Science Fiction

Cyborgs – Von der Fiktion zur Realität

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Jacqueline Montemurri, 06.10.2021

Wenn die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verwischen, entsteht etwas Neues, das sowohl Science-Fiction-Fans wie postmoderne Theoretikerinnen fasziniert hat: ein Cyborg. Aber was ist das eigentlich genau?

Im Allgemeinen verstehen wir darunter einen Menschen, der durch technische Implantate aufgerüsteten wurde. In der Literatur tauchten diese Mischwesen schon länger auf, doch der Name wurde erst von Wissenschaftlern in den 1960er Jahren geprägt. Das war die Zeit, als sich die Menschen in den Weltraum aufmachten. Die Bedingungen außerhalb unserer schützenden Atmosphäre sind für einen normalen Menschen lebensfeindlich. Deshalb überlegten sich die zwei Wissenschaftler Manfred E. Clynes und Nathan S. Kline, wie sie den Menschen an die Bedingungen des Weltalls anpassen könnten. Ihr Projekt gab es zwar nur in der Theorie und wurde nie umgesetzt, doch der Name, dem sie so einem Mensch-Maschinen-Hybriden gaben, blieb: Cyborg. Er wurde aus dem englischen Begriff cybernetic organism – also kybernetischer Organismus – abgeleitet.

Cybernetic Organism

Natürlich gab es schon geraume Zeit Hilfsmittel, die die Menschen einsetzten, um Verletzungen oder andere Unzulänglichkeiten zu kompensieren. Ob jedoch ein Hörgerät, eine Brille oder eine einfache Hand- oder Beinprothese einen Menschen zum Cyborg machen, sei dahingestellt. Selbst ein Herzschrittmacher, mit Sicherheit ein recht tiefgreifendes technisches Element im menschlichen Körper, würden die meisten Menschen nicht als eine derartige Modifikation ansehen, die die Bezeichnung rechtfertigen würde. Aber was macht einen Cyborg aus und gibt es sie tatsächlich schon?

Wir stellen uns so einen Cyborg natürlich anders vor, mit Superkräften und Superfähigkeiten. Vorbilder dafür gibt es in der Science-Fiction zur Genüge. Mensch-Maschine-Hybriden waren und sind Thema in zahlreichen Filmen und Büchern, meist mit negativer Konnotation. In Mangas, wie z.B. Ghost in the ShellCyborg 009 oder Gunslinger Girl begegnen sie uns als Killer. Ebenso der Killer-Cyborg als Gegenspieler von Superman im DC-Comic-Universum. Die Teen-Titans allerdings sind in ihrer Comic-Welt nicht als Killer, sondern als Beschützer unterwegs.

Kaputte Cyborg-Typen, die nicht als perfekte Killermaschinen durch ihre Welt rennen, sondern eher mit den Tücken des Alltags zu kämpfen haben, beschreibt z.B. William Gibson 1984 in seiner Neuromancer-Trilogie und auch Andreas Eschbach 2003 in seinem Roman Der letzte seiner Art. Die Charaktere in diesen Storys haben eher wenig Freude an ihren technischen Modifikationen.

Auch auf der Leinwand sind uns schon öfters Cyborgs begegnet. Sei es 1973 Der-Sechs-Millionen-Dollar-Mann, 1987 und 2014 RoboCop, 1992 Universal Soldier, 2009 Marcus Wright in Terminator – Die Erlösung oder 2013 Max Da Costa in Elysium.

Der Sechs-Millionen-Dollar-Mann

In den meisten Darstellungen von Cyborgs geht es um das Aufrüsten von Menschen, um daraus Supersoldaten zu machen. Aber in einigen Storys wird auch die negative Seite dieser Medaille angesprochen, wenn nämlich etwas schiefgeht. Der letzte seiner Art z.B. beschreibt einen Cyborg, der keineswegs ein heldenhafter Krieger ist, sondern ein bedauernswertes Versuchskaninchen. Für die damalige Zeit waren die Ideen von Eschbach sehr realistisch gehalten und wirkten gar nicht so futuristisch. Dem Protagonisten des Romans wurden einige Organe entnommen, z.B.  der Darm, um Platz für die Hightech-Geräte zu schaffen, die ihn zu einem Supersoldaten machen sollten. Somit konnte er nur noch Spezialnahrung zu sich nehmen. Zudem versagten, wie bei einem alten Auto, regelmäßig seine Systeme. So super war das mit dem Supersoldaten dann also doch nicht.

