Science Fiction

Die Science Fiction-Literatur der DDR. Ein Überblick

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ESSAY

 

Erik Simon, 10.08.2019

Wie stand es eigentlich um die Science-Fiction-Literatur in der DDR? Wie viele Autoren gab es, und wie frei waren diese, phantastisch-literarische Gedankenexperimente aufs Papier und unter das Volk zu bringen? Ein Überblick von Erik Simon.

(Dieser Text erschien zuerst in der "Neuen Rundschau 1/2019: Jenseits von Raum und Zeit", erhältlich beim Fischer Verlag.)

Dieser Artikel unternimmt es, auf knappestem Raum einen Abriss der gesamten Science Fiction von DDR-Autoren zu geben. Nicht, dass die DDR-SF abrissreif wäre – dieses Stadium hat sie schon hinter sich; die einschlägigen Editionen der DDR sind nunmehr ein abgeschlossenes Sammelgebiet, was die betreffenden Sammler vielleicht doch mit weniger Befriedigung registrieren als die Philatelisten und Numismatiker; denn zum Sammler von SF wurde man in der DDR in aller Regel als begeisterter Leser, angespornt vom permanenten Mangel an dieser Art Literatur – Erstauflagen von fünfzehn- bis fünfzigtausend Exemplaren waren meist nach ein, zwei Wochen ausverkauft.

In der DDR sind von 1949 bis 1990 insgesamt ziemlich genau 500 SF-Buchtitel erschienen, davon die knappe Hälfte von einheimischen Autoren. Ein SF-Periodikum wurde erst 1990 gegründet; auch allgemeine Zeitschriften druckten selten Science Fiction. Eine Besonderheit waren primär an jugendliche Leser adressierte Heftreihen. Sie waren nicht auf SF spezialisiert, aber z. B. »Das neue Abenteuer« (32 A5-Seiten pro Heft) brachte immerhin 45 SF-Erzählungen von DDR-Autoren. Die vorherrschende Form der DDR-SF war jedoch bis Mitte der siebziger Jahre der Roman.

Die ersten Jahre der DDR-Science Fiction bieten zu wenig Bücher, als dass von Strömungen und Trends die Rede sein könnte. Wie auch Hefterzählungen zeigen, dominierte aber eine technisch orientierte »Ingenieurs-SF«; sporadisch tauchte bereits das Raumfahrt-Thema auf. Deutlich ist der stilistische und thematische Einfluss von Hans Dominik (der in den 20er und 30er Jahren das Bild der deutschen SF geprägt hatte, nicht nationalsozialistisch, aber durchaus NS-kompatibel); der Kalte Krieg manifestiert sich im Auftreten westlicher Spione und Agenten. Von diesen wird oft auch die Handlung vorangetrieben, daneben findet man die aus dem »realistischen« sozialistischen Produktionsroman bekannten Probleme, die aus dem Kampf um die Planerfüllung und aus unzureichend fortschrittlichen Lebensentwürfen erwachsen. Ludwig Tureks Roman Die goldene Kugel (1949), wo Außerirdische eine proletarische Revolution in den USA fördern, steht isoliert.

Mitte der fünfziger Jahre formierte sich die Autorengeneration der fünfziger/sechziger Jahre, die ersten SF-Spezialisten der DDR mit einem mehrbändigen Œuvre: H. L. Fahlberg (Hans Werner Fricke), Heinz Vieweg, Günther Krupkat, Eberhard del’Antonio und Lothar Weise. Thematisch kamen sie von der Ingenieurs-SF und wandten sich rasch dem Abenteuer Raumfahrt zu, wo der technische Aspekt zunächst noch viel Raum einnahm.

Ende der fünfziger Jahre begann sich die Raumfahrt-SF von der Technik-Vorführung zu lösen; das Motiv der Begegnung mit Außerirdischen und mit ihm der interplanetare Revolutionsexport traten in den Vordergrund, so in del’Antonios Titanus (1959), in Der Mann aus dem anderen Jahrtausend (1961) von Richard Groß und in Weises Das Geheimnis des Transpluto (1962). Neu hinzukommende Autoren wie Horst Müller und Carlos Rasch – immer noch derselben Generation zuzurechnen – begannen meist gleich mit der Weltraumthematik; Krupkat (Als die Götter starben) und Rasch (Der blaue Planet) führten 1963 Besuche Außerirdischer auf der Erde der Vergangenheit in die DDR-SF ein. (Das Thema war in der internationalen SF bekannt, lange bevor von Däniken sich seiner bemächtigte.) Erst aus heutiger Sicht fällt bei Groß (Der Mann ...) und H. Müller (Kurs Ganymed, 1962) eine Kritik am Überwachungsstaat auf.

