Science Fiction

50 Minuten Regen – 359 Euro | Jamie-Lee Campbell

50 Minuten Regen – 359 Euro - Teaser

Kurzgeschichte

Jamie-Lee Campbell, 26.04.2023

 

Wie wird das Leben im Jahr 2050 aussehen?

Der Literaturwettbewerb „Klimazukünfte 2050“, wurde vom Klimahaus Bremerhaven, dem Hirnkost Verlag und Fritz Heidorn ins Leben gerufen. Er wird unterstützt durch den Verband der Schriftstellerinnen und Schriftsteller VS, Writers For Future, books 4 future und Respekt! – Die Stiftung.

Über 400 Autorinnen und Autoren sind dem Aufruf gefolgt, sich mit dem Klima und möglichen Zukünften auseinanderzusetzen und diese literarisch vorzustellen: Jugendliche und Erwachsene, Profis und Erstveröffentlichende.

Ende April erscheint Klimazukünfte 2050 - Geschichten unserer gefährdeten Welt, das Buch mit 23 ausgewählten Texten, einer Einleitung von Fritz Heidorn, einem auf Deutsch bisher unveröffentlichten Text von Kim Stanley Robinson und weiteren Texten der Jurymitglieder. Auf der Leipziger Buchmesse wird es im Rahmen der Preisverleihung am Freitag, den 28.4. vorgestellt - und die Autor:innen der von der Jury am besten bewerteten Texte erhalten die mit jeweils 1000 Euro dotierten Hauptpreise.     

Das Buch kann im Hirnkost Shop bestellt werden und überall, wo es Bücher gibt.

Als Vorgeschmack gibt es hier exklusiv einen Vorabdruck von Jamie-Lee Campbells Beitrag "50 Minuten Regen - 359 Euro".

+++Kunden, die das kauften, interessierten sich auch für: Gummistiefel, Balkonpflanzen, die Psychologie von Wetterkäufern+++

$chau hier, auf der Homepage, ich wähle eine Region, sagen wir den Balkon von Nachbar Willie. Dann Datum, Dauer & Wettervorliebe. Nehmen wir heute um 5 Uhr … Regen. $o … im Warenkorb speichern. Ja, ich möchte mit Pay Pal Geld auf ein #ominöses_Konto auf den Cayman !nseln überweisen. Fertig. Nun bekommt Willie heute um fünf für 50 Min. Regen auf den Balkon. Verstanden?

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Gut, aber ich muss dazusagen, das ist nur der #offizielle_Wettermarkt. Daneben gibt es noch etliche inoffizielle, die anderen Regeln unterliegen. An sich ist das alles irgendwie super kompliziert, weil halt so individuell einstellbar. & dann kommen die gängigen Marktgesetze obendrauf. !ch blick da auch nicht immer ganz durch … Aber bevor ich das weiter erkläre, fangen wir von vorn an. €s begann damals, als die Jahresnamen noch aufsteigend beziffert wurden. !n den letzten Zifferjahren sprach man im Wechsel von #Waldsterben, #Jahrhundertsommer oder #Klimakrise. Das gibt es ja so alles nicht mehr ...

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Ja sicher haben wir €xtremwetter. & doch ist es anders als damals. €s ist ... planbarer. Jemand hat das Wetter bestellt, dafür gezahlt … also wird es geliefert.

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Doch, es macht einen Unterschied, ob du ausrechnen kannst, dass der Bach in deinem Dorf über die Ufer treten wird oder ob du hoffst, dass der Regen schon nicht so schlimm wird. Heute haben wir eine #nachfrageoptimierte_Wetterlage zum Vorzugspreis. Aber wenn du mich fragst, war das die $chlechteste aller Möglichkeiten. Jahrzehntelang gab sich die Gesellschaft geläutert traditionell im totstellenden #Zuständigkeitsmikado für Umweltprobleme. & dann kam α-WetterVerse.

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Das ist eine Holding Company mit einem Händchen für das gewisse €twas. Mit $itz in sämtlichen $teueroasen ist diese Firma ein #ominöses_$cheingeflecht im Dunkeln.

