Science Fiction

Climate Fiction: Der Klimawandel in der Science-Fiction-Literatur

Climate Fiction: Der Klimawandel in der Science-Fiction-Literatur
© darksouls1/pixabay
Jakob Schmidt
06.11.2017

Der Klimawandel ist da – auch in der SF-Literatur, und dort heißt er "Climate Fiction". Vor den Folgen der globalen Erwärmung muss uns dieses Subgenre nicht mehr warnen. Aber ein paar Anstöße gibt es uns trotzdem.

Vor einigen Wochen fand in Berlin eine Konferenz zum Thema Climate Engineering statt – es geht dabei um die Vorstellung, mittels technischer Verfahren die menschengemachte Erwärmung der Erde in den Griff zu bekommen. Die Idee der Wetterkontrolle gehört auf den ersten Blick eher ins Reich der Science Fiction; doch tatsächlich wird aber einiges an Geld investiert und Forschung betrieben. Im Rahmen der Konferenz warb unter anderem der Harvard-Physikprofessor David Keith für ein Verfahren, das schon länger im Gespräch ist: Durch Einbringung von Schwefelpartikeln in die Erdatmosphäre soll die Sonneneinstrahlung stärker reflektiert werden.

Angesichts immer wieder verfehlter Emissionsziele, des Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen und der resignierten Erkenntnis, dass die Erderwärmung längst da ist und neben dem Anstieg des Meeresspiegels, der Versauerung der Ozeane und einem massenhaften Artensterben auch Dürren, gewaltige Wirbelstürme und Flutkatastrophen im Gepäck hat, die die Menschheit weltweit unmittelbar zu spüren kriegt, erscheinen solche Notfallpläne durchaus verlockend. Natürlich wäre es verantwortlicher, Wege zu finden, um unsere CO2-Emissionen deutlich zu drosseln, aber das scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Die Mineralölverbrennung ist dabei nur die – allerdings gigantische – Spitze des Eisbergs. Man muss sich nur einmal zu Gemüte führen, dass die zusammengerechneten Gewinnerwartungen, die die Mineralölkonzerne ihren Aktionären in Aussicht stellen, bedeuten würden, dass die Menge des durch Verbrennung produzierten CO2 die Grenzwerte des Pariser Abkommens in den kommenden Jahres um ein Vielfaches übersteigen MUSS, wollen sie nicht wortbrüchig werden. Der Wachstumszwang des Kapitalismus sitzt uns im Nacken und droht bei Zuwiderhandlung mit dem gesellschaftlichen Kollaps – der eigentlich, nicht zuletzt infolge der Klimakatastrophe, in weiten Teilen der Welt längst da ist.

Der Alltag der Katastrophe

Haben wir uns also mit der Lage abgefunden? Die Geschichten, die wir uns von der nahen Zukunft erzählen, deuten darauf hin, dass die nach menschlichen Maßstäben schleichende (und nach geologischen Maßstäben rasende) Veränderung des Klimas unser selbstgemachtes und mittlerweile unumkehrbares Schicksal ist. So sehr jedes Jahr aufs Neue beschworen wird, dass wir „jetzt noch“ die Chance haben, den Klimawandel in einem für die Menschheit erträglichen Rahmen zu halten, so sehr sind Polschmelze und Anstieg des Meeresspiegels, Versauerung der Ozeane und durch dessen Erwärmung verursachtes Artensterben, verheerende Dürren, Flutkatastrophen und Wirbelstürme, bereits traurige Realität. Die Science Fiction unserer Zeit trägt dem meist recht nüchtern Rechnung: Margaret Atwoods Roman Oryx & Crake spielt in der Nähe eines infolge der Polkappenschmelze überfluteten New Yorks; in Paolo Bacigalupis Biokrieg (The Windup Girl) wird Thailand von gewaltigen Dämmen vor der Überflutung geschützt; in seinem Water (The Water Knife) ist Wasser im amerikanischen Südwesten, der Dust Bowl, infolge von Dürren zur kostbarsten Ressource geworden. Das schon bei Atwood beschworene Bild eines überfluteten New York kennt man schon aus Steven Spielbergs Film A.I. von 2001. Es prangt auch auf dem Titelbild von Kim Stanley Robinsons 2017 erschienenen Roman New York 2140. Mit Ausnahme von Orys&Crake ist all diesen Geschichten gemein, dass sie nicht von einem Totalzusammenbruch der Zivilisation erzählen (und bei Atwood ist der erfolgte Zusammenbruch nicht durch die Klimakatastrophe ausgelöst worden). Die Klimakatastrophe ist eine andere Art von Weltuntergang als der atomare Supergau, sie ist kein roter Knopf, keine fallende Bombe, kein explodierendes Kraftwerk, sie ist keine Seuche, die alle Menschen auf einen Schlag in Zombies verwandelt … sie ist unser Alltag. Es ist deshalb ziemlich schwer, sie glaubwürdig in den Mittelpunkt einer SF-Katastrophengeschichte zu stellen. Sehr viel eher ist sie Teil des katastrophischen Hintergrundrauschens des Anthropozäns.

