Science Fiction

Eine nostalgische Reise in die Spielhallen der 80er und 90er Jahre

Eine nostalgische Reise in die Spielhallen der 80er und 90er Jahre

Thilo Nemitz, 26.09.2016

Ich erinnere mich noch sehr lebhaft an dieses freudige Kribbeln in der Magengegend, immer wenn ich diese wunderbare Welt aus Pixelträumen betrat. Die flimmernden Monitore, jeder einzelne ein Deus Ex Machina-Portal in eine andere Welt, die Geräuschkulisse aus sich überlagernden Musikstücken, gelegentlich gewürzt vom metallischen Scheppern und Läuten der Flipper, und der Geruch von Popcorn, Schweiß und Abenteuerlust waren in jungen Jahren eine Art Cyber-Locus Amoenus für mich. 

Ich spreche natürlich von der Spielhalle, im englischen Sprachraum damals auch (Amusement-) Arcade genannt, die für mich halblegaler Abenteuerspielplatz, Rückzugsort vor dem Alltag und Kleingeldvernichtungsmaschine der besten Art war.

Doch um das gleich klar zu stellen: Ich rede hier nicht von Casinos oder anderen Spielstätten, in denen Träume durch Glücksspiel eher zerstört als realisiert wurden. Die Spielhallen, von denen ich hier schreiben möchte, erfuhren ihre Genese einst durch die legendären Space Invaders und wurden durch immer bessere Videospiele schnell zu Orten, die nicht nur Kinderherzen höher schlagen ließen. In den 70er und 80er Jahren, der „golden age of video arcade games“, dominierten Namco, Sega, Atari, Taito und Nintendo die Spielhallen mit ihren ersten Videospielen. Natürlich gab es da, analog zur Videothek – dem zweiten Locus Amoenus meiner Kindheit – einen abgesperrten Bereich, vor dem sich verirrende Kinderfüße aufgefangen und umgeleitet wurden. Was in der Videothek die Pornoabteilung war, wurde in der Spielhalle durch die gleichermaßen verrucht wirkende Ecke mit den reinen Geldspielautomaten gebildet. Doch einarmige Banditen und andere süchtig-machende Münzschluckmonster haben keinen Platz in diesem Artikel, in dem ich wehmütig zu Donkey Kong, Asteroids und später auch aufwändigeren Videospielen zurückblicken möchte. 

Spieleautomat
godorb13/flirckr

Doch obwohl sich das goldene Zeitalter der Videospiele noch nicht mal ein ganzes Jahrzehnt seiner Blüte erfreuen konnte, fiel es mit meinem kindlichen Videospiel-Erstkontakt zusammen. Die Automaten mit ihren fantastischen Aufdrucken, dem Joystick und den Knöpfen, auf die man so schön einhämmern konnte, und die meist schräg angebrachten Monitore, auf denen schon das Kleingeld für die nächsten Spielrunden wartete, hatten für mich immer etwas Magisches. Besonders weil in Hinsicht auf Grafik und allgemeine Qualität der Spiele in heimischen Wohnzimmern damals noch nichts Vergleichbares zu finden war.

Zwar hatten viele von uns einen C64, alias den „Brotkasten“, oder einen ersten Sega oder Nintendo zu Hause, doch die Spielhalle war regelmäßiger Auslöser von Kulturschocks. 

Der Rocket Escalator im Trocadero, Piccadilly Circus
Der Rocket Escalator im Trocadero, Piccadilly Circus. / © Daniel Rogerson

Vom Hinterhof-Automaten bis nach Sega World

Bei mir fing alles in irgendeinem Spanienurlaub ganz unschuldig und grafisch unspektakulär an. Ich erinnere mich noch, wie ich draußen an unserem Hotel meinen ersten Videospielautomaten entdeckte und dann für den Rest des Urlaubs kaum noch von diesem zu lösen war. Mit beinahe fanatischer Inbrunst steuerte ich bei Happy Hacker ein Männlein mit Spitzhacke über ein monsterverseuchtes Leitern-Konstrukt, während mein Vater im Hintergrund von einer als Indianer verkleideten Truppe von Animateuren samt seines Liegestuhls in den Pool geschmissen wurde. Good times!