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Aufgrund der Klimakrise & der politischen Untätigkeit in Davos & bei anderen Konferenzen warfen die techaffinen Multis ihr Geld auf €rfindungsgenies. Die schafften es mit !nterdisziplinarität, Quantenphysik usw., genau hab ich das auch nicht verstanden, mit einer Maschine das Wetter nach Wunsch zu beeinflussen. Das alles, um der Welt etwas zurückzugeben, versteht sich. Nicht um fett Kohle zu schaufeln und Gott zu spielen, ... Millionärs-Bla-Bla halt.

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Richtig, man dachte erst, es wäre die perfekte Lösung gegen den Klimawandel. Aber die Menschen sind halt, wie sie sind & wir leben im Kapitalismus.

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Durch die €rfindung der Wettermaschine wurde das Wetter letztendlich zu einer Dienstleistung.

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Ja genau, du hast jetzt den #offiziellen_Wettermarkt gesehen. Die $eite ist global nutzbar & hat regionale Ableger. Daneben gibt es noch den #grauen_Wettermarkt. Wie auf anderen Portalen hat man hier die Möglichkeit, für vorgegebene Regionen & Zeiten zu bieten. Die meistbietende Person erhält dann den Zuschlag. Die bestimmt dann das Wetter mit einem Coupon auf der offiziellen Wetterseite. Der #graue_Wettermarkt wird zunehmend größer & wichtiger, da die meisten $lots auf der offiziellen Homepage auf Jahrzehnte ausverkauft sind. & dann gibt es noch den #$chwarzen_Wettermarkt im Darknet. Wobei da keiner genau weiß, wie der wiederum funktioniert, wenn du nicht selbst daran beteiligt bist.

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Bei Willies’ Balkon hatten wir dahingehend Glück, dass es ein so kleiner Raum ist, der beeinflusst die großen gekauften Wettergebiete nicht. Deswegen konnten wir den eben noch kaufen.

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Wie alles begann … mhm ja, im letzten numerischen Jahr. Als sie mit der Maschine auf den Markt gingen, kamen zuerst die Feierlaunigen & Heiratswilligen. Die kauften sich natürlich nur $onne. Zuerst waren das nur kleine Regionen. Alle haben sich gefreut. Man musste die Maschine erst mal ausprobieren. Aber es wurden schnell größere Raumflächen & alle immer nur: $onne. Dadurch starben nach & nach einheimische Tiere & Pflanzen aus. Zumindest für €uropa kann ich das sagen.

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Klar können die sich anpassen. Doch natürliche Veränderungen passieren graduell über Jahrhunderte oder so, da greift dann Darwin. Aber so von jetzt auf gleich in 34 Monaten 35 Grad durchgängig ohne Wolken, ohne Regen. Das wird dann schon schwierig.

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Mein Liebling war die #katholische_Kirche, die versuchte sich den 24.12. auf Jahrhunderte hinaus zu reservieren, um alle Menschen mit $chnee zu beglücken. Auch die im !ran & $audi-Arabien. Wie man auf so eine !dee kommt. Dagegen gingen die anderen Weltreligionen natürlich vor & versuchten wahlweise ihre $chäfchen ins Trockene zu bringen oder Andersgläubige durch Wettermacht für ihren Glauben zu begeistern. €in neuartiger Religionskrieg, auf den die Welt gut & gern verzichtet hätte. Aber gut, man kann es nicht ändern …

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€in globales Kontroll-Gremium für Wetter wäre durchaus klug gewesen. $timm ich dir zu, aber nein, das gibt es nicht. €s ist nicht so, als hätte die Weltgemeinschaft das nicht wirklich versucht. Da α-WetterVerse eine global agierende Firma ist, ist es schwierig, ihr politisch beizukommen.

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$icherlich, die €U hat es versucht, auch die G20, & letztendlich haben auch die UN sehr lange darüber debattiert. Jetzt verdreh nicht wieder die Augen, nur weil ich von Debatten spreche. $o funktioniert Demokratie nun mal. Doch es gibt einflussreiche Multis, die sich ein Veto im $icherheitsrat leicht erkaufen können durch gute Wetterprognosen für einzelne Länder oder Korruption. Dagegen sind die demokratischen $trukturen gewollt wenig schlagkräftig.

