteht, dies aber nicht mit einer eigenen Agenda und wirklicher Freiheit einhergeht. Droiden in STAR WARS werden zum Beispiel regelmäßig komplett auf Werkseinstellungen zurückgesetzt, damit sie keine allzu eigenen Ideen entwickeln – als dies ein einziges Mal in über 40 Jahren des Franchise wirklich thematisiert wird, nämlich

in dem Droidenaufstand in Solo, dient es zur Ablenkung und wird als lustig dargestellt. Ernsthafter befasst sich VOYAGER mit der Frage, ob das Doktor-Hologramm als Person gelten kann, das im Lauf der Serie tatsächlich immer mehr eigene Persönlichkeit entwickelt und auch mehr Rechte diesbezüglich zugestanden bekommt. Immer wieder werden aus KI durch Umwege auch »echte« Menschen, wie Gideon in LEGENDS OF TOMORROW oder die kurzzeitig menschliche Version der TARDIS in einer DOCTOR WHO-Folge. Doch dieser Umweg ist nicht immer nötig. So befasst sich in DISCOVERY eine ganze Folge mit der Frage, ob die einzigartige Schiffs-KI, die mit einer Daten­sphäre verschmolzen ist und Emotionen entwickelt hat, als eigene Lebensform gelten kann (was bejaht wird). Noch weiter geht Paul Cornell in seiner gerade erschienen Novelle Rosebud: Dort besteht die gesamte Crew aus künstlichen Intelligenzen verschiedenster Art, die zusammenarbeiten, um ein ungewöhnliches Objekt zu unter­suchen.

Ein Konzept, das erst in jüngerer Zeit aufgebrochen wird, ist das von Heldentum und Raumfahrt-Kolonialismus. Die Vorstellung, dass eine mehr oder weniger wohlmeinende und heldenhafte Crew unterwegs ist, um neue Welten zu entdecken, zu besiedeln und zum Teil größerer Organisationen zu machen, ist zutiefst von westlichen und kolonialistischen Ideen geprägt. Selbst DISCOVERY als eine der neuesten STAR TREK-Serien, die zudem seit zwei Staffeln weit in der Zukunft spielt, hat das Konzept der Föderation und der Sternenflotte als angeschlagene, aber rettenswerte Organisationen beibehalten, auch wenn die Serie durchaus behutsam damit umgeht und die Föde­ration als ein Bündnis präsentiert, dem wirklich etwas am Wohlergehen aller Beteiligten liegt und in der vierten Staffel auch einen größeren Plot um den Versuch eines respektvollen First Contact zu einer unbekannten Spezies erzählt. Aber dass fremde Welten und Wesen erkundet, katalogisiert, kontaktiert werden können und sollten, ist dennoch eine unverrückbare Grundprämisse. Einen Gegenentwurf hierzu präsentiert Becky Chambers in der Novelle To Be Taught, If Fortunate: Die Crew, die vier Exoplaneten erforscht, ist peinlich genau darauf bedacht, dort nichts aufzustören, durch­einanderzubringen, nichts mitzunehmen oder zu hinterlassen. In eine ähnliche Richtung geht auch die Überlegung, die Crew nicht als Held*innen oder Auserwählte darzustellen. Moralisch flexible Figuren in Raumschiffcrews gibt es schon lange, und neue Medien greifen auch durchaus das Konzept auf, dass die ganze Mannschaft eher Antiheld*innen sind, beispielsweise in der Serie DARK MATTER, in der die von Gedächtnisverlust betroffene Crew am Ende der Pilot­folge geschockt feststellt, dass die üblen Gestalten, vor denen eine Kolonie sich fürchtet, niemand anderes sind als sie selbst. Aber das Gegenteil von Held*innen sind nicht immer Antiheld*innen, sondern oft auch ganz normale Leute, die nicht der Abenteuer, sondern des Geldes wegen durchs All reisen oder einfach nicht so viel zu sagen haben. Dieses Konzept findet sich z. B. in STAR TREK: LOWER DECKS, das, wie der Name schon sagt, Figuren mit niedrigeren Rängen in den Mittelpunkt stellt, oder im Film Space Sweepers, dessen Crew vor allem durch Geldnot getrieben wird. Aber auch in Becky Chambers’ WAYFARER-Reihe geht es nicht um übermenschliche Figuren. »Ich wollte die Erzählung verändern und klarstellen, dass wir alle einen Platz da draußen haben und dass auch die alltäglichsten Leute Geschichten erleben, die es wert sind, erzählt zu werden«, sagt die Autorin in einem Interview. Diese Entwicklungen stehen im Ein­klang damit, dass auch abseits der Space Opera der Wunsch nach Erzählungen wächst, in der nicht immer dieselbe Art von Protago­nist*innen im Mittelpunkt stehen.

