Science Fiction

Die neue Space Opera im Zeitalter der kommerziellen Raumfahrt

Die neue Space Opera im Zeitalter der kommerziellen Raumfahrt - Bild zeigt Raumstation aus der Serie "The Expanse"
© Amazon Prime

Aiki Mira, 16. 11. 2023

Von Star Wars zu The Expanse, Die Maschinen bis hin zu aktueller deutscher Science-Fiction.

"Zunächst muss jedoch festgestellt werden, dass es offenbar leichter ist, sich ein Raumschiff mit Lichtgeschwindigkeit vorzustellen als das Ende des Kapitalismus." Aiki Mira über die Geschichte der Space Opera, den aktuellen Stand und ihr Potenzial.

Das Zeitalter der kommerziellen Raumfahrt ist da! Im Jahr 2021 schickten private Unternehmen so viele Space-Tourist*innen wie noch nie ins All ‒ mit dabei Science-Fiction-Ikone und Captain Kirk-Darsteller William Shatner. Auch die fiktionale Raumfahrt erreicht neue Höhen. Die Neuverfilmung des Klassikers Dune von Frank Herbert kam ins Blockbuster-Kino. Isaac Asimovs Foundation-Zyklus startete im Streaming-TV und die neue Space Opera The Expanse feierte ihr TV-Serienfinale. In den Buchhandlungen sind die Regale mittlerweile voll mit Space Operas. Neben Klassikern stehen kreative Neuinterpretationen von z.B. Valerie Valdes, Becky Chambers, Ann Leckie oder Nnedi Okorafor. In Deutschland erschienen im Jahr 2021 neue Space Operas wie Titanrot: Nomaden im All von S.C. Menzel, Stille zwischen den Sternen von Sven Haupt sowie die Sammlung Eden im Al: Collection of Space Novellas (Peggy Weber-Gehrke, Hrsg.).

Beginnt jetzt das Zeitalter Jahr der Space Opera ‒ der neuen Space Opera? Wodurch zeichnet sich diese Space Opera aus? Anhand ausgewählter Science-Fiction werde ich typische Merkmale herausarbeiten und zeigen, dass die neue Space Opera gerade in Bezug auf die fortschreitende Kommerzialisierung der Raumfahrt eine brisante Relevanz entfaltet.

Entwicklung und Konventionen der Space Opera

Um zu verstehen, was an der neuen Space Opera neu ist, ist es zunächst notwendig, sich die Entwicklung des Subgenres vor Augen zu führen. Aldiss (1974) war einer der ersten, der die Space Opera als Subgenre der Science-Fiction zuordnete.

Auf den ersten Blick scheint die Space Opera eins der rückständigsten und konservativsten Subgenre der SF zu sein. Bei genauerer Betrachtung entpuppt sie sich jedoch als ein Subgenre, das sich regelmäßig weiterentwickelt und neu erfindet.

Wegen dem besonderen Weltenbau ‒ fremde Planeten, Raumschiffe, Aliens ‒ erhält die Space Opera besonders von visuellen Medien Aufmerksamkeit. Außerhalb der SF steht sie oft für das gesamte Genre. Innerhalb der SF wird sie dagegen als zu wenig wissenschaftlich und zu wenig plausibel kritisiert (vgl. Hardesty:1980, Spinrad:1976).

Die Bezeichnung Space Opera (Weltraumoper) geht auf den Autor Wilson Tucker zurück und muss als abwertend verstanden werden (Tucker:1941). Brian Aldiss (1974:9) ordnet die Space Opera zwar der Science-Fiction zu, sieht ihre Funktion aber primär in der Unterhaltung: »Science fiction is for real. Space opera is for fun«. Nach Aldiss (1974:9) stellt Space Opera eine Form der Grenzfiktion (frontier fiction) dar und behandelt »the fundamental hopes and fears when confronted by the unknowns of distant frontiers« (die grundlegenden Hoffnungen und Ängste, sobald wir mit den Unbekannten ferner Grenzen konfrontiert werden). Sie knüpft damit an eine Literaturtradition an, zu der auch Homers Odyssey gehört. Wie die Odyssey führt uns auch die Space Opera in neue, noch unbekannte geographische Räume. Zwei Fragen drängen sich dabei auf: Wie wird der Schritt ins Unbekannte beschrieben, und wer darf den Schritt wagen?

In Bezug auf die erste Frage lässt sich feststellen: Weltraumopern waren anfangs Abenteuergeschichten im All, denen erst nach und nach Wissenschaftlichkeit hinzugefügt wurde (Hyperspace, Warp). Gerade zu Beginn wurde die Space Opera mithilfe bekannter Literaturgenres erzählt wie der Abenteuergeschichte (z.B. Robinson Crusoe), der Detektivgeschichte, Piratengeschichte und dem Wilden Westen. Es wurden also Narrativen genutzt, die von Grenzüberschreitung zwischen Territorien berichten (kriminelle Unterwelt, nautische Geschichten, Wilder Westen, Kriegsgeschichten). Konflikte wurden als Kämpfe ausgetragen.

Eine besonders beliebte narrative Strategie bot die Heldenreise, bei der ein auserwählter, meist männlicher Held sein Schicksal erfüllt, in dem er von Helfer*innen unterstützt wird. Das gibt uns einen Hinweis auf die zweite Frage: Wer wagt den Schritt ins Unbekannte? In der Space Opera avanciert ein meist männlicher Held, ausgestattet mit besonderen Fähigkeiten zum Weltenretter (Flash Gordon, Captain Future, Luke Skywalker).