Neben der Weltraum-SF fand die ältere Ingenieurs-SF eine Fortsetzung in (meist schwächeren) Romanen über technisch-industrielle Großprojekte auf der Erde, so in del’Antonios Projekt Sahara (1962)und Raschs Im Schatten der Tiefsee (1965). Beide Themenbereiche wurden oft von denselben Autoren bearbeitet, aber nur selten (Weise, Unternehmen Marsgibberellin, 1964) im selben Buch.

Mitte der sechziger Jahre begann die Raumfahrt-Thematik, sich literarisch zu diversifizieren und zu vertiefen, wobei die bisherigen Handlungsmotive zunächst meist weitergeführt wurden. Die Autoren versuchten, den psychologischen Implikationen der Standardsituationen, also auch der Charaktergestaltung, und den gesellschaftlichen Verhältnissen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. In Die andere Welt (1966) behandelte Herbert Ziergiebel die Situation der ohne Hoffnung auf Rettung in einem havarierten Raumschiff Eingeschlossenen nicht als heldenmütig zu meisternde Bewährungssituation, sondern als menschliches Drama; mit Die Stimme der Unendlichkeit setzte Hubert Horstmann 1965 einen vorläufigen Schlusspunkt hinter das Thema der »interplanetaren Revolution« und bewahrte wenigstens eine Spur der poetisch-melancholischen Atmosphäre aus dem sozialistischen Prototyp des Themas, Alexej Tolstois Aelita.

E. del’Antonio ließ in Heimkehr der Vorfahren (1966) seine Raumexpedition aus Titanus auf eine kommunistische Erde zurückkehren und entwarf damit die auf Jahre einzige Gesellschaftsutopie in der DDR-Science-Fiction ; die freilich an der für Idealgesellschaften typischen Konfliktarmut leidet – die Handlung wird fast nur von Missverständnissen angetrieben. Einzelne utopische Elemente findet man etwa bei Curt Letsche (Verleumdung eines Sterns, 1968) oder – schon deutlich später (ab 1974) und in satirischem Kontext – bei Wolfgang Kellner, aber erst in den achtziger Jahren wurden in der DDR-SF wieder komplexe Gesellschaftsmodelle entworfen.

In der Schlussphase der raumfahrtdominierten Epoche der DDR-SF Ende der sechziger Jahre kamen die traditionellen Motive und Sujets zum Höhepunkt und Abschluss, gleichzeitig entwickelten sich aus ihnen heraus Trends, die weit in die siebziger und achtziger Jahre hinein wirkten. Mit Krupkats Nabou (1968) brachte die Autorengeneration, die die fünfziger und sechziger Jahre geprägt hat, die wohl beste Leistung dieser Epoche hervor, einen Roman mit Science-Fiction-Abenteuern, detektivistischen Elementen und so genau gezeichneten Charakteren, dass die Beobachtung ihrer Verhaltensweisen und Motive schließlich glaubhaft zur Enttarnung eines (wohlwollenden) außerirdischen Beobachters führt. Ziergiebels Zeit der Sternschnuppen (1972) wies voraus auf den spielerischen Umgang mit Science-Fiction-Standards, die ethische Fragestellung und die originellen Charaktere bei den Brauns.

In Karl-Heinz Tuschels Ein Stern fliegt vorbei (1967) und Sieben fielen vom Himmel (1969) von Alexander Kröger (Helmut Routschek) konstituierte sich eine stärker handlungsorientierte Abenteuer-SF mit einem neuen, sich im Laufe der siebziger Jahre weiter komplettierenden Autorenstamm. Die Autoren debütierten zumeist mit Romanen aus dem Bereich der Weltraum-Science-Fiction und erschlossen sich später weitere Themenkreise. Schon an den frühen Romanen fällt die selbstverständlichere Handhabung von Motiven wie Raumfahrt und Außerirdische auf; der Weltraum wurde vom Gegenstand der Romane zum Schauplatz, und die galaktischen Dimensionen gerieten verbal immer weiträumiger, so in Klaus Frühaufs Erstling Mutanten auf [sic!] Andromeda (1974). Die für die Handlung völlig irrelevante Ansiedlung dieses Romans in einer Millionen von Lichtjahren entfernten Galaxis wurde von vielen Lesern als besondere Leistung des Autors empfunden; das weist auf einen weiteren Grund für die Beliebtheit des Genres in der DDR hin, obwohl (oder eben weil) in jeder praktischen Hinsicht der Andromedanebel ebenso weit entfernt war wie der Mond oder Hannover.