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€s fehlt aber die globale geteilte Gesetzesgrundlage, auf welcher man gegen die Tochterunternehmen vorgehen könnte … Na, zum Beispiel, Wetter für Asien wird bei einer Tochterfirma in $üdamerika gehandelt. Welche Gesetzeslage gilt für ein Verfahren, das von betroffenen asiatischen $taaten angestoßen wird? Gesetze des betroffenen asiatischen $taates, des südamerikanischen Landes, wo es gehandelt wird, oder von der Mutterorganisation in der $chweiz? & wo könnte sich das Land hinwenden?

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Nein, die UN sind dafür nicht zuständig. Darauf konnte man sich nicht einigen.

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!ch weiß, was du meinst. Weißt du, früher gab es Jahreszeiten. Das waren Zeiten, in denen eine relativ stabile Wetterlage da war & sich dann abwechselte. Wirklich wahr. Da wussten die Leute auch nur mit Wahrscheinlichkeit, ob es regnet oder nicht.

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Genau, #myWetterVerse.com zeigt mir 100 % zuverlässig an, wie das Wetter wird. Das war halt nicht immer so. Ja, du nennst es Fortschritt, es hatte aber auch seinen Charme, es nicht so genau zu wissen. Dieser ganze Psychologiekram, um herauszufinden, wer das Wetter auf dem #grauen_Markt kauft & so weiter – ich finde das ermüdend. Auch dass zu jeder Zeit der $lot wieder auf den Markt geschmissen werden kann, nur um mehr Gewinne zu erzielen … macht es einfach nicht besser.

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!mmerhin geben sie jetzt zumindest die Branche an vom Käufer. Das hat auch einige Zeit gedauert. Seit die Jahre abgeschafft wurden & durch TOP Käufermarken des Tages ersetzt wurden, habe ich etwas das Zeitgefühl verloren. !rgendwie interessiert mich auch nicht, ob es am #Quarkiefrisch_kuchen_für_Regentage oder am #$onnisonnencreme-Tag Nr. 15 war.

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€s war nach einer dieser langanhaltenden Nebelbankwochen ohne Jahresbezug. Wegen der vielen Unfälle hat die Politik reagiert & zumindest die Gesetze geändert, sodass man jetzt die Branche des Käufers & der Bieter auf dem #grauen_Markt weiß, wenn auch nicht deren Namen. Nicht umsonst widmen die Nachrichten den Wetterkäufern jetzt 35 Minuten mehrmals täglich. !mmerhin ein kleiner $ieg.

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Na, es gab eine Zeit, da investierten die Urlaubsriesen & Fluggesellschaften gegen Regen oder für $chnee oder mildes Klima. Ganze Länder wurden von westlichen Urlaubsgesellschaften in eine Wetterlage verbannt, aus der sie sich nur durch aggressive Gegeninvestition von €inheimischen wieder halbwegs befreien konnten.

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Klar, trieb natürlich den Marktpreis für Wetter nach oben. Das war dann auch vielfältig der Grund, warum der Bieterstamm für Wetter von einer breiten Masse immer mehr abnahm. Konnte sich keiner mehr leisten. & der #graue_Markt ging zunehmend richtig ab. Dies führte dazu, dass sich #Wettergemeinschaften & Vereine gründeten, um zumindest an einem Tag das Wetter nach ihrem Wunsch zu formen.

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$icher, auch Umweltorganisationen & NGOs haben sich von Beginn an immer wieder zusammengetan, um korrigierend auf die €xtreme einzuwirken. Teilsiege konnten sie erringen. !n vielen kleinen !nseln des guten Wettermixes sind kleine Kommunen entstanden, ganz süß & innovativ. Oder sieh dir Luxemburg an. Die haben es vollkommen richtig gemacht. €inen guten Wettermix haben die. Aber nun ja, das Geld hat nen längeren Atem & sitzt leider oft an der falschen $telle.

