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Markus Mäurer, 26.02.2020
Skandal!!! Warum lesen wir so gerne Schocker, Provokationen und angsteinflößende Storys? Markus Mäurer wirft einen detaillierten Blick auf das Genre des Extremhorrors, seine wichtigsten Werke und Autoren.
In diesem Artikel werde ich zunächst auf die Entstehung des Splatterpunks als Rebellion gegen eingefahrene Genrekonventionen eingehen, den Festa Verlag als wichtigsten deutschen Verlag für Extremhorror vorstellen sowie die Reihe Festa Extrem und Edward Lee als ihren erfolgreichsten und bekanntesten Autor, bevor ich dann versuche, die Faszination zu ergründen, die der Extremhorror ausübt.
Literarische Provokationen gab es schon immer, ob die Schriften des Marquise de Sade, Im Wendekreis des Krebses von Henry Miller, Die Geschichte der O von Anne Desclos oder American Psycho von Breat Easton Ellis. Im Horror, einem Genre, in dem die Gewalt durchaus eine wichtige Rolle spielt, auch wenn sie oft subtiler oder übernatürlicher Natur ist, muss man sich schon etwas mehr einfallen lassen, um einen Skandal auszulösen. In Filmform hat der Horror die verstaubten Gruselkonventionen der Hammer-Filme schon seit Der Exorzist (die Literaturvorlage von William P. Blatty kam deutlich harmloser darher), Texas Chainsaw Massacre und John Carpenters Werk abgestreift (die dann selbst zu einer wurden), in der Literatur dauerte es etwas länger, bis in die 1980er hinein.
Extremhorror ist ein Untergenre der Horrors, das sich in Deutschland durch die so benannte Extrem-Reihe im Festa Verlag etabliert hat. Im englischsprachigen Raum zählt man die Werke eher dem Splatterpunk zu, den es seit den 1980er-Jahren gibt und zu deren prominentesten Vertretern Clive Barker (zumindest mit seinen frühen Werken), Poppy Z. Brite und David J. Schow gehören. Und eben Edward Lee, mit dem es hier in Deutschland erst so richtig losging (wobei Splatterpunk in den 80er und 90ern durchaus auch in Deutschland erschien, teils sogar bei Heyne)
Splatterpunk
Seit dem Aufstieg des Cyberpunks als eines der wichtigsten Untergenres der Science Fcition, hat sich der Zusatz "...punk" zu einer Art Marke entwickelt, die mit der ursprünglichen Bedeutung des Punks oft wenig zu tun hat. Die Fantasy hat den Steampunk, aktuell ist von Solarpunk und Hopepunk die Rede, und der Horror hat den Splatterpunk. Der kommt natürlich vom Splatter des Horrorfilms, wo es um Filme geht, in denen Körperteile und Innereien möglichst blutig und kreativ durch die Gegend fliegen und spritzen (siehe Evil Dead oder Braindead). Warren Clements bezeichnet den Splatterpunk als eine Revolte gegen die traditionelle, milde Gruselgeschichte. Es ist der Versuch, traditionelle Genremuster und -grenzen zu sprengen, und zwar mit dem Mittel der Provokation.
Als einer der Vorreiter des Splatterpunks gilt Clive Barker mit seinen Büchern des Blutes, deren Kurzgeschichten sich an keine Spielregeln halten und sich auf neues Terrain begeben. Ramsey Campbell sagte einmal, ihm sei die Kinnlade runtergeklappt, als er Barkers Manuskript gelesen habe. Insofern ist das Attribut Punk im zeitlichen Kontext der Subgenreentstehung durchaus zutreffend. Die New York Times berichtete bereits 1991 über dieses aufstrebende Genre in dem sehr differenzierten Artikel The Splatterpunk Trend, And Welcome to It, wo auch dokumentiert wird, dass sich einige unter dem Subgenres geführten Autoren davon distanzieren:
"I like publicity for my fiction, of course," Joe R. Lansdale, perhaps the genre's most interesting stylist, a Texas writer with a healthy sense of black humor and moral outrage, has stated. "But I ain't no splatterpunk and dislike the label. I like to be thought of as my own label."
Interessant ist auch der Ansatz, den Splatterpunk als eine extreme Fortführung der Pulpliteratur zu sehen. Und ein weiterer interessanter Aspekt wird mit dem Satz "Splatterpunk's extremes are defined not only in its depiction of violence and death, but also by an intense alienation from the body" angesprochen. Die Entfremdung vom Körper scheint auch heute noch eine große Rolle im Extremhorror zu spielen. Körpermodifikationen (Tattoos, Piercings, Brandings usw.) werden auf die blutige Spitze getrieben, der Körper auf einfallsreiche und abartige Weisen entstellt. BDSM-Praktiken und Fetishlooks ins Extreme überzogen (siehe die Cenobiten in Hellraiser). Was es in ähnlichen Formen z. B. auch schon bei Autoren wie William S. Burroughs (Naked Lunch) oder J. G. Ballard (Crash) gab, und die man im Film beim sogenannten Bodyhorror findet, z. B. bei David Cronenberg, der Tetsuo-Reihe von Shin’ya Tsukamoto oder American Mary von Jen und Silvia Soska.
Da diese Rebellion gegen etablierte Horrorkonventionen inzwischen vorbei ist und sich der Splatterpunk ebenso etabliert hat (wie es Splatterpunk-Autor John Skipp in diesem Video beschreibt), ist die Verwendung des Begriffes Extremhorror im Deutschen durchaus passend. Im Englischen ist übrigens auch oft von Extremehorror oder Hardcorehorror die Rede. Seit 2018 gibt es einen Splatterpunk-Award. Für Bookriot hat Vernieda Vergara eine Leseliste mit klassischen und aktuellen Splatterpunkbüchern erstellt.