Weiter geht es mit unserer Kolumne über großartige Frauen in der Science-Fiction-Literatur. Heute im Porträt: Rebecca Roanhorse, Hugo- und Nebula-Gewinnerin, und Autorin von indigener Prä-Kolumbus-Fantasy, Indigenous Futurism und Star-Wars-Romanen.
Rebecca Roanhorse wurde 1971 als Rebecca Parish in Arkansas geboren und wuchs in Texas in einer weißen Adoptivfamilie auf. Sie selbst ist Schwarz und Native American und zog sich schon als Kind in einer vornehmlich weißen Umgebung in andere Welten zurück – besonders die Science-Fiction hatte es ihr als Lieblingseskapismus angetan. Mit einem Vater, der an der Universität unterrichtete, und einer Mutter, die Lehrerin an einer High School war, wurde sie außerdem früh dazu animiert, selbst zu schreiben. Lange Zeit, so rekapituliert Roanhorse, habe sie jedoch „Tolkien-Klone“ über weiße Bauernjungen geschrieben, weil sie glaubte, dass in der Fantasy wenig Platz für andere Perspektiven sei.
Doch Roanhorse veröffentliche diese Geschichten nicht: Sie studierte zunächst unter anderem in Yale Jura, spezialisierte sich auf „Federal Indian Law“, das die Beziehungen zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten und den amerikanischen Ureinwohner*innen regeln soll. Sie lebte in der Navajo Nation und arbeitete dort am Navajo Supreme Court. Mit ihrem Mann, der Navajo ist, und der gemeinsamen Tochter wohnt sie in New Mexico.
Auch in ihren fiktionalen Werken konzentriert sie sich nicht mehr auf Bauernjungen, sondern schreibt meist aus Native-American Perspektive. Das ist jedoch …
Nicht unumstritten
Ihre leibliche Mutter, die Schwarze und Ohkay Owingeh Pueblo-Vorfahren hat, jedoch kein Stammesmitglied ist, hat Roanhorse erst als Erwachsene kennengelernt. Auch bei den Navajo ist Roanhorse kein Stammesmitglied, obwohl sie in einem Jugendbuch, ihrer „Das erwachte Land“-Reihe und mehreren Kurzgeschichte eine Navajo- (auch Diné genannte) Perspektive einnimmt und für die „Indigenous Voices“-Comicreihe von Marvel schreibt. Sie ist mittlerweile die wohl einflussreichste Native-American Stimme in der Fantasy und Science-Fiction und setzt sich für die Dekolonisierung des Genres und fürs relativ neue Subgenre „Indigenous Futurism“ ein, das indigene Erzählungen in die Zukunft transportieren will – verwandt also mit dem Afrofuturismus und dem African Futurism.
Seit ihre Kurzgeschichte „Welcome to Your Authentic Indian Experience“ 2017 und 2018 Hugo- und Nebula-Award erhielt und für so ziemlich alle anderen großen Genrepreise nominiert wurde und sie selbst mit dem John W. Campbell Award als beste Newcomerin ausgezeichnet wurde, nahm ihre Karriere Fahrt auf – und auch ihre weiteren Werke wurden ausgezeichnet und teils sogar auf Deutsch übersetzt – wie der „Das erwachte Land“-Zweiteiler (zwei Teile sind bisher erschienen, vier sollen es insgesamt werden).
Dessen erster Band, „Jägerin des Sturms“, war ihr erster Roman – ein apokalyptischer Abenteuerroman in der nahen Zukunft, der in Dinétah angesiedelt ist, früher bekannt als Navajo-Reservat. Es spielt sicherlich für die nationale und internationale Anerkennung ihrer Bücher eine Rolle, dass Roanhorse eine Native-American Science-Fiction-Autorin ist, in einem Genre, in dem ohnehin so viele Identitäten hoffnungslos unterrepräsentiert sind. Viele Rezensionen loben sie für die Repräsentation von indigen-amerikanischer Kultur – zusammen mit ihrem packenden, einfallsreichen, gewitzten Schreibstil. „Jägerin des Sturms“ wurde 2019 mit dem Locus-Award ausgezeichnet und war für Nebula, Hugo und World Fantasy Award nominiert – eine ziemliche Leistung für einen Debütroman.
Doch gerade, wenn eine einzelne Stimme hervorgehoben wird, besteht die Gefahr, dass sie als die einzige und einzig nötige Repräsentation ihrer Perspektive wahrgenommen wird – eine klassische „Single Story“ also. So, wie weniger in der Science-Fiction belesene Menschen oft beim Thema „Frauen in der Science-Fiction“ auf Ursula K. Le Guin deuten, sagen: „Aber es gibt doch Le Guin, natürlich schreiben Frauen Science-Fiction!“ und dabei alle anderen Frauen, die vor, nach und zusammen mit Le Guin schrieben, unter den Tisch fallen lassen, besteht die Gefahr, dass auch Roanhorse zum Native-American Einzelfall stilisiert wird. Was angesichts ihres Hintergrunds in einer weißen Familie und mit einem Studium in Yale natürlich besonders tragisch ist: Roanhorse bringt Privilegien mit, die viele Native-American Autor*innen nicht besitzen – und der wenige Raum, den Verlage indigenen Stimmen einräumen (wenn überhaupt), wird somit von einer Autorin dominiert, von der sich viele kritische Stimmen nicht repräsentiert fühlen.
Einige Autor*innen, Aktivist*innen und Gelehrte der Diné und anderer indigen-amerikanischer Kulturen kritisieren, dass Roanhorse’ Blick vor allem in die Gebräuche und das Leben der Diné nicht tief genug gehe, dass sie mit ihrer Darstellung die Navajo-Kultur verzerre. Das Diné Writers Collective beschreibt, dass mythologische Schöpfungsgeschichten, zeremonielle Lieder und die kulturellen Lehren nur deshalb weitergegeben werden konnten und überlebt haben, weil sie respektvoll von einer Generation in die andere gegeben wurden, ohne Elemente auszutauschen, wegzulassen oder dazuzuerfinden – ein Grundsatz der Navajo-Lehren. Es geht dabei nicht um historische Korrektheit, sondern um das blanke Überleben einer Kultur, die ansonsten einfach „überschrieben“ würde.
In der Kritik wurde geäußert, dass man Roanhorse’ Talent absolut anerkenne, dass es jedoch möglich gewesen wäre, die Geschichte von „Das erwachte Land“ zu erzählen, ohne Diné-Kosmologie für den eurozentrischen Blick auf Mythen zurechtzubiegen und heilige Navajo-Figuren, -Praktiken und -Erzählungen zu verfälschen.