Science Fiction

Buchtipps aus dem Otherland Juli 2023: Science Fiction

Buchtipps aus dem Otherland Juli 2023: Science Fiction - Cover "The Mothers"

Otherland, 06.07.2023

Regelmäßig gibt euch das Team der Berliner Fantasy- und Science-Fiction-Buchhandlung Otherland Tipps zu den interessantesten neuen Büchern aller Verlage.

Max Barry  | Die 22 Tode der Madison May
Heyne: €15, dt. Übersetzung: Bernhard Kempen

Max Barry ist zurück, mit Science-Fiction-Mystery! Falls ihr Spaß hattet an Christian Cantrells Zeitindex oder an den Sieben Toden der Evelyn Hardcastle, solltet ihr euch diesen Zeitreise-Serienkiller-Kriminalfall nicht entgehen lassen! Der Science Fiction Aspekt ist bei Barry ein bisschen höher, sollte man vielleicht dazu sagen. Aber da steht ihr doch drauf!

Polly Ho-Yen | The Mothers
Piper: €18, dt. Übersetzung: Sonja Rebernik-Heidegger

Der Report der Magd ist sicher eine größten, eine der schrecklichsten Dystopien aller Zeiten. Und das Thema ist alles andere als auserzählt. Auch in der nahen Zukunft von Polly Ho-Yens The Mothers führt die Regierung ein rigides Zuchtprogramm zum Fortbestand der Menschheit. Die massenhafte Infertilität hat es nötig gemacht, doch es bringt seine ganz eigenen Beschwernisse mit sich. Es reicht nicht, dass die künstliche Befruchtung ein komplizierter schmerzhafter Vorgang ist, die wahre Gängelung beginnt, sobald das Kind da ist, denn dann wird das frische Elternpaar Schritt für Schritt überwacht. Der kleinste Fehler und die Eltern gelten als untauglich, die Kinder werden ihnen weggenommen und in staatliche Institutionen gesteckt. Manche Paare schweißt der Druck von außen zusammen, andere zerbrechen daran.

Blake Crouch | Upgrade
Heyne: €17, dt. Übersetzung: Urban Hofstetter

Upgrade bildet alle Facetten der Sonn- und Schattenseite der Genmanipulation ab. In der Vergangenheit dieser Geschichte sind Experimente mit resistenten Nutzpflanzen derart katastrophal verlaufen, dass Genforschung unter Generalverdacht geraten und streng verboten worden ist.

Wie sieht es aber mit der positiven Seite aus? Würde man den Menschen intellektuell und körperlich upgraden, wäre er dann nicht auch zu besseren, d. h. vorausschauenden Entscheidungen und damit zu einem die Zukunft der Menschheit und seiner Umwelt garantierenden Leben fähig?

Wenn Blake Crouch eines kann, dann ist es, rasant und spannend erzählen. Ganz nebenbei wirft er diese großen Fragen auf, die zum Weiterdenken anregen. In erster Linie aber sind seine Science-Thriller-Pageturner, die man nicht weglegen kann.

Neil Sharpson | Ecce Machina
Piper €22, dt. Übersetzung: Simon Weinert

Eine extrem schöne neue Welt: Super-KIs haben die Probleme der Menschen gelöst, denen es frei steht, im RL oder in der VR zu leben. Selbst Klone mit künstlich erschaffenem Bewusstsein werden inzwischen nicht mehr als Sklaven gehalten, sondern genießen dieselben Rechte wie Menschen. Aber nicht alle wollen sich von Super-KIs lenken lassen, ein kleiner, durch und durch analoger Staat leistet erbitterten Widerstand: die Kaspische Republik.

Doch um nach außen die Freiheit der Menschen zu behaupten, muss (?) dieser Staat sich nach innen totalitär organisieren, leidet - da er Anti-KI-Terrorgruppen in aller Welt unterstützt - unter Embargos und ist wirtschaftlich völlig abgeschlagen.

Der Agent Nikolai South arbeitet für einen der Sicherheitsdienste dieser Diktatur und ist von deren Idealen überzeugt. Nach dem Tod eines parteitreuen Journalisten fällt ihm aber die Aufgabe zu, eine Besucherin aus der KI-Welt zu eskortieren, die exakt wie seine vor einigen Jahren verstorbene Frau aussieht. Es setzt für ihn ein Prozess ein, in dessen Verlauf er nicht nur die Geschichte seines eigenen Lebens, sondern auch die der Kaspischen Republik aufrollt und sich einigen bitteren Wahrheiten stellen muss.

