Lange dominierten Fantasywesen wie Elfen, Drachen und Vampire das Genre, doch immer öfter begegnen Leser*innen auch Dschinn, Ifriten und Ghûle, die den Held*innen in ihren Wüstenabenteuern beistehen oder ihnen das Leben schwer machen. Judith Madera stellt uns fünf Romane vor, deren magische Geschichten aus 1001 Nacht entsprungen sein könnten.
Zu den bekanntesten Märchenmotiven aus 1001 Nacht gehören der Flaschengeist, der Wünsche erfüllt und eigentlich gar kein Dschinn, sondern ein hinterhältiger Ifrit ist, oder auch der fliegende Teppich, der in den Originalerzählungen kaum eine Rolle spielt. Und ausgerechnet die bei uns bekanntesten Märchen wie Sindbad – Der Seefahrer, Aladin und die Wunderlampe sowie Ali Baba und die 40 Räuber gehören eigentlich gar nicht zu den Geschichten, die Scheherazade dem rachsüchtigen König erzählt, um ihr Leben zu retten. Antoine Galland hat sie bei seiner Übersetzung der arabischen Vorlage im 18. Jahrhundert einfach hinzugefügt. Den Ursprung der Märchen aus 1001 Nacht vermutet man heute in Indien, in Persien sind sie wohl um einige lokale Erzählungen angewachsen und im heutigen Irak mit arabischen Sagen verschmolzen. Die Entstehungsgeschichte dieser besonderen Märchensammlung ist höchst abenteuerlich – so wie diese fünf Fantasyromane, die ebenso Geschichten aus den 1001 Nächten sein könnten und sich stärker auf die ursprünglichen Motive konzentrieren:
Die Stadt aus Messing | S. A. Chakraborty
Diebin Nahri lebt im Kairo des 18. Jahrhundert und verfügt über zwei besondere Fähigkeiten: Sie kann jede fremde Sprache auf Anhieb verstehen und auf magische Weise Menschen heilen. Diese Kraft setzt sie jedoch vor allem dazu ein, reichen Kunden Krankheiten anzudichten und sie übers Ohr zu hauen. Auch führt sie Rituale durch, an deren Wirkung sie selbst kaum glaubt. Dabei ruft sie versehentlich den Daeva-Krieger Dara herbei, der sie als Nachfahrin einer mächtigen Daeva-Familie erkennt. Kurz darauf werden die beiden von Ghûlen und einem finsteren Ifrit verfolgt. Dara flüchtet mit Nahri nach Daevabad, der magischen Stadt der Daeva und Dschinn …
In Die Stadt aus Messing trifft die Magie aus 1001 Nacht auf komplexe historische Fantasy voll alter Feindschaften und Intrigen. Die Daeva liegen im Streit mit den Dschinn, die eigentlich auch Daeva sind, jedoch die Bezeichnung der Menschen und deren Religion angenommen haben, und sich so von den alten Traditionen der Daeva abgrenzen. Die Geschichte Daevabads ist von blutigen Gräueltaten geprägt, die alten Konflikte kochen immer wieder hoch und was Nahri erst wie ein Paradies erscheint, entpuppt sich als Pulverfass, das kurz vor der Explosion steht.
Ministry of Souls – Das Schattentor | Akram El-Bahay
In seiner Flammenwüste-Trilogie entführte Akram El-Bahay seine Leser*innen in eine magische Wüstenwelt, in der Drachen auf Wesen aus 1001 Nacht treffen. Seine aktuelle Dilogie Ministry of Souls spielt im historischen London des Jahres 1850. Das Ministerium für endgültige Angelegenheiten entsendet Soulmen wie Jack, um die Seelen Verstorbener in die Zwischenwelt zu bringen. Das Wissen darüber stammt aus dem arabischen Raum, ebenso wie der dunkle Schatten, der Jack bei einem seiner Aufträge angreift und ihn einen folgenschweren Fehler begehen lässt: Er bringt eine Lebende, eine arabische Prinzessin, in die Zwischenwelt und verliert sie dort. Im Verlauf des Romans bekommt es Jack zudem mit einem fiesen Ifrit zu tun und während Das Schattentor nur ein Abbild der arabischen Heimat Naimas in der Zwischenwelt zeigt, führt der zweite Band Die Schattenarmee Jack in den echten Nahen Osten.
Akram El-Bahay ist ein wunderbarer Erzähler, bei dem man die Liebe zu den Märchen aus 1001 Nacht in jeder Zeile spürt. In Ministry of Souls setzt er sich zudem kritisch mit dem Kolonialismus auseinander: Während die Engländer Menschen aus dem Nahen Osten abwerten und als „Barbaren“ ansehen (und gleichzeitig deren Wissen nutzen), wird London von gewaltsamen Protesten gegen die Kolonialpolitik erschüttert.
Alif – Der Unsichtbare | G. Willow Wilson
Alif – Der Unsichtbare ist Urban Fantasy in einem fiktiven arabischen Emirat, wo der junge Hacker Alif seinen Klienten zu Anonymität im Netz verhilft und so Schutz vor staatlicher Überwachung bietet. Als seine Geliebte ihn verlässt, schreibt er ein Programm, das ihn im Netz für sie unsichtbar macht. Dieses erregt das Interesse der Staatssicherheit. Alif gilt plötzlich als Terrorist und wird unter anderem wegen eines mysteriösen Buches verfolgt, das er als Abschiedsgeschenk erhalten hat: das „Alf Yeom“ (Tausend und ein Tag), das Alif die Existenz von Geisterwesen enthüllt. Zuflucht findet er schließlich bei einem Dschinn und einem Scheich, zudem erhält er Unterstützung von seiner besten Freundin Dina.
G. Willow Wilson zeichnet hier ein friedliches, menschenfreundliches Bild des Islam und zeigt Fehleinschätzungen des Westens auf. Alif – Der Unsichtbare ist eine chaotische, sehr unterhaltsame Geschichte mit phantastischen Bildern, gleichzeitig aber auch ernst und kritisch.