Fantasy

Science Fiction von Frauen #15: Anne McCaffrey

Science Fiction von Frauen #15: Anne McCaffrey
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Judith Vogt
07.01.2021

Wir porträtieren großartige Frauen in der Science-Fiction-Literatur – heute: Anne McCaffrey. Anne Inez McCaffrey schrieb Science-Fiction im Subgenre „Planetary Romance“. Besonders ihre Reihe „Drachenreiter von Pern“ verhalf ihr zu Weltruhm.

Die erste Hugo-Preisträgerin

McCaffrey, die am 1. April 1926 in Cambridge geboren wurde, wuchs in Virginia auf und studierte zunächst slawische Sprachen und Literatur. Sie nahm verschiedene Gelegenheitsjobs an, bevor sie mit vierundzwanzig heiratete und in Düsseldorf Gesang und Opernregie studierte. Beinahe ein Jahrzehnt arbeitete sie parallel zum Schreiben und zum Familienleben mit drei kleinen Kindern an ihrer Gesangsausbildung.

In den Fünfzigern veröffentlichte sie einige Kurzgeschichten in Science-Fiction-Magazinen, die ausgezeichnet und in Sammlungen aufgenommen wurden, und 1959 („sehr schwanger mit meinem dritten Kind“, wie sie später schrieb) besuchte sie ihren ersten Milford Writer’s Workshop, lernte ihre langjährige Agentin kennen und begann die Arbeit an ihrem ersten Roman, der zudem der erste Teil ihres Gehirnschiff-Zyklus werden sollte. Doch erst einmal brach sie mit ihrem Mann zusammen für einige Jahre in die Welt der Opern, Operetten und Chöre auf, was das Schreiben an zweite Stelle treten ließ – nein, an dritte Stelle, denn zuallererst kamen McCaffreys Kinder, für die sie die Hauptsorgearbeit übernahm. Schließlich nahm sie das Angebot einer Freundin an, die deren Tochter jeden Morgen drei Stunden babysittete, damit McCaffrey schreiben konnte. Und sie schrieb, gewissermaßen nach Stechuhr, so viel sie konnte. 1966 erschien Restoree, ein Einzelroman, der sämtliche Klischees, die McCaffrey an der Science-Fiction missfielen, auf die Spitze trieb, um sie zu brechen.

1967 startete sie mit dem ersten Band Die Welt der Drachen ihre Chronicles of Pern, die sie, teils zusammen mit ihrem Sohn Todd bis zu ihrem Tod 2011 fortführte. Die Reihe beschreitet den Grat zwischen Fantasy und Science-Fiction – auf dem mythischen Planeten Pern arbeiten Menschen und Drachen symbiotisch zusammen, um Pilzsporen, sogenannte Fäden, aus dem Weltall zu bekämpfen, die nur von Drachenfeuer vernichtet werden können.

Ihr wurde 1968 der Hugo- und 1969 der Nebula-Award verliehen, bei beiden Literaturpreisen war sie die erste Frau, die sie je erhielt.

1970 ließ McCaffrey sich scheiden und zog nach Wicklow in Irland, wo sie in einem Anwesen, das sie „Dragonhold under the Hill“ nannte, Rennpferde züchtete (und Steuern sparte, denn damals bot Irland Autor*innen Steuervorteile!).

Die Drachenreiter-Reihe umfasst mehr als zwanzig Bände, zum gleichen Universum, den Federated Sentient Planets, gehören außerdem der Gehirnschiff-Zyklus und die Ireta- und Kristall-Reihen, die jeweils noch in Trilogien oder Dilogien unterteilt sind. Aber damit sind wir noch lange nicht am Ende ihres Schaffens: Sie arbeitete, teils mit Ko-Autor*innen, an vier weiteren Erzähluniversen, schrieb Einzelromane und veröffentlichte in den Siebzigern und Achtzigern sogar einige Romanzen. Insgesamt kam die Vielschreiberin auf über einhundert Romane. Viele sind mittlerweile nicht mehr oder nur noch als eBook verfügbar, aber immerhin die Drachenreiter sind bei Heyne auch noch gedruckt lieferbar – damit ist McCaffrey ja beinahe schon eine Ausnahmeerscheinung unter den SF-Autorinnen ihrer Generation.

