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Steampunk: Alles, was du über das Genre wissen musst

Steampunk
© Prettysleepy2/pixabay

Judith Vogt, 16.08.2018

Menschen mit lustigen, runden Brillen, in viktorianisch anmutenden Kleidern, Zeppeline und Zahnräder auf dem Cover? Klarer Fall, das Buch ist Steampunk! Aber was genau macht das Genre aus? Wo kommt es her? Und wie steht es eigentlich mit dem Punk in Steampunk? Ein Überblick von Judith Vogt.

„To say ‚it’s not Steampunk’ is not Steampunk” ist meine Lieblingserklärung des Genres. Damit wäre alles Steampunk, was als solcher gedacht ist, und es zu kritisieren, steht auch dem erfahrensten Steampunk-Anhänger nicht zu. Aber richtig hilfreich ist das natürlich nicht – was genau ist denn jetzt Steampunk?

Wat is’n Dampfmaschin?

Ich fange mal mit dem Offensichtlichsten an: Im Steampunk wird die Ära der Dampfkraft in häufig alternativweltlichen Geschichten zelebriert. Dampfkraft ist der Motor vieler Technologien – aber zu sagen, alles würde im Steampunk-Genre mit Dampf betrieben, würde auch wieder dem Teslapunk, dem Dieselpunk und obskuren Spielarten wie dem Whalepunk (Wal wie in „Dinge werden mit Tran betrieben“!) nicht gerecht – und das auszuklammern „is not Steampunk“.

Also sagen wir einfach: Die Ära, in der Steampunk-Romane häufig – nicht immer – spielen, ist von der Dampftechnologie dominiert, es handelt sich oft um eine Zeit, die dem Ende des 19. Jahrhunderts ähnelt oder sogar diese Zeit ist, angereichert um Science-Fiction- und/oder Fantasy-Elemente.

„So wie Jules Verne?“, fragt die eine oder andere jetzt hilfreich, und ich sage dankbar: „Genau!“ Würde Jules Verne das, was er geschrieben hat, heute schreiben, wäre es Steampunk. Damals war es „wissenschaftlicher Abenteuerroman“, und auch das ist eine meiner Lieblingsdefinitionen für Steampunk.

Gründerväter- und -mütter

Die Wurzeln des Steampunks finden sich also zu eben der Zeit, in die das Genre heute so gern zurückkehrt: Mary Shelley steht Patin für die Horrorelemente des Subgenres, Jules Verne für die „weird science“, die verrückten Wissenschaften, H.G. Wells für das Eindringen des Unbekannten in unsere scheinbar bekannte Welt, E.T.A. Hoffmann für die sich verschiebenden Grenzen zwischen Mensch und Maschine.

Man sieht schon allein an diesen Ahnherrinnen und -herren: Steampunk ist nicht eindeutig zu verorten. Der Begriff „Retro-Science-Fiction“ trifft es ebenfalls ganz gut, aber es gibt auch Steampunk, der eher phantastische oder Horrorelemente aufgreift.

Und seit wann nennt man das Steampunk?

Immerhin über den Ursprung des Begriffs herrscht Einheitlichkeit: 1987 schrieb K.W. Jeter ans Locus Magazine und schlug darin den Begriff „Steampunk“ für den exzentrisch-historischen Stil seiner Kollegen vor. Es war eine Anspielung auf das ebenfalls in den 80er Jahren entstandene „Cyberpunk“. Seither wird immer wieder überlegt, ob der „Punk“ überhaupt in „Steampunk“ gehört, oder ob er nur dem Ursprungsbegriff geschuldet ist – doch dazu später mehr.

Interessanterweise stammt der Grundstein des modernen Steampunk vom selben Autor, der auch schon den Grundstein des Cyberpunks gelegt hat: William Gibson, der mit seiner Neuromancer-Trilogie die Tür in eine von KIs und weltumspannenden Netzen dominierte Zukunft öffnete, verfasste zusammen mit Bruce Sterling im Jahr 1990 „Die Differenzmaschine“, und eröffnete damit zum ersten Mal ein obskures Meta-Genre einem breiteren Publikum. Der Cyberpunk schimmert noch durch in der alternativen Viktorianischen Ära, in der Ada Lovelace und Charles Babbage ihre Differenzmaschine tatsächlich bauen und damit das Informationszeitalter sehr viel früher einläuten.

Viele Steampunkromane beschäftigen sich denn auch mit den Grenzen zwischen Mensch und Maschine, zwischen menschlichem Bewusstsein und künstlichem Bewusstsein – eine Fragestellung, die häufig auch im Cyberpunk auftaucht. Andere Romane legen das Hauptaugenmerk auf eine Eroberung des Weltraums mit „Äther-Technologie“ (wie beispielsweise im Rollenspiel „Space: 1889“). Der Äther taucht auch in zahlreichen anderen Steampunk-Universen auf, wie zum Beispiel in Anja Bagus’ „Ätherwelt“ und trägt dort zum anderen Verlauf der Historie bei. Eine Art „Was wäre, wenn Einsteins Theorie vom Äther doch die Wahrheit gewesen wäre?“ Der Äther bietet in vielen Steampunkromanen Gelegenheit, sich stärker Richtung Steamfantasy zu begeben.

