Mehr Phantastik

Zardoz – Ist das Kunst oder kann das weg?

Banner Zardoz – Ist das Kunst oder kann das weg?
© Koch Media GmbH

REWATCH

 

Stefan Servos, 16.09.2016

Wenn sich Sean Connery in seine üppig geschwungene, rote Unterhose wirft, dann wissen Eingeweihte: Es ist Zeit für Zardoz. Hier gibt es den Rewatch für tapfere Trashfilm-Liebhaber – selbstverständlich mit Unterhosenfoto!

 

Seit jeher streiten Cineasten, ob der sperrige Dystopie-Schinken Zardoz (1974) von Regie-Legende John Boorman (Excalibur) der größte Schrotthaufen der Filmgeschichte oder aber ein schöpferischer Geniestreich ist. Ich selbst habe den Film als Teenager das erste Mal im heimischen Röhrenfernseher gesehen und erinnerte mich nur noch vage an einen riesigen fliegenden Steinkopf, einen Sean Connery in roter Unterhose, komisch gekleidete Perückenhippies, sowie unglaublich verwirrende Szenen in einem Kristall. Der Film ließ mich damals verstört aber zugleich fasziniert zurück. Warum mich dieser Tage der unaufhörliche Drang antreibt, das Werk nach all der Zeit noch einmal zu sehen, weiß ich nicht. Vielleicht möchte ich dieses Filmtrauma meiner Kindheit verarbeiten und hoffe endlich einen Sinn in einem SciFi-Machwerk zu sehen, das ich nie verstanden habe. An die Handlung konnte ich mich nach all den Jahren sowieso kaum noch erinnern, also war es dringend Zeit für ein Rewatch. Zum Glück gibt es den Trash-Streifen mittlerweile in hochauflösender 4K-Abtastung (nicht unbedingt von Vorteil, dazu später mehr) im schicken Steelbook auf Blu-ray. Also ab in die PS4 damit und PLAY.

      

    Filmische Extravaganz der Sonderklasse


    Das Werk beginnt skurril mit einem schwebenden Erzählerkopf, der in die Handlung einführt. Doch anders als die wunderbare Virginia Madsen als mysteriöse Prinzessin Irulan im unvergesslichen Dune-Intro, wirkt der Auftritt des Zauberers Arthur Frayn (Niall Buggy) mit aufgemaltem Schnäuzer und Handtuch auf dem Kopf einfach nur unfreiwillig komisch. Sein Rumgeeiere auf dem Bildschirm erinnert an frühe Windows-Bildschirmschoner, seine schwurbelige Mutmaßung, dass Hollywood eventuell Gott sein könnte, ergibt nur in Teilen Sinn. Doch vielleicht steckt hinter dem Wahnsinn Methode? Immerhin kündigt eben jener Erzähler auch an, dass die folgende Handlung satirisch gemeint sei. Und tatsächlich macht diese real gewordene filmische Extravaganz von Anfang an klar, dass wir als Zuschauer ein Abstraktum erleben. Zardoz ist ein klassischer Thesenfilm, eine verkopfte Visualisierung, bei der Geschichte, Figuren oder gar Dramaturgie nur nebensächlich sind. Also quasi eine Dystopie, die auf unnötigen Ballast wie Weltenbau, Logik oder Regeln des Filmemachens komplett verzichtet und sich auf ihre wesentliche ideologiekritische Botschaft konzentriert, ganz in der Tradition von Ur-SciFi-Autoren, wie beispielsweise Stanisław Lem (Solaris). 

      

