Fantasy

Historical Fantasy – Alles, was du über das Genre wissen musst

Historical Fantasy – Alles, was du über das Genre wissen musst
© Kaptorga - Visual History

Alessandra Reß, 29.11.2018

Wenn Abraham Lincoln zum Vampirjäger wird, die Bennet-Schwestern sich mit Zombies anlegen und Alexander der Große gegen Seeungeheuer kämpft, bewegen wir uns auf dem Boden der Historical Fantasy. Von der Steinzeit bis zum Kalten Krieg gibt es kaum eine Episode der Menschheitsgeschichte, die von Fantasyautoren nicht als Setting für eine ganz eigene Geschichtsschreibung genutzt worden wäre.

Was, wenn Karthago durch Drachen zerstört worden wäre oder die Inquisition gegen echte Magie gekämpft hätte? Oft sind es solche Ausgangsfragen, mit denen sich die Historical Fantasy beschäftigt. Die Handlung spielt normalerweise innerhalb unserer Welt, fügt ihr jedoch magische Komponenten hinzu. Diese werden mit mehr oder weniger historischen Ereignissen in einen Mixer gegeben, dann noch ein paar Details verändert, und fertig ist das Historical-Fantasy-Werk.

Vom Artus-Roman zur zeitgenössischen Celtic Fantasy

Als frühe Inspirationen des Genres können beispielsweise die Alexander-Romane gesehen werden, die bis ins 3. Jahrhundert v. Chr. zurückreichen und Ereignisse aus dem Leben Alexanders des Großen um mythische Momente anreichern. Einer ähnlichen Tradition folgen im Mittelalter die höfischen Artus-Erzählungen. Deren Rezeption vermischt sich später mit der der Feenmärchen und geht schließlich fast nahtlos in die Celtic Fantasy über, ein beliebtes Subgenre der Historical Fantasy.

Eines der ersten Werke dieses Genres ist T. H. Whites Der König auf Camelot, dessen erster Teil 1938 veröffentlicht wurde. Weitere Vertreter sind etwa Evangeline Walton (Die vier Zweige des Mabinogi), Marion Zimmer Bradley (Die Nebel von Avalon), Stephen Lawhead (Taliesin), Kenneth C. Flint (Der Sohn der Sidhe), Alan Garner (Feuerfrost) oder Ruth Nestvold (Flamme und Harfe). Elemente des Genres finden sich zudem in zahlreichen Werken der Contemporary oder Portal Fantasy wieder, und das bei so unterschiedlichen Autoren wie Darren Shan (Dämonicon), Malinda Lo (Ash), Bernhard Hennen (Nebenan), Helmut W. Pesch (Die Kinder von Erin) oder Ju Honisch (Die Quellen der Malicorn).

Dabei zeigt die Celtic Fantasy, dass die Historical Fantasy sich in vielen Fällen – ebenso wie die frühen Artus-Erzählungen – eher eines romantisiert mythologischen, denn eines tatsächlich historischen Rahmens bedient. Oft entsprechen auch die Details des Settings nicht der Zeit, in der die Werke zu spielen vorgeben. Auf der anderen Seite zeichnen wiederum Romane wie Lian Hearns Der Clan der Otori oder Guy Gavriel Kays Im Schatten des Himmels Bilder, die sich klar in einer historischen Epoche verorten, obwohl keine realen Orte genannt werden.

Vampire in der Bastille

Vereinzelt gibt es sie aber, die Fantasyromane, die sich gezielt ein tatsächliches historisches Ereignis oder eine historische Persönlichkeit heraussuchen und beides phantastisch ausschmücken. Beispiele dafür sind das zur Zeit Karls des Großen angesiedelte Die Silberwölfin von Alice Borchardt, Delia Shermans Die Porzellantaube, das während der Französischen Revolution spielt, oder Dornrose von Jane Yolen, eine allegorische Zweite-Weltkrieg-Version vom Dornröschen.

Auch im deutschsprachigen Raum ist diese Form der Historical Fantasy recht beliebt: In Wolfgang Hohlbeins Die Chronik der Unsterblichen spielen u. a. die Belagerung Maltas durch das osmanische Heer (1565) oder der Große Brand von London (1666) eine Rolle. In Markus Heitz‘ Judassohn mischen Vampire die Französische Revolution auf, und auch Kai Meyer greift in Romanen wie Das Buch von Eden oder Frostfeuer auf historische Ereignisse zurück. 

Was wäre, wenn …?

Eine dritte Variante der Historical Fantasy ist jene, in der die Handlung von einem alternativen Geschichtsverlauf ausgeht. Die derzeit wohl prominenteste Ausprägung dessen ist der Steampunk. Auch viele andere Beispiele wie Chris Woodings Alaizabel Cray, Ian R. MacLeods Aether oder Kai Meyers Die Spur der Bücher ranken sich um das viktorianische Zeitalter. Etwas weiter zurück geht John Whitbourn, wenn in A Dangerous Energy Maria Stuart im 16. Jahrhundert Königin von England ist. Ein Jahrhundert später setzt Neal Stephensons Barock-Zyklus ein. Auch der Zweite Weltkrieg ist beliebter Gegenstand alternativhistorischer Erzählungen, die zuweilen Pulp-Ausmaße annehmen – man denke nur an Iron Sky. Die Grenzen zur Science Fiction sind dabei oft fließend.

Als Alternate History werden wiederum Werke wie Philip K. Dicks Das Orakel vom Berge (engl. The Man in the High Castle), Simon Urbands Plan D oder Christian von Ditfurths Das Luxemburg-Komplott bezeichnet, in denen die Geschichte an irgendeinem Punkt einen anderen Verlauf genommen hat, die Handlung jedoch mehr oder weniger in der Gegenwart angesiedelt ist. Wo immer Unsterbliche oder Zeitreisen im Spiel sind, können Historical Fantasy und Alternate History oder Contemporary Fantasy auch ineinander übergehen; Beispiele dafür sind Dean R. Koontz‘ Schutzengel, die Comic-Universen von Marvel und DC – oder auch Abraham Lincoln Vampirjäger.

Alessandra Reß

Alessandra Reß wurde 1989 im Westerwald geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. Nach Ende ihres Studiums der Kulturwissenschaft arbeitete sie mehrere Jahre als Redakteurin, ehe sie in den E-Learning-Bereich gewechselt ist.

Seit 2012 hat sie mehrere Romane, Novellen und Kurzgeschichten veröffentlicht, zudem ist sie seit mehr als 15 Jahren für verschiedene Fanzines tätig und betreibt in ihrer Freizeit den Blog „FragmentAnsichten“. Ihre Werke waren u. a. für den Deutschen Phantastik Preis und den SERAPH nominiert.

Mehr unter: https://fragmentansichten.com/