Sub-sub-sub-meta-Genres

Wohl kaum ein anderes Subgenre hat mehr Verschachtelungen zu bieten: Ist Steamfantasy Steampunk? Ist die dampfbetriebene Technik der Gnome in „Warcraft“ Steampunk, und wie sieht es mit wilden, archaisch-technologischen Konstrukten wie in China Miévilles „Perdido Street Station“ aus? Ist das schon „New Weird“ oder noch Steamfantasy / Steampunk?

Während Whalepunk und DIYpunk wohl eher sehr spezifische Subgenres sind, ist zum Beispiel der Teslapunk elektrizitätsbetrieben, der Clockpunk wird rein mechanisch von Uhrwerken angetrieben, in der Steamfantasy ersetzt häufig die Dampfkraft Magie, und so weiter und so fort.

Steampunk spielt oft im viktorianischen England, aber ebenso häufig nicht. Die viktorianische Ästhetik ist sicherlich noch mal ein wenig anders als der deutsche Biedermeier oder die wilhelminische Zeit, von asiatischem oder afrikanischem Steam- oder Silkpunk ganz zu schweigen! Auch das Western-Genre hat seinen eigenen Steampunk – oder hat der Steampunk seine eigenen Western? Und Lovecraft‘scher Horror hat sowieso Überschneidungen mit Steampunk – zudem liegt dem Steampunk eine gehörige Dosis Pulp inne. Jeder kann sich wohl sofort ein abgegriffenes Groschenheftcover vorstellen, auf dem ein Luftschiff mit einem Wolkenkraken kämpft, oder? Trotz oder gerade wegen alldem sind jedoch auch Naturwissenschaften und ihre bewusste Überzeichnung ins Metaphysische typische Steampunkthemen.

Was aber sicherlich eine große Besonderheit des Genres ist, ist die Verwobenheit mit der Makerkultur. Diese Verschmelzung war ab 2005 verstärkt zu beobachten: Auf dem Burning-Man-Festival, zu dem Bastler*innen aus aller Welt ihre „weird science“ beitragen, tauchten die ersten Kunstinstallationen auf, die die Ästhetik der viktorianischen Zeit mit modernen Objekten verbanden. Wenig später hieß es, vielleicht ein wenig gehässig: „Steampunk is what happens when goths discover brown.“ Ganz von der Hand weisen lässt sich das sicher nicht – das Wave Gotik Treffen in Leipzig ist mit seinem viktorianischen Picknick die beste Zeit im Jahr für braun-tragenden Gothics, und die weiten Kleider, Korsagen, Hosenträger und Zylinder der Steampunk-Mode sind tatsächlich der „traditionellen“ Gewandung der Gruftis nicht unähnlich.

Und wo kommt jetzt der Punk in den Steampunk?

Wenn man sich die Szene so ansieht: Maker mit irren Ideen und 3-D-Druckern, modische Abweichler mit Zahnrädern am Hut, Bastlerinnen, die Tastaturen in Schreibmaschinenform umbauen, Rollenspieler auf dem Weg zum Mars – natürlich ist Steampunk eher nichts, was der örtliche Kegelverein sich als Motto für die nächste Benefizveranstaltung einfallen lässt. Steampunk ist ein bisschen „speziell“, und im Romanbereich bleiben selbst bei großen Namen die Verkaufszahlen unterhalb der im Fantasybereich zu erwartenden Zahlen. Das breite Publikum tut sich nach wie vor schwer mit dem Begriff und der unübersichtlichen Vielfalt dahinter.

Aber für mich ist das nicht das Einzige, was den „Punk“ in den Steampunk verfrachtet: Steampunk dreht sich um Maschinen und ihre Auswirkungen auf ihre Zeit und die Menschen, die sie verwenden. Karl Marx formulierte: „In Manufaktur und Handwerk bedient sich der Arbeiter des Werkzeugs, in der Fabrik dient er der Maschine.“ Und so dreht sich der Steampunk auch um Industrialisierung und ihre verheerenden Auswirkungen auf Menschen, auf Familien, auf Gesellschaft. Suffragetten und Gewerkschaftler sind ebenso Teil des Steampunks wie der verrückte Wissenschaftler oder die reiselustige Adlige. In diesem Sinne verweigern sich viele Steampunk-Maker dem Mainstream und der Massenanfertigung. „Love the machine, hate the factory“ als Fußnote zur Kapitalismuskritik.

Auch das ist natürlich nicht immer der Fall. Nicht jeder Steampunkroman ist gesellschaftskritisch und längst gibt es Steampunkmassenware zu kaufen. Aber im Steampunk existieren die Werke, in denen es um Menschlichkeit und Entmenschlichung geht, parallel zu jenen, in denen adrette junge Damen und Herren Abenteuer erleben und die wahre Liebe finden. Beides ist Steampunk, denn „to say it’s not Steampunk’s not Steampunk!”

Judith Vogt

Judith Vogt, aufgewachsen in einem Hundert-Seelen-Dorf in der Nordeifel und gelernte Buchhändlerin, steht seit 2010 als Schriftstellerin am anderen Ende der Buchnahrungskette. Sie lebt in Aachen und schreibt Romane, Rollenspiele, journalistische Artikel und Übersetzungen in ihrem Lieblingsgenre Phantastik und SF.

www.jcvogt.de