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Ganze Wettbewerbe fanden zwischen $tädten & Kommunen statt, welche gegenseitig versuchten, sich das Wetter schlecht zu machen. €in Beispiel ist der #Berliner_ABC_Wetterkrieg. Die Bezirke in B & C haben den inneren Ring für Jahre in den Zustand des berüchtigten #Berlinerwinters verbannt, um die Touris in die Außenbezirke zu locken. €ine Wallfahrt sondergleichen. Historiker nannten das den #$chwabenexodus zum $tuttgarter Durchgangsbahnhof. War dann ja auch das €nde von Berlin … ist aber ne andere Geschichte …

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Aber sicher, auch die verschiedenen Mafiastämme mischten bei dem Wetterchaos mit. Berüchtigt war, als die Triaden Ulan-Bator unter $andwehen begruben. Ein neuzeitiges Pompeji wurde das genannt. Und das nur, weil die Mongolei ihren €rpressungsgesuchen nicht nachgekommen war.

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Wirklich, eine ganze $tadt unter $and begraben. Wenn ich es dir doch sage. $ind viele Menschen gestorben, damals. Na, die haben $andwehen von den Wüsten über Wind, oder Tornados waren es, glaub ich, dorthin transportieren können. Das hatte natürlich auch alle Landstriche zwischen der Wüste & der $tadt in Mitleidenschaft gezogen. Waren auch alle ziemlich überrascht ob dieser Planung. Ziemlich ausgefeilter $cheiß, sag ich dir.

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Weiß gar nicht, was dann mit der ehemaligen Wüste passierte. Die Tiere & Pflanzen sind durch diesen Lufttransport sicher gestorben. Hab ich mich bisher aber auch noch nie gefragt, wie das Leben danach weitergegangen ist. €s prasselt so viel auf einen ein, man kann sich da oft nicht die Fragen in der Tiefe stellen … oder wirklich reflektieren, was Dinge in Gänze bedeuten …

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Der $chengenraum wurde mehr & mehr zur Festung ausgebaut, da man nun durch Wetterlagen flächendeckend mit $olar- & Windenergie autonom von etwaigen Öl- & Naturreserven geworden war – das war mit dem Krieg von Russland auch notwendig geworden. Auch musste man nicht mehr die !mporte aus dem Ausland holen, da nun selbst auf partiellen Äckern Bananen & andere $üdfrüchte neben Kartoffeln angebaut werden konnten. War der super Gegenschlag gegen diese global verflochtene Lieferkette, die eh total fragil war. Das war voll gut für die Ökobilanz.

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Was die mit dem Geld machen? Ja, das würde mich auch mal interessieren. Wahrscheinlich sind diese ganzen Marsmissionen & Kolonialisierungsexperimente davon gesponsert. Da machen sie ja gerade alle hin, die können. Lieber alles reininvestieren, um nen neuen Planeten zu kolonialisieren, anstatt den alten vorm Untergang zu schützen. Nen Wettermaschinenableger haben sie auch dorthin mitgenommen. War ne Zeit lang in den Newstickern – €ine neue €rde für alle ... €s soll dort oben richtig schön sein. Wechselklima, Teile mit Wüsten, Teile mit viel Regen & Tropen, Teile mit €is, Teile mit gemäßigtem Klima … Doch man hört eigentlich nicht viel davon.

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Oh, hörst du? Der Regen bei Willie beginnt. Wie der meckert, lass mal zum Balkon schleichen & zusehen …

Campbell, Jamie_Lee
© Tanya Bukhanets

Jamie-Lee Campbell

Dr. Jamie-Lee Campbell, geboren 1984 in Boston (USA), studierte Psychologie und promovierte zum Thema Korruption in Organisationen. Neben frühen Gedichtpublikationen (2004-2011) sowie einer Kurzgeschichte (2006 im Kulturmagazin Maskenball) schrieb sie verschiedene fach- und populärwissenschaftliche Texte für verschiedene Zeitungen (2013-2022, u.a. Katapult Magazin, Report Psychologie, Scheinwerfer das Mitgliedsmagazin von Transparency International Deutschland). Zuletzt erschien ein wissenschaftliches Buchkapitel zum Thema Geschlechtsunterschiede in verschiedenen Formen der Korruption im Fachbuch: Gender, Norms and Corruption: Understanding the Nexus (2022).

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