Science Fiction

Science Fiction von Frauen #20: Rebecca Roanhorse

Science Fiction von Frauen #20: Rebecca Roanhorse
Judith Vogt, 13.05.2022
 

Weiter geht es mit unserer Kolumne über großartige Frauen in der Science-Fiction-Literatur. Heute im Porträt: Rebecca Roanhorse, Hugo- und Nebula-Gewinnerin, und Autorin von indigener Prä-Kolumbus-Fantasy, Indigenous Futurism und Star-Wars-Romanen.

Rebecca Roanhorse wurde 1971 als Rebecca Parish in Arkansas geboren und wuchs in Texas in einer weißen Adoptivfamilie auf. Sie selbst ist Schwarz und Native American und zog sich schon als Kind in einer vornehmlich weißen Umgebung in andere Welten zurück – besonders die Science-Fiction hatte es ihr als Lieblingseskapismus angetan. Mit einem Vater, der an der Universität unterrichtete, und einer Mutter, die Lehrerin an einer High School war, wurde sie außerdem früh dazu animiert, selbst zu schreiben. Lange Zeit, so rekapituliert Roanhorse, habe sie jedoch „Tolkien-Klone“ über weiße Bauernjungen geschrieben, weil sie glaubte, dass in der Fantasy wenig Platz für andere Perspektiven sei.

Doch Roanhorse veröffentliche diese Geschichten nicht: Sie studierte zunächst unter anderem in Yale Jura, spezialisierte sich auf „Federal Indian Law“, das die Beziehungen zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten und den amerikanischen Ureinwohner*innen regeln soll. Sie lebte in der Navajo Nation und arbeitete dort am Navajo Supreme Court. Mit ihrem Mann, der Navajo ist, und der gemeinsamen Tochter wohnt sie in New Mexico.

Auch in ihren fiktionalen Werken konzentriert sie sich nicht mehr auf Bauernjungen, sondern schreibt meist aus Native-American Perspektive. Das ist jedoch …

Nicht unumstritten

Ihre leibliche Mutter, die Schwarze und Ohkay Owingeh Pueblo-Vorfahren hat, jedoch kein Stammesmitglied ist, hat Roanhorse erst als Erwachsene kennengelernt. Auch bei den Navajo ist Roanhorse kein Stammesmitglied, obwohl sie in einem Jugendbuch, ihrer „Das erwachte Land“-Reihe und mehreren Kurzgeschichte eine Navajo- (auch Diné genannte) Perspektive einnimmt und für die „Indigenous Voices“-Comicreihe von Marvel schreibt. Sie ist mittlerweile die wohl einflussreichste Native-American Stimme in der Fantasy und Science-Fiction und setzt sich für die Dekolonisierung des Genres und fürs relativ neue Subgenre „Indigenous Futurism“ ein, das indigene Erzählungen in die Zukunft transportieren will – verwandt also mit dem Afrofuturismus und dem African Futurism.

Seit ihre Kurzgeschichte „Welcome to Your Authentic Indian Experience“ 2017 und 2018 Hugo- und Nebula-Award erhielt und für so ziemlich alle anderen großen Genrepreise nominiert wurde und sie selbst mit dem John W. Campbell Award als beste Newcomerin ausgezeichnet wurde, nahm ihre Karriere Fahrt auf – und auch ihre weiteren Werke wurden ausgezeichnet und teils sogar auf Deutsch übersetzt – wie der „Das erwachte Land“-Zweiteiler (zwei Teile sind bisher erschienen, vier sollen es insgesamt werden).

Dessen erster Band, „Jägerin des Sturms“, war ihr erster Roman – ein apokalyptischer Abenteuerroman in der nahen Zukunft, der in Dinétah angesiedelt ist, früher bekannt als Navajo-Reservat. Es spielt sicherlich für die nationale und internationale Anerkennung ihrer Bücher eine Rolle, dass Roanhorse eine Native-American Science-Fiction-Autorin ist, in einem Genre, in dem ohnehin so viele Identitäten hoffnungslos unterrepräsentiert sind. Viele Rezensionen loben sie für die Repräsentation von indigen-amerikanischer Kultur – zusammen mit ihrem packenden, einfallsreichen, gewitzten Schreibstil. „Jägerin des Sturms“ wurde 2019 mit dem Locus-Award ausgezeichnet und war für Nebula, Hugo und World Fantasy Award nominiert – eine ziemliche Leistung für einen Debütroman.

Doch gerade, wenn eine einzelne Stimme hervorgehoben wird, besteht die Gefahr, dass sie als die einzige und einzig nötige Repräsentation ihrer Perspektive wahrgenommen wird – eine klassische „Single Story“ also. So, wie weniger in der Science-Fiction belesene Menschen oft beim Thema „Frauen in der Science-Fiction“ auf Ursula K. Le Guin deuten, sagen: „Aber es gibt doch Le Guin, natürlich schreiben Frauen Science-Fiction!“ und dabei alle anderen Frauen, die vor, nach und zusammen mit Le Guin schrieben, unter den Tisch fallen lassen, besteht die Gefahr, dass auch Roanhorse zum Native-American Einzelfall stilisiert wird. Was angesichts ihres Hintergrunds in einer weißen Familie und mit einem Studium in Yale natürlich besonders tragisch ist: Roanhorse bringt Privilegien mit, die viele Native-American Autor*innen nicht besitzen – und der wenige Raum, den Verlage indigenen Stimmen einräumen (wenn überhaupt), wird somit von einer Autorin dominiert, von der sich viele kritische Stimmen nicht repräsentiert fühlen.

