Fantasy

Dark Fantasy: Alles, was du über das Genre wissen musst

Dark Fantasy: Alles, was du über das Genre wissen musst

Alessandra Reß, 19.05.2019

Vampire statt Elfen, Werwölfe statt Orks, und Helden, die in Schatten wandeln: Wenn in phantastischen Welten die Wesen der Nacht die Hauptrolle spielen, bewegen wir uns auf dem Boden der Dark Fantasy.

Wenn dir heutzutage ein Vampir begegnet, kannst du dir nicht sicher sein, was dich erwartet. Wird er dir das Blut aussagen? Wird er dich küssen? Beim ersten Sonnenstrahl glitzern? Oder dir nur einen Sermon über die Bürde der Unsterblichkeit halten?

Dass diese Unsicherheit besteht, haben wir einem Subgenre-Übeltäter namens Dark Fantasy zu verdanken. Damals, in den guten alten Zeiten, als Science Fiction und Fantasy noch eins waren und nur der Horror unter dem Begriff der »Gespenstergeschichten« parallel existierte, war die Sache klar: Vampir gesichtet? Hoffentlich hast du Weihwasser, Knoblauch oder wenigstens einen ordentlichen Pflock dabei. Ansonsten war’s das mit dir.

Dark Fantasy als »ruhiger Horror«

Diese Regeln galten bis Mitte der 1970er Jahre. Dann erschien Stephen King auf der Bildfläche. Titel wie Carrie und Brennen muss Salem lösten einen Horror-Boom aus, in dessen Fahrwasser auch Autoren wie Anne Rice oder Chelsea Quinn Yarbro ihre Karrieren starteten. Beide definierten in Romanen wie Interview mit einem Vampir und Hotel Transylvania das Bild des Vampirs neu – und stellten damit die Weichen für ein neues Fantasygenre.

Bis dieses benannt wurde, sollte es aber noch bis Anfang der 1990er Jahre dauern. Zu diesem Zeitpunkt sah es für den Horror schon nicht mehr so rosig aus. Stephen King blieb zwar ein Bestsellergarant, doch ansonsten war der Boom vorbei. Die Dark Fantasy bedeutete nun eine Marketingstrategie, um erstens Horror und die damals populärere Fantasy zu verbinden und zweitens eine weichere Spielart des zunehmend von Splatter und Gore geprägten Horrors zu etablieren. Charles L. Grant, dem oft die Erfindung des Begriffs »Dark Fantasy« zugeschrieben wird, sprach daher auch von »Quiet Horror«. Während sich jedoch die Handlung von Horrorgeschichten in unserer Welt abspielen, besteht diese Einschränkung für Dark Fantasy nicht. Zudem ist das Vorhandensein des »Anderen« in der Dark Fantasy normalerweise bekannt, im Horror trifft es die Protagonisten unvorbereitet und ungleich bösartiger.

Die Abgrenzung zum Horror ist somit relativ leicht – die zu anderen Fantasy-Subgenres gestaltet sich dagegen oft schwierig, wie sich noch zeigen wird.

Teil einer dunklen Welle

In erster Linie steht die Dark Fantasy für einen düster-melancholischen Grundton. Oft spielen finstere Leidenschaften, Wahnsinn und die Auseinandersetzung mit Tod und Unsterblichkeit eine Rolle; repräsentiert werden diese Elemente durch Wesen der Nacht wie Werwölfe, Vampire, Geister oder gefallene Engel.

Völlig neu war das natürlich auch zu Beginn der 1990er nicht. Als Ahnen des Genres gelten die Vertreter der Schauerromantik ebenso wie die Pulp-Autoren Gertrude Barrows Benett oder H. P. Lovecraft. Doch seit den 1980er Jahren fanden zunehmend oben genannte Elemente ihren Weg in die sonst doch eher taghelle Fantasy. Als Grund für diese Entwicklung wird auch die durch AIDS ausgelöste gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Themen wie Krankheit und Tod gesehen.

Überhaupt traf die Dark Fantasy gesellschaftlich einen Nerv. Inhaltliche Parallelen finden sich etwa in der Dark-Wave-Kultur, die sich Ende der 1980er in ihrer Hochphase befand. Kein Wunder, dass zahlreiche Dark-Fantasy-Werke wie Anne Rice‘ »Vampir-Chroniken« oder James O’Barrs »The Crow« nicht nur Elemente der Jugendkultur aufgriffen, sondern auch in dieser stark rezipiert wurden. Gerade im deutschsprachigen Raum brachte zudem das Dark-Fantasy-Erzählspiel »Vampire: Die Maskerade« Gothic- und Rollenspielszene zusammen. Und auch die Verbindungen zwischen Dark Fantasy und der Jugendkultur sind eng – eine weitere Alternativbezeichnung für das Genre lautet »Gothic Fantasy«.

