Science Fiction

Ist das Popkultur oder kann das weg? Über die Bedeutung von Avatar

Avatar 2 - Trailer
© Disney

Lars Schmeink, 09.12.2022

Wie jedes Jahr, versucht Hollywood auch 2022 wieder mit einem Mega-Blockbuster-Franchise-Movie zu Weihnachten die Kassen klingeln zu lassen und den Kommerz ins Unendliche zu schrauben. Verwunderlich dabei ist nur, dass man dieses Mal ein Franchise ausgesucht hat, das über zehn Jahre lang niemanden interessiert hat. Eine Polemik zur popkulturellen Bedeutung von „Avatar“…

In der Welt der Popkultur funktionieren Franchises aktuell besonders gut: Reboots, Remakes, Prequels, Sequels, Reihen, und ganze Filmuniversen. Doch, mal ehrlich, zählt „Avatar“ da wirklich zu? Ich meine, wer hat denn in den letzten zehn Jahren an die blauen Wesen von Pandora gedacht und sich gesagt, oh da muss es unbedingt eine Fortsetzung geben? Naja, Hollywood-Execs offensichtlich, denn die haben James Cameron für seinen CGI-überfrachteten Blödsinn nicht einen, sondern gleich vier weitere Teile in Auftrag gegeben. Und ja, zum vierten Film laufen bereits die Dreharbeiten. Dabei hätte man gut auf das verpuffte Popkultur-Phänomen „Avatar“ verzichten können. Niemand läuft über die Comic-Cons dieser Welt und braucht mehr Na’vi-Cosplay. Und auch Nerds und Fans sehnen sich nicht nach Jake Sullivan als Heldenfigur. Passiert einfach nicht. Was ist da bloß schiefgelaufen? Ist das noch Popkultur oder kann das weg?

Also, Hand aufs Herz, euch geht es doch auch so… Ich war mal begeistert von dem Film. 2009 bin ich gleich mehrfach ins Kino, ach was, ins IMAX gerannt und habe mir auf riesiger Leinwand mit 3D-Brille auf der Nase die fantastischen CGI-Welt von Pandora angeschaut. Die fliegenden Berge, und vor allem die neonleuchtenden Dschungel. Die Pflanzen, deren Samenkapseln langsam und elegant auf mich zugeflogen kamen. Der Film gilt als maßgeblicher Anstoß für den Erfolg der 3D-Technologie – und dass, obwohl 3D schon in den 1950er- und 1980er-Jahren Anlauf genommen hatte, um zum Kino-Hype zu werden. Na gut, der Gag mit den in den Zuschauerraum ragenden Pflanzen hatte sich spätestens ein bis zwei Jahre später auch wieder ausgehyped. Für mich war damals „Für immer Shrek“ (a.k.a. Shrek 3D) der Moment, als ich dachte, ich will nie wieder irgendeinen dumpfen Scheiß durch 3D aufgepeppt sehen. Wenn es wenigsten innovative Filmideen gegeben hätte. Aber so waren die Extrakohle und die ungemütlichen Brillen es einfach nicht wert. Und bis heute lagern zig dieser Plastikgestelle in einer Schublade. Wer also ein kleines Studiokino damit versorgen möchte, der möge Bescheid geben. „Avatar“ brachte zielgenau eine neue Technologie an das Publikum, im richtigen Moment – etwas, das „Avatar 2“ wohl kaum zu wiederholen vermag, und die Teile 3, 4, und 5 erst recht nicht.