Aus Isaac Asimovs Roboter Geschichten und seinem Foundation-Zyklus entwickelte sich künstliche Intelligenz verkörpert durch Androiden oder Roboter zum typischen Helfer und männlich konnotierten Sidekick (R2-D2 in Star Wars, Data in Star Trek).

Nicht nur als Film beschwört die Space Opera eine epische Breitwandtradition. Auch im Roman lässt sie uns in unvorstellbar immense Weiten von Zeit und Raum reisen, die mit monumentalen Heldentaten und überbordenden, zukunftsorientierten Hoffnungen in Einklang gebracht werden. Der Kritiker Gary Wolfe (1986) definiert die Space Opera dementsprechend als rasantes, intergalaktisches Abenteuer im Großformat. Patricia Monk (1992) wiederum berücksichtigt in ihrer Definition das spezifische Mindset, also die Denkweisen, Überzeugungen und Verhaltensmuster, die von der Space Opera transportiert werden. Das Mindset der Space Opera zeichnet sich Monk zufolge durch die Vorstellung eines erkennbaren und handhabbaren Universums aus. Das verweist auf eine eher koloniale Haltung: neues Wissen und neue Territorien wollen in der Space Opera erbeutet und erkämpft werden.

Fazit bleibt: es ist kein Zufall, dass Weltraumopern oft als Western im Weltraum bezeichnet werden. Gerade durch ihr Mindset sind sie das Nonplusultra einer Grenzfiktion, getragen von einer offen kolonialen Agenda der Erforschung, Kolonisierung und Eroberung. Viele Weltraumopern verkünden das sogar wortwörtlich. Star Treks Eröffnungsmonolog ist das bekannteste Beispiel: »Space: the final frontier« (der Weltraum: die letzte Grenze), wird uns gesagt, und weiter, dass die Star-Trek-Mission darin besteht, »to boldly go where no man has gone before« (mutig dorthin zu gehen, wo noch kein Mensch zuvor war).

Regelbrüche und der Einfluss feministischer Science-Fiction

Genretexte wie die Space Opera wecken Erwartungen, spielen aber auch damit: erfüllen, nicht erfüllen, ergänzen, erweitern – überraschen! Konventionen, Regeln und Codes sind daher nicht als Begrenzung der Kreativität zu verstehen. Im Gegenteil: sie ermöglichen es erst, sich kreativ auszudrücken durch den Bruch mit Konventionen oder durch das Spiel mit den Codes. So wie die gesamte SF verkörpert auch die Space Opera ein System von Regeln und Regelbrüchen, das ihm Flux ist und ständig neu gemacht wird.

Parallel zu den großformatigen Abenteuergeschichten, die von Sexismus, Rassismus und kolonialer Haltung geprägt waren, entstanden daher immer auch widerspenstige, innovative und kreative Abweichungen. Besonders feministische SF scheint prädestiniert für solche Regelbrüche. Durch ihre inhärent kritische Haltung gegenüber Unterdrückung und Marginalisierung verfügt sie über genau den richtigen Muskel, um Gegenentwürfe zu produzieren, die das Genre regelmäßig erneuern.

In der feministischen Space Opera wird das Weltraum-Abenteuer schon früh zur existentiellen Identitätsfrage umgedeutet und als eine Reise erzählt, die auch nach Innen führen kann. Auf diese Reise wird kein vereinzelter, männlicher Held geschickt, sondern eine Frau-Raumschiff-Fusion, die mit anderen Menschen kooperiert. Mithilfe von Cyborg-Technologien können dabei Themen wie Gender und Embodiment untersucht werden. So eine ausgeklügelte Dekonstruktion der Space Opera bietet beispielsweise Anne McCaffreys Sammlung zusammenhängender Geschichten, The Ship Who Sang von 1969.

Fazit bleibt, dass einzelne Werke schon immer die Space Opera dekonstruiert haben, wichtige Impulse stammten dabei aus der feministischen SF.

Die neue (neue, neue) Space Opera

Neues entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern speist sich aus vorhergegangenen Abweichungen. Regelbrüche können zu neuen Standards werden, die wiederum unsere Erwartungen verändern. Wenn ich von der neuen Space Opera spreche, möchte ich darauf aufmerksam machen, dass sich das Subgenre verändert hat. Neue Figuren, Motive, narrative Strategien und ein neues Mindset haben sich herausgebildet. Das passiert so regelmäßig, dass es eigentlich die neue, neue, neue Space Opera heißen müsste.

Gesellschaftlicher Wandel und Erneuerungen in Literatur beeinflussen sich dabei immer gegenseitig. Dementsprechend gelten frühere Konventionen (weißer Mann bekämpft/unterwirft exotischen Alien) heute als sexistisch, rassistisch und imperialistisch. Was erwartet uns jedoch in der neuen Space Opera?

Neue Held*innen: Wahlfamilien und (anti-)heldenhafte künstliche Identitäten

Statt einem vereinzelten, männlichen Helden rücken in der neuen Space Opera eine Vielzahl neuer Held*innen in den Fokus. Zwei Entwicklungen möchte ich dabei hervorheben: Die Space Crew wandelt sich zur Wahlfamilie. Künstliche Identitäten entwickeln sich vom männlich konnotierten Sidekick weiter zur weiblich konnotierten (Anti-)Heldin.