Aber wie realistisch sind die Ideen der Autor*innen bezogen auf unsere heutige Zeit? Was davon ist heute schon machbar? Könnten wir einen Supermenschen oder Supersoldaten erschaffen? Oder gibt es sie vielleicht schon?

Herzschrittmacher und Defibrillatoren

Prothesen und Implantate sind gängige, fast schon alltägliche medizinische Verfahren, um Menschen mehr Lebensqualität zu verschaffen. Es gibt implantierte künstliche Hüften und Gelenke, die zerstörte Knochen ersetzen. Auch künstliche Sehnen und Bänder können in den menschlichen Körper transplantiert werden. All das könnte sicherlich durch den Einsatz entsprechender Materialien dazu genutzt werden, um das menschliche Skelett widerstands- und leistungsfähiger zu machen.

Die Funktion des Herzens kann durch künstliche Herzklappen, Herzschrittmacher und implantierte Defibrillatoren unterstützt und beeinflusst werden. Unter bestimmten Umständen kann also der Mensch bei einem Herzstillstand automatisch widerbelebt werden. Doch all das lässt noch nicht wirklich das Gefühl aufkommen, dass Menschen mit diesen medizinischen Hilfsmitteln Cyborgs wären, da diese „Ersatzteile“ meist nur einzeln angewendet werden. Sie sollen kranken Menschen helfen, ein möglichst normales Leben zu führen.

Cochlea-Implantate und Retina-Implantate muten da schon viel futuristischer an, denn sie greifen nicht in die Motorik des Menschen ein, sondern in seine Sinne. Ersteres kann taube Menschen wieder hören lassen und zweiteres Blinde sehen lassen. Beim Cochlea-Implantat wird der Hörnerv elektrisch erregt und bei der Steigerung davon – dem Hirnstamm-Implantat – ein Areal im Gehirn. Patienten sind nach intensivem Training in der Lage, wieder zu hören. Retina-Implantate sind Sehprothesen, die durch Microchips und Elektroden, Signale an den Sehnerv weiterleiten, wodurch Patienten wieder sehen können. Dafür werden winzige Chips direkt auf die Netzhaut aufgebracht. Wenn wir uns also einen Cyborg „basteln“ wollten, könnte man diese Implantate sicherlich dazu benutzen, damit der Supermensch Geräusche hören kann, die sehr leise oder weit weg sind. Ebenfalls könnte man sich vorstellen, eine Sehprothese so weit zu modifizieren, dass er im Infrarotbereich sehen könnte.

So richtig futuristisch wird es, wenn man sich die Fortschritte bei gedankengesteuerten Prothesen ansieht. Das entspricht schon sehr genau unserer Vorstellung eines Cyborgs. In Wien wurde eine Armprothese entwickelt, die direkt mit den Nervenbahnen des Patienten gekoppelt ist, der dann den bionischen Arm bewegen kann, als wäre es sein eigener. Auch für Querschnittsgelähmte werden Chips entwickelt, die es ermöglichen sollen, dass die Patient*innen wieder laufen können, indem die unterbrochene Stelle des Rückenmarks mit diesen Leitern überbrückt wird.

Schnittstellen zwischen Mensch und Computer

Noch spannender oder vielleicht auch gruseliger wird es, wenn Menschen Chips implantiert werden und sie somit auf gewisse Weise zu einem Computer mutieren. Schon 2015 gab es Berichte darüber, dass in Schweden Chips in die Hände implantiert werden, um bargeldlos zu zahlen oder Türen zu öffnen. Mittlerweile wird diese Technologie in vielen Staaten angewandt. In Deutschland tragen schon etwa 3500 Menschen einen derartigen Chip unter der Haut. Auch das von Elon Musk vorgestellte Brain-Computer-Interface ein Chip im Gehirn, der die Kommunikation mit Computer ermöglichen soll – mutet an wie aus einem Science-Fiction-Roman. Diese Technik wird jedoch wirklich entwickelt und besteht nicht nur auf dem Reißbrett.