Fazit

Von pulpigen Weltraumpatrouillen über die utopisch vereinte Menschheit, von auserwählten Jedi zu einfachen Weltraum­arbeitenden, von militärisch organisierten Elite-Einheiten zur selbst gewählten Raumschiff-Familie: Wen wir als Crew eines Raumschiffs zeigen und gezeigt bekommen wollen, spiegelt über die Jahrzehnte oft wider, was wir nicht nur von unseren Geschichten, sondern vielleicht auch unseren eigenen Beziehungen zu unseren Mitmenschen erwarten und uns wünschen. Welche Crews wir uns heute zwi­schen Pandemie, Klimakatastrophe und der schwindenden Hoff­nung auf Zukunft erträumen, wird – hoffentlich – eine zukünftige Betrachtung zeigen können.

 

Erschienen in Melanie Wylutzki, Hardy Kettlitz (Hrsg.), "Das Science Fiction Jahr 2022" (668 Seiten, Klappenbroschur, Hirnkost Verlag, September 2022, https://shop.hirnkost.de/produkt/das-science-fiction-jahr-2022/)

Lena Richter

Lena Richter ist Autorin, Lektorin und Übersetzerin mit Schwerpunkt Phantastik und veröffentlichte Kurzgeschichten, Essays und Artikel. Lena ist eine der Herausgeber*innen des Phantastik-Zines Queer*Welten und spricht gemeinsam mit Judith Vogt einmal im Monat im Genderswapped Podcast über Rollenspiel und Medien aus queerfeministischer Perspektive. Im Februar 2023 erschien ihre Science-Fiction-Novelle Dies ist mein letztes Lied im Verlag ohneohren. Mehr zu ihr findet ihr auf ihrer Website lenarichter.com oder auf Twitter unter @Catrinity.

Das Science Fiction Jahr 2022

2021 war das Jahr der privaten Raumfahrt: Jeff Bezos und Richard Branson haben bereits ihren ersten Flug hinter sich, ebenso William Shatner alias Captain Kirk. Auch Tesla-Chef Elon Musk bringt mit seinem Unternehmen Space-X erstmals vier Weltraumtouristen – ganz ohne professionelle Astronauten an Bord – ins All. Die Wirklichkeit scheint die Science Fiction einmal mehr einzuholen. Umso mehr stellt sich die Frage: Welche Rolle spielt die private Raumfahrt in der SF? Und dieser gehen wir in Beiträgen von Wolfgang Both, Bernd Flessner, Judith Vogt, Simon Spiegel und anderen mit dem Schwerpunkthema der 37. Ausgabe des Jahrbuchs auf den Grund. Doch wir wollen auch einen Blick auf einen gesellschaftsrelevanten Aspekt in der Science Fiction werfen, der nicht minder aktuell in unserer Gesellschaft ist: Hans Esselborn, Aiki Mira, Kai U. Jürgens und andere betrachten, wie das Genre mit dem Thema Kolonialismus umgeht – schließlich geht jeder Besuch eines anderen Planeten, einer anderen Gesellschaft mit einer Art der Kolonisierung einher.

Darüber hinaus bietet die 37. Ausgabe des von Wolfgang Jeschke ins Leben gerufenen Almanachs einen umfangreichen Überblick über die Entwicklungen des Genres in Rezensionen und Beiträgen zu Buch, Film, Game und Serie. Abgerundet wird der Jahresrückblick mit einer Liste der Genre-Preise, mit Nachrufen sowie einer Bibliografie der Bücher, die 2021 auf Deutsch erstmals erschienen sind.

Das SCIENCE FICTION JAHR erscheint seit 2019 im Hirnkost Verlag und wird von Melanie Wylutzki und Hardy Kettlitz herausgegeben.

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