Judith Madera, 15.11.2020
Künstliche Intelligenz gehört zu den nachgerade klassischen Themen der Science Fiction. Andererseits droht die Wirklichkeit einmal mehr, auch hier die Fiktion einzuholen. In den letzten zwei Jahren sind einige spannende SF-Bücher erschienen, die sich mit KI auseinandersetzen, ihre Möglichkeiten und Grenzen ausloten und sich mit ihrer potenziellen Lebendigkeit beschäftigen. Fünf davon wollen wir Euch in diesem Artikel vorstellen.
Seit Jahren steigt das Interesse an künstlicher Intelligenz, die als die große technische Revolution des 21. Jahrhunderts gilt. Doch während die Forschung noch mit Automatisierungsprozessen und maschinellem Lernen beschäftigt ist, haben Science-Fiction-Autor*innen bereits im letzten Jahrhundert Szenarien mit intelligenten Maschinen entworfen. So formulierte Isaac Asimov 1942 seine Robotergesetze und dachte wie viele seiner Kolleg*innen bereits weit über den heutigen Stand der Entwicklung hinaus. Wo liegen die Chancen und Gefahren von KI? Kann eine Maschine, die lernt und sich selbst optimiert, ein Bewusstsein entwickeln? Und was bedeutet das für unseren Umgang mit ihr?
Quantenträume | Hrsg. von Jing Bartz und Shi Zhanjun
In der Anthologie Quantenträume schreiben chinesische Autor*innen aus fünf Generationen über das Wesen künstlicher Intelligenz, ihre Fähigkeit zu denken und zu fühlen und über ihr Verhältnis zum Menschen, der nur selten menschlich mit ihr umgeht. Neben einigen herausragenden finden sich viele gute Geschichten, die unterhalten und nachdenklich stimmen und vor allem höchst unterschiedlich sind. So gibt es hier beispielsweise eine KI in einer Fußwanne, deren rechtlicher Status geklärt werden muss, KIs, die sich verlieben oder mit Hackern anlegen, Roboter, die auf einem Uranusmond ein Hotel renovieren und dabei Kurioses ersinnen oder in einer apokalyptischen Welt daran scheitern, die Menschen vor sich selbst zu retten. So manche KI sucht gar nach einem Glauben und Erleuchtung im Buddhismus, während andere mit Menschen zu Hybridwesen verschmelzen. Der Blick der oftmals aus der Wissenschaft stammenden Autor*innen auf das Thema KI ist tendenziell positiv, während Kritik an Mensch und Gesellschaft geübt wird.
Agency | William Gibson
Agency ist der zweite Band der Jackpot-Trilogie, den man auch ohne Vorkenntnisse lesen kann. Erhöhte Aufmerksamkeit vorausgesetzt. William Gibson schreibt schnell und präzise, streut wichtige Details geradezu beiläufig ein und gibt der Leserschaft das Gefühl, mitten im Geschehen zu sein. App-Flüsterin Verity erhält die Chance, ein brandneues Produkt zu testen, und ist überrascht, wie hochentwickelt die künstliche Intelligenz ist, mit der sie via Datenbrille und Headset kommuniziert. KI Eunice ist ein Multitasking-Genie und mit ihren derben Flüchen irritierend menschlich. Sie übernimmt schnell die Führung und baut mit Hilfe ihrer Ableger ein Netzwerk auf, dessen Ziel es unter anderem ist, Verity Schutz zu bieten. Denn die steckt nun knietief in der Scheiße, da Eunice an ihrer Autonomie arbeitet. Und dann mischen sich auch noch Leute aus der Zukunft ein.
Agency ist ein rasanter Trip durch zwei Zeitebenen und liest sich teilweise wie eine sehr moderne Version von Neuromancer, wobei die KI hier menschlicher und schlagfertiger ist und die Menschen nicht benutzt, sondern ihnen helfen und mit ihnen zusammenarbeiten will. Man könnte Agency sogar einen Hauch von Utopie unterstellen.
Tagebuch eines Killerbots | Martha Wells
Unter dem Titel Tagebuch eines Killerbots sind kürzlich die mehrfach ausgezeichneten Murderbot Diaries von Martha Wells als Sammelband erschienen. In ferner Zukunft bestimmen interstellare Megakonzerne mit Hilfe seelenloser Kampfroboter das Schicksal der Menschheit. Einer dieser Bots hackt sich selbst, entwickelt ein Bewusstsein und beginnt, über sich und seinen Platz im Universum nachzudenken – und Fernsehserien zu schauen. In den vier Kurzromanen versucht Killerbot, wie die geschlechtslose SecUnit sich selbst nennt, düstere Geheimnisse der Vergangenheit zu ergründen, und schließt unter anderem Freundschaft mit einer gelangweilten Schiffs-KI und einem Spielzeugbot.
Wells widmet sich in ihren Murderbot Diaries weniger den technischen Aspekten als vielmehr der Frage, wie die Persönlichkeitsentwicklung einer Maschine aussieht. Killerbot erscheint der Leserschaft als eigenständiges, lebendiges Wesen, das Probleme mit sich selbst und seiner Umwelt hat. Denn Killerbot ist schüchtern, fühlt sich in der Nähe von Menschen unwohl und will auf keinen Fall so werden wie diese fehlerhaften Organischen. Unter seinem kalten, bedrohlichen Äußeren verbirgt sich ein sensibler und humorvoller Charakter, der nach Unabhängigkeit strebt.