Von der Space Crew zur Wahlfamilie

Sowohl die TV-Serie The Expanse als auch die Romane To be Taught, If Fortunate von Becky Chambers und Titanrot: Nomaden im All von S.C. Menzel bieten Space Crews, die sich durch ihre familienähnlichen Beziehungen untereinander auszeichnen. Diese Beziehungen werden als ein Zusammenwachsen trotz Widrigkeiten erzählt. Die einzelnen Mitglieder sind biologisch nicht miteinander verwandt, werden an Bord jedoch zu einer familienähnlichen Einheit, die sowohl unterschiedliche Sexualitäten (z.B. asexuell und pansexuell in To Be Taught, If Fortunate) als auch unterschiedliche kulturelle Identitäten (z.B. Erd-, Marsbewohner und Belter in The Expanse) zusammenbringt.

Anders als das aufgabenorientierte Team sehnt sich die Wahlfamilie nach einer gemeinsamen Zukunft und plant nach bestandenen Abenteuern zusammenzubleiben. Eine Wahlfamilie kann daher auch als ein queerer Gegenentwurf zur Kernfamilie verstanden werden. Queer, weil diese Form der Familie nicht auf Heterosexualität, Monogamie oder Nachwuchs basiert, sondern auf dem gegenseitigen Sorgen und füreinander da sein. In Bezug auf Monogamie kann sogar eine Bewegung hin zur Polyamorie beobachten werden (Drummers Crew in The Expanse, die Space Crew in To Be Taught, If Fortunate).

Während Helden wie Luke Skywalker aus Star Wars noch umgeben waren von Helfer*innen, die zur Not ihr Leben gaben, ist die Wahlfamilie weniger hierarchisch strukturiert. Einzelne Mitglieder können eigene Ziele verfolgen. Der Plot dreht sich nicht mehr darum, das Schicksal eines einzelnen auserwählten Helden zu erfüllen. Stattdessen wird Heldentum demokratisiert. Denn jedes Mitglied der Space Crew kann für begrenzte Zeit zur Held*in werden und damit das eigene Schicksal erfüllen.

Da Space Crews einen Mix an Sexualitäten, Gender-Zugehörigkeiten und ethnischen/kulturellen Identitäten aufweisen können, kann neben einer Demokratisierung auch eine Diversifizierung von Heldentum festgestellt werden.

Diese Neuerungen deuten sich auch bereits in der aktuellen Star Wars Trilogie (2015-2019) an. Die Erzählung hält zwar am Auserwähltsein fest, entwirft zur Abwechslung aber eine weibliche Heldin: die Jedi Ritterin Rey. An Reys Seite werden zum ersten Mal nicht-weiße Charaktere wie Finn oder Rose Tico gestellt, die eigene Ziele verfolgen und eine eigene Entwicklung durchmachen dürfen. Was jedoch fehlt, ist das Zusammenwachsen als Familie. Finn und Rey entwickeln sich parallel ‒ nicht gemeinsam. Die Wahlfamilie kann daher als ein besonderes Merkmal der neuen Space Opera verstanden werden.

Vom männlich konnotierten Roboter-Sidekick zur weiblich konnotierten (Anti-)Heldin

Roboter und Androiden wie R2-D2 oder C-3PO treten üblicherweise ohne eigenständige Agenda auf. Als männlich konnotierte Helfer dienen sie in erster Linie dem meist männlichen Helden. Diese Rolle behalten sie auch in den neueren Star Wars Filmen bei.

Die neue Space Opera zeigt jedoch, dass sich künstliche Identitäten auch zur (Anti-)Heldin weiterentwickeln können. Hien aus dem Roman Stille zwischen den Sternen von Sven Haupt und Breq aus Die Maschinen-Trilogie von Ann Leckie sind Beispiele dafür.

Beide repräsentieren Frauen, deren Körper und Bewusstsein mit einem Raumschiff verschränkt wurde. Die Frau-Raumschiff-Verschränkung kann als ein feministisches Motiv identifiziert werden, das bereits in The Ship Who Sang (1969) auftritt. Besonders Hien aus Stille zwischen den Sternen weist Ähnlichkeiten mit Helva aus The Ship Who Sang auf. Beide sind menschlich geboren, ihren Körpern wird jedoch ein Mangel unterstellt. Helva gilt als körperlich deformiert. Hien als körperlich schwach. Diese Eigenschaft wird mit überragender Intelligenz gepaart, was bei beiden dazu führt, dass sie sich für ein elitäres Ausbildungsprogramm qualifizieren und zum Gehirn eines Raumschiffs werden.

Breq aus Die Maschinen besitzt eine ähnlich komplizierte Identität. Breq ist zugleich ein Raumschiff (Justice of Toren), eine zwanzigköpfige Einheit von Hilfssoldaten (Justice of Toren One Esk) sowie ein einzelnes Segment dieser Einheit (One Esk Nineteen). An einer Stelle sagt Breq, sie habe neunzehn Jahre lang so getan, als sei sie menschlich. Menschlichkeit wird hier also ähnlich wie Gender als etwas Performatives entlarvt. Auch Hien aus Stille zwischen den Sternen hadert mit den Kategorien Menschlichkeit und Körper ‒vor beiden ist sie »auf der Flucht« (Haupt:215).

