Science Fiction

Welcome to the Metaverse! Über Snow Crash, Facebook und die Zukunft des Internet

Lars Schmeink, 17.11.2021

Der Facebook-Konzern wird in Zukunft „Meta“ heißen, kurz für „Metaverse“, ein Begriff, der von Neal Stephenson in seinem epochemachenden Cyberpunk-Klassiker „Snow Crash“ geprägt wurde. Doch was hat Stephensons Metaverse eigentlich mit den Plänen von Mark Zuckerberg zu tun?

Unsere digitale Realität, die Welt der Daten, in der wir uns seit Jahren schon bewegen und eine Art paralleles Leben führen, ist mit uns direkt verbunden, wie ein Möbius-Streifen, dessen Seiten zwar distinkt, aber doch untrennbar miteinander verbunden sind. Wir bewegen uns in beiden Welten, generieren Daten im Digitalen, die wiederum Rückschlüsse über uns und unsere Aktivitäten in der materiellen Welt zu lassen – und umgekehrt. Wir sind mit dem Metaverse verwoben.

Metaverse. So nannte der damals relativ unbekannte Science-Fiction-Autor Neal Stephenson 1992 seine digitale Welt und brachte damit die krude geometrische Darstellung des Cyberspace, die William Gibson acht Jahre zuvor in Neuromancer (1984) beschrieben hatte, auf eine neue Ebene. Ein Update. Cyberspace 2.0, von Stephenson erklärt, mit 2k Auflösung und 72fps vom menschlichen Auge nicht mehr von der Realität zu unterscheiden. Und von Avataren bevölkert, ein Spielplatz der Eitelkeiten. In seinem Cyberpunk-Roman Snow Crash begeben sich die Menschen dorthin, um zu arbeiten, sich zu treffen und zu flanieren. Wer kann, der zeigt dort seinen Status, seine Skills als Programmierer oder einfach, wie viel Geld er hat. Im Roman ist Hiro Protagonist (ja, der heißt tatsächlich so) lieber im Metaverse als im realen L.A.: „Und so besitzt Hiro ein schönes großes Haus im Metaverse, muss sich in der Realität aber ein Neun-mal-Sechser-Abteil in einem Lagerschuppen teilen. Das richtige Gespür für Immobiliendeals erstreckt sich nicht immer über Welten.“

Kapitalismus und kein Ende

In Deutschland hatte der Roman nicht so richtig Erfolg und Stephenson auch nicht. Erst 1999 mit Cryptonomicon konnte der Mann das deutsche Publikum überzeugen. Und doch blieb Snow Crash, der Roman, der dem Autor international zum Durchbruch verhalf und bis heute als eines der wichtigsten Cyberpunk-Werke überhaupt gilt, hierzulande kaum beachtet. Dabei ist er gerade in der heutigen Zeit so unglaublich wichtig—und das nicht erst seit Marc Zuckerberg die grandios dämliche Idee hatte, seinen Megakontrollzwang auf das gesamte Internet auszudehnen und es „Meta“ zu nennen. Aber dazu später.

Snow Crash, der gerade von Fischer Tor in einer neuen Übersetzung wiederveröffentlicht wurde, erzählt die Geschichte von Hiro Protagonist, einem gewitzten Hacker und grandiosen Schwertkampfmeister (ein Katana ist sein ständiger Begleiter), der sich seinen Lebensunterhalt mit Pizza-Lieferungen verdient. Das macht er vor allem deswegen, weil die Welt eine Hyperkapitalisierung erfahren hat und alles, aber auch wirklich alles, jetzt privatisiert und auf Profit ausgerichtet ist. Und Pizza gehört der Cosa Nostra, die sich weltweit als Franchise ausbreitet. Nebenbei füttert er die Central Intelligence Corporation mit Informationen und bekommt auch dafür Geld. Das Leben ist eben teuer geworden und jeder braucht einen Nebenjob. Kommt euch bekannt vor? Stephenson beschrieb bereits vor 30 Jahren, was der Kapitalismus heute so für Auswüchse haben würde …

