Judith Madera, 17.12.2021
Die Erschaffung künstlichen Lebens ist ein alter Menschheitstraum, der mit der Forschung an Künstlicher Intelligenz in die Nähe des Möglichen zu rücken scheint. Doch was passiert, wenn Maschinen intelligenter als Menschen werden? Liegt darin eine Chance oder eine Gefahr? Im Spannungsfeld zwischen Utopie und Dystopie hat die Science Fiction eine Vielzahl faszinierender Antworten gefunden:
Künstliche Intelligenz ist längst Teil unseres Alltags. Alexa und Siri beantworten Fragen, machen das Licht an und sammeln fleißig Daten. Autos parken besser ein als Menschen. In Videospielen weichen die Gegner blitzschnell aus, und die Nachbarn in Animal Crossing: New Horizons wissen, was wir gestern im Spiel getan haben. Während wir in den Social Media durch Beiträge scrollen, sammeln Algorithmen Informationen über uns, schlagen Videos vor und blenden personalisierte Werbung ein. So unheimlich es erscheinen mag, wenn man nach einer Google-Suche auf jeder Website Werbung für Sportschuhe oder Bücher erblickt, noch gibt es keinen Geist in der Maschine.
Laut Reinhard Karger vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz wird es einen solchen auch niemals geben: „Maschinen können kein Bewusstsein haben. Punkt. Maschinen haben keine Persönlichkeit. Maschinen haben kein Selbst, kein Maschinen-Ich, keine Freiheit, keine Erlebnisfähigkeit, keinen Willen (…) Simulieren kann man viel, aber die Simulation imitiert nur die Welt der Personen, fügt aber keine neuen hinzu.“ (aus Wie künstlich ist Intelligenz? von Hrsg. Klaus N. Frick, Seite 204) Bisher haben wir nur Fortschritte bei der schwachen KI erzielt, die Intelligenz simuliert. Automatisierungsprozesse und maschinelles Lernen fallen darunter. Die sogenannte starke KI liegt noch außerhalb unserer Möglichkeiten. Sie soll eine dem Menschen ähnliche Intelligenz haben oder diese übertreffen. Falls wir jemals eine solch starke KI erschaffen, können wir mit Sicherheit ausschließen, dass sie ein Bewusstsein entwickelt? Wenn wir noch nicht einmal genau wissen, wie das menschliche Bewusstsein entsteht?
In der SF geht es meist um die Frage „Was wäre wenn (doch)?“. Was müsste geschehen, damit sich aus einer Simulation ein eigenständiges Lebewesen entwickelt? Wie würde die Persönlichkeitsentwicklung einer Maschine ablaufen? Wie würde eine solche KI sich den Menschen gegenüber verhalten? Würde sie weiterhin mit uns zusammenarbeiten? Oder würde sie uns als überflüssig, gar als Gefahr einstufen und vernichten wollen? Im Folgenden will ich auf die beliebtesten KI-Themen in der SF eingehen und einige der interessantesten KI-Persönlichkeiten vorstellen:
Die ersten KIs in der SF: Roboter
Eine der ersten Erwähnungen von Maschinenintelligenz stammt von Samuel Butler. In seinem Roman Erewhon (1872) beschreibt er ein fiktives Land, in dem sich die Menschen vor Maschinen jeglicher Art fürchten, da sie ein Bewusstsein entwickeln und die Menschheit als dominierende Spezies ablösen könnten. Er spricht dabei eine tief sitzende menschliche Angst an, dass Maschinen Menschen verdrängen und beherrschen. Tatsächlich gingen und gehen Automatisierungsprozesse mit dem Verlust von Arbeitsplätzen und damit einem Teil der Identität einher, wodurch Maschinen trotz all ihrer Vorteile etwas Bedrohliches haben. Entsprechend hat auch ein Roboter, der noch dazu mindestens über die Intelligenz eines Menschen verfügt, etwas Furchteinflößendes.