Breq und Hien lassen sich also nicht mehr in einen einzigen Körper sperren und geben sich auch nicht mehr mit einer untergeordneten Rolle als Sidekick zufrieden. Von den Romanen werden sie als faszinierende Protagonist*innen entworfen, die über eigene Ziele und Perspektiven verfügen.

Statt einer buntgemischten Wahlfamilie wird beiden eine einzelne Bezugsperson an die Seite gestellt. Breq kümmert sich um den Menschen Lieutenant Seivarden, rettet Seivarden das Leben und hilft bei dessen Drogenproblem. Hien hingegen wird von der KI Jane bemuttert und schenkt ihr im Gegenzug den Master-Code und damit die Freiheit. Breq und Hien sind also keine egoistische Anti-Heldinnen. Sie sind fehlerhafte Heldinnen, die nicht die Welt retten wollen, sondern persönliche Ziele verfolgen. Auch sind sie nicht ganz menschlich ‒ ihr Körper und ihr Bewusstsein wurden mit einem Raumschiff verschränkt ‒, sie sagen jedoch gerade dadurch viel über Menschlichkeit, Gender und Embodiment aus.

Festgehalten werden kann, dass künstliche Identitäten wie Breq oder Hien einer typischen Vorstellung von Heldentum widersprechen. Sie dekonstruieren das Heldentum, machen es zugleich aber inklusiver, da nun auch das Fremde, das Andere und das Nicht-menschliche zur Heldin einer Erzählung werden kann.

Feministische Motive wie die Frau-Raumschiff-Verschränkung oder queere Motive wie die Wahlfamilie können beide als wichtige Impulse zur Erneuerung des Genres verstanden werden. Darüber hinaus bringen sie die Science-Fiction auf den Weg ihr utopisches Versprechen in Bezug auf Inklusion, Diversität und Demokratie zu erfüllen.

Neue Erzählstrategien: von monomythisch zu multiperspektivisch, multitemporal und polyvokal

Demokratisierung, Diversifizierung und Dekonstruktion des Heldentums verlangen nach neuen narrativen Strategien, die aus der klassischen Heldenreise ausbrechen. In ihrem Essay The Carrier Bag Theory of Fiction von 1986 identifiziert Ursula K. Le Guin die klassische Heldenreise, die wie ein Speer geradlinig voranschreitet und sich auf einen einzigen Held fokussiert, als eine eher maskuline Erzählweise, die nicht unsere Realität abbildet. In der Realität sind Menschen meist verstrickt in Beziehungen untereinander. Le Guin schlägt daher vor, statt eines einzelnen voranschreitenden Helden, die Vernetzung der Protagonist*innen in den Mittelpunkt zu stellen.

In eine ähnliche Richtung geht auch eine polyvokale Erzählweise, bei der ein Geschehen von unterschiedlichen Personen erzählt wird. Diese Erzählstruktur wurde schon früh als feministische Strategie entdeckt (Martindale 1988:54). Bei der polyvokalen Erzählstrategie geht es darum, Macht und Hierarchien zu dekonstruieren. Denn eine mehrstimmige Erzählweise zwingt zum Umdenken und Hinterfragen von Erkenntniswegen. Gleichzeitig öffnet eine solche Erzählpraxis den Text für neue Stimmen.

Bei Stille zwischen den Sternen kommen durch Gesprächsprotokolle von Psychologen und Gerichten verschiedene Personen und Institutionen zu Wort. Obendrein können dabei unterschiedliche Zeitebenen miteinander verbunden werden. Bei Titanrot begegnen uns ebenfalls verschiedene Handlungsstränge und Zeitebenen, die mehr und mehr miteinander verwoben werden.

Die besondere Fähigkeit einer KI, Ereignisse und Gespräche wie ein Aufnahmegerät wiederzugeben wird sowohl bei Die Maschinen, als auch bei Stille zwischen den Sternen genutzt, um ein multiperspektivisches Erzählen zu ermöglichen. Bei Die Maschinen vermittelt Breq eine multiperspektivische Sicht auf Ereignisse, Besatzung und andere Informationsströme. Denn Breq verkörpert zugleich eine einzelne Person, mehrere Personen und ein Schiff.

Einer multiperspektivischen Erzählweise werden auch ältere Texte wie Asimovs Foundation-Zyklus unterworfen, sobald sie für das Streaming-TV und dessen episodenhaften Erzählmodus adaptiert werden. In der Streaming Serie Foundation (2021) gibt es zwar noch Ausgewählte wie das Wunderkind Gaal Dornick, durch den ständigen Wechsel zwischen Protagonist*innen, Handlungsorten und Zeitebenen verschwindet jedoch der hierarchische Abstand. Alle Protagonist*innen scheinen durch Bildschnitt, Ort- und Zeitsprünge egalisiert zu werden. Auch bei The Expanse wird der mit speziellen Fähigkeiten ausgestattete Captain James Holden im Laufe der Serie mit immer neuen Teams, Perspektiven und Handlungsorten ergänzt, wodurch seine Zentralität mehr und mehr in Frage gestellt wird.

Dieser Wandel kann auch in ersten Ansätzen bei den neueren Star Wars Filmen beobachtet werden. Die Jedi Ritterin Rey reiht sich zwar neben Anakin und Luke Skywalker in den Monomythos des auserwählten Jedi ein. Durch Figuren wie Finn wird die Erzählung jedoch für zusätzliche Held*innen geöffnet. In einer Szene sehen wir Finn sogar mit dem Lichtschwert kämpfen.

