Ursula K. Le Guin, 15.06.2023 (1994)
Pronomen stehen im Rahmen des Genderns und der Debatte um Geschlechteridentität aktuell wieder in der (leider teils etwas unschönen) Diskussion. In ihrem Werk hat sich Ursula K. Le Guin schon vor Jahrzehnten damit beschäftigt. Zum Beispiel in Die linke Hand der Dunkelheit und einem Nachwort von 1994 zu einer Ausgabe dieses Science-Fiction-Romans.
Was für eine staubtrockene, langweilige Angelegenheit, für niemanden von Bedeutung als Grammatiker und Pedanten! Wie wünschte ich, dass dem so wäre! Aber leider wird Die linke Hand der Dunkelheit vom Geschlecht seiner Pronomen, einer wilden, grimmigen, widerspenstigen Bande, geplagt und verfolgt.
Nachdem ich eine Art von Menschen erfunden hatte, die vom Wesen her geschlechtslos ist — außer für wenige Tage im Monat, wenn sie sexuell hochaktiv werden, entweder auf männliche oder weibliche Weise, und für die Dauer der Schwangerschaft und Stillzeit, wenn sie weiblich bleiben — nachdem ich mir also die Gethener ausgedacht hatte, wie sollte ich sie nennen? 1967, als ich das Buch schrieb, nannte ich sie alle »er«. Damals glaubte ich, das männliche Pronomen sei im Englischen tatsächlich generisch und umfasse männliche wie weibliche Bezugspersonen. Das ist ein angenehmer und bequemer Glaube. Bedauerlicherweise verliert er, je länger man ihn betrachtet, um so mehr an Glaubwürdigkeit. Noch bedauerlicher ist, dass er zu einem der Neununddreißig Artikel des Antifeminismus geworden ist. Einige Jahre nach der Veröffentlichung des Buches bin ich vom Glauben abgefallen und bin seither unbekehrbar. »Er« bedeutet, was es sagt, nicht mehr und nicht weniger, leider!
Was hätte ich stattdessen nehmen können? In den Sprachen der Gethener gibt es natürlich Substantive und Pronomen für die »Somer«, ihren geschlechtslosen »Normalzustand«, und geschlechtsspezifische Substantive und Pronomen für die »Kemmer«, ihre sexuelle Phase. In vielen terranischen Sprachen gibt es neutrale oder bisexuelle Pronomen, »somer«-Pronomen; viele haben geschlechtsspezifische Pronomen, deren Genus mit dem Geschlecht des Bezugsworts übereinstimmen kann oder auch nicht, so es denn ein Geschlecht hat. Das gilt für alle romanischen Sprachen.
Unromantische englische Pronomen müssen dem tatsächlichen Geschlecht oder der Geschlechtslosigkeit ihres Bezugsworts entsprechen (mit einigen Erweiterungen des weiblichen Geschlechts auf Schiffe, Maschinen und Katastrophen). Für geschlechtslose Bezugsworte gibt es das Neutrum, »it«. Dieses Neutrum kann für Tiere verwendet werden, aber nicht für Menschen (außer gelegentlich für ein Baby, von Leuten, die keine Babys mögen). Im Englischen gibt es ein wirklich geschlechtsneutrales Pronomen nur im Plural. He, she, it sind geschlechtsspezifisch, they ist es nicht (»they is not«). (Über Grammatik zu reden gefällt mir; du kannst Dinge sagen wie »they is not«, und keiner wird dich korrigieren.)
In alter Zeit wurde they regulär als genderfreier oder bisexueller Singular verwendet, wie noch heute in der Umgangssprache. Wir können sagen: »If any student has a problem with this, I want to talk to them after class« oder: »Somebody left, but I didn’t see who they were.« Doch im Lauf des siebzehnten Jahrhunderts begannen die Grammatiker, sich um Kongruenz zu sorgen, wahrscheinlich, weil sie das Englische ans Lateinische angleichen wollten, da das Lateinische für edler und viriler gehalten wurde als die Alltagssprache; und sie verfügten, dass they als Singularpronomen nicht »korrekt« sei, wie im Lateinischen. Das hat niemanden von uns seither davon abgehalten, es beim Sprechen zu benutzen, aber doch die meisten von uns davon abgehalten, es zu benutzen, wenn wir schreiben.
