Science Fiction

Was in der Science Fiction mit Gentechnik möglich ist (Teil 1/2)

Was in der Science Fiction mit Gentechnik möglich ist (Teil 1/2)
© altmann/pixabay

BUCH

 

Judith Madera, 14.07.2021

Die Gentechnologie spaltet wie kaum ein anderer Bereich der Biologie die Menschen in Befürworter und Gegner – und auch in der Science Fiction wird das Thema kontrovers diskutiert. Seit über hundert Jahren erforschen SF-Autor*innen die Möglichkeiten und Risiken der Gentechnik, und so manche phantastische Vision ist beinahe schon Realität, während andere unerreichbar scheinen. Schauen wir uns an, was in der Science Fiction mit Gentechnik alles möglich ist!

Seit Jahrtausenden verändern Menschen die Gene anderer Lebewesen. Sie züchten ertragreichere Getreide- und Obstsorten und eine beeindruckende Vielfalt verschiedener Hunderassen – schlicht indem sie jene Elternpflanzen und –tiere kreuzen, die die gewünschten Eigenschaften aufweisen. Was früher Jahre und Jahrzehnte gedauert hat, lässt sich heute mit Hilfe der Gentechnik viel schneller bewältigen. Trotzdem hat die Technologie insbesondere in Deutschland einen schlechten Ruf, unter anderem wegen dem übermäßigen Einsatz von Pflanzengiften in der Landwirtschaft. Tatsächlich gibt es neben großem Nutzen auch diverse Risiken, die sich nur schwer abschätzen lassen. Auch weckt die Veränderung der Gene Ängste, unter anderem weil die wissenschaftlichen Grundlagen neu und sehr komplex sind, aber vielleicht auch, weil die SF zahlreiche Horrorvisionen von Biowaffen und Monstern hervorgebracht hat.

Manchmal zeigt uns die SF aber auch die Chancen, die sich uns bieten, wenn wir unsere Evolution selbst gestalten oder wenn wir dank Klonen jahrhundertelang durchs All fliegen können. Im ersten Teil unserer Gentechnik-Reihe stellen wir Werke vor, die zeigen, wie vielseitig die Sicht auf die Gentechnologie in der SF (die oft ihrer Zeit voraus war) ist und welche phantastischen Möglichkeiten sie uns bietet.

Die Wissenschaft erschafft Monster und Leuchttiere

1993 erschreckte die Verfilmung des Romans Jurassic Park von Michael Crichton die Kinobesucher*innen. Mittels Gentechnologie werden Dinosaurier aus Zellen im Blut von in Bernstein eingeschlossenen Mücken geklont und zur tödlichen Hauptattraktion eines Vergnügungsparks. Die Wissenschaft kann zwar die gigantischen Urzeitkreaturen wieder auferstehen lassen, doch verliert sie ebenso schnell die Kontrolle über das künstliche Leben. Buch und Film bedienen die Sensationslust der Konsument*innen, waren vom Autor jedoch auch als Warnung gedacht, um zu zeigen, dass Wissenschaft zwar ein „wunderbares, mächtiges – jedoch eindeutig begrenztes – Werkzeug“ ist.

Noch gruseliger sind die gentechnisch veränderten Biowaffen aus der Videospielreihe Resident Evil, zu der auch diverse Filme, Romane und Comics gehören. Der skrupellose Konzern Umbrella forscht an Biowaffen und kreiert den sogenannten T-Virus, der bei seinem Wirt Mutationen auslöst und ihn in einen Zombie verwandelt. Später entstehen daraus noch weit schlimmere Kreaturen. Horror und SF verschmelzen zum perfekten Albtraum, und auch wenn die Mutationen höchst unrealistisch sind, so ist es die Skrupellosigkeit von Umbrella nicht, und bei den Spieler*innen kommt die Warnung vor dem Missbrauch der Gentechnik an.