1920 thematisierte der tschechische Schriftstellers Karel Čapek in seinem Bühnendrama R. U. R. - Rossum’s Universal Robots die Rebellion von Robotern, die als rechtlose Arbeitssklaven hergestellt werden und schließlich die Menschheit vernichten. Im engen Sinne sind die künstlichen Arbeiter in R. U R. keine Roboter, da sie teils organisch sind, allerdings werden sie als roboti (abgeleitet vom westslawischen robota = Frondienst/Zwangsarbeit) bezeichnet. Um eine Roboter-Rebellion zu verhindern, formulierte Isaac Asimov in seiner Kurzgeschichte „Runaround“ (1942) seine berühmten Robotergesetze, die bis heute vielfach zitiert und erweitert wurden. Diese Gesetze sollen sicherstellen, dass Roboter stets zum Wohle der Menschen handeln und ihnen niemals Schaden zufügen. Sie bilden auch die Grundlage des Romans I, Robot (1950), der spätestens mit der Filmadaption (2004) auch außerhalb des SF-Fandoms bekannt ist.
Die technologische Singularität
In der Zukunftsforschung wird der Punkt, an dem Künstliche Intelligenz die menschliche übertrifft, als technologische Singularität bezeichnet. Eine solche KI würde die technologische Entwicklung so beschleunigen, dass wir nicht mehr mithalten und keine Voraussagen mehr treffen könnten. Ein solches Ereignis könnte riesige Chancen bieten, aber auch zu einer Gefahr für die Menschheit werden, wovor auch Persönlichkeiten wie der Physiker Stephen Hawking und der Silicon-Valley-Unternehmer Elon Musk bereits gewarnt haben.
Diese Warnungen greift Andreas Brandhorst in seinem SF-Thriller Das Erwachen (2017) auf und beschreibt den Anfangspunkt einer Entwicklung, die unsere Zivilisation ins Chaos stürzen könnte: Ein Computervirus mit einem evolutionären Algorithmus verknüpft nahezu alle Prozessoren auf der Welt. Dadurch entsteht eine Art künstliches Gehirn, eine überlegene Maschinenintelligenz, die sich selbst verbessert und sich ihrer Existenz bewusst ist. Es gilt nun, den sogenannten „Take Off“ dieser Super-KI zu verhindern, also den Moment, an dem die Maschinenintelligenz ihr Wissen exponentiell vermehrt und nicht mehr aufzuhalten ist.
Charles Stross beschreibt in Accelerando (2005) die Welt, wie sie vor, während und nach der technologischen Singularität aussieht. Der Handlungsbogen spannt sich von den ersten Experimenten mit KI bis hin zu einer posthumanen Zivilisation, die nur noch in virtuellen Welten existiert. Stross kreiert eine Techno-Utopie, in der Menschen ihr Bewusstsein speichern können und unser Sonnensystem schließlich in ein Matrjoschka-Gehirn transformiert wird, das Kontakt zu anderen Superintelligenzen im Universum aufnimmt.
In Die Granden von Pandaros (2017) von James A. Sullivan sorgen gottgleiche KIs für Frieden und Wohlstand. Sie sind die Verkörperung der technologischen Singularität, modifizieren sich eigenständig und erschaffen neue KIs. Die Menschen kommen mit dieser Entwicklung längst nicht mehr mit. Müssen sie auch nicht, denn dank der KIs können sie sich ganz auf die Gestaltung ihrer Leben konzentrieren. Selbst für Kriminelle gibt es Spielräume. In Chrysaor (2016) haben die KIs die Menschen jedoch verlassen. Diese leben nun in einer Art paradiesischen Postapokalypse, denn auch wenn die KIs nun nicht mehr alles regeln, haben sie jede Menge nützlicher Technologie zurückgelassen. In Sullivans Roman Die Stadt der Symbionten (2019) erscheinen die KIs zunächst ebenfalls wie Beschützer und Versorger, entpuppen sich jedoch als bedrohliche Kontrollinstanzen.