BUCH
Judith Vogt, 25.03.2022
Weiter geht es mit unserer Kolumne über großartige Frauen in der Science-Fiction-Literatur. Heute im Porträt: Lois McMaster Bujold, die in über zwanzig Sprachen übersetzt wurde und mit vier Hugo-Auszeichnungen den Rekord von Robert Heinlein brach.
Lois Joy McMaster Bujold, die 1949 in Ohio geboren wurde, interessierte sich als Tochter eines Science-Fiction-begeisterten Vaters, der Professor für Ingenieurswissenschaften war, schon früh fürs Genre. Als Mädchen tauchte sie in den Sechzigern ins „Goldene Zeitalter“ der Science-Fiction ab, ohne zunächst überhaupt zu bemerken, dass SF als „Jungsding“ wahrgenommen wurde. Als Teenager abonnierte sie das „Analog Magazine“ und las „Dune“ schon in der ersten Variante als Fortsetzungsroman – sie schrieb auch bereits selbst, hörte aber laut eigener Aussage aus „mehreren Gründen“ damit auf. Im Fandom lernte sie ihren Mann John Fredric Bujold kennen, mit dem sie zwei Kinder hat und von dem sie mittlerweile geschieden ist. In den Siebzigern verließ sie jedoch die Begeisterung für Science-Fiction: Der „New Wave“ konnte sie wenig abgewinnen. Ein Jahrzehnt lang las sie alles außer Science-Fiction. „Indirekt“, so McMaster Bujold, „hat mir das vielleicht geholfen, die Grenzen des SF-Genres weiter genug auszudehnen, dass auch meine eigentümlichen Geschichten bequem hineinpassten, als ich zum Genre zurückkehrte.“
Das Universum im Kopf
Einer der Gründe, aus denen sie wieder mit dem Schreiben begann, war, dass sie Geld verdienen wollte – und dabei kehrte sie instinktiv wieder zu der Art und Weise zurück, mit der die Geschichten des „Golden Age“ erzählt worden waren: „Ich schrieb meine ersten drei Romane ziemlich isoliert von den Genre-Einflüssen dieser Zeit. Ich steckte in einer Kleinstadt fest, mit zwei kleinen Kindern und wenig Geld, eigentlich war ich einfach isoliert von allem. Doch in meinem Kopf fand ich ein ganzes Universum.“ Sie hatte noch nie zuvor an einem Roman gearbeitet und brachte sich letztlich alles selbst bei. Sie schrieb drei Romane in Folge, ohne den ersten verkauft zu haben und entwickelte dabei ihre Fähigkeiten weiter.
Ihre erste Veröffentlichung war die Erzählung „Barter“ für Rod Serlings „Twilight Zone Magazine“ 1985, die 1988 als neunzehnte Episode der Serie „Tales from the Darkside“ verfilmt wurde. Doch es gelang ihr, auch die anderen beiden bereits fertiggestellten Erzählungen an einen Verlag zu verkaufen.
Ein ungewöhnlicher Held für alle Fälle
Schon 1986 – in ihrem zweiten Roman – erblickte Miles Naismith Vorkosigan das Licht der Space-Opera-Sonne. Um ihn kreisen nicht nur viele Romane von McMaster Bujold, sondern gleich mehrere über die Spanne mehrerer Jahrzehnte verfasste Zyklen, die auch teils Familienmitglieder, Freund*innen und Feind*innen Vorkosigans in den Mittelpunkt stellen.
Die Vorkosigan Saga spielt ein Jahrtausend in der Zukunft in durch Wurmlöcher verbundenen Galaxien – darin überschneiden sich humorvolle Space Opera und Military SF vor der Kulisse von Schlachten und Intrigen. Zunächst, so McMaster Bujold, sei sie nervös gewesen, mit den Labels „Space Opera“ und „Military Fantasy“ bedacht zu werden. Die Space Opera war zu dieser Zeit gerade dabei, ihr Image zu verändern, doch sie kannte den Begriff noch mit seiner alten Bedeutung: Als Abwertung von unterhaltender, seichter Science-Fiction; die Pulp-Fiction der 1940er Jahre. Dass sie zu den Schreibenden gehörte, die die Space Opera in den Siebzigern und Achtzigern zu neuen Höhen und literarischer Akzeptanz führten, geschah eher unbeabsichtigt.
„Dass meine figurengetriebenen Romane von Baen Books als Military SF verkauft wurden, war vielleicht ein Glücksgriff für mich“, schreibt McMaster Bujold über den anderen Begriff, der ihr übergestülpt wurde. „So flogen sie unter dem Radar der Genre-Erwartungen. Als die Leute bemerkten, dass nichts darin so war, wie es schien, hatte ich mir bereits ein Lesepublikum erobert, das mich seither unterstützt.“
Denn Miles Vorkosigan ist ein ungewöhnlicher Held für Military Science-Fiction: Er ist kleinwüchsig und hat eine Knochenkrankheit. In einem Doppelleben als Soldat und Spion der Flotte seines Heimatplaneten und Söldner-Anführer wider Willen muss er sich vor allem mit Witz und Mut und oft einer sanften Menschlichkeit behaupten, die in der Military SF sonst mit der Lupe gesucht werden muss. Möglich, dass McMaster Bujold damit George Martins Tyrion Lannister inspiriert hat.
Sie bezeichnet Miles als „Counter-Hero“, also „Gegenheld“ – nicht als Antiheld, was eine eigene Bedeutung hat, sondern als Gegenentwurf zu und Kritik an den üblichen Helden des Genres und anderer männlich geprägter Abenteuergenres wie beispielsweise der James-Bond-Reihe.
„Nimm irgendein heldenhaftes Attribut, und Miles wird genau das Gegenteil sein. Groß, mit Superheldenkinn, stark, gutaussehend? Nein. Versuch es mal mit klein, mit brüchigen Knochen und seltsamem Äußerem. Eine tragische Waise, ein Einzelgänger, frei von den hemmenden Verpflichtungen einer Familie? Nichts da. Miles hat eine ganze Menge lebender Verwandten, die ständig aufkreuzen und ihm das Leben schwermachen. Jemand, der die Frauen wechselt wie die Unterhosen? Auf keinen Fall. Miles alte Flammen sind meist nicht weit, sie sind noch am Leben und beharren darauf, sie selbst zu sein.“ Wie man an diesem Zitat bereits liest, hatte McMaster Bujold sehr viel Freude mit Miles. Es interessierte sie, wie sich ein Mann mit körperlicher Mehrfachbehinderung in einer militaristischen Gesellschaft behauptet, in den sie ihn bereits ganz am Anfang ihrer Karriere bugsierte.
McMaster Bujold hatte einige Jahre in einer Krankenhausapotheke gearbeitet, und Miles entstand mitsamt seiner Eigenheiten aus den Beobachtungen von Patient*innen.