Einige Autor*innen, Aktivist*innen und Gelehrte der Diné und anderer indigen-amerikanischer Kulturen kritisieren, dass Roanhorse’ Blick vor allem in die Gebräuche und das Leben der Diné nicht tief genug gehe, dass sie mit ihrer Darstellung die Navajo-Kultur verzerre. Das Diné Writers Collective beschreibt, dass mythologische Schöpfungsgeschichten, zeremonielle Lieder und die kulturellen Lehren nur deshalb weitergegeben werden konnten und überlebt haben, weil sie respektvoll von einer Generation in die andere gegeben wurden, ohne Elemente auszutauschen, wegzulassen oder dazuzuerfinden – ein Grundsatz der Navajo-Lehren. Es geht dabei nicht um historische Korrektheit, sondern um das blanke Überleben einer Kultur, die ansonsten einfach „überschrieben“ würde.

In der Kritik wurde geäußert, dass man Roanhorse’ Talent absolut anerkenne, dass es jedoch möglich gewesen wäre, die Geschichte von „Das erwachte Land“ zu erzählen, ohne Diné-Kosmologie für den eurozentrischen Blick auf Mythen zurechtzubiegen und heilige Navajo-Figuren, -Praktiken und -Erzählungen zu verfälschen.

Reaktion auf die Kritik

Darauf in einem Reddit-Ask-Me-Anything angesprochen, sagte Roanhorse, dass sie um Akkuratesse und Respekt bemüht sei und gewisse Themen bewusst nicht antaste, weil sie glaube, dass es ihr nicht zustehe. Ihr Wunsch sei es gewesen, Themen amerikanisch-indigener Kultur in die Zukunft zu projizieren. Viele Geschichten über Native Americans steckten in der Vergangenheit, so Roanhorse – als Indigeneous Futurist will sie zeigen, dass indigene Kultur nicht von US-amerikanischer Kultur ausradiert wird, sondern mit und in Land und Leuten in die Zukunft überdauert und an Relevanz gewinnt. Auch Mental Health, Missbrauch und Trauma spielen eine Rolle in ihren Near-Future-Romanen, weil diese Themen aus den Leben amerikanischer Ureinwohner*innen und besonders indigen-amerikanischer Frauen kaum wegzudenken sind. Science-Fiction und Fantasy erlaube es Schreibenden, darüber auf eine Weise zu reden, die in anderen Genres oder in Sachtexten nicht möglich wäre. Sie wollte kulturelles und generationentiefes Trauma als „Superkraft“ erzählen – eine Überlebende zu sein, solle nicht zur bloßen Hintergrundgeschichte verkommen: Die komplizierten Verschränkungen von Trauma und dem Leben als amerikanische Ureinwohner*in ergeben eine weitere und vor allem von indigenen Leser*innen verstandene und wertgeschätzte Konstellation in einem Buch, das auf den ersten Blick ein apokalyptischer Abenteuerroman ist.

Für mich ist klar: Beides ist wahr – Roanhorse ist es nicht gelungen, Bücher über eine Diné-Protagonistin und über Diné-Land zu schreiben, die den nötigen Respekt vor den kulturell überlebenswichtigen narrativen Traditionen zeigt, und dennoch ist sie auch eine reflektierte Stimme, wenn es darum geht, unterdrückte und kolonisierte indigene Perspektiven in die reale und die fiktionale Zukunft zu bringen.

Vor langer Zeit und weit, weit entfernt

Der Auseinandersetzung mit der Kritik könnte auch die Entscheidung zugrunde liegen, ihre neue, 2020 gestartete Reihe in einer mesoamerikanischen Fantasywelt anzusiedeln. Der erste Band „Black Sun“ ist ein sogkräftiger Mix aus Intrigenplot, Seefahrtabenteuer und ans präkolumbianische Mexiko erinnernde Stadtkultur und wird im nächsten Jahr fortgesetzt.

Außerdem ist Rebecca Roanhorse seit 2019 Teil einer speziellen Gruppe US-amerikanischer SF-Autor*innen – nämlich derer, die einzelne Romantitel für „Star Wars“ schreiben. Unter den US-amerikanischen Autor*innen wird durchaus handfest diskutiert, wer wann unter welchen Umständen für Star Wars oder andere große Franchises schreibt und was die Vor- und Nachteile davon sind. Einer der Vorteile ist sicherlich: Auch bereits innerhalb des Genres bekannte Autor*innen wie beispielsweise Chuck Wendig oder Claudia Gray katapultieren sich mit Star-Wars-Romanen augenblicklich zu Weltruhm, besonders bei den Romanen, die in direktem Bezug zu den Filmen stehen. So schloss Chuck Wendig mit seiner „Nachspiel“-Trilogie einen Teil der Lücke zwischen „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ und „Das Erwachsen der Macht“, Claudia Gray widmete sich vor allem Leia im gleichnamigen Roman über Leias Kindheit und Jugend und in „Blutlinie“, einem Roman über Leia als Politikerin nach „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“. Gleichzeitig sind die Autor*innen mitunter das vulnerabelste Glied in der Kette und werden Opfer von Social-Media-Hass und Drohungen im generell heiß umkämpften Franchise.