Sharpson ist hier ein ganz großer Wurf gelungen, eine anrührende, zuweilen schmerzhafte Liebesgeschichte und die Darstellung des Lebens in einer Diktatur, an deren Notwendigkeit der Protagonist nicht unbedingt aus den falschen Gründen glaubt. Da fühlt man sich an jene Kritiker*innen der DDR erinnert, die bei allem Widerstand gegen die Zumutungen des eigenen Staates das Heil dennoch nicht im Kapitalismus sahen. Und ganz nebenbei, sodass man es fast nicht merkt, stellt Sharpson auch noch Überlegungen dazu an, wie und ob Super-KIs, wenn sie das menschliche Fassungsvermögen nur weit genug überstiegen haben, noch von »Gott« zu unterscheiden sind. Aber auch, wenn einen derlei Gedankenspiele nicht reizen, so besticht Sharpsons Roman durch exzellente Dialoge, einen faszinierenden Agenten-/Ermittlungsthriller und versetzt die Lesenden in eine zugleich heimelige und abstoßende Welt des Plattenbaus, der Nahrungsmittelrationen und des Pressspanfurniers. [Simon]

Samanta Schweblin | Hundert Augen
Suhrkamp: €12, dt. Übersetzung: Marianne Gareis

Hundert Augen von Samanta Schweblin ist eine lose durch Gegenstände, Personen und Handlungen miteinander verknüpfte Kurzgeschichtensammlung, wie Puzzlestücke, die zusammen ein Bild ergeben. Die Geschichtsfragmente beschäftigen sich mit Themen wie Identität, Beziehungen und der menschlichen Natur, ihren Bedürfnissen und Ängsten.

Jede Geschichte ist einzigartig und in ihrer vertrauten Fremdheit faszinierend, mit Personen, die in sich sowie ungewöhnlichen und surrealen Situationen gefangen sind. Die Geschichten überraschen und fordern eine Aufmerksamkeit, die in ihrer Konsequenz den Leser zum Nachdenken anregen. Schweblins Schreibstil ist, einfach, präzise und poetisch - mit wenigen Worten schafft sie es, komplexe Emotionen und Ideen auf eine klare und zugängliche Weise zu vermitteln, die vertraut und fremd gleichzeitig ist. Wer Schweblin gelesen hat, sieht die Welt mit anderen Augen. Für immer.
[Wolf]

Am 8. 7. 2023 um 20:00 wird Samanta Schweblin zu Gast im Otherland sein. Wer das verpasst, hat entweder Angst vor der Wahrheit oder keinen Platz mehr bekommen.
Eintritt kostenlos, bitte anmelden unter service(at)otherland-berlin.de

Kapsel #5 – Der Einsiedler
€15

Für alle, die es noch nicht über andere Kanäle mitbekommen haben: Auch im Magazinbereich tut sich was, ein neues Kapsel-Magazin ist da!!!

Eine von Lukas Dubro und Felix Meyer zu Venne herausgegebene Zeitschrift mit Texten und Illustrationen von der Kapsel-Crew.

In Ausgabe 05 des Kapsel-Magazins werden wir zu Einsiedlern und reisen dann bis ans Ende des Universums und sogar darüber hinaus. Kapsel präsentiert eine bislang nicht übersetzte Kurzgeschichte aus dem chinesischen Science-Fiction-Kosmos von Liu Yang: Der Einsiedler.

In der Geschichte Der Einsiedler aus dem Jahr 2014 geht Liu Yang der Frage nach, was passiert, wenn sich ein Mensch in einer Höhle einschließt und damit nicht mehr dem Rhythmus von Tag und Nacht folgt. Verändert sich seine Wahrnehmung der Zeit? Wird sie langsamer? Oder läuft die Zeit schneller? Der Unternehmer in Liu Yangs Geschichte bemerkt zunächst nicht, wie sich draußen die Welt immer schneller dreht. Losgelöst vom Takt der Welt beginnt eine Reise, die ihn bis ans Ende des Universums führt.

Liu Yang wurde 1986 in der Provinz Sichuan geboren und promovierte in Physik. Sein Hintergrund als Naturwissenschaftler inspiriert sein Schreiben. Ist Der Einsiedler also eine Verbindung von Science und Fiction?

Eine weitere spannende Frage wirft der kanadische Science-Fiction-Autor und Hugo-Award-Gewinner Peter Watts auf: Sind wir nicht alle eigentlich Zeitmaschinen, die eine Fehlfunktion haben? Er denkt darüber in einem exklusiv für diese Kapsel-Ausgabe verfassten Essay nach.

Literarische Mini-Universen zu der Geschichte formuliert haben Julia Dorsch, Lukas Dubro, Anja Engst, Anna Hetzer, Tim Holland, Rudi Nuss und Regina Kanyu Wang. Jiang Zhenyu stellt Liu Yang Fragen zu den Grenzen von Science und Fiction. Die Geschichte und die weiteren Texte illustriert haben: Martha Burger, Christoph Köster, Robert Löbel, Claudia Schramke, Alina Albertine Warnecke, Julius Wagner und Marius Wenker.