Rettung Ex Machina?

Die Schreckensszenarien der Klimakatastrophe sind deshalb immer ein Stück zu nah an uns dran – sie kommen nicht „nach“ irgendeinem Ereignis, nach Atomkrieg oder Zombieseuche oder Asteroideneinschlag, sondern im fortgesetzten Jetzt. Und während SF-Romane wie die genannten diesen Umstand plausibel darlegen, welche gewaltigen gesellschaftlichen Probleme mit dem Klimawandel auf uns zurollen, warten die Visionäre des Geo-Engineering ironischerweise mit verlockend nach SF klingenden Antworten auf, die die Katastrophe vielleicht doch wieder aus dem „Jetzt“ auf ein „Irgendwann“ oder sogar „Gar nicht“ verschieben könnte.

Der eingangs erwähnte Professor David Keith macht sich beispielsweise dafür stark, Schwefelsäure in die Erdatmosphäre einzubringen, damit sie mehr Sonnenlicht reflektiert, und kündigt erste Feldversuche an. Die Ausbringung der geringen für den Versuch notwendigen Menge mag dabei unbedenklich sein – Keith unterschlägt in seinen Ausführungen jedoch die banale Tatsache, dass der Versuch einer Abkühlung der Erde auf diese Weise letztendlich nur als globales Experiment mit trotz aller Feldversuche unabsehbaren Folgen denkbar ist. So hat der Klimatologe Alan Robock von der Rutgers Universität beispielsweise zusammen mit Kollegen eine Studie erarbeitet, der zufolge die Ausbringung von Schwefelteilchen in der Atmosphäre den Monsun stören und für noch weit verheerende Dürren in Afrika und Südasien auslösen könnte als der Klimawandel. Würde dieses Szenario sich bewahrheiten, hieße das, dass ein Teil der Erde sich auf Kosten weiter anderer Teile vor den Folgen des Klimawandels schützen würde. Wieder einmal würden Umweltprobleme von ihren Hauptverursachern im Norden geografisch in den Süden verschoben, und wieder einmal wird deutlich: Der Klimawandel mag die Menschheit weltweit betreffen, aber in welchem Maße er welche Menschen betrifft, ist wie alles eine Frage der weltweiten Verteilung von Reichtum, Armut und Ressourcen.

Nicht der Planet leidet, sondern wir

Anstatt wissenschaftliche Heilsvisionen zu liefern, stellt sich die SF zunehmend den gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels – und unseren Umgang mit ihnen. In Kim Stanley Robinsons New York 2140 sind sowohl die gesellschaftlichen Korrekturen infolge der Klimakatastrophe als auch das fröhliche Weiterexerzieren des kapitalistischen Wachstumszwangs Thema. Neue Technologien bieten lokale Lösungen, während im Hintergrund das Gespenst der zahllosen Toten schwebt, die die Erderwärmung forderte und weiter fordert. Menschen kämpfen gegen das fortgesetzte Artensterben und gegen das Eindringen von Wasser in die unteren Stockwerke, gegen die Enteignung von Wohnraum und gegen die aufgepeitschten Naturgewalten. Wie bei Robinson üblich steckt eine erstaunliche Mischung von Hoffnung und Pessimismus in diesem Buch – es geht weiter mit den Menschen, aber nicht unbedingt zu den besten Bedingungen. Diese Botschaft kann man auch in den (zugegebenermaßen etwas düstereren) Romanen Bacigalupis finden.

