Fantasy

Heist Fantasy: Fünf Bücher mit kreativen Dieben

Heist Fantasy: Fünf Bücher mit kreativen Dieben

Judith Madera, 14.01.2022

Keine Frage, Diebe sind Kriminelle – doch wenn sie die Reichen bestehlen, charmant sind oder uns mit coolen Tricks überraschen, drücken wir ihnen bei ihren Raubzügen beide Daumen. Auch in der Fantasy sind schlaue und edle Diebe sehr beliebt.

Ein Diebstahl sorgt für ordentlichen Nervenkitzel, vor allem wenn es sich um etwas Außergewöhnliches und sehr gut Bewachtes handelt wie den von einem Drachen bewachten Zwergenschatz in Tolkiens Hobbit. Noch spannender wird es, wenn die Diebe keine Zwerge mit edlen Absichten sind, sondern richtige, mit allen Wassern gewaschene Gauner, die sich in einer rauen Welt behaupten. Kriminelle werden schnell zu Sympathieträgern, wenn sie sich nicht an den Schwachen vergreifen, sondern die Starken schröpfen, und bei ihren Betrügereien und Diebstählen kreativ und intelligent vorgehen. Selbst wenn wir früh ahnen, dass ihnen ihr Raubzug gelingen wird, macht es Spaß zu lesen, wie sie das Unmögliche schaffen und ihre Köpfe immer wieder aus der Schlinge ziehen. Fünf aktuelle und ganz unterschiedliche Bücher mit phantastischen Coups wollen wir Euch in diesem Artikel vorstellen.

Diebe der Nacht | Thilo Corzilius

In seinem jüngsten Roman entführt uns Thilo Corzilius in eine Renaissance-Fantasywelt inklusive venezianischer Küstenstadt mit Kanälen, politischen Intrigen und ehrgeizigen Dieben. Die Herbstgänger ziehen mit ihrem mechanischen Theater umher, erfreuen die Zuschauer mit magischen Tricks und stehlen alles, was sie kriegen können, von der Geldbörse bis hin zum Gemälde, das es gar nicht gibt. Meistens hauen sie selbstverliebte Adlige übers Ohr und nehmen von denen, die ohnehin viel haben. Dabei gehen sie so charmant und intelligent vor, dass man sie einfach mögen muss, selbst wenn sie ihre Opfer erpressen und demütigen. Nichts und niemand scheint den Herbstgängern etwas anhaben zu können, doch da erscheint ein böser Geist aus der Vergangenheit und übt grausame Rache.

Bei den Herbstgängern handelt es sich um eine Gruppe Ausgestoßener, die allesamt besondere Fähigkeiten mitbringen: Glin Melisma und sein Ziehvater Talmo sind begnadete Mechanisten, Chemistiker Talmo sorgt für Spezialeffekte, und Priester Falk sichert ihnen die Gunst eines Gottes. Schwertkämpferin Yrrein choreografiert die Schaukämpfe und hilft mit roher Gewalt, wenn Glins Pläne ausnahmsweise nicht aufgehen. Die Diva Madeire verzaubert derweil das Publikum mit Glamour, während Akrobatin Sira ihre Künste nicht nur auf der Bühne einsetzt. Die Herbstgänger sind eine Familie und halten unbedingt zusammen – was der Hauptgrund dafür ist, dass man sie als die Guten betrachtet, auch wenn sie Diebe und Betrüger sind.

Im Schatten des Kronturms | Michael J. Sullivan

Hadrian Blackwater und Royce Melborn sind wohl das sympathischste und einfallsreichste Diebesduo in der Fantasy. Fans kennen sie bereits aus der Riyria-Reihe von Michael J. Sullivan. Kürzlich ist mit Im Schatten des Kronturms der Auftakt der Riyria-Chroniken erschienen, die an den Anfang zurückkehren und so einen guten Einstiegspunkt für neue Leser*innen darstellen: Hadrian und Royce kennt man als echtes Dreamteam, doch als sie sich kennenlernen, kann man sich kaum vorstellen, dass sie einmal eine tiefe Freundschaft verbinden wird. Beide sind Einzelkämpfer und könnten kaum unterschiedlicher sein: Der introvertierte Krieger Hadrian will nicht mehr töten und hält an Anstand und Moral fest, während der zynische und skrupellose Dieb Royce sein Leben sinnlos riskiert. Um ein Buch aus dem uneinnehmbaren Kronturm zu stehlen, müssen sie sich zusammentun – auch wenn sie einander absolut nicht ausstehen können.

Michael J. Sullivan begeistert seiner Leser*innen mit spritzigen Dialogen, actiongeladenen Kampfszenen und so mancher Überraschung. Der Fokus liegt dabei auf den Figuren und ihrer Entwicklung, und so, wie man es von einer guten Heist-Story erwartet, werden die Diebe von Seite zu Seite sympathischer. Wer Hadrian und Royce erst als eingespieltes Duo erleben will, kann auch mit Der Thron von Melengar und der sechsbändigen Riyria-Reihe beginnen, die bereits komplett auf Deutsch erhältlich ist.