Nicht monströs, sondern liebenswert sind die rosa leuchtenden Minielefanten in Elefant (2017) von Martin Suter. Genforscher Roux will aus den Tieren eine Sensation machen, doch sie verschwinden aus dem Labor und verändern unter anderem das Leben eines Obdachlosen. In Elefant geht es mehr um die Menschen als um die Wissenschaft, doch mit den leuchtenden Elefanten hat Suter ein brisantes Thema in der Gentechnik-Debatte aufgegriffen. Tatsächlich gibt es solche „Glow-in-the-Dark“-Tiere bereits, in deren DNA Gene aus Quallen und Seeanemonen eingefügt wurden. Diese Tiere produzieren nun Proteine, die im UV-Licht leuchten.  So lässt sich leicht zeigen, dass das sogenannte Genome Editing, das gezielte Einbringen und Verändern von Genen z.B. mit CRISPR/Cas, funktioniert. Glow-Fische mögen noch harmlos erscheinen, doch das Genome Editing zieht einen ganzen Rattenschwanz an ethischen Fragen und Missbrauchsmöglichkeiten nach sich.

Der Mensch als Gestalter der Evolution

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kannte man in der Genetik die mendelschen Regeln der Vererbung und wusste, dass es so etwas wie Gene gibt und dass sie sich auf den Chromosomen befinden müssen. Erkenntnisse über den Aufbau der DNA erlangte man erst in der Mitte des Jahrhunderts, gefolgt von tieferen Einblicken in die Struktur einzelner Gene und ganzer Genome. Entsprechend findet man vergleichsweise wenige Beispiele für Gentechnologie in der frühen SF, in der Veränderungen an Menschen und anderen Lebewesen eher durch Operationen wie in Die Insel des Dr. Moreau (The Island of Dr. Moreau, 1896) von H. G. Wells oder Strahlung wie in Seeds of Life (1951) von John Taine herbeigeführt wurden.

Als die Molekularbiologie noch in ihren Kinderschuhen steckte, beschrieb Olaf Stapledon in seinem SF-Meisterwerk Die letzten und die ersten Menschen (Last and First Man, 1930) unfassbare zwei Milliarden Jahre Menschheitsgeschichte, in der neue Menschenarten entstehen und vergehen und sich schließlich selbst neu erschaffen. Sein Geschichtsbuch der Zukunft quillt schier über vor Ideen, viele davon aus heutiger Sicht merkwürdig und zu phantastisch, doch viele auch visionär. Die großen Durchbrüche bei der Gentechnologie verortet Stapledon erst beim Dritten Menschen, der zunächst „Vitaplastizismus“ betreibt, eine Kunstform, deren Hauptziel „die Verschönerung der Erde durch eine differenzierte, hoch entwickelte Flora und Fauna“ darstellt. Allerdings gibt es auch sadistische Menschen, die Monstrositäten erschaffen wie ein Reh, aus dessen Schwanz ein Gehirn, Sinnesorgane sowie ein Gebiss wachsen. Der Dritte Mensch probiert im Vitaplastizismus, der wie eine Religion ist, alles Denkbare aus, meistert die genetische Veränderung in der Keimbahn und erschafft schließlich den ersten Vertreter der Vierten Menschen, die auch die „Großen Gehirne“ genannt werden. Tatsächlich bestehen diese vor allem aus gigantischen Gehirnen, die durch künstliche Strukturen ergänzt werden. Diese Supergehirne kommen trotz ihrer überragenden intellektuellen Fähigkeiten an ihre Grenzen und erschaffen schließlich den Fünften Menschen, der wieder menschlicher aussieht und mit einer Lebensdauer von 3000 Jahren ausgestattet ist (später beträgt sie sogar 50.000 Jahre). Im Laufe von Jahrmillionen hat der Mensch die Gestaltung seiner Evolution übernommen, er erschafft sich und andere Lebewesen selbst.

