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Fantasy-Romane schreiben (Teil 12): Die drei wichtigsten Tipps für deinen Romananfang

Fantasy-Romane schreiben (Teil 12): Die drei wichtigsten Tipps für deinen Romananfang
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KOLUMNE

 

Sylvia Englert, 01.08.2017

Aller Anfang ist schwer. Und einen richtig guten Romananfang zu schreiben, ist besonders schwer. Sylvia Englert hat drei Tipps für euch, die helfen könnten.

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Es ist soweit. Du hast eine Idee, kennst deine Figuren und deine Welt, weißt zumindest ungefähr, was in deinem Buch passieren soll ... jetzt könntest du dich endlich kopfüber in den Text stürzen. Wenn nur diese fiesen Gedanken nicht wären. „Der Anfang muss gut werden! Lektoren lesen nur den Anfang! Leser in der Buchhandlung auch! Der Anfang muss einen ins Buch reinziehen! Jetzt bloß keinen Mist bauen!“

Schon völlig verkrampft? Verständlich. Aber dagegen gibt es ein Rezept:

Tipp 1: Reinstürzen!

Das beste Rezept ist, einfach draufloszuschreiben. Ich selbst schreibe das erste Kapitel ganz spontan hin und sage mir dabei: Kannst du später immer noch überarbeiten. Mache ich dann auch. Wenn das Manuskript fertig ist, werfe ich den Anfang oft weg und schreibe ihn neu. Weil ich inzwischen längst warmgeschrieben bin, die Figuren viel besser kenne und mich der Roman seit Monaten begleitet, so dass sich wie von selbst neue Ideen dazu angesammelt haben. Jetzt fallen mir die ersten Seiten leicht. Es kann sein, dass ich sie nochmal wegwerfe, nämlich dann, wenn er bei den Testlesern durchfällt. Dann heißt es Zähne zusammenbeißen und noch eine Variante schreiben.

Dein Auftrag für den Anfang lautet nur, den richtigen Ton für deinen Roman zu finden und so weit einzutauchen, dass du dich in deiner Welt und mit deinen Figuren wohl fühlst. Zerbrich dir nicht den Kopf, ob das alles gut ist oder wird. Dafür ist später noch genug Zeit.

So sieht es auch Jenny-Mai Nuyen. „Ich schreibe oft mehrere Anfänge, setze immer noch einen Prolog davor und dann noch einen und noch einen, bis ich alle wieder verwerfe oder andernorts einbaue“, erzählt sie. „Der Anfang ist für mich etwas sehr Widersprüchliches: Ich versuche dabei eine Geschichte zu erspüren, die es noch gar nicht gibt. Das ist vergleichbar mit Verliebtheit, die sich auf einen Menschen bezieht, den man noch nicht intim kennt. Die Hoffnungen müssen sich erst noch bewahrheiten. Mein Ratschlag wäre, dass man zu Beginn die richtigen Fragen an seine Geschichte stellt (und beantwortet) und sich dabei vor allem nicht zu sehr von seinen Hoffnungen unter Druck setzen lässt.“

Eine gründliche Planung scheint im ersten Moment ein Hindernis zu sein, wenn man mit dem Schreiben beginnt. Ich hatte die Weltenerschaffung für Nachtlilien sehr ernst genommen, meine Planungsdatei zum Stichwort „Kulturen“ bestand aus 43 eng beschriebenen Seiten. Da steckte richtig viel Fantasieschmalz drin. Als ich all diese Details vor Beginn des Schreibens durchscrollte, dachte ich eingeschüchtert: „Das kann ich mir nie im Leben alles merken, wie soll das denn funktionieren?“ Doch dann passierte etwas Wunderbares. Ich fing an zu schreiben, und innerhalb von wenigen Seiten war diese Welt lebendig. All diese trockenen Fakten kamen zusammen und wurden zu einem stimmigen Ganzen, einer Umgebung, in der ich mich ganz selbstverständlich bewegte, ohne sozusagen ständig in den Reiseführer blicken zu müssen. Hin und wieder schaute ich irgendein Detail nach, deshalb hatte ich sowohl die Planungs- als auch die Figurendatei ständig als Fenster geöffnet, aber ich fühlte mich wohl. Neue Ideen, tausend Kleinigkeiten für meine Welt, flogen mir zu und wurden sofort eingebaut. Ich kann dir nur wünschen, dass es dir genauso geht.