Zu Schulzeiten trafen wir uns eine Zeitlang regelmäßig in der Spielhalle, um beim Rennspiel Daytona USA zu konkurrieren, zu fluchen und zu lachen, während Mama zu Hause verzweifelt mit dem Mittagessen wartete. Die Kabinen mit ihren Lenkrädern, Schaltknüppeln und Surround-Boxen waren der brennende Asphalt-gewordene Traum von uns führerscheinlosen Pappnasen. Ich möchte nicht wissen, wie viele Quarter (bzw. das deutsche Äquivalent) ich in diesem Automaten versenkt habe.

Und dann erwartete mich bei einer Schulreise nach England im London Trocadero mein vorläufig heftigster Kulturschock namens Mortal Kombat. Das hatte einfach alles, wonach sich ein Junge im zarten Alter sehnte: Karate-Action mit Ninjas, abgerissene Köpfe und Digi-Fighter, die das alles auch noch verdammt realistisch aussehen ließen. "FINISH HIM!", schallte es durch die Halle, als sich mein jüngeres „Ich“ wie vom Blitz getroffen herumdrehte und den Holz- und Elektronik-gewordenen Gewalt-Traum in Augenschein nahm. Die Kämpfer dieses Beat 'em ups bewegten sich durch das neue Motion Capture-Verfahren derartig realistisch, dass wir witzelten, was wir eintauschen würden, um diesen Automaten mit nach Hause nehmen zu können. Ich weiß noch, dass ich besinnungslos von köstlicher Gewalt und martialischer Action irgendwann Familienmitglieder angeboten habe. Naja, ich war jung und der Kulturschock saß tief… und das damals konkurrierende Street Fighter II Turbo sah SO albern dagegen aus.

Überhaupt schienen wir im Trocadero auf der Coventry Street am Ziel all unserer jugendlichen Computerspielträume angekommen zu sein. Nachdem wir über den damals berühmten „Rocket Escalator“ nach Sega World transportiert worden waren, drehten wir uns mit Schaum vor dem Mund im Kreis wie betrunkene Frettchen auf einem Drehstuhl. Hier gab es Kampfjet-Simulationen in sich überschlagenden Kabinen, Daytona USA für 8 Leute, Terminator- oder Zombie-Spiele mit Lightgun und so vieles mehr. Insgeheim wünschte ich mir in einer Art Endzeit-Szenario angekommen zu sein, in dem Jugendliche, Herr der Fliegen-Style, autark in einem riesigen Vergnügungspark lebten, zu dem Erwachsene mit ihrem Alltags-Quatsch keinen Zutritt hatten.

Leider war der Trocadero immer ein Sorgenkind seiner Betreiber. Sega World konnte dem Ansturm seiner Besucher nie wirklich Herr werden und wurde irgendwann zu einem neuen „Funland“ abgespeckt. Doch wegen eines Streits mit dem Vermieter wurde auch dieses 2011 endgültig geschlossen und die restlichen Automaten verkauft. Eine Träne der Nostalgie rollt gerade über meine Wange. Doch letztlich war es natürlich nur eine Frage der Zeit, bis das Home Entertainment mit seinen leistungsstarken PCs und „Next Generation“-Konsolen den Spielhallen den letzten Todesstoß versetzen würde.

Wer dieser Tage noch einmal das gute alte Spielhallen-Flair atmen möchte, kann immerhin noch nach Japan fliegen. Dort hatten und haben die „Arcades“ einen ganz anderen Stellenwert in der Gesellschaft und rangieren in der Freizeitgestaltung auf einer Höhe mit Theater oder Kino. Auch heute noch treffen sich manchmal ganze Familien, um sich mit interaktiven Videospiel-Automaten, Tanzmatten wie Dance Dance Revolution oder sogenannten Karaoke-Kabinen zu vergnügen. Allerdings wird das eigentliche Spielen an den Automaten ohne japanische Zeichenkenntnisse sicher schnell zur frustrierenden Herausforderung. Doch gerade in Tokio, das für seine Spielhallen bekannt ist, dürfen sich Besucher dafür über hierzulande völlig unbekannte Attraktionen wundern, wie Make-Up Spielautomaten für Mädchen, blinkende und dröhnende Pachinko-Spielhallen oder mystische 4D-Spielautomaten.

