Science Fiction

Triff die Zukünfte. Ein Bericht von der WorldCon 2023 in Chengdu, China

WorldCon-Gebäude in Chengdu (Bildbeschreibung am Ende des Artikels)

Brandon Q. Morris, 24.10.2023

Die Begeisterung für Science Fiction ist in China groß. Das merkt man auch und besonders auf der WorldCon 2023, die in Chengdu stattfand. Unser Autor Brandon Q. Morris war vor Ort und berichtet.

Nachts halb drei blinken rote Lichter in der Dunkelheit, die von gelandeten Raumschiffen kommen könnten, tatsächlich aber von den Dachfirsten der vielen Hochhäuser leuchten. Ihre Fronten sind zu dieser Zeit schwarz, denn die Bewohner schlafen. Wenn es dazu noch regnet, wie in der Nacht, als der Autor dieser Zeilen Chengdu, den Austragungsort der WorldCon 2023, erreicht, fühlt man sich automatisch in dystopische Welten à la Bladerunner versetzt. Sollte das Motto nicht auch "Meet the Future" heißen?

Der Blick aus dem Fenster des Sheraton-Hotels, in dem ein großer Teil der ausländischen Gäste untergebracht ist, verändert die Perspektive ein wenig. Da ist ein elegantes Raumschiff auf einem See gelandet. Seine geschwungene Form ist geschickt angestrahlt; es scheint kurz vor dem Start zu stehen, und tatsächlich ist es auch gerade erst fertig geworden, das moderne Science-Fiction-Museum nach Plänen der Stararchitektin Zaha Hadid (2016 gestorben). Empfindliche Nasen berichten an dieser Stelle schon, dass es innen teils noch unangenehm riechen solle, was der Autor nicht bestätigen kann.

Ein Science-Fiction-Museum

Aber welche Stadt besitzt denn überhaupt ein Science-Fiction-Museum, und dann auch noch eines mit diesen Ausmaßen? Als Veranstaltungsort passt es jedenfalls perfekt, und das bestätigt sich auch an den folgenden Tagen, selbst wenn das Museum als solches und nicht als Event-Center entworfen wurde. Was bedeutet, dass manche Räume etwas schwieriger zu erreichen sind als andere.

Sind wir also in der Zukunft angelangt, die wir uns alle wünschen? Nun, es ist schon ungewohnt, mit welchem Aufwand, sagen wir mal, die Sicherheit der Teilnehmer gewährleistet werden soll. Was leider dazu geführt hat, dass ein Teil des schönen Parks rund um das Museum abgesperrt ist. Es gibt einen Strand und lauschige Wege – aber nichts davon können die Besucher benutzen, weil der Strom auf ganz bestimmten Weg ans Ziel geführt wird. Auch die Straßen rund um die WorldCon sind gesperrt; normale Taxis müssen ihre Gäste weiter draußen absetzen. Dazu die vielen Kameras überall …

Wer sich für Wissenschaft interessiert, ist cool

Aber dann sind da die Chinesen. Nicht ganz überraschend, natürlich. Was aber wirklich überrascht, ist die Herzlichkeit des Empfangs. Jeder Gast hat eine Betreuungsperson zugewiesen bekommen, die sich um die tägliche Organisation kümmert. Wer muss wann wo sein und wie komme ich dahin? Das weiß Xinhue, die sich zum Schluss noch handschriftlich dafür bedankt, dass ich ihr unperfektes Englisch toleriert habe. Die Betreuenden sind von früh bis spät verfügbar, und sie werden nicht dafür bezahlt, weil sie sich als Freiwillige gemeldet haben.

Doch die Freundlichkeit hört bei ihnen nicht auf. Mein chinesischer Verlag hat an einer Universität, im Science-Museum und im größten Buchladen der Stadt Vorträge bzw. Diskussionen organisiert. Mit welchem Interesse die Besucher dabei sind und was für kluge Fragen sie stellen, über Die Störung, über Physik, aber auch über die Gesellschaft und die Probleme er Zukunft – das habe ich so noch nie erlebt. Meine Erfahrung ist eventuell nicht repräsentativ, aber Wissenschaft und Science Fiction scheinen hier einen höheren Stellenwert zu haben. Wer sich dafür interessiert, ist cool (wie der Astrophysiker in Plastiklatschen, mit dem ich im Buchladen spreche) und nicht der seltsame Nerd. Und nirgends habe ich so viele weibliche und junge Lesende wie hier.