Tipp 2: Ran an Handlung und Hauptfigur

 „Nicht langsam aufbauen, sondern ranklotzen“, meint Holger Kappel, Teamleiter Fantasy bei Blanvalet.  Auf den ersten zehn Seiten ist es nicht nötig, Charaktere oder die Welt vorzustellen. Da ist es nötig, den Leser dafür zu begeistern, weiterlesen zu wollen. Das muss wohlgemerkt nicht bedeuten: Action! Aber Handlung. Ich glaube, ein Einstieg, in dem man fünfzig Seiten über Hobbits erzählt, verhindert den Erfolg eines Buches (offensichtlich) nicht. Aber er fördert ihn auch nicht.“

Und was meinen die Profis dazu? Ich habe Kai Meyer gefragt, wie er das mit dem Anfang macht. „Manche Autoren setzen auf einen actionreichen Einstieg, andere eher auf eine interessante Figur, die einem in den ersten zwei, drei Sätzen nahe gebracht wird. Oder einfach nur auf eine gute Idee“, meint er. „Ich habe in über fünfzig Büchern alle Variationen ausprobiert, neige aber mittlerweile sehr zum Charakter-Einstieg. Und selbst wenn ich über Action in eine Geschichte hineingehe, muss sehr schnell klar werden, wer in sie verwickelt ist – ich benutze dafür seit langem immer nur die Hauptfiguren. Ich mag Einstiege nicht, bei denen mir seitenlang Nebenfiguren vorgestellt werden, die dann am Ende des ersten Kapitels sterben – das wird gern in Thrillern gemacht (das austauschbare Opfer des Serienmörders), aber ich empfinde das meist eher als Zeitverschwendung. Ganz selten steige ich auch mal mit einem ungewöhnlichen Bild ein (etwa in Asche und Phönix), aber dann darf die Szene nicht länger als ein, zwei Seiten sein. Danach geht es sofort zur Hauptfigur.“

Also: ran an die Hauptfigur! Denn spannend wird es erst, wenn man eine Figur mag oder sich mit ihr identifiziert hat – dann erst hofft man, dass ihr nichts passiert, wenn es gefährlich wird.

Tipp 3: Prolog nur mit innerem Spannungsbogen

Wenn man in Fantasyromanen stöbert, findet man die verschiedensten Anfänge, aber eins haben sie oft gemeinsam: Häufig wird an ihrem Anfang eine Prophezeiung zitiert oder alternativ ein Auszug aus einem alten Pakt oder ähnliches. Ein origineller Dreh ist so etwas natürlich nicht, doch ist die Prophezeiung für den Roman wichtig, dann macht es Sinn, sie am Anfang einmal ganz zu bringen. Aber bitte nicht über mehrere Seiten, denn viele Leser überfliegen solche Texte ohnehin nur, weil sie mit ihnen (noch) nicht viel anfangen können.

Viele Autoren greifen zu einem Prolog, um etwas zu schildern, was aus ihrer Sicht wichtig ist, aber als Szene nicht in die eigentliche Geschichte passt. Zum Beispiel, was für bedeutsame Dinge in alter Zeit passiert sind oder was an einem anderen Ort geschieht und Bedeutung für die Hauptfiguren hat, ohne dass sie etwas davon ahnen. Das funktioniert oft nicht besonders gut, weil man solche isolierten Szenen sehr schnell vergisst. Wichtige Informationen und geheimnisvolle Andeutungen sind in einem Prolog fast immer verschwendet (und nur ganz selten blättert jemand am Schluss zurück, um den Prolog nochmal zu lesen und ihn diesmal zu begreifen).