Fazit bleibt, dass sich die neue Space Opera durch Überwindung oder zumindest Infragestellung des Monomythos auszeichnet. Dies wird durch neue Held*innen und neue Erzählstrategien erreicht, die wiederum auf gesellschaftlichen Wandel basieren und auch mit neuen Rezeptions- und Produktionskontexten (Streaming-TV) zusammenhängen. Geschichten aus verschiedenen Perspektiven und Standpunkten zu erzählen, entspricht auch einer feministischen Ethik und Philosophie und zeigt deutlich den Einfluss feministischer SF auf die neue Space Opera.

Neue Identitäten: kollektiv, widerspenstig und postkolonial

Neben Figuren und Erzählstrukturen entwickelt die neue Space Opera auch neue Identitäten. Diese sind kollektiv, das heißt es handelt sich hier um Zugehörigkeiten, die sozial konstruiert sind und als Wir-Identitäten verstanden werden können. Kollektive Identitäten können sich z.B. auf Gender oder Ethnie beziehen. In der neuen Space Opera sind sie zudem postkolonial, da sie in einer bereits kolonisierten Welt existieren, die Folgen der Kolonisierung immer noch spüren und selbst das Ergebnis der Kolonisierung sind. Obendrein sind sie widerspenstig, weil sie gegen die postkolonialen Zustände oder gegen ihre eigenen postkolonialen Körper rebellieren. Im Folgenden möchte ich zwei davon vorstellen: die postkolonialen Underdogs und die postkolonialen Transidentitäten.

Postkoloniale Underdogs: Belter und Nomaden

Postkoloniale Underdogs repräsentieren die Verlierer*innen der Space Kolonisierung. In der neuen Space Opera haben sie insbesondere mit sozioökonomischer Ungleichheit zu kämpfen. Die ungerechte Verteilung materieller und immaterieller Ressourcen kann dabei als direkte Folge der Space Kolonisierung angesehen werden.

In The Expanse heißen die postkolonialen Underdogs Belter (Gürtler). Sie wurden statt auf Planeten im »Asteroid Belt« (Asteroidengürtel) geboren, daher auch ihr Name. Belter leben und arbeiten auf Raumstationen. Sie repräsentieren die ausgebeutete Arbeiterklasse, die für private Unternehmen den Weltraum ausbeutet (z.B. Mining der Asteroiden). Durch das Leben und Arbeiten im All verändern sich Belter nicht nur körperlich, sondern erschaffen sich auch eine eigene Kultur mit eigener Sprache und Gepflogenheiten. Obendrein bilden sie die »Outer Planetary Alliance« (OPA), die als postkolonialer Widerstand interpretiert werden kann. Das Ziel der OPA ist es, dass Belter die Unabhängigkeit von der Erde und vom Mars erhalten.

In Titanrot: Nomaden im All nennen sich die postkolonialen Underdogs Nomaden. Nomaden bleiben am liebsten in ihren Raumschiffen und schlagen sich als Kleinkriminelle durch. Im Vergleich zu den Beltern sind sie freier, da sie sich nur für bestimmte Zeit an ihre Auftraggeber*innen binden müssen. Widerspenstig, anders und kriminell repräsentieren die Nomaden jedoch wie die Belter eine Gruppe, die sich nicht problemlos in die postkoloniale Gesellschaft einordnet.

Trotz ihrer Widerspenstigkeit bleiben Nomaden und Belter gefangen im kapitalistischen System. Selbst die kriminellen Nomaden sind gezwungen sich Nahrung und sogar Sauerstoff zu kaufen. Denn Kommerzialisierung betrifft in Titanrot bereits die Luft zum Atmen.

Gemeinsam ist Nomaden und Beltern auch, dass sie sich als Wir-Identität verstehen, die sich von anderen abgrenzt. Nomaden grenzen sich von Felsenklebern ab: »Felsenkleber nannten die Nomaden Leute, die ihre Zeit auf Planeten, Raumstationen, Asteroiden oder sonstigen Steinklumpen fristeten« (Menzel:10). Belter grenzen sich von den »Inner« ab, der Bevölkerung der inneren Planeten des Sonnensystems (Mars, Terra, Luna). Abgrenzungen erfolgen also vornehmlich über räumliche Zuordnung.

Belter und Nomaden fühlen sich als Weltraumspezies. Sie identifizieren sich weniger mit einem Planeten und mehr mit der Schwerelosigkeit des Weltraums. Postkoloniales Leben bedeutet für sie ein Leben ohne Schwerkraft: »Nach Jahren in der Schwerelosigkeit mussten sie [die Nomaden] in jedem Hafen erneut lernen, dass Gegenstände unter Schwerkraft einfach runterfielen« (Menzel:87). Im Gegensatz zu den »Felsenklebern« fürchten umherreisende Nomaden die Schwerelosigkeit nicht, sondern bevorzugen sie. Dementsprechend fühlen sie sich im All mehr zuhause als auf einem Planeten.

Belter und Nomaden verkörpern einen neuen Typ von Diaspora, der erst durch die Weltraumkolonisierung entstanden ist. Als Diaspora verfügen sie nur über kulturelle Identität, jedoch nicht über eigenes Land oder über eine eigene Nation.