Roanhorse hat letztlich aus dem Ausflug in den Star-Wars-Kosmos das Beste mitnehmen können: Ihr Name wurde auf einen Schlag bekannter, und sie in zahlreiche Sprachen übersetzt (wenn auch nicht auf Deutsch). „Resistance Reborn“, das in der Woche vor dem Kinostart von „Der Aufstieg Skywalkers“ erschien, führt eine heißgeliebte alte Figur in die „Sequel-Ära“ ein (Wedge Antilles) und füllt für die anderen Figuren die Lücke zwischen Episode 8 und 9. Dabei kann man kritisieren, dass Roanhorse beim Schreiben natürlich „Der Aufstieg Skywalkers“ nicht kennen durfte und daher nicht weiß, worauf sie hinschreibt, was man dem Roman anmerkt – aber das ist eher eine Kritik an der generellen Veröffentlichungs- und Planungspolitik des Franchises als an der Autorin. Auch die oben erwähnte Kritik der kulturellen Aneignung in ihren früheren Büchern wurde von Fanboys hämisch aufgegriffen und instrumentalisiert, als Argument dafür, dass die „Social Justice Warriors“, die Star Wars nun angeblich dominieren, selbst nicht besser sind als das, was sie kritisieren.

Roanhorse blieben jedoch, vermutlich durch ihren relativ späten Besuch in der Star-Wars-Galaxis, Hasskampagnen wie die gegen Wendig erspart, dessen Bücher letztlich die Alter-Kanon-versus-Neuer-Kanon-Phase eröffneten.

Doch noch einmal zurück zu Indigenous Futurism

– damit der Begriff nicht in der Kritik an Roanhorse untergeht: Er stammt ursprünglich von Grace Dillon, die die Anthologie „Walking the Clouds: An Anthology of Indigenous Speculative Fiction“ herausgab. Ähnlich dem Afrofuturismus zeigt Indigenous Futurism Geschichten und Settings mit indigenen Menschen im Zentrum, und – besonders wichtig – Geschichten, in denen es indigenen Menschen gut geht. Ein Ansatz, der auch Parallelen zum queeren Storytelling hat und generell den Herangehensweisen marginalisierter Perspektiven an Geschichten und speziell Genre-Geschichten ähnelt.

Roanhorse beschreibt es für ihre eigenen Werke auf folgende Weise: „Ich denke, für mich funktioniert Indigenous Futurism in zweierlei Hinsicht: Zum einen können es Kunst oder Geschichten sein, die die kolonisierte Erfahrung thematisieren. Sie befinden sich also im Spannungsfeld zwischen Kolonisierung, Genozid, der Geschichte von Landraub und all den anderen Dingen, die indigenen Völkern in den Amerikas zugefügt wurden, und auch in anderen Gebieten, wenn wir international von indigenen Menschen sprechen. Aber was mich daran am meisten begeistert, ist, dass wir indigene Geschichten in den Mittelpunkt stellen können.“ Dazu müssen sich indigene Erzählende tatsächlich nicht in einem konstanten Dialog mit Mainstream-Geschichte oder weißen Siedlungsstories befinden, sondern können ihre eigenen Geschichten erzählen, können sich selbst und ihren kulturellen Hintergrund in die Zukunft projizieren und dabei auch über die Vergangenheit reden. „Wir können der Vergangenheit aus unserer Perspektive heraus einen neuen Rahmen geben“, so Roanhorse, „und Geschichten auf neue Weise, mit neuen Werten und Sichtweisen erzählen. Mit Futurism meinen wir also nicht immer die Zukunft. […] Es gibt die Idee, dass Zeit fließt, und indem wir Geschichten zurückerobern und neuerzählen, rücken wir sie für zukünftige Perspektiven in ein neues Licht.“

Die Science Fiction und Fantasy habe darin versagt, indigene Menschen über das Jahr 1900 hinaus mitzudenken – niemand projiziere sie ins Jahr 2000 und erst recht nicht ins Jahr 2100. „Indigenous Futurism stellt sicher, dass wir in der Zukunft existieren – und dass unsere Kultur existiert.“

Judith Vogt

Judith Vogt, aufgewachsen in einem Hundert-Seelen-Dorf in der Nordeifel und gelernte Buchhändlerin, steht seit 2010 als Schriftstellerin am anderen Ende der Buchnahrungskette. Sie lebt in Aachen und schreibt Romane, Rollenspiele, journalistische Artikel und Übersetzungen in ihrem Lieblingsgenre Phantastik und SF.

www.jcvogt.de