»Korrektheit« im Geschriebenen ist ein legitimes Anliegen, wo es um Klarheit geht; man kann weder gut noch verständlich schreiben, wenn man Wortbedeutungen oder sprachliche Gepflogenheiten und Syntax missachtet. Aber »Korrektheit« ist auch ein Schibboleth (im wahrsten Sinne des Wortes), das von professionellen Besserwissern zur Festigung einer sozialen Hierarchie des Wissens und der Macht benutzt wird. In Kolumnen schimpfen sie laut über den »falschen Gebrauch«, die »Vulgarität« und den »Verfall« der Sprache, womit sie in der Regel die Sprache der einfachen Leute meinen und die damit verbundene unaufhaltsame Veränderung und Erneuerung der wesensgemäß konservativen, kodifizierten Schriftsprache. Konservatismus ist gut und wichtig, aber reaktionäres Gejammer ist ermüdend — und allzu oft heuchlerisch.
So wäre zum Beispiel die Behauptung, dass die Anrede Ms. eine politische Erfindung sei absolut gerechtfertigt gewesen, wenn die Kritiker denn zugegeben hätten, dass Miss und Mrs. genauso politisch aufgeladen sind — was sie allerdings nicht getan haben. Aber es ist eben gesellschaftlich und politisch bedeutsam, ob eine Frau nur durch ihre eheliche Beziehung zu einem Mann bezeichnet wird, so als hätte sie darüberhinaus keinerlei Dasein. Dieses unabhängige Dasein wird mit dem Wort Ms. angesprochen. (»Ms.« ist übrigens keineswegs eine Erfindung, die aus der Luft gegriffen wäre, sondern eine neue Schreibweise des altehrwürdigen Miz aus den Südstaaten.) Wie groß der Bedarf nach einer solchen weiblichen Entsprechung zu Mr. war, lässt sich daran ablesen, wie bereitwillig und fast allseitig es angenommen wurde. Es geschieht nur noch selten, dass jemand »Ms.« als Beleg für die sich anbahnende feministische Vorherrschaft, als eine Bombe im Arsenal des gefürchteten Weiberregiments, anprangert.
Einige von uns im Weiberregiment haben beschlossen, wann immer man uns lässt, they schriftlich als genderfreien Singular zu verwenden, und das geht öfter, als Sie vielleicht meinen. Fast scheint es, als wären die einzigen, die es schmerzt, die Lektorinnen und Lektoren; man muss ihnen gut zureden und sie mit Möhren füttern, bis sie es stehenlassen. Alle anderen merken es nicht einmal. In diesem Buch jedoch bot they keine Lösung für mein Pronomenproblem. Es war mir schlicht nicht möglich, Estraven durchgehend als they zu bezeichnen wie einen Vogel- oder Bienenschwarm oder ein Komitee. Auch die kleinen bemühten Ungetüme der Gewissenhaften, he or she, she or he, he/she, s/he, waren für mich keine Option … diese Bildungen sind nicht geschlechtsneutral, sie beziehen sich auf eine Person, die entweder männlich oder weiblich, nach gethenischen Maßstäben also in der Kemmer sind. Auch s/he, noch die beste der Formen, ist binär und nicht genderfrei. Im Übrigen habe ich keine Ahnung, wie ich es aussprechen sollte: suh HEE? Als Autorin ziele ich aufs Gehör und will in meinem Text kein Wort verwenden, das nicht problemlos ins Ohr oder ins innere Ohr geht, vor allem dann nicht, wenn es tausendfach vorkommt. Das ist meiner Ansicht nach das Hauptproblem mit den erfundenen Wörtern, zu denen man mich zwecks Lösung des großen gethenischen Pronomenproblems gedrängt hat. Eine Reihe von ihnen wurde in den letzten Jahrzehnten in feministischen und experimentellen Werken ausprobiert, und ich muss sagen, dass mich keines von ihnen so »überzeugt« hat wie Ms., das sofort schlicht und richtig klang. Ein Lieblingswort ist per. Ich habe es ausprobiert, es klingt in meinen Ohren schwerfällig und penetrant. Ich mag es einfach nicht. Als ich den Beschluss fasste, Teile von Linke Hand genderfei zu formulieren, versuchte ich es mit per und ein paar anderen erfundenen Pronomen, und erfand am Ende eigene.