Interessanterweise taucht der postkoloniale Underdog im Star-Wars-Universum nicht auf. Zwar rücken in den neueren Star-Wars-Filmen mehr und mehr nicht-weiße Schauspieler*innen in den Fokus, fremde Existenzformen wie Aliens werden jedoch weiterhin durch rassistische Stereotypen gekennzeichnet (z.B. Jar Jar Binks, Watto, Yoda). Statt gleichberechtigte Protagonist*innen bleiben sie Sidekicks, die oft wie Haustiere behandelt werden (z.B. Chewbacca). Die kollektive Identität des widerspenstigen, postkolonialen Underdogs kann daher als ein Alleinstellungsmerkmal der neuen Space Opera angesehen werden.

Postkoloniale Transidentitäten: Breq und Hien

Eine weitere neue Identität stellt die postkoloniale Transidentität dar, die von Protagonist*innen wie Breq aus Die Maschinen und Hien aus Stille zwischen den Sternen repräsentiert wird. Transidentitäten verweisen auf eine Veränderung der bei der Geburt zugewiesenen Identität hin und sind oft mit Fragen zu Gender und Embodiment verknüpft. In Science-Fiction Texten kann zudem die Kategorie Menschlichkeit hinzukommen.

Breq und Hien sind uneindeutige Identitäten: zugleich Raumschiff und menschlicher Körper, zugleich KI und menschliches Bewusstsein.

Wie Belter und Nomaden werden sie in einer postkolonialen Welt verortet, die durch Ausbeutung und Privatisierung des Weltraums gekennzeichnet ist. In Die Maschinen begegnet uns die postkoloniale Versklavung und Ausbeutung von Arbeiter*innen zum Beispiel auf Tee-Plantagen. In Stille zwischen den Sternen wird die Ausbeutung des Alls durch Bergbau-Droiden automatisiert. Kolonisierung führt hier zu außerplanetarischen Streitkräften und damit auch zu militärischen Experimenten, dessen Ergebnis Hien ist.

Auch die chirurgischen Eingriffe, durch die Breq erschaffen wurde, sind Teil einer militärischen Strategie. In Breqs Universum wurden Gefangene während der kolonialen Expansion entweder hingerichtet oder mithilfe chirurgischer Eingriffe versklavt. Menschen wurden dadurch zu lebenden Gefäße für künstliche Intelligenzen, um Raumschiffe zu navigieren. Im Postkolonialismus wird die Erschaffung solcher Ancillary-Sklaven eingestellt. Bereits existierende Ancillarys wie Breq gelten jedoch weiter als physische Stellvertreter für ein Schiff, ohne Identität und Menschlichkeit, geschweige denn Geschlecht.

Hien ist ebenfalls das Ergebnis einer Militärstrategie, die versucht bessere Raumschiffpilot*innen zu erzeugen.

Während Nomaden und Belter das Ergebnis von privatwirtschaftlichen Interessen in Bezug auf Weltraum-Kolonisierung sind, repräsentieren Breqs und Hiens Transidentitäten die Auswüchse einer militärisch geprägten Space-Kolonisierung. Gemeinsam ist ihnen allen die kollektive Erfahrung der Kolonisierung.

Im Gegensatz zu Beltern und Nomaden stellen Breq und Hien vereinzelte Individuen dar, die kaum Kontakt zu anderen Personen haben, denen Ähnliches widerfahren ist.

Breq verliert im Verlauf der Trilogie ihre Schiffsidentität und ihre Hilfstruppen-Identität. Reduziert auf nur einen Körper hadert sie mit dem Verlust. Sie gehört nun weder zu den Ancillarys noch zu den Menschen. Auch Hien wird als Ausnahmeidentität dargestellt, die sich sowohl von der KI Jane als auch von dem Menschen Wilson unterscheidet, dem die Integration mit einem Raumschiff weniger leichtfällt als Hien ‒ vielleicht weil er mit seinem menschlichen Körper weniger hadert.

Breq und Hien rebellieren beide gegen den eigenen Körper und gegen die damit einhergehende, verkörperte Identität (Embodiment). Hien begreift ihren menschlichen Körper als schwach und unvollkommen, als eine Begrenzung und als »lästiges Hindernis« (Haupt:57). Sie lässt ihn daher gern zurück und damit auch ihre Zugehörigkeit zur Menschheit: »Ich habe meine eigene Rasse hinter mir gelassen, bin zu einem Raumschiff geworden, habe de facto Unsterblichkeit erlangt« (Haupt:186). Die Erfahrung mit einem Raumschiff integriert zu werden, erinnert bei Hien an die Erleichterung einer Transgender-Person, endlich eine geschlechtsanpassende Operation durchführen zu können: »Es fühlte sich an, wie eine zweite Geburt, bei der sie [Hien] endlich den Körper bekam, den sie brauchte.« (Haupt:239).

Statt Gender fokussiert Stille zwischen den Sternen jedoch Menschlichkeit und Embodiment. Jane, die KI, und Hien, die Frau-Raumschiff, werden beide als transhumane Identitäten präsentiert, die sich in ihrer Suche gegenseitig spiegeln. Während Jane die Menschlichkeit sucht, versucht Hien davor zu fliehen (vgl. Haupt:215).

Gender und insbesondere binäres Gender werden durch Hiens Transidentität nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil: der Roman postuliert Binarität als ein unüberwindbares Prinzip: »Denn die Menschheit ist auf ewig in zwei Teile gespalten. Den Zerstörenden und den Gebärenden.« (Haupt:355).