Ok, aber dann war es doch bestimmt die tolle Geschichte und das wundervoll nuancierte Storytelling, die diesen Film so lohnenswert machen, oder? Ok, ich kann das nicht schreiben. Nein, der Film war schon damals eine Shitshow, ganz ohne die heute deutlich größere Awareness für soziale Themen. Ob es nun der White-Savior-Komplex ist, dass ausgerechnet der recht stumpfe Militärjockey Jake Sullivan zum Erretter der Na’vi wird. Oder die nur dezent durch ein wenig oberflächliche Kapitalismus-Kritik übertünchte Verehrung für militärische und technologische Überlegenheit. Die stereotype und eindimensionale Darstellung der Na’vi als naive, aber ach so edle Wilde – eine rassistisch-koloniale Trope, die auch Karl May gerne verwendet hat (vor 130 Jahren). Ach so, und natürlich entspricht Sullivan selbst der „wounded hero“ Trope, der seine Querschnittslähmung durch Technologie bzw. Magie überwindet und so wieder geheilt wird. Das ist ableistischer Bullshit und verdeutlicht eine in der SF leider immer noch weit verbreitete medizinische Haltung gegenüber Behinderung, die diese nur als Problem oder Mangel definiert. In seiner Botschaft war „Avatar“ also alles andere als subtil, und die Science Fiction (auch in großen Franchises) ist seither um Meilen vorangeschritten. Wie also wird „Avatar 2 – Der Weg des Wassers“ da wohl abschneiden?

Ja, „Avatar“ war eine Technologie- und CGI-Schlacht. Das sind aktuell viele, auch sehr erfolgreiche SF-Franchise-Filme. Und der Film hat sich nicht mit Ruhm bekleckert, was soziale und identitätspolitische Themen angeht. Stimmt schon. Aber das tun Star Wars-, Marvel- und besonders DC-Filme auch nicht immer. Warum also ist dann „Avatar“ so ein Sonderfall in Sachen popkultureller Bedeutung? Ich denke, es liegt vor allem an dem mangelnden Weltenbau. Damit meine ich nicht, dass Pandora nicht eine durch CGI ganz bezaubernd dargestellte Welt ist. Vielmehr meine ich, dass die soziale Welt von Pandora, die Gesellschaften auf dem Planeten, die Machtverhältnisse, die Kultur, die Charaktere, all diese Details von James Cameron einfach komplett vernachlässigt wurden. Es gibt zwar mehrere Stämme von Na’vi, aber wie genau diese zusammen agieren ist unklar. Selbst die bedrohte Gruppe am Weltenbaum wird nur oberflächlich und klischeehaft als Stammeskultur eingeführt. Und die Gegenspieler sind so überzeichnet, dass sie kaum Bezugspunkte bilden: gierige Corporations und trigger-happy-Militärs sind viel zu schwarz-weiß, als das sich damit tolle Geschichte entwickeln lassen. Meine Güte, selbst die schurkigsten Karikatur-Bösewichte, das Imperium und seine Schergen, haben dank eines Serien-Highlights wie „Andor“ mehr Nuance und erzählerische Tiefe bekommen. Colonel Quaritch jedoch bleibt so schemenhaft böse und von Rassismus zerfressen, dass er am Ende in den Tod gehen muss und sogleich vergessen ist – oder hat wirklich noch jemand seinen Namen im Kopf gehabt?

Was bleibt also? Naja, das in Hollywood übliche Muster. Ein Film, der so sehr Eye-Candy ist, dass man ihn sich auf großer Leinwand anschaut. Über 3 Stunden Action mit viel fantastischem Glitzer drüber. Ab und an mal eine kleine Pause, in der ganz Alibi-mäßig der Versuch einer Handlung hinzugegossen wird. Und am Ende gehen wir aus dem dunklen Saal in den dunklen Abend und freuen uns über das wunderschön sonnige Pandora und die kitschigen, klischeehaften Figuren und Handlungen. Und wir vergessen, dass es den Film gegeben hat. Bis zum dritten Teil. Und den vierten. Und den fünften. … Frohes Fest.

Lars Schmeink

Dr. Lars Schmeink ist freier Journalist und Medienwissenschaftler. Er ist Gründer der Gesellschaft für Fantastikforschung und hat an verschiedenen Universitäten zu Science Fiction und anderen Fantastikthemen geforscht, gelehrt und publiziert.

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