Im Interview zu ihrem neuen Science-Fiction-Roman "Pantopia" erzählt Autorin Theresa Hannig von Menschrechten, die nicht ernst genommen werden, künstliche Intelligenzen und warum sie sofort zur Arche werden würde.
Hallo Theresa, schön, dass du dir Zeit für dieses Interview nimmst. Pantopia ist ja eine von einer KI entwickelte optimale Gesellschaftsform, in der es Grundeinkommen für alle gibt, Nachhaltigkeit effizient gefördert wird, die Menschenrechte gewahrt werden, die Rüstungsindustrie abgeschafft wird usw. Ein Traum. Kannst du dir vorstellen, in Pantopia zu leben?
Es wäre so schön, in Pantopia zu leben! Ja, ich könnte mir das sehr gut vorstellen! Der Pfad auf dem wir uns im Augenblick befinden ist mehr als bedenklich. Erst Anfang April 2022 hat UN-Generalsekretär Antonio Guterres gesagt, wir befinden uns "firmly on track toward an unlivable world". Das muss man erst mal sacken lassen. Aber diese Aussage prangte nicht etwa überall in Zeitungen, Fernsehshows und Social-Media-Feeds, nein. Viele haben davon gar nichts mitbekommen. Denn gerade tobt ein schrecklicher Krieg in Europa und die Pandemie ist nach wie vor nicht vorbei; außerdem passieren ständig Tausend andere Dinge, die uns wichtiger erscheinen, als die Rettung des einzig uns bekannten bewohnbaren Planeten. Insofern wäre ich außerordentlich erleichtert, wenn wir als Menschheit – als Schwarm ohne intelligentes Feedbacksystem – endlich eine Methode entwickeln könnten, wie wir global und individuell vernünftig handeln könnten. In meinem Roman ist es die Weltrepublik Pantopia – aber ich wäre auch froh über ein reales System, das ohne starke KI funktioniert.
Seit einigen Wochen ist nun der Krieg in der Ukraine allgegenwärtig und die Lieferung von Waffen wird heiß diskutiert. Scheinen wir nicht weiter weg von Pantopia als je zuvor? Oder gibst du Pantopia trotzdem eine Chance?
Auch ich bin vom Krieg gegen die Ukraine schockiert und berührt und fühle, dass der Krieg „uns“ heute „näher“ ist als je zuvor. Aber global gesehen ist es ein Trugschluss, zu sagen, dass „jetzt gerade“ Krieg herrscht, wo früher eitel Sonnenschein war. Der Krieg war die ganze Zeit schon da – nur nicht vor unserer Haustür. Und die Menschen, die z. B. aus Syrien geflüchtet sind, haben die gleichen schrecklichen Erfahrungen gemacht, wie die Ukrainer und Ukrainerinnen, die jetzt zu uns kommen. Einerseits stimmen mich die Solidarität und die Willkommenskultur hoffnungsvoll. Es zeigt, was Europa leisten kann – wenn es will. Andererseits ist es traurig, dass dieser Wille hauptsächlich für solche Geflüchtete vorhanden ist, die kulturell und optisch der Mehrheitsgesellschaft entsprechen. Denn das Leid ist allen Menschen gleich, egal wo sie herkommen und wie sie aussehen.
Die Ausgangssituation ist im Augenblick also ziemlich schlimm. Umso mehr möchte ich dafür plädieren, dass Pantopia eine Idee ist, uns als Menschheit aus der Krise zu führen. Es gibt ein Prinzip, das mich fasziniert: Je ungleicher und ungerechter ein System, desto höher die Zahl derjenigen, die arm und entrechtet sind, und desto größer ihre Macht, wenn sie es schaffen, sich zu organisieren. Wir alle sind Teil dieses Systems und wir halten uns an Naturgesetze, weil wir es müssen, und an intersubjektive Realitäten, weil wir glauben, es zu müssen. Aber mit den aktuellen technischen Möglichkeiten und der Erkenntnis, dass wir alle absolut gleich sind, kann ein unübertroffenes demokratisches Potenzial entstehen:
Ein Angriffskrieg bei dem die Soldaten basisdemokratisch darüber entscheiden, ob sie ein benachbartes Land überfallen oder nicht, ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein Krieg, der niemals stattfinden wird.
Die künstliche Intelligenz – oder sollte man sagen, das künstliche Bewusstsein? – Einbug spielt eine zentrale Rolle in deinem Roman. Wie viele Möglichkeiten, wie viel Macht wird künstliche Intelligenz deiner Meinung nach in unserer Zukunft bekommen?
Künstliche Intelligenz ist bereits heute ein ganz selbstverständlicher Teil unseres Alltags, ohne dass wir uns groß Gedanken darüber machen. Ob Navigationssoftware, Vorschlagsalgorithmus beim Binge Watching oder Suchergebnisse bei Google. Das alles wird schon über KIs gesteuert – aber es sind sehr begrenzte und spezialisierte KIs. Sie haben gewaltigen Einfluss auf unser Leben, und es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft aufmerksam verfolgen, welche Daten und Rechte diese KIs erhalten und nach welchen Regeln sie funktionieren. Erfreulicherweise finden zu diesen Themen eine ganze Menge öffentlicher Debatten statt, bei denen Politik, Gesellschaft und Wissenschaft um den besten Umgang mit KI ringen (Ich war z. B. am 4. Mai beim Institut für Technikfolgenabschätzung ITAS in Karlsruhe, um über Künstliche Intelligenz zu sprechen).
Als Autorin benutze ich mit Einbug eine bewusste, starke KI, die in der Realität wohl erst in sehr ferner Zukunft eine Rolle spielen wird. Aber ich sehe keinen Grund, warum es – genug Zeit vorausgesetzt – nicht irgendwann bewusste künstliche Intelligenzen geben sollte. Lebewesen sind am Ende auch nur sehr komplexe biologische neuronale Netze. Warum sollte das Ganze nicht auch auf Silicium Basis funktionieren?
Stephen Hawking sagte, eine Super-KI wäre entweder das Beste oder Schlimmste, das der Menschheit zustößt. Es gibt viele Horrorszenarien in denen eine KI intelligenter wird als wir und versucht, sich der Menschheit als lästigen Konkurrenten zu entledigen. Aber ich sehe das nicht als notwendigen Fortgang der Geschichte bzw. der Evolution. KIs sind so gut wie ihre Trainingsdaten. Und wer davon ausgeht, dass eine KI zwangsläufig menschenfeindlich wird, hat wahrscheinlich ein negatives Menschenbild. Bis wir eine echte starke künstliche Intelligenz erschaffen, wird es noch eine Weile dauern. Aber bis dahin werden genau diese Debatten über KI deren Entwicklung beeinflussen.