Solange die technische Aufrüstung zur Erhaltung und Verbesserung der Lebensqualität dient, empfinden wir diesen Fortschritt sicherlich als positiv, die Nutzung in der Militärtechnik wird schon kritischer gesehen. Trotzdem kommen wir dem Supersoldaten-Cyborg immer näher. In den USA wird tatsächlich schon seit Jahren an Techniken geforscht, die eben nicht der Lebensqualität kranker oder verletzter Menschen dienen sollen, sondern die Kampffähigkeit von Soldaten verbessern. Mikroskopisch kleine Superimplantate an Nerven sollen Schmerz ausschalten, Blutungen stoppen, Organe wiederbeleben, Ermüdungsgefühle unterdrücken, Vergiftungen durch beschleunigte Leberfunktion bekämpfen, die Herzfrequenz herunterregeln, um beim Schießen besser zu treffen. Ein von Geschossen zerfetzter Soldat soll also in die Lage versetzt werden, wie ein gefühlloser Roboter, einfach weiter kämpfen zu können.

Falls diese Techniken wirklich irgendwann zum Einsatz kommen sollten, befinden wir uns genau in diesen Welten, die in den oben erwähnten Filmen und Büchern beschrieben wurden – auf Bahnen, die die Science-Fiction-Autor*innen ausgelegt haben. Der Mensch verschmilzt mit der Maschine, und das nicht fiktiv, sondern durchaus real. Die Techniken sind vorhanden oder in Entwicklung. Die Frage ist, was wir daraus machen werden.

Cyborg e.V.

Zumindest in Deutschland ist die Beschäftigung mit dem Thema friedlicher Art. Es gibt sogar einen Verein – den Cyborgs e.V. – der sich mit der Förderung und kritischen Begleitung der Verschmelzung von Mensch und Technik beschäftigt. Eins seiner Anliegen ist es das „Bild des Cyborg als willenlose Kampfmaschine in der Öffentlichkeit zu korrigieren“.

Auch gibt es Studiengänge, die sich mit der Schnittstelle von Mensch und Technik beschäftigen. An der Hochschule Rhein-Ruhr in Bottrop kann man Mensch-Technik-Interaktion studieren. Dort werden  keine Cyborgs konstruiert, sondern es geht um die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine sowie Usability. Aber letztendlich eben um die Schnittstelle zwischen Mensch und Technik, was ebenso in der Medizintechnik angewendet werden kann.

Ich denke, dass bei aller Sci-Fi-Fantasie sicherlich in jeder neuen Technik Risiken und Chancen liegen. Hoffen wir, dass die Menschen die Chancen sehen und nutzen und die Cyborg-Technologien zum Wohle aller einsetzen und nicht zur Kriegsführung.

Über die Autorin

Jacqueline Montemurri studierte Luft- und Raumfahrttechnik und veröffentlicht seit 2012 Science-Fiction und Fantasy. Ihr Debut-Roman Die Maggan-Kopie war für den Deutschen Science-Fiction Preis nominiert. Ihre Erzählung Der Koloss aus dem Orbit erhielt 2020 den Kurd-Laßwitz-Preis.

Aus dieser Erzählung entstand nun ihr Science-Fiction-Roman Der Koloss aus dem Orbit, der im September 2021 im  Plan 9 Verlag erschien. Darin hat sie viele der hier aufgeführten Cyborg-Technologien eingeflochten. Die Protagonisten Dysti und Xell haben beide technische Implantate, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Bei Xell sind es technische Aufrüstungen nach einer lebensgefährlichen Verletzung, die ihn zum Supersoldaten machen sollten. Dysti dagegen hatte sich einen Chip ins Hirn pflanzen lassen, der sie jederzeit mit dem Internet verband. Damit wollte sie ihre Karriere als Journalistin pushen. Natürlich entsprachen die Resultate der Aufrüstungen nicht wirklich den Erwartungen. Der Roman beschäftigt sich u.a. mit der Frage: Wo ist die Grenze zwischen Mensch und Maschine?

Der Koloss aus dem Orbit

Seit Jahren umkreist ein unbekannter Koloss die Erde, bis schließlich ein Team zusammengestellt wird, das die Technologie dieses vermeintlichen Raumschiffs bergen soll. Doch niemand reißt sich um diese Aufgabe, so findet sich eine Crew, die nicht wirklich etwas Besseres zu tun hat. Zu ihr gehören die drogensüchtige Journalistin Dysti und der ausgemusterte Cyborg Xell. Als der Trupp dem Geheimnis des Kolosses auf die Spur kommt, können sich Dysti und Xell nur durch eine Flucht in die Zukunft retten. In eine Zukunft, die einem Paradies gleicht. Aber die Idylle trügt.