Cyberspace, Metaverse, Matrix

Die Satire schwingt zwar immer mit, ist aber niemals die dominante Note des Romans. Dafür ist es zu ernst, denn Snow Crash beweist immer wieder, wie sehr unser Weg vorausgezeichnet war. Science Fiction ist keine Prophezeiung einer Zukunft, und doch trifft sie manchmal ins Schwarze. So vereinen sich Tausende von Flüchtlingen auf Booten zu einem riesigen extraterritorialen Floß-Staat, weil die Nationen zu sehr mit ihrer eigenen Abschaffung beschäftigt sind und die Migrationswellen halt irgendwo hinmüssen. Die Bilder der tausenden Schlauchboote und Rettungswesten in der griechischen Ägäis brennen sich ein. Auch wie der Hyperkapitalismus sich alle Biomasse dieser Welt zu eigen macht, hat Stephenson beschrieben: „Amerika jedoch gleicht einer großen, alten, qualmenden und scheppernden Maschine, die durch die Gegend rumpelt, und alles, was sie sieht, grabscht und verschlingt. Die eine kilometerbreite Müllspur hinter sich her zieht.“ Doch letztlich ist es die Vision des Metaverse, die den Roman so ideal für unsere Zeit sprechen lässt.

Cyberspace, Internet, Matrix, oder eben Metaverse. Die Idee ist, eine alternative Welt zu haben, die aus den Daten unserer materiellen Welt gespeist ist und uns allen – einem und einer Jeden von uns – die Möglichkeit bietet, sich selbst zu präsentieren, wie wir es wollen. Second Life, das Videospiel, machte das schon möglich, zeigte aber auch die Grenzen der Idee auf. Denn mit der Kommerzialisierung des virtuellen Raums entsteht ein Ungleichgewicht, in dem schnell eine Elite die Regeln bestimmt. Für Stephenson gab es nicht ein Metaverse, sondern so viele, wie es Ideen gab. Kommunale Orte wie die „Street“, eine an einer Linie über 65.000 km entlang gezogene Welt, stehen im Roman für die anarchische Grundidee, die auch dem ursprünglichen Internet zugrunde lag. Zwar muss man Baugrundstücke erwerben, wie URLs, doch die Erlöse dienen dem Erhalt der Infrastruktur, wie eine Steuer. Es gibt öffentliche Transportmittel, die von einzelnen programmiert, aber von allen kostenlos genutzt werden können wie Open Source Software. Darüber hinaus kann sich jede*r selbst verwirklichen, in individuellen Avataren oder auf dem Baugrund. Das Metaverse, das Stephenson beschreibt ist bunt, anarchisch, ein wenig Wild-West und vor allem für jede*n zugänglich, ohne Einschränkungen.

Von Datenkraken und Cyberpunk-Hackern

Was uns leider zu Marc Zuckerberg bringt und die neugewonnene Aufmerksamkeit auf die Idee des Metaverse erklärt. Dass ausgerechnet die Datenkrake Facebook, die gerade von einer Whistleblowerin darin überführt wurde, den eigenen Profit über alles zu stellen, und im Zweifel gegen die Interessen der Öffentlichkeit oder privater Nutzer*innen zu handeln, sich in Meta umbenannt hat und den Bau eines Metaverse anstrebt, ist ein Level an Ironie, das sich auf der Alanis-Morisette-Skala wohl kaum abbilden ließe. Zuck & Friends dürften wohl am wenigsten dem Ideal der coolen Cyberpunk-Hacker entsprechen, die in Snow Crash das Metaverse gebaut und bevölkert haben. Und dass ein globaler Hyperkapitalist die Regeln einer ganzen virtuellen Welt bestimmt, ist uns ja schon bei Facebook und Co. als problematisch aufgefallen, wie etwa Diskussionen um akzeptable männliche versus inakzeptabel weibliche Nippel (selbst beim Stillen oder als Awareness für Krebs) gezeigt haben dürfte. Ganz zu schweigen vom offenen Machtkampf des Konzernkapitalismus in Form von MasterCard gegen die anarchische und kreative Entrepreneur-Szene von Sexworker*innen auf OnlyFans. Wenn Konzerne die Regeln bestimmen, wie sie es in den letzten Jahren im Internet getan haben, dann schwinden Freiräume und Potentiale, die reale Welt durch Engagement in der virtuellen besser zu machen. Und das ist bestimmt nicht im Sinne von Stephenson, der von Zuckerberg nicht mal kontaktiert wurde, bevor es zur Meta-Ankündigung kam. Kein Wunder also, dass sich der Autor etwas überrumpelt fühlt und öffentlich keine Stellung beziehen mag. Er hat ja selber über den Machtmissbrauch im digitalen Raum geschrieben. Wer wissen will, wie es ausgeht, der kann es in Snow Crash nachlesen.

 

 

Dr. Lars Schmeink ist Journalist und Fantastikforscher. Er ist Professor für Medienwissenschaft am Institut für Kultur- und Medienmanagement Hamburg und erster Vorsitzender der Gesellschaft für Fantastikforschung.