Diese Geschichten zum Klimawandel haben gemein, dass es in ihnen nicht darum geht, wie wir als Menschen uns die Natur möglichst vollständig unterwerfen können – etwa durch Geo-Engineering, oder dass wir uns im Gegenteil als Menschen ganz der Natur zu unterwerfen und uns von aller Technik zu verabschieden hätten. Beide Vorstellungen beruhen auf dem falschen Gegensatz von Mensch und Natur. Der Mensch ist Teil der Natur, und der Klimawandel insofern ein natürliches Phänomen, für das uns unser Planet ganz sicher nicht zürnt. Betrachten wir die Ereignisse in einem geologischen Maßstab, der sich für das Schicksal der Menschheit nicht interessiert, könnten wir das durch ihn verursachte (und potenziell den Menschen umfassende) Artensterben als Türöffner für eine ganz neue, wundersame Ökologie feiern, die ganz sicher in einigen hundert Millionen Jahren der heutigen nachfolgen wird.

Von einem humanistischen Standpunkt aus betrachtet gilt es hingegen, einzusehen, dass der Klimawandel nicht irgendeiner erhabenen Natur oder einem aus dem Weltraum wunderschön anzusehenden blauen Planeten schadet, sondern vor allem uns – den Bewohnern des globalen Nordens, die diesen Artikel wahrscheinlich lesen, vorerst weniger, vielen Menschen anderswo auf der Welt schon jetzt deutlich mehr. Dass wir vor diesem Hintergrund wirtschaftliche Wachstumsprognosen, private Mobilität und Arbeitsplatzsicherung in schmutzigen Industriezweigen anscheinend wichtiger finden als die Begrenzung von CO2-Emissionen, ist gelinde gesagt ziemlich bescheuert. Ironischerweise ist das Wort „sozialverträglich“ ja inzwischen bereits ein Kampfbegriff gegen jeden ernsthaften Versuch, aus CO2-intensiven Energiegewinnungsweisen auszusteigen – als wäre die Verursachung von Umweltkatastrophen etwas besonders Sozialverträgliches …

Die Lektüre des einen oder anderen SF-Romans zum Thema bewirkt sicher kein großes Aufrütteln – denn wir alle wissen längst mehr oder weniger über das, was im Gange ist, und das, was uns blüht, Bescheid, auch, wenn wir es uns vielleicht nicht eingestehen wollen. Sie ist aber vielleicht eine kleine gedankliche Vorbereitung darauf, dass das Weiterbestehen der Menschheit angesichts der selbstgemachten Probleme nicht mit einem gewaltigen technischen Kraftakt gewährleistet werden kann, sondern eine komplizierte und fortdauernde gesellschaftliche Aufgabe ist.

 

Zum Abschluss noch einmal die gesammelten Lesetipps zur gedanklichen Einübung der kommenden Mühen:

Romane

Kim Stanley Robinson, New York 2140 – Das Leben einer ganzen Reihe von Figuren, vom Finanzdealer bis zu Kanalratten-Kindern, in einem überfluteten New York der Zukunft. KSR zeigt mal wieder, dass er wie kaum ein anderer Autor dazu fähig ist, natur- und gesellschaftswissenschaftliche Exkurse in seine Geschichten einzuweben. Die deutsche Übersetzung durfte ich besorgen – sie erscheint im Januar 2018 bei Heyne.

Margaret Atwood, Oryx & Crake sowie die Nachfolgebände Das Jahr der Flut und Die Geschichte von Zeb – Auch hier steht wie schon erwähnt die Erderwärmung als Katastrophe im Hintergrund, vor allem geht es aber um den Seuchentod der Menschheit und ihre Ersetzung durch neue, gentechnisch erzeugte Arten. Oft satirisch und vergnüglicher, als man meinen sollte.