Durch den riesigen Zeitraum, den Stapledon in seinem Buch abdeckt, gelingt es ihm, den Leser*innen ein tiefes Verständnis der Mechanismen der Evolution zu vermitteln. Nicht der Stärkste überlebt, sondern der, der am besten angepasst ist – oder schlicht vom mächtigen Einflussfaktor Zufall begünstigt.

Denkende Zellen und geheimnisvolle Introns

Greg Bear zeichnet in Blutmusik (Blood Music, 1985) zunächst ein realistisches Bild der Arbeit in einem gentechnologischen Labor. Protagonist Vergil forscht heimlich an intelligenten Zellen, die er „Noozyten“ nennt (griech. nous = Geist). Als sein Arbeitgeber mitbekommt, dass er ethisch fragwürdige Experimente durchführt, wird Vergil gefeuert. Um seine Noozyten zu retten, spritzt er sie sich in die eigene Blutbahn und setzt damit eine Evolution in Gang, die den ganzen Planeten verändern wird. Bear verarbeitet in seinem Roman eine Fülle an Theorien aus der Biologie und Quantenphysik. So seltsam und phantastisch Blutmusik sich entwickelt, so spannend sind manche Ideen. So sieht Bear in den sogenannten Introns (Intragenic regions), die damals als „Genschrott“ galten, weil in diesen DNA-Regionen nichts codiert ist, einen gigantischen Erinnerungsspeicher (inzwischen weiß man, dass Introns nicht ganz so funktionslos sind wie ursprünglich angenommen).

In der Episode „Genesis“ (1994) in  Star Trek: The Next Generation werden Introns als Überbleibsel urtümlicher DNA dargestellt, die die Erbinformation zu den Ursprungsformen der jeweiligen Spezies enthalten. Durch einen medizinischen Unfall wird bei einigen Crewmitgliedern eine „Protomorphose“ ausgelöst, bei der sie sich zurück in Affen und Amphibien verwandeln. Tatsächlich enthalten Introns oft „alten Code“, allerdings ist eine Rückverwandlung wie in Star Trek reine Phantastik. Doch bergen die nicht-codierenden Genabschnitte noch genug Geheimnisse, aus denen SF-Autor*innen spannende Geschichten spinnen können.

Der Traum vom ewigen Leben

So manches Tier besitzt Fähigkeiten, von denen die Medizin nur träumen kann: Zebrafische können geschädigte Herz- und Hirnzellen nachwachsen lassen, der Axolotl sogar ganze Gliedmaßen. Diese eindrucksvollen Regenerationsfähigkeiten haben Thea Dorn zu ihrem Roman Die Unglückseligen (2016) inspiriert: Molekularbiologin Johanna Mawet forscht an Zebrafischen und begegnet in den USA einem seltsam alterslos erscheinenden Herren. Es stellt sich heraus, dass es sich bei ihm um den 1776 geborenen Physiker Johann Wilhelm Ritter handelt. Der über zweihundert Jahre alte Wissenschaftskollege ist das perfekte Forschungsobjekt, um ihr Ziel, mit gentechnischen Methoden den Alterungsprozess aufzuhalten, zu erreichen. Auch wenn die Die Unglückseligen später in den Okkultismus abdriftet und keine reine SF ist, ist die Grundidee des Romans ungemein spannend.

In Andreas Brandhorsts Tech-Thriller Ewiges Leben (2018) forscht der Konzern Futuria an der gentechnischen Heilung von Krankheiten sowie Möglichkeiten zur Lebensverlängerung. Das Ziel: Unsterblichkeit. Journalistin Sophia soll ein Firmenporträt schreiben und stößt bei ihren Recherchen auf dunkle Geheimisse. Gleichzeitig machen Gerüchte die Runde, dass Futuria längst den Schlüssel zum ewigen Leben gefunden hat. Doch wenn es so ist, dann profitieren nur die wenigstens Menschen von der neuen Technologie. Und wozu braucht es eigentlich noch die Kirchen oder Gott, wenn die Menschen unsterblich werden? Der radikale Christ  Jossul hat seine Antwort schon gefunden und bekämpft Futuria mit Terrorismus. Auch wenn Brandhorst die Möglichkeiten der Gentechnologie (in naher Zukunft) überschätzt, wirft er in seinem Roman interessante ethische und philosophische Fragen auf.