Das Gros dieser Romane erschien zunächst in Buchreihen für ältere Jugendliche und junge Erwachsene; Originalität und literarischer Anspruch hielten sich in Grenzen. Etliche dieser Autoren, insbesondere in der Buchreihe »Spannend erzählt« des FDJ-Verlages Neues Leben, brachten etwas durchaus Seltenes zustande – langweilige Abenteuer-Literatur.

Vorläufer der später einsetzenden Vielfalt waren indes Gerhard Branstner mit seinem fabulierfreudigen humoristisch-satirischen Roman Die Reise zum Stern der Beschwingten (1968) und Letsche mit den Romanen Verleumdung eines Sterns (1968) und Der Mann aus dem Eis, die beide satirisch mit anachronistischen Verhaltensweise in einer utopischen Umwelt experimentierten.

Etwa 1972/73 häuften sich die Anzeichen für eine neue Entwicklungsphase. In der DDR erschien deutlich mehr in- und auch ausländische Science Fiction. Eine neue, zahlenmäßig relativ starke Generation von Autoren trug vor allem ein Aufblühen der kürzeren Formen und die rasch wachsende thematische und stilistische Vielfalt. Damit eigneten sich die DDR-Autoren mit Verspätung auch die meisten gängigen SF-Motive der internationalen Science Fiction an, wobei die literarische Umsetzung des öfteren originell war, die Themen aber zunächst »nachentwickelt« wurden. Die weitaus meisten Autoren dieser Generation debütierten in den Jahren 1973 bis Anfang der achtziger Jahre und sind zwischen 1940 bis 1950 geboren (Rainer Fuhrmann, Heiner Hüfner, Wolfram Kober, Rolf Krohn, Peter Lorenz, Ernst-Otto Luthardt, Erik Simon, Karlheinz Steinmüller, Michael Szameit, Frank Töppe, Bernd Ulbrich). Im selben Kontext stehen aber auch ein paar ältere wie Alfred Leman und Hans Taubert, deren Band Das Gastgeschenk der Transsolaren (1973) mit originellen, bildhaften SF-Ideen und überzeugenden Charakterzeichnungen Maßstäbe setzte. Es erschienen die ersten Anthologien von DDR-SF (Redlin, Hrsg.: Der Mann vom Anti, 1975; Fickelscherer, Hrsg.: Begegnung im Licht, 1976).

Ein Teil der neuen Autoren beförderte die Entwicklung und stilistische Bereicherung der nach wie vor romanorientierten Abenteuer-SF – so Fuhrmann und Lorenz, etwas später Szameit – und schrieb nur sporadisch Erzählungen. In den siebziger Jahren blieb aber die romanhafte Abenteuer-Science-Fiction vom Gros der experimentelleren und stilbewussteren Erzählungs-SF noch deutlich unterscheidbar. Die Stammautoren der Abenteuer-SF (Kröger, Tuschel, Frühauf) boten zumeist soliden, handlungsbetonten Durchschnitt und wirkten erzähltechnisch oft hausbacken und hölzern, fanden aber mitunter auch originellere Ansätze (so Kröger in der Robinsonade Die Kristallwelt der Robina Crux, 1977); 1972 brachte Wolf Weitbrecht mit seinem Debütroman Orakel der Delphine sogar eine für die Abenteuer-SF eher untypische Leichtigkeit ein. Dagegen blieben andere, ebenfalls unter der Abenteuer-Flagge segelnde Autoren wie Paul Ehrhardt oder Fred Hubert durchweg trivial.