Empowerment von Protagonistinnen

Pern ist ein detailreich ausgearbeiteter Planet, der die Science-Fiction mit der Fantasy bekanntmacht – Echsen wurden genetisch zu Drachen verändert, um damit die Fäden zu bekämpfen, die vom Nachbarplaneten auf Pern herabregnen. Drache und Reiter*in befinden sich in lebenslanger Symbiose, in der sie in Luftkämpfen gegen die Fäden antreten. McCaffreys schrieb zu LeGuins und Russ‘ Hoch-Zeit sich emanzipierende weibliche Figuren, die die Zwänge ihrer Gesellschaft überkommen, selbst wenn sie das zu Ausgestoßenen macht. McCaffrey offenbart dabei ihr Talent, Szenerien und Natur ebenso detailreich zu beschreiben wie die in der Prosa eher abstrakte Musik.

Dabei schreibt McCaffrey unprätentiös und nach vielen Ausflügen in Biologie und Biotech in früheren Bänden mit zunehmend fantasy-esker Vorliebe für Heldenmut und Abenteuer, was ihr vor allen Dingen eine junge Leser*innenschaft verschaffte. Manche Drachenreiter-Romane richteten sich zudem direkter an Jugendliche als andere, auch wenn McCaffrey stets sagte, dass Drachen einfach jede*n interessieren. Als Fantasyautorin ließ sie sich jedoch nicht gern bezeichnen – sie sagte von sich selbst, dass sie es genoss, Leute zurechtzuweisen, die es doch versuchten.

Einer ihrer wenigen Einzelromane und einer ihrer ersten Romane überhaupt, Restoree, ist ein deutlicheres Bekenntnis zur Science-Fiction. Sie erzählte ihrem Sohn Todd: „Ich war es so satt, dass all die schwachen Frauen in der Ecke kreischten, während ihre männlichen Freunde die Aliens zurückschlugen. Das wäre nichts für mich – ich wäre dabei, würde irgendetwas schwingen oder sie so hart treten, wie ich kann.“ Und so hält es auch ihre Protagonistin. McCaffrey berichtet, dass Frauen in den Sechzigern und Siebzigern begannen, die männliche Vorherrschaft in der Science-Fiction zu brechen. Sie lasen SF – und sie lasen vor allen Dingen SF von Frauen, denn dort fanden sie Protagonistinnen, mit denen sie sich verbunden fühlten. McCaffrey berichtete, dass sie nie auf Widerstände bei Verlagen oder Lektor*innen gestoßen sei – doch sie hatte Schwierigkeiten, männliche Leser davon zu überzeugen, dass sie es ernst meinte und ihren „Ansprüchen“ genüge.

Wir kennen es. Und wir kennen auch immer noch das Argument, dass Frauen keine SF lesen – damit wir immer und immer wieder neu beweisen müssen, dass sie es eben doch tun.

Vielseitigkeit als Markenzeichen

The Ship Who Sang, ihr erster veröffentlichter Roman und erster Teil der Gehirnschiff-Reihe, machte McCaffrey nicht nur berühmt, sie hatte auch eine ganz besondere Verbindung zur Geschichte und bezeichnete sie stets als ihr bestes Buch. Auf einer sehr persönlichen Ebene verarbeitete sie damit den Tod ihres Vaters, der Colonel in der US-Army war. Zudem dreht sich das Buch jedoch um eine Gesellschaft, in der die Gehirne von nicht lebensfähigen oder stark beeinträchtigten Babys als Cyborg-Intelligenzen mit Raumschiffen verbunden werden. Auch hier geht es um Symbiose, Menschlichkeit und Musik, Dinge, die McCaffrey später auch mit nach Pern nahm. Am Ende der Erzählung singt das Schiff den traditionellen Abschiedsgruß der US-Armee für den mit ihm verbundenen Menschen – eine Szene, die nicht nur Leser*innen zu Tränen rührte, sondern bei einer Aufzeichnung der BBC selbst die Zuhörenden, die Autorin und die Kameraleute!