 

Die Spielhalle von heute und in Zukunft

Heute träume ich davon mir einen authentischen Spielhallen-Automaten in mein Büro zu stellen. Das eingebaute Spiel wäre dabei fast egal, nur authentisch und schick müsste das Holzgestell sein und über einen waschechten Münzschacht verfügen. Ein echter Flipper wäre auch nicht zu verachten. Ich glaube, diese Nostalgie erwischt jede Generation und wäre bei meinen Eltern vielleicht dem Wunsch nach einer alten Jukebox gleichgekommen.

Ansonsten bleibt mir nur der sehnsüchtige Blick in die Vergangenheit, in der mir meine romantisierte Sicht der Dinge das Zeitalter von Spielhallen, Videotheken und Ahoi-Brause so fluffig malt wie ein rosa Plüsch-Einhorn. Doch trotz meiner Kleingeld-Investition in Millionenhöhe (mindestens!), bin ich nie wie Alex Rogan in The Last Starfighter (1984) von einem Außerirdischen rekrutiert worden, um meine Computerspiel-Fähigkeiten im Kampf um die Galaxis einzusetzen.

Aber das ist bei der Menge an digitalen Welten, die ich bereits gerettet habe, auch gar nicht nötig. Ich meine, WIR ALLE haben – sofern wir uns zur Rasse der „Gamer“ zählen – in Spielhallen, zu Hause am Rechner oder sogar auf unseren Handys, schon unzählige Quests erledigt, Artefakte geborgen und Königreiche gerettet. Diesen Drang auszuleben ist Teil der menschlichen Natur und wird auch in Zukunft durch unsere Abenteuerlust beflügelt werden.

Nur dass die Spielhalle von einst dieser Tage bei jedem zu Hause zu finden ist oder in Form von tragbaren Devices sogar in die Hosentasche passt. Bald werden wir zudem Virtual Reality-Helme auf unseren Kopf setzen und so tun, als stünden wir in einer Spielhalle der 80er. Und eines Tages dann wird unser Gehirn selbst eine Spielhalle unendlicher Möglichkeiten sein. Wir nähern uns dieser Realität bereits mit Lichtgeschwindigkeit, also schnallt euch an:

Thilo Nemitz

Thilos irdische Form wurde das erste Mal 1976 in der Matrix erzeugt. Er ist pädagogisch wertvoll mit Masters of the Universe, Star Wars und Ninja-Filmen aufgewachsen. Sein „Erwachsenwerden“ hat er in den Folgejahren weiter rausgezögert mit dem Besitz von beinahe jeder Spielkonsole, dem stundenlangen Tauschen von Magic-Karten und dem genussvollen Verzweifeln über Point & Click-Abenteuern wie Monkey Island. Den Umgang mit Menschen lernte er auf den letzten Drücker durch Dungeons & Dragons. Als großer Liebhaber von englischer Literatur, wie dem Herrn der Ringe oder Mary Shelly’s Frankenstein, hat er Anglistik, mit den Nebenfächern Germanistik und Philosophie, auf Magister studiert und als Beweis seiner Leidensfähigkeit auch abgeschlossen. Heute bezeichnet er sich selbst als Realitätsflüchter, Romantiker, Rollenspieler, Gamer, Fantasy-Nerd, Kneipenphilosoph und hochstufiger Spinner. Sein Geld verdient er im Online Marketing, doch sein Herz gehört der Popkultur. Deshalb schreibt er gerne für das Magazin Geek!, verschiedene andere Webseiten und natürlich seinen Blog nerd-wiki.de.