Klone im Weltraum

Eines der beliebtesten Themen in der SF in Bezug auf Gentechnologie sind Klone, da die Duplizierung von Lebewesen und insbesondere Menschen Irritationen hervorruft und anspruchsvolle philosophische sowie ethische Fragen aufwirft. Dabei sind Klone auch etwas ganz Natürliches, man denke nur an eineiige Zwillinge oder Pflanzen, die sich zur Vermehrung quasi selbst klonen und genetisch identische Ableger bilden (ja, eure Grünlilien auf der Fensterbank sind wahrscheinlich Klone). Spätestens seit Klonschaf Dolly hat jeder vom künstlichen Klonen als gentechnische Methode gehört, und in Korea werden sogar schon Hunde geklont, um den verstorbenen Liebling zu ersetzen (echt gruselig). In den Weiten des Alls hat die Klontechnologie allerdings gewisse Vorzüge:

Star Trek: The Next Generation entwirft in der Episode “Der Planet der Klone”  („Up the Long Ladder“, 1989) eine Gesellschaft, die aus Klonen von nur fünf Individuen besteht. Sie sind Nachfahren einer Raumschiffcrew, die im 22. Jahrhundert eine Kolonie gründen wollte. Das Raumschiff stürzte jedoch ab, und nur fünf Crewmitglieder überlebten. Das Klonen ermöglichte ihnen trotzdem die Gründung der Kolonie, doch nach zweihundert Jahren haben sie mit dem Effekt des „replikatorischen Schwunds“ zu kämpfen: Über mehrere Generationen häufen sich beim Klonen Fehler in der DNA an. Um diesem Effekt entgegenzuwirken, benötigen sie frisches genetisches Material. Obwohl die Episode nur durchschnittlich ist, zeigt sie eindrucksvoll, welche Möglichkeiten und Probleme das Klonen birgt und welche Veränderungen eine solche Gesellschaft erfährt. So haben die Klone beispielsweise keinerlei Interesse an Sexualität und empfinden die Vorstellung, auf natürliche Weise Kinder zu zeugen, als abstoßend.

Wenn man nicht über eine Überlichttechnologie wie den Warp-Antrieb in Star Trek verfügt, kann das Klonen interstellare Reisen erleichtern oder auch erst ermöglichen. So schickt Marina Lostetter in Die Reise  (Noumenon, 2017) Klone auf eine Reise zu einem mysteriösen Objekt weit außerhalb unseres Sonnensystems. Da ein Menschenleben nicht reicht, um den langen Flug zu bewältigen, werden die speziell ausgesuchten Crewmitglieder immer wieder geklont. Die jahrhundertelange Reise birgt jedoch so manch unerwartetes Problem, und auch die Klone sind keine exakten Kopien, sondern unterscheiden sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Erfahrungen von ihren Originalen. Unter bestimmten Bedingungen kann dabei aus den gleichen Genen ein völlig anderer Mensch entstehen. Spannend außerdem: Eine Künstliche Intelligenz, die alle Klongenerationen miterlebt, fungiert als Erzähler.

Hier geht es zu Teil 2: „Was uns Science Fiction über den Umgang mit Gentechnik lehrt“, in dem wir uns mit den ethischen und philosophischen Fragen des Klonens sowie der genetischen Optimierung auseinandersetzen …

Judith Madera

Judith Madera ist Literatopia-Chefredakteurin und Herausgeberin des Online-Fanzines PHANTAST. Seit 2019 schreibt sie gelegentlich für TOR online über Science Fiction, Anime und Manga. Mehr unter www.literatopia.de