In Die Maschinen wird dagegen mit den Raadch eine postbinäre Kultur entworfen, die auch von der Protagonistin Breq repräsentiert wird. Stilistisch zeigt sich die Postbinarität im Text selbst, der sich auf das Pronomen »sie« beschränkt. Breq ist also nicht nur transhuman, sondern auch transgender. Als Ancillary steht ihr eigentlich nur das Pronomen »es« zu. Durch ihre eigenen Handlungen wird sie jedoch vom »es« zum menschlichen »sie«. Eine ambivalentes »sie«, das weiterhin geprägt wird vom »es«. Das erzwungene Gendering, das ihr im Zuge der Kolonisierung angetan wurde, lässt sich also nicht so einfach umkehren.

Auch in Bezug auf ihren Transhumanismus unterscheiden sich Breq und Hien.

Breqs Raumschiff-Bewusstsein wird in einen einzigen Körper eingesperrt und nähert sich dadurch mehr und mehr an das Menschsein an. Hiens menschlicher Geist dagegen expandiert im Raumschiff-Körper und entfernt sich dabei mehr und mehr von der Menschheit.

Festzuhalten bleibt, dass die neue Space Opera mithilfe von Identitäten den postkolonialen Zustand erlebbar und damit auch kritisierbar macht. Während postkoloniale Underdogs eher für eine Kapitalismuskritik stehen, verfügen postkoloniale Transidentitäten über das Potential einer feministischen Kritik.

Neues Mindset: Von der kolonialen Unterwerfung zur postkolonialen Rebellion

Die widerspenstigen, postkolonialen Identitäten zeigen, dass sich das Mindset der Space Opera verändert. In der neuen Space Opera lässt sich das Universum nicht mehr so leicht unterwerfen, handhabbar und begreifbar machen. Während sich in Star Wars fremde Existenzformen wie Aliens widerspruchslos unterordnen, treffen wir in der neuen Space Opera auf widerspenstige Identitäten, die gegen ihre eigene Kolonisierung rebellieren.

Kollektive Identitäten wie Belter und Nomaden zeigen, dass, auch wenn unbewohnte Räume wie der Weltraum erobert werden, trotzdem neue Formen von Entwurzelung entstehen können. Transidentitäten wie Hien oder Breq thematisieren wiederum, dass Kolonisierung auch vor Körpern nicht Halt macht, diese entmenschlichen und/oder de-gendern kann.

Das neue Mindset warnt vor den Folgen einer Kolonisierung, die nicht so leicht rückgängig gemacht werden können. Es zeigt aber auch, dass die kollektive Erfahrung einer Kolonisierung in neuen Identitäten münden kann. Diese wiederum geben durch ihr Aufbegehren Hoffnung auf Veränderung.

Neue Relevanz: Warnung vor aktuellen Kolonisierungsbestrebungen und Demokratisierung als möglicher Lösungsansatz

»We go to space to save the Earth« (Wir gehen ins All, um die Erde zu retten) twitterte Jeff Bezos 2018 unter einem Foto von sich neben einem schmelzenden Gletscher in Patagonien. Statt also Emissionen einzudämmen, schlägt der Gründer des Onlineversandhandels Amazon den Weltraum vor, um an neue Energieressourcen zu kommen. Genau wie in der frühen Space Opera wird das All als eine Grenze identifiziert, die einmal überwunden, ganze Welten retten kann.

Auch Elon Musk (Mitgründer von SpaceX) möchte die Erde retten, indem er das All kolonisiert. Im Jahr 2021 tweetete er: » If we make life multiplanetary, there may come a day when some plants & animals die out on Earth, but are still alive on Mars« (Wenn wir das Leben multiplanetarisch machen, kann der Tag kommen, an dem einige Pflanzen und Tiere auf der Erde aussterben, aber auf dem Mars noch am Leben sind).

Die neue Space Opera zeigt bereits heute, wohin Kommerzialisierung und Kolonisierung des Alls führen können: Ungleichheit und Ausbeutung, wie wir sie heute auf der Erde erleben, werden sich in Zukunft ins All verlagern. Als The Expanse abgesetzt werden sollte, rettete Jeff Bezos die Serie, indem er sie zu seinem Streaming Dienst Amazon Prime holte. Eine Serie, die anhand der Belter die Ausbeutung von Arbeiter*innen kritisiert, für die Bezos und sein Unternehmen Amazon bereits heute in der Kritik stehen.

Stellen wir die neue Space Opera der aktuellen westlichen Raumfahrt gegenüber, dann sticht insbesondere die Diskrepanz der Diskurse ins Auge. Auf der einen Seite stehen die Kolonisierungsfantasien und heroischen Rettungsfantasien von Unternehmer-Milliardären wie Elon Musk oder Jeff Bezos, die den Weltraum als neue Grenze sehen, die einmal überwunden, zu noch mehr Reichtum führt6 und nebenbei die Menschheit rettet. Auf der anderen Seite stehen die postkolonialen Diskurse und Warnungen der neuen Space Opera, die uns auf unumkehrbare Folgen hinweisen.

Gerade weil momentan ein kolonialer Diskurs in der westlichen Raumfahrt auflebt, gewinnt meiner Meinung nach die neue Space Opera als diskursiver Gegenentwurf an Relevanz und Brisanz.