In den siebziger Jahren wandten sich in viel stärkerem Maße als zuvor Autoren der Science Fiction zu, die auf anderen Gebieten der Literatur schon Erfahrung, z. T. sogar Ruhm erworben hatten, einige (wie Anna Seghers, Christa Wolf, Franz Fühmann) nur episodisch, andere für längere Zeit, so Johanna und Günter Braun, Klaus Möckel und Gert Prokop. Auf dem Gebiet des SF-Romans trugen in den siebziger Jahren vor allem sie die wichtigsten Werke bei, so die Brauns Der Irrtum des Großen Zauberers (1972) und Unheimliche Erscheinungsformen auf Omega XI (1974), Arne Sjöberg (Jürgen Brinkmann) Die stummen Götter (1978) und Werner Steinberg Zwischen Sarg und Ararat (1978). Das SF-Debüt der Brauns wurde 1972 (wegen des Titels?) von vielen SF-Lesern zunächst kaum wahrgenommen, doch Heiner Ranks einziger SF-Roman Die Ohnmacht der Allmächtigen (1973), motivisch stärker in der Science Fiction verankert und mit seinem Bild von einer auf statische Stabilität ausgerichteten Schein-Utopie nicht ohne Bezug zur DDR-Wirklichkeit, wurde weithin als Novum empfunden. Prokops Zyklus um einen in einer restkapitalistischen, selbstisolierten USA-Gesellschaft agierenden Privatdetektiv (Wer stiehlt schon Unterschenkel?, 1977, Der Samenbankraub, 1983) verdankte seine außerordentliche Beliebtheit dem an Krimis à la Chandler geschulten, souveränen Erzählstil, aber auch der Schilderung des angenehmen Lebens im dekadenten Westen, weniger wohl den klassenkämpferischen Klischees, die besonders im zweiten Band peinlich wirken. (Dem ersten Band hatte Prokop erst auf ausdrücklichen Wunsch des Verlages das »rote Schwänzchen« angefügt: seinen Helden im Schlusskapitel als revolutionären Untergrundkämpfer offenbart. Danach lieferte er die Propaganda ausgiebig und unverlangt.)

Beim Übergang von den siebziger zu den achtziger Jahren gab es in der DDR-SF keine scharfe Zäsur. Neue Entwicklungen setzten etwa in den Jahren 1982 bis 1985 ein, daneben wirkten die wichtigsten Strömungen der Siebziger in den Achtzigern fort. Zu den Verfassern von Erzählungsbänden gesellten sich u. a. Hans Bach, Wolfram Kober, Rolf Krohn, Klaus Möckel sowie (als Koautorin von Karlheinz) Angela Steinmüller; zu den herausragenden Storysammlungen der achtziger Jahre gehören Windschiefe Geraden (1984) der Steinmüllers und mehrere Bände Luthardts, zuletzt Die Wiederkehr des Einhorns (1988). Es erschienen mehr Anthologien mit DDR-Science-Fiction und internationale Anthologien mit DDR-Anteil; der von Erik Simon herausgegebene Almanach Lichtjahr (in der DDR 6 Ausgaben 1980–1989) brachte ein breites Spektrum an Erzählungen und Sekundärtexten.

Alle Autoren, die die Abenteuer-Science-Fiction der siebziger Jahre geprägt hatten – Tuschel, Kröger, Frühauf, Fuhrmann, Lorenz, Weitbrecht –, blieben aktiv; mit Alarm im Tunnel Transterra stieß 1982 Szameit zu ihnen, der bald neben Tuschel, Kröger und Frühauf die Science Fiction in der Reihe »Spannend erzählt« dominierte und einer der beliebtesten Autoren der DDR-SF wurde. Die Abenteuer-SF verlor aber endgültig ihre Geschlossenheit und war nunmehr eigentlich nur noch von der Herkunft, d. h. von der mit den Autoren- und Reihennamen verknüpften Erwartungshaltung des Publikums her zu fassen; sie hob sich kaum noch als Block von der übrigen DDR-SF ab. Es lassen sich jedoch drei auffällige Tendenzen in der Abenteuer-SF der achtziger Jahre und ihrem Umfeld ausmachen: erstens eine zunehmende Trivialisierung insbesondere bei abenteuerorientierten Romanen von SF-Neulingen, zweitens in einigen Werken neuer wie gestandener Autoren Rückfälle in längst überholte Klischees, drittens aber auch gestiegene literarische Ambitionen bei manchen Verfassern.