    Die Waffe ist gut, der Penis ist schlecht 

    Aber worum geht es eigentlich? Die Erde im Jahr 2293 – In der postapokalyptischen Welt haben sich die Intellektuellen und Schönen ein künstliches Paradies geschaffen, den sogenannten Vortex, eine vergeistigte, unsterbliche Gesellschaft, die nicht mehr auf Emotionen oder animalische Triebe angewiesen ist. Doch Unsterblichkeit und Wohlstand haben – wie könnte es anders sein – einen hohen Preis, denn sie erfordern die Unterdrückung der Menschen außerhalb der Grenzen, einer Ödnis, in der Gewalt und Hunger herrschen. Und so spaltet sich die Welt in die „Ewigen“ und die „Brutalen“, quasi die Eloi und Morlocks des John Boorman. Für die systematische Unterdrückung der „Brutalen“ zuständig ist oben bereits erwähnter Intro-Zauberer Arthur Frayn aus dem Vortex, der sich in der primitiven Welt mit Hilfe eines eindrucksvollen fliegenden Steinkopfs als der Gott Zardoz aufspielt. Mit abstrusen Glaubensdogmen wie „Die Waffe ist gut, der Penis ist schlecht“ regiert er über die Barbaren. Sein mächtigstes Unterdrückungsinstrument ist eine Zardoz verehrende Kriegersekte, die in seinem Namen mordend und vergewaltigend durchs Land zieht und die einfachen Bauern dazu zwingt, Getreide für die „Ewigen“ anzubauen. Doch einer dieser Krieger, seines Namens Zed (Sean Connery in roter Unterhose), zweifelt eines Tages an der Allmacht von Zardoz. Er entert den Riesenkopf tötet Arthur Frayn und reist in den Vortex, um dort die Wahrheit über die Parallelgesellschaft zu erfahren. Dort angekommen sind die unglaublich gelangweilten Unsterblichen so fasziniert von der unmittelbaren Körperlichkeit des Kriegers, dass sie ihn erforschen wollen. Sean Connery verkörpert diesen animalischen Geist mit jedem einzelnen Brusthaar so inbrünstig, dass man den Moschus förmlich riechen kann. Doch was die feingeistigen Unsterblichkeitshippies nicht ahnen, ist, dass Zed wesentlich mehr ist, als nur ein wildes Tier. Denn der Unterhosenkrieger hat sich in den Ruinen der alten Welt Lesen und Schreiben beigebracht, die großen philosophischen Werke studiert und kann fehlerfrei T. S. Eliot zitieren. Auf den Gedanken, dass Zardoz ein falscher Gott sein könnte, kam er, nachdem ihm L. Frank Baums Wizard of Oz (Wi ZARD of OZ) in die Hände fiel, in dem sich ein kleiner Wicht mit Maske und lauter Stimme zum Gott erhebt, bis jemand hinter den Vorhang schaut. Zeds Plan ist es, die Unsterblichen zu töten, um sich und sein Volk von der Knechtschaft zu befreien. Lustigerweise entspricht das zufälligerweise auch dem sehnsüchtigsten Wunsch der meisten „Ewigen“, die ihre eigene Existenz nicht länger ertragen können, aber aufgrund ihrer Unsterblichkeit bisher mit Selbstmordversuchen nur schlechte Erfahrungen gemacht haben.

    „Ich bin Lazarus, von den Toten auferstanden, Ich bin zurückgekommen, um es euch allen zu erzählen, ich werde es euch allen erzählen“ – Zed zitiert T. S. Eliot

    Und so werden im Laufe der Handlung viele Thesen angeführt, von denen die meisten sich wohl auch nach mehrmaligem Schauen nicht völlig erschließen. Die Handlung und die schauspielerischen Einlagen wirken zwischenzeitlich so albern, dass sie kaum den ernsten Tenor der Gesellschaftskritik widerspiegeln zu vermögen. Das andauernde Gebrabbel pseudophilosophischer Grundsätze und bizarre Szenen, wie die Untersuchung von Sean Connerys Erektion, hinterlassen heutzutage bei den meisten Zuschauern vermutlich nur einen WTF-Ausdruck auf dem Gesicht. Der witzigen Groteske entgegengesetzt steht eine starke Sexualisierung der Figuren und kaltblütige Gewaltdarstellung (für damalige Zeiten jedenfalls). Und über allem dröhnt bedeutungsschwanger Beethovens 7. Sinfonie. Wenn die dürftige Handlung dann noch durch minutenlanges, abstraktes Tanztheater unterbrochen wird, dürften die meisten modernen Zuschauer aussteigen. Zardoz ist alles andere als zeitlos inszeniert. Er stammt ganz offensichtlich aus einer Epoche, in der Filme dem Zuschauer noch keine vorgekaute, durchdefinierte Dramaturgie liefern mussten, um zu begeistern. Zardoz hatte ganz offensichtlich den Anspruch, in den Spuren von 2001: Odyssee im Weltraum zu wandeln. Mutig wurde er in Radiospots (als Extras auf der Blu-ray) sogar als die Fortsetzung des SciFi-Klassikers angekündigt, und Boorman gelang es tatsächlich auch, 2001-Kameramann Geoffrey Unsworth zu verpflichten. Doch anders als Stanley Kubricks Meisterwerk fehlten Boorman ansonsten einfach die Mittel, um sein Werk visuell ähnlich beeindruckend umsetzen zu können. Man merkt dem Streifen sein begrenztes Budget in jeder Sekunde an, denn die gesamte Handlung wurde offenbar in einigen Hügeln und auf einem Reiterhof südlich von Dublin realisiert. Dass die extrem billigen Requisiten, Kostüme und Perücken mittlerweile in bester FullHD-Qualität zu sehen sind, gereicht dem Film nicht unbedingt zum Vorteil. Dennoch geht von der surrealistischen Allegorie eine unglaubliche Faszination aus. Sie entführt uns zurück in eine Film-Ära, die scheinbar nichts anderes war, als ein langanhaltender LSD-Trip. Kann man Zardoz als Film heutzutage jemandem empfehlen, der ihn noch nicht gesehen hat? Ich könnte es nicht guten Gewissens. Wer aber offen für eine ganz neue Erfahrung filmischer Art ist und durch ein Theaterabo für langatmige, experimentelle Inszenierungen gestählt, der könnte eventuell darüber nachdenken, sich das Steelbook zuzulegen, um dann selbst zu entscheiden, ob Zardoz ein Geniestreich oder eben doch der größte Schrotthaufen der Filmgeschichte ist. Ich jedenfalls mag ihn. Vielleicht weil er so unbequem ist und dem Mainstream-Kino den Stinkefinger zeigt.