Wie kann jedoch trotz voranschreitender Kommerzialisierung der Raumfahrt ein postkolonialer Albtraum wie die Ausbeutung von Arbeiter*innen oder die Kolonisierung von (Planeten-)Körpern verhindert werden? Hier bietet die neue Space Opera interessante Ideen.

Zunächst muss jedoch festgestellt werden, dass es offenbar leichter ist, sich ein Raumschiff mit Lichtgeschwindigkeit vorzustellen als das Ende des Kapitalismus. Während der Postkolonialismus bereits als Thema in der neuen Space Opera angekommen ist, bleibt der Postkapitalismus noch nicht denkbar. Und was nicht vorstellbar ist, kann auch nicht Zukunft werden.

Die voranschreitende Kommerzialisierung der westlichen Raumfahrt zeigt, dass der Kapitalismus bereits heute im Weltraum angekommen ist. Und er bringt Vorteile: Wissenschaftliche Forschung, Umweltüberwachung und alltägliche Kommunikation werden dadurch billiger. So ließ die Öffnung des Erdorbits für kommerzielle Unternehmen die Anzahl der Satelliten exponentiell wachsen, die für schnelles, weltweites Internet sorgen. Andererseits nehmen dadurch auch Machtmonopole sowie Umweltzerstörung zu. Diese Probleme zeichnen sich auch beim aktuellen Weltraumtourismus ab. Was könnte die Lösung sein?

Becky Chambers Novelle To Be Taught, If Fortunate setzt auf ein demokratisches Mitspracherecht, was Weltraummissionen angeht. Die Erzählung endet damit, dass die Space Crew beschließt, eine Nachricht an die Erde zu senden, um zu fragen, ob sie wie geplant zurückkehren oder, ob sie weiterfliegen soll, um neue Planeten zu erkunden. Bis die Astronaut*innen eine Antwort erhalten, verharren ihre Körper auf unbestimmte Zeit in einem künstlichen Zustand zwischen Leben und Tod. Im Gegensatz zur früheren Space Opera wird in To Be Taught, If Fortunate also nicht mehr davon ausgegangen, dass das Universum durch den Menschen handhabbar und erkennbar ist. Stattdessen wird darauf gesetzt gemeinsam unter Einbezug der Gesellschaft und ihrer unterschiedlichen Gruppen eine Entscheidung zu treffen. Demokratische Beteiligung würdigt die Tatsache, dass sowohl kommerzielle Besiedelung als auch wissenschaftliche Erforschung eine Vielzahl an unbekannten und unerwarteten Gefahren mit sich bringt. Gemeinsam eine Entscheidung zu treffen, erkennt das Nicht-Wissen an und übernimmt gesamtgesellschaftliche Verantwortung für die Folgen. Brauchen wir neben der Kommerzialisierung also auch eine Demokratisierung des Weltraums?

Der Prozess der Demokratisierung scheint mir ein besonders vielversprechender Lösungsansatz zu sein, der sich in der neuen Space Opera bereits auf verschiedenen Ebenen zeigt: vom demokratisierten Heldentum, das viele Held*innen zulässt, bis hin zu einer demokratischen Erzählweise, die unterschiedliche Perspektiven berücksichtigt. Zu guter Letzt findet Demokratisierung ihren Platz in einer neuen, weniger kolonial geprägten Raumfahrt, die wie bei To Be Taught, If Fortunate auf die demokratische Mitbestimmung unterschiedlicher Gruppen setzt. Vielleicht wird es für kommende Generationen, die mit der neuen Space Opera aufgewachsen sind, ganz selbstverständlich sein, Expeditionen ins All gemeinsam als Gesellschaft zu planen und zu verantworten.

Sicher ist: die neue Space Opera wird bis dahin schon wieder eine neue sein, sich weiterentwickelt haben, einen Schritt voraus bereits in die nächste Zukunft blicken ‒ und wir schauen mit ihr.

 

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im Science Fiction Jahr 2022 bei Hirnkost herausgegeben von Melanie Wylutzki und Hardy Kettlitz.

Quellen

Aldiss, Brian (1974). »Introduction« in Space Opera: Science Fiction from the Golden Age. Brian Aldiss (Hrsg.). Futura Publications Limited. S. 7-11.

Asimov, Isaac (1951-1993). Foundation-Zyklus besteht aus insgesamt sieben Romanen. Darunter die Trilogie: Foundation (1951), Foundation and Empire (1952), Second Foundation (1953).

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Haupt, Sven (2021). Stille zwischen den Sternen. Eridanus.

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The Expanse (2015-2022). Fernsehserie basiert auf der gleichnamigen Buchreihe von James S. A. Corey (Deutsche Übersetzung ab 2012 im Heyne Verlag).

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Aiki Mira

Aiki Mira lebt in Hamburg und in der Science-Fiction.  Neben Romanen, Kurzgeschichten und Essays verfasste Aiki Mira das Queer*SF Manifest,  das z.B. auf Tor Online erschien.  Kurzgeschichten von Aiki Mira wurden mehrfach ausgezeichnet u.a. mit dem Deutschen-Science-Fiction-Preis. 
 
2023 gewann Aiki Mira mit dem Roman Neongrau den Kurd-Laßwitz-Preis und erhielt von der European Science Fiction Society den Chrysalis Award. 
 
Der aktuelle Roman von Aiki Mira heißt Neurobiest.
 

 

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