Im Shuttlebus bittet mich ein Mann, ein paar ermutigende Worte für seine Tochter in seine Kamera zu sprechen. Die Zehnjährige will Wissenschaftlerin und Künstlerin werden, und warum auch nicht? Am kommenden Tag bringt mir der Vater eine von seiner Tochter bemalte Tasse vorbei; er wartet extra abends in der Lobby, bis er sie mir übergeben kann. Man bekommt wirklich das Gefühl, dass die Menschen hier nach Zukunft lechzen, und wer könnte sie besser projizieren als die SF-Autor:innen aus aller Welt?

Die beste WorldCon aller Zeiten …

Für die Bewohner Chengdus hat sich die WorldCon 2023 also schon einmal gelohnt, auch wenn es wohl, hört man, deutlich weniger Tickets als Bedarf daran gab. Der chinesische Staat hat sicher auch davon profitiert. Was an Show geboten wurde, wäre im privaten Rahmen einer WorldCon-Organisation nicht machbar gewesen. Die ganze Stadt war mit Werbung vollgehängt, tausende Polizisten im Einsatz – China hatte offenbar den Ehrgeiz, die beste WorldCon aller Zeiten zu organisieren.

Es war auf jeden Fall die prunkvollste. Die Eröffnungsshow war hollywoodreif. Allerdings zeigte sie auch ein Problem auf: Die Moderation fand komplett auf Chinesisch statt, sodass die meisten ausländischen Besucher nichts verstanden (es gab nicht genügend Übersetzungsgeräte). Auch drei Viertel der Veranstaltungen wurden auf Chinesisch abgehalten. Hier gab es oft Simultan-Übersetzungen. Würde auf einer WorldCon in Deutschland großteils Deutsch gesprochen, käme das vermutlich nicht so gut an. Dass China als Ausrichter eine gewisse Rolle spielt, hat man in diesem Jahr auch an den stets auf der WorldCon verliehenen Hugo-Awards gesehen. Unter den Nominierten waren deutlich mehr Einheimische als sonst. Natürlich alle verdient, aber es ist nur ein erster Schritt auf dem Wege der Anerkennung, dass SF doch ein weltweites Phänomen darstellt und kein amerikanisch-chinesisches.

Aber gut – das internationale Organisationskommitee hat sich begeistert gezeigt. Alles andere wäre auch unhöflich gewesen, und letztlich waren es für mich vor allem die Menschen hier, die aus dem Besuch zur Buchvorstellung eine dauerhafte Erinnerung gemacht haben. In Gesprächen mit chinesischen Kollegen haben wir übrigens immer wieder festgestellt, dass es zu wenig deutsche SF auf Chinesisch gibt und zu wenig chinesische auf Deutsch. Vor mir stellte Andreas Eschbach eine Übersetzung seines Buchs "Herr aller Dinge" vor, weitere Programmpunkte mit Gästen aus Deutschland gab es nicht. Vielleicht lässt sich daran etwas ändern, liebe Verlage? Die Fragen, die sich deutsche und chinesische Leser:innen stellen, ähneln sich nämlich durchaus, und es wäre doch spannend, mögliche Antworten einmal durch eine andere kulturelle Brille betrachten zu können.

Welche Zukunft habe ich nun in Chengdu am meisten angetroffen? Eine hoffnungsvolle, würde ich sagen. Ich habe mich den Menschen hier sehr verbunden gefühlt, und wenn das weiterhin über gesellschaftliche System- und Sprachgrenzen hinaus funktioniert, ist es um die Zukunft der Menschheit vielleicht doch gar nicht so schlimm bestellt, wie ein Blick in die Nachrichten glauben macht.

Fotos vom Worldcon

Brandon Q. Morris

Brandon Q. Morris ist Physiker und beschäftigt sich beruflich und privat schon lange mit Weltraum-Themen. Er wäre gern Astronaut geworden, musste aber aus verschiedenen Gründen auf der Erde bleiben. Sein Ehrgeiz ist es deshalb, spannende Science-Fiction-Geschichten zu erzählen, die genau so passieren könnten.