McCaffreys Schreibe und ihre emanzipierten Frauenfiguren übten einen großen Einfluss auf die Science-Fiction und Fantasy aus. Sie schrieb auf neue Weise über Frauen, über Körper, Geist und die Verbindung davon und begründete damit auch den Posthumanismus in der Science-Fiction mit, in dem das Konzept von Mensch-Sein den menschlichen Körper transzendiert. In ihren Geschichten sind Frauen und Kinder nicht Opfer der Umstände, aus denen sie gerettet werden müssen, sondern sie retten sich selbst.

Und dennoch …

Wenn wir uns aus heutiger Perspektive die Liebesgeschichten in McCaffreys Romanen ansehen, fühlen sich viele Aspekte davon ungut an. Das ist sicher nicht nur der Zeit geschuldet – auch sehr viel jüngere Romanzen benutzen ähnliche Machtdynamiken, die als romantisch geframed werden.

So verschwimmen beispielsweise nicht selten die Grenzen zwischen Sex und Vergewaltigung, einige unschöne Szenen rund um das Thema Jungfräulichkeit, und oft verändert die Romanze die weibliche Figur (aber nicht die männliche) grundlegend oder nimmt sie gleich ganz als Mutter von der Bildfläche. Doch das geschieht vor allem in McCaffreys frühen Romanen. Sie zögerte nicht, in den Drachenreitern auch Homosexualität, Bisexualität, offene Beziehungen und Polyamorie zu thematisieren, Hand in Hand mit einem anderen Gesellschaftskonzept rund ums Thema Sexualität und Nacktheit – sowie eine Feudalgesellschaft ohne Religion auf dem Weg in die Gleichberechtigung der Geschlechter und das Überwinden von Klassen zu zeigen. Das Thematisieren von Homosexualität ist nicht immer treffsicher, es gibt beispielsweise eine überlieferte Äußerung von ihr, nach der Homosexualität bei menschlichen Symbionten ihre Ursache im Analsex unter Drachen findet. Dennoch hat McCaffrey versucht, Themen zu normalisieren, bevor sie breit diskutiert wurden, und hat damit eine vielfältige Leser*innenschaft gefunden.

Nah an den Emotionen

In McCaffreys Anekdote mit der BBC wird klar, dass sie nicht vor Emotionen zurückschreckte. Wenn sie wusste, dass sie während einer Lesung von Emotionen überwältigt werden würde, ließ sie ihren Sohn diese Stellen lesen, doch sie entschuldigte sich nie für ihre Emotionalität.

„Ship hat mich gelehrt, Emotionen als Schreibwerkzeug zu nutzen. Und das tue ich, ohne Entschuldigung oder Scham, obwohl ich Science-Fiction schreibe, ein Genre, das heutzutage weniger für große Gefühle bekannt ist als für intellektuelle Übungen und wissenschaftliche Kuriositäten. Wenn du als Autorin während des komplexen Prozesses, in dem ein Werk entsteht, in dir ehrliche und tiefe Emotionen findest, dann überträgt sich diese Emotion auch durch eine seltsame Alchemie auf die Lesenden.“

Judith Vogt

Judith Vogt, aufgewachsen in einem Hundert-Seelen-Dorf in der Nordeifel und gelernte Buchhändlerin, steht seit 2010 als Schriftstellerin am anderen Ende der Buchnahrungskette. Sie lebt in Aachen und schreibt Romane, Rollenspiele, journalistische Artikel und Übersetzungen in ihrem Lieblingsgenre Phantastik und SF.

www.jcvogt.de