Das Lied der Krähen | Leigh Bardugo

Nicht nur in den USA, auch bei uns war Das Lied der Krähen ein großer Erfolg, denn der Roman ist mit seinem vielen Wendungen wie ein Hollywood-Blockbuster geschrieben und begeistert die Leser*innen mit seinen sechs sehr unterschiedlichen Außenseitern, den Krähen des Titels. Dieb Kaz ist der Konkurrenz immer einen Schritt voraus und erhält einen Auftrag, der ihn reich machen, aber auch umbringen kann: Er soll einen Magier aus einem ausbruchssicheren Gefängnis befreien. Für eine solch riskante Mission braucht er fähige Leute: die Akrobatin und Informantin Inje, den rachsüchtigen Kreuzritter Matthias, den Scharfschützen Jesper, die Magierin Nina und Wylan, der ihnen notfalls den Weg freisprengen kann.

Die Perspektivfiguren stammen aus verschiedenen Ländern der Fantasywelt, haben unterschiedliche Hautfarben und sexuelle Orientierungen, aber vor allem ganz verschiedene Weltanschauungen. Zudem haben alle eine nachvollziehbare Motivation für ihren kriminellen Lebenswandel, sodass sie durchweg sympathisch sind, aber dennoch verurteilenswert. Auch die Grischa sind spannend, magische Wesen, die Fans der Autorin bereits aus der gleichnamigen Trilogie kennen. Vorkenntnisse sind für Das Lied der Krähen jedoch nicht nötig.

Der Hof der Wunder | Kester Grant

In Kester Grants Der Hof der Wunder ist die Französische Revolution gescheitert. In Paris verhungert das Volk, während sich der Adel zunehmend abschottet und im Luxus schwelgt. Der sagenumwobene Hof der Wunder beherrscht die Unterwelt, unter seinem Gesetz vereinen sich neun kriminelle Gilden: Diebe, Bettler, Meuchelmörder, Schmuggler sowie Rauschgift- und Menschenhändler. Protagonistin Nina muss zuschauen, wie ihr Vater ihre große Schwester an den Tiger, den Herrn der Gilde des Fleisches, und damit in die Prostitution verkauft. Um Nina dieses Schicksal zu ersparen, lässt ihre Schwester sie zur Diebesgilde bringen, wo sie zu der gerissenen und skrupellosen Schwarzen Katze heranwächst – und jahrelang die Befreiung ihrer Schwester plant.

Der Hof der Wunder ist ein finsterer und brutaler Roman, der vom Schicksal einer jungen Frau handelt, die in die Kriminalität gezwungen wird. Nina hat wenig mit den charmanten Dieben gemein, denen scheinbar alles gelingt. Sie scheitert nicht nur einmal und muss Demütigungen und Folter ertragen. Zwar stiehlt sie auch von den Reichen, was amüsant zu lesen ist, doch bei ihrem größten Coup geht es um nichts Geringeres als das Leben ihrer Schwester, die misshandelt und sexuell ausgebeutet wird.

Foundryside: Der Schlüssel der Magie - Die Diebin | Robert Jackson Bennett

Seinen Trilogieauftakt zu Foundryside :Der Schlüssel der Magie - Die Diebin beschreibt Robert Jackson Bennett als „Cyberpunkroman in einem Fantasy-Renaissance-Setting“ – wenn das mal nicht neugierig macht! Auch das sogenannte Scriving ist ungemein spannend. Dabei handelt es sich um eine magische Technologie, mit der man Gegenstände erschaffen kann, die auf gewisse Weise lebendig sind und dadurch verbessert werden. Sancia Grado hat aufgrund unmenschlicher Experimente eine Metallplatte im Kopf, mit der sie gescrivte Gegenstände wahrnehmen kann: Eine Fähigkeit, die sie zu einer außergewöhnlich guten Diebin macht – und sie stetig gegen Reizüberflutung ankämpfen lässt. Bei einem ihrer Einbrüche erhält sie einen lebendigen Schlüssel, der alle Türen öffnen kann – ein ungemein nützliches Werkzeug für eine Diebin. Doch der Schlüssel macht Sancia auch zur Zielscheibe, da es sich um alte Technologie handelt, mit der man quasi die Realität umprogrammieren kann – und die die mafiösen Händlerfamilien in die Finger bekommen wollen.

Foundryside wartet mit innovativem Worldbuilding und reichlich Action in Form riskanter Einbrüche und spektakulärer Kampfszenen auf. Bennett bietet jedoch nicht nur hervorragende Unterhaltung, sondern geht tiefer und beschäftigt sich unter anderem mit den negativen Auswüchsen des Kapitalismus, Kolonialismus und der Sklaverei.

Judith Madera

Judith Madera ist Literatopia-Chefredakteurin und Herausgeberin des Online-Fanzines PHANTAST. Seit 2019 schreibt sie gelegentlich für TOR online über Science Fiction, Anime und Manga. Mehr unter www.literatopia.de