Paolo Bacigalupi, Biokrieg – Ein amerikanischer Agent versucht in Bangkok, an Genmaterial von gegen Lebensmittelseuchen resistente Pflanzen heranzukommen. Themen sind der Ersatz fossiler Brennstoffe durch Muskelkraft von Menschen und Tieren, Nahrungsmittelknappheit, Pogrome infolge gesellschaftlicher Umwälzungen … auch hier ist der Einfluss der Klimakatastrophe im Hintergrund allgegenwärtig. Ein abgrundtief düsterer Roman.

Paolo Bacigalupi, Water – Mafiöser Ressourcenkampf um Wasser im amerikanischen Südwesten.

Kim Stanley Robinson, Aurora – Ein Roman, der nur am Rande mit dem Thema Klimawandel zu tun hat, am Beispiel eines Generationenschiffs jedoch sehr überzeugend die Vorstellung dekonstruiert, dass die technische Kontrolle auch nur einer Mikroökologie, geschweige denn einer planetaren Ökosphäre wie der Erde, dauerhaft möglich wäre.

Marjorie B. Kellogg, Lear‘s Daughters (nicht ins Deutsche übersetzt) – die ökologisch gebeutelte Erde will sich an den Rohstoffen des von extremen Wetterphänomen heimgesuchten Planeten Filx gütlich tun. Kelloggs Geschichte von der Ausbeutung einer fremden Ökologie erschien erstmals in den 80ern und wirkt auf den ersten Blick inhaltlich altbekannt, wartet aber mit einigen interessanten Wendungen auf. Der Klimawandel spielt hier sowohl als Ursache der katastrophalen Veränderungen auf der Erde eine Rolle, als auch in Bezug auf den Planeten Filx.

Sachbücher zur Einführung:

Naomi Klein, Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima – Weniger reißerisch, als der Titel vermuten lässt, und hoch informativ. Klein sieht die Wachstumslogik des Kapitalismus als verursachendes Prinzip hinter dem Klimawandel, erteilt Geo-Engineering-Ideen eine klare Absage und liefert – für mein Gefühl etwas zu romantisierende – hoffnungsvolle Blicke auf politischen Widerstand seitens der gesellschaftlichen Basis.

Elizabeth Kolbert, Das 6. Sterben – Das Buch über vom Menschen verursachten Artensterben geht u.A. ausführlich auf die Folgen der durch den CO2-Austoß verursachten Versauerung der Meere ein. Kolbert hat mit Field Notes from a Catastrophe auch ein Sachbuch zum Klimawandel verfasst.

Dina Ionesco, Daria Mokhnacheva, Francois Gemenne, Atlas der Umweltmigration – Einführender Überblick ins Thema Umweltmigration. Kurze Beiträge erläutern sowohl die Geschichte und die Formen von Umweltmigration als auch die Frage, wie Menschen durch Wanderungsbewegungen auf die katastrophale Veränderung von Lebensräumen reagieren – oder daran gehindert werden. Macht deutlich, dass Migration seit jeher ein Teil der Menschheitsgeschichte ist und dass wir angesichts gegenwärtiger ökologischer Verhinderung überhaupt keine andere Wahl haben, als Wanderungsbewegungen als zu akzeptierende Normalität zu begreifen.

Der Sonderbericht zur Klimawissenschaft des U.S. Global Change Research Program wurde im Januar 2017 ohne die eigentlich vorgesehene vorherige Absegnung durch die US-Regierung im Internet veröffentlicht – das vollständige Dokument findet sich hier.

Jakob Schmidt

Jakob Schmidt lebt als freier Autor, Übersetzer und Buchhändler in Berlin. Zum dem von ihnen übersetzten Autoren gehören Kim Stanley Robinson und Seth Dickinson, außerdem hat er den SF-Klassiker Dune (Der Wüstenplanet) neu ins Deutsche übertragen. Zusammen mit Simon Weinert und Wolfgang Tress betreibt er die Kreuzberger Phantastik-Buchhandlung Otherland. Er ist seit seiner Kindheit begeisterter Fantasy-Rollenspieler und hat als Autor und Übersetzer an zahlreichen Rollenspielprodukten mitgewirkt.