Aber es gibt auch Fälle, in denen der Prolog tatsächlich funktioniert. Patrick Rothfuss nutzt ihn in Der Name des Windes, um uns durch eine Außensicht neugierig auf seine Hauptfigur zu machen und ganz nebenbei den Ort der Rahmenhandlung einzuführen. Dadurch wissen wir, als die Haupthandlung in Ich-Erzählung einsetzt, schon, wie der Erzähler von außen und auf andere wirkt.

Einen dramaturgisch gut funktionierenden Prolog hat Danielas Knors Nachtreiter. Die Zeit- und Ortsangabe lautet „Sarmyn, vor Beginn der Zeitrechnung“. Ein entscheidendes Treffen zwischen zwei Herrschern steht an, wir erleben es aus der Sicht der ziemlich angespannten Leibwächterin Haduri mit. Wir sind ganz klar auf der Seite des Herrschers, dem sie dient, denn Daniela Knor schafft es, ihn in wenigen Zeilen sympathisch zu machen:

 

„Ihr Blick fiel auf ihren Herrn, der – umgeben von einer Handvoll Ratgebern – auf einem schlichten Schemel im Schatten saß. Seine grün-weiße Robe verschmolz beinahe mit dem Spiel des Sonnenlichts im Laub. Selbst im Sitzen kam Diuramans schlanke, hochgewachsene Gestalt noch zur Geltung. Etwas Zerbrechliches haftete ihm an, das die sternförmigen weißen Blüten der Lirien noch unterstrichen, die zu seinen Füßen blühten. Haduri fragte sich, wann er alt geworden war, ohne dass sie es bemerkt hatte. Das volle blonde Haar reichte ihm noch immer bis zu den Schultern, das bartlose Gesicht wies kaum Falten auf, und doch hätte sie ihn nicht mehr mit einem jungen Mann verwechselt, wie es ihr bei ihrer ersten Begegnung vor einigen Jahren passiert war.

Er spürte ihren Blick und lächelte. In seiner Miene zeigten sich weder Sorge noch Angst. Vielleicht hatte er das viele Leid, das die Menschen erdulden mussten, seit die Heerwölfe in Sarmyn eingefallen waren, seine Kraft gemindert, aber er strahlte noch immer Zuversicht aus. Wenn er keine Hoffnung mehr hätte, wären wir nicht hier, dachte Haduri und zwang sich, sein Lächeln zu erwidern.“

 

Doch das Treffen ist eine Falle des Feindes, wenige Minuten später wird Diuraman ermordet und Haduri muss fliehen. Ich war beim Lesen ehrlich schockiert über diesen Mord, und diesen Prolog habe ich nicht vergessen.

Ein eigener kleiner Spannungsbogen, bei dem du die Emotionen des Lesers ansprichst, macht deinen Prolog zu einer sinnvollen Ergänzung des Romans! Ansonsten frage dich, ob du wirklich einen Prolog brauchst und er nicht einfach ein Teil des ersten Kapitels ist.

Ich hoffe, diese ersten Tipps zum Anfang haben dir geholfen. Viel Glück und viel Spaß bei deinen ersten Seiten!



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Du möchtest einen Fantasyroman schreiben oder bist schon mitten dabei und hättest gerne ein wenig Unterstützung von einer erfahrenen Autorin? Kein Problem. In meinen Artikeln, die auf meinem „Handbuch für Fantasy-Autoren“ basieren, geht es um handwerkliche Techniken und Tricks, die ich selbst gerne gekannt hätte, als ich meinen ersten Fantasyroman schrieb.

Sylvia Englert

Sylvia Englert ist Autorin, Lektorin und Journalistin. Jugendromane schreibt sie unter dem Namen Katja Brandis, Fantasy für Erwachsene unter dem Pseudonym Siri Lindberg – und unter ihrem richtigen Namen hat sie 2015 das Buch Fantasy schreiben und veröffentlichen publiziert.

www.sylvia-englert.de | www.katja-brandis.de | www.siri-lindberg.de