Die Trivialisierung eines Teils der DDR-SF entsprang unter anderem ihrer Konsolidierung und Blüte seit den siebziger Jahren bei immer noch zwiespältiger Stellung in der Literaturgesellschaft: Einerseits war das Genre halbwegs anerkannt, andererseits galt es immer noch »nur« als Lesefutter – zumal in Verlagen, die sich ihm erst in den achtziger Jahren zuwandten, um ihre Bilanz zu verbessern. Parallel zum Sinken der literarischen Ansprüche ereigneten sich in den achtziger Jahren Rückfälle in Themen und Handlungsklischees, die sich – zumindest in dieser Machart – eigentlich schon im Laufe der sechziger Jahre erledigt hatten. Der Klassenkampf auf der Erde (Kriese: Eden City, 1985), vor allem aber im Weltraum feierte fröhliche Urständ: Bald bedrohten US-Kriegstreiber, bald aggressive Aliens die Menschheit, bald halfen irdische Kommunisten den Bewohnern ferner Planeten bei der Revolution.

In einigen Fällen hatten Verlage vor dem Hintergrund der Nachrüstungsdebatte und gegen die kirchliche Friedensbewegung solche Romane ausdrücklich bestellt, in anderen nutzten Autoren die Gelegenheit, auch mal Sternenkrieg spielen zu dürfen – bis dahin ein Tabu in der DDR-SF. Einige Stammautoren der Abenteuer-Science-Fiction lieferten Einschlägiges, so Kröger mit Die Engel in den grünen Kugeln (1985) – bezeichnenderweise sein spannendstes Buch – und Frühauf mit Lautlos im Orbit (1988); sie wurden aber in puncto Qualität von Neulingen wie Klaus Klauß und Reinhard Kriese noch weit unterboten.

Nicht mit den eklatanten Fehlleistungen gleichzusetzen, aber dennoch ein Symptom für Trivialisierungstendenzen ist die SF Hans Bachs. Insbesondere seine drei Romane Sternendroge Tyrsoleen (1983), Germelshausen, 0.00 Uhr (1985) und Die Glastropfenmaschine (1988) zeigen immer deutlicher eine – in der DDR-SF einmalige – Kombination von außergewöhnlichem Erzähltalent und bildhaften, originellen Einfällen einerseits und Konzeptlosigkeit andererseits – eine beliebige Anhäufung möglichst vieler Effekte.

Die drei seit längerem etablierten, auch bei den Titelzahlen deutlich führenden Autoren der Abenteuer-SF Kröger, Tuschel und Frühauf suchten ihr Spektrum an Themen und Stilmitteln zu erweitern. Krögers Roman Die Engel in den grünen Kugeln, fragwürdig wegen seiner Tendenz im Kontext der Entstehungszeit, ist zugleich sein bei weitem spannendster; Frühauf fand insbesondere im Erzählungsband Das fremde Hirn (1982) zu glaubhafter Charakterzeichnung, und Tuschels Kurs Minosmond (1986) evoziert eindringlich ein Vorgefühl großer Veränderungen. Noch deutlicher ist der Qualitätsgewinn bei jüngeren Autoren wie Fuhrmann (Die Untersuchung, 1984) und Szameit (insbesondere in Drachenkreuzer Ikaros, 1987).

Insbesondere abseits der Abenteuer-SF sind die besten DDR-SF-Romane der achtziger Jahre auf die eine oder andere Weise von neu erwachtem Interesse an Utopien und Gesellschaftsmodellen geprägt. Die Steinmüllers skizzierten in Andymon (1982) neben einer originellen Science-Fiction-Idee für die interstellare Kolonisation eine sich immer weiter verzweigende Vielfalt von Lebensentwürfen der Siedler; in Pulaster (1986) konfrontierten sie die fortschrittsbesessene irdische Raumflotte mit intelligenten Sauriern, die vor langer Zeit bewusst eine statische Kultur gewählt hatten; in Der Traummeister (1990) werden die Bewohner einer Stadt mit manipulierten Träumen für verschiedene utopische Patentrezepte begeistert, die allesamt scheitern. Gescheitert ist auch der Roman, und zwar an seinem aus technischen Gründen um zwei Jahre verspäteten Erscheinen – 1988 oder ’89 wäre er als Sensation wahrgenommen worden, 1990 hatten die Ostdeutschen andere Interessen.