Ein Label für »alte« und »neue« Autoren

Neben Anne Rice und Chelsea Quinn Yarbro galt Neil Gaiman mit seinen »Sandman«-Comics als einer der Genrebegründer. Autoren wie Tanith Lee (Blood Opera) oder Brian M. Stableford (David Lynyard), die auch vorher schon eher düstere Fantasy veröffentlicht hatten, fanden in der Dark Fantasy ein neues Label. Daneben traten Debütanten auf den Plan, beispielsweise Kim Newman (Anno Dracula), Alan Campbell (Die Kettenwelt-Chroniken) oder Freda Warrington (Das Blut der Liebe).

Ab den Nuller Jahren richtete sich das Genre zunehmend auch an Jugendliche. Serien wie »Mitternachtszirkus« oder »Dämonicon«, beide von dem irischen Schriftsteller Darren Shan, zeigten dabei deutlich die Verwandtschaft zum Horror. Die größte Popularität erreichte aber eine andere Spielart: Stephenie Meyers Twilight rief einen Boom hervor, in dessen Zuge zahlreiche Jugendromane erschienen, die Dark Fantasy mit Romance-Elementen mischten. Sixteen Moons von Kami Garcia und Margaret Stohl, Lili St. Crows Strange Angels, die Fallen-Reihe von Lauren Kate oder Cassandra Clares Die Chroniken der Unterwelt sind nur einige solcher Titel.

Dark Fantasy als Crossover-Genre

Auch sonst zeigt sich eine enge Verwandtschaft zwischen Dark Fantasy und »romantischen« Subgenres wie Romantasy, Romantic Thrill oder Paranormal Romance (alles zugegebenermaßen sehr diffuse, oft unschöne Bezeichnungen). Ebenso gibt es starke Überschneidungen zur Urban Fantasy: Sobald sich der Vampir verliebt, verbinden sich Romance und Dark Fantasy. Lebt der Vampir in einer Stadt, ist die Urban Fantasy nicht weit – und mit ihr werden paranormale Ermittler oder Geisterjäger wie Anita Blake oder John Sinclair auf den Plan gerufen.

Allerdings sind das eben nur zwei Formen der Dark Fantasy, die sich ebenso auch mit Sword & Sorcery, Historical oder High Fantasy verknüpfen lässt. Selbst die »Drachenlanze«-Saga, eine der wohl klassischsten, um nicht zu sagen epigonalsten High-Fantasy-Reihen überhaupt, bekam mit der »Jünger der Drachenlanze«-Trilogie noch einen Dark-Fantasy-Ableger. Wie bereits erwähnt, definiert sich Dark Fantasy vor allem über seine Atmosphäre, entsprechend variabel sind Handlung und Handlungsort.

Die Dunkelheit bleibt attraktiv

Egal, mit welchem anderen Subgenre sie sich auch verbrüdert: Die Dark Fantasy ist bis dato noch immer eine der erfolgreichsten Spielarten der Fantasy. Selbst als nach dem Twilight-Boom Vampire als totgesagt galten, konnte das das Genre kaum erschüttern – allenfalls wurden die Vampire eine Weile durch Werwölfe oder Engel ersetzt.

Auch im deutschsprachigen Raum gibt es eine Reihe von Schriftstellern, die Dark Fantasy veröffentlichen. Zu den prominentesten dürften Markus Heitz mit seinen Pakt der Dunkelheit-Romanen, Gesa Schwartz (Die Chroniken der SchattenweltGrim) oder Wolfgang Hohlbein (Die Chronik der Unsterblichen) gehören. Zudem zählen Szeneverlage wie Art Skript Phantastik oder ohneohren Dark Fantasy zu ihren Schwerpunkten, was für eine breite Unterstützung des Genres im Fandom spricht. Insofern ist zu erwarten, dass der Vampir weiter vielfältig bleibt – und wir entsprechend abwägen müssen, was zu tun ist, wenn uns mal einer begegnen sollte.

Alessandra Reß

Alessandra Reß wurde 1989 im Westerwald geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. Nach Ende ihres Studiums der Kulturwissenschaft arbeitete sie mehrere Jahre als Redakteurin, ehe sie in den E-Learning-Bereich gewechselt ist.

Seit 2012 hat sie mehrere Romane, Novellen und Kurzgeschichten veröffentlicht, zudem ist sie seit mehr als 15 Jahren für verschiedene Fanzines tätig und betreibt in ihrer Freizeit den Blog „FragmentAnsichten“. Ihre Werke waren u. a. für den Deutschen Phantastik Preis und den SERAPH nominiert.

Mehr unter: https://fragmentansichten.com/