Gottfried Meinholds Weltbesteigung (1984) zeichnet – allerdings unnötig verrätselt – das zwiespältige Bild einer ganz auf Effizienz ausgerichteten Gesellschaft; Lemans Schwarze Blumen auf Barnard 3 (1986) handelt von der Begegnung mit fremdartigen Lebensformen, wirft aber in Episoden aus der Vorgeschichte der Raumfahrer Schlaglichter auf eine hochtechnisierte, in ihrer Komplexität kaum noch verständliche und lenkbare Zivilisation. Der satirisch-dystopische Roman der Brauns Das Kugeltranszendantale Vorhaben (1983) konnte zunächst nur in der BRD erscheinen, wurde aber 1990 auch in der DDR nachgereicht. Die darin gezeichnete Welt, in der die Realität immer stärker durch Worthülsen ersetzt wird, meinte natürlich die DDR, doch das Thema der manipulativen Spachregelungen ist zeitlos – es hat nicht erst mit Orwells 1984 begonnen und wird mit der political correctness nicht enden.

Im Unterschied zu diesem recht deutlichen Roman sind etliche andere Bücher der Brauns aus den 80er Jahren in einen intellektuellen Diskurs eingesponnen, den die Autoren vornehmlich mit sich selbst führten; gleichwohl (wenn nicht ebendarum) haben sie mehr Aufmerksamkeit der allgemeinen Literaturkritik gefunden als alle anderen Science-Fiction-Autoren der DDR. Geschuldet ist dies eher der Machart als den Themen und Aussagen – die DDR-SF hat die Freiräume, die sich aus der bei Unterhaltungsliteratur etwas verminderten Aufmerksamkeit der Zensur ergaben, des öfteren für Ironie und Satire genutzt, auch zur Diskussion über gesellschaftliche Perspektiven, aber fast nie zu fundamentaler Systemkritik; ihre wohl dissidentischste Leistung war es, mit dem Verweis auf die Genrespezifik in ihrer Nische gewisse Rituale des sozialistischen Realismus erfolgreich zu verweigern. Sozialistische Lippenbekenntnisse bei einigen Autoren waren meist deutlich als ebendas zu erkennen und störten nicht weiter (»Bei mir ist der Raumschiffkommandant immer ein Sowjetbürger«, wie Szameit einmal sagte); just Autoren wie Branstner und Kellner, die es mit dem Sozialismus einigermaßen ernst meinten, neigten zu einer »konstruktiven« Satire.

In den letzten Jahren der DDR trat eine neue Generation in der DDR-SF hervor, deren interessanteste Vertreter noch bis 1990 eigene Bücher herausbrachten: Frank Geißler (Tausend Jahre bis zur Morgendämmerung, 1989), Karsten Kruschel (Das kleinere Weltall, 1989) und Andreas Melzer (Hinter den drei Sonnen, 1990; Vorstoß nach Andromeda, 1990) – durchweg Erzählungsbände, die in Qualität und Machart an die besten Leistungen der Vorgänger anknüpften und dabei doch einen unverkennbar neuen Ton hören ließ. Von ihnen hat – nach längerer Pause – nur Kruschel in der Science-Fiction-Szene der BRD Fuß fassen können.

Nachdem 1991 in den traditionellen DDR-Verlagen die letzten noch zu DDR-Zeiten verfassten und lektorierten Werke erschienen waren – darunter Olaf R. Spittels Chrestomatie der DDR-SF Die Zeit-Insel –, verstummten zunächst fast alle ostdeutschen Autoren. Etwa seit Mitte der neunziger Jahre erschienen aber liegengebliebene oder vor dem Zusammenbruch der DDR-Verlage nicht fertig gewordene Werke, u. a. Erzählungsbände von Krohn und B. Ulbrich und je ein Roman von Fuhrmann, Szameit und Tuschel. Fuhrmanns Kairos (1996) ist wohl das beste Werk aus der Konkursmasse der DDR-SF, mit seinem Plädoyer für eine Perestroika im von einer entarteten Machtelite ruinierten Utopia aber auch thematisch am deutlichsten veraltet. Einige wenige in der DDR namhafte Autoren haben seither neue Romane oder Erzählungsbände veröffentlicht, darunter Frühauf, Kröger und Tuschel, die inzwischen verstorben sind; die weiterhin aktiven Krohn, Simon und Steinmüller schreiben jetzt nicht grundsätzlich anders als ihre westdeutschen Kollegen.