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Willow

Willow

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Bernd Perplies, 01.11.2016

Ein Militärführer des Bösen, der sein Gesicht hinter einer grausamen Maske verbirgt. Ein charmanter Schurke, der so flink mit der Zunge wie mit der Waffe ist und keine Lust hat, sich einer Rebellion anzuschließen. Eine Prinzessin, die sehr gut ihren Mann stehen kann und sich trotzdem in besagten Schurken verliebt. Zwei lustige Sidekicks, die ein unzertrennliches Paar sind. Und ein Protagonist, der das beschauliche Leben eines kleinen Farmers führt, bevor ihn die Umstände in ein großes Abenteuer verwickeln. Wenn man das so hört und dazu noch der Name George Lucas fällt, könnte man an Star Wars denken. Doch viele der Motive, die der Filmemacher in seiner Saga verwendete, finden sich auch in einem anderen Film wieder, den er konzipierte und als Produzent begleitete: Willow von Ron Howard aus dem Jahr 1988, eine Art „Fantasy Star Wars“, wenn man so will.

Erzählt wird die Geschichte eines kleinwüchsigen Nelwyn namens Willow Ufgood (Warwick Davis, bekannt als Ewok Wicket aus „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“), der gerne ein Zauberer wäre, eigentlich aber nur ein Schweinebauer ist. Durch einen Zufall findet er am Fluss ein Daikini/Menschen-Baby und nimmt es mit nach Hause. Doch Elora Danan, wie das Neugeborene heißt, ist, wie sich später zeigt, etwas Besonderes. Sie soll der Herrschaft der Tyrannin Bavmorda ein Ende setzen, entsprechend ist diese auf der Jagd nach dem Kind. Als ein Bestien-Spürhund der Königin das Dorf der Nelwyns überfällt, wird Willow mit ein paar Gefährten losgeschickt, um das Baby irgendeinem Daikini in die Arme zu drücken. Sollen die sich damit herumärgern.

Für Willow beginnt so die klassische Heldenreise, auf der er fragwürdige Gefährten wie den von Val Kilmer verkörperten Schurken Madmartigan oder die zwei vorwitzigen, handgroßen Brownies Rool und Franjean trifft, dargestellt von den US-Komikern Kevin Pollack und Rick Overton. Willow wird die Königin der Feen treffen, die verfluchte Zauberin Fin Raziel retten und am Ende gegen den finsteren General Kael und seine Herrin Bavmorda antreten. George Lucas’ Lieblingsthema –  der Widerstand des „kleinen Mannes“ gegen das böse Establishment – wird hier in seiner Wortwörtlichkeit auf die Spitze getrieben.

Der Film, der zuvor schon 15 Jahre in Lucas’ Kopf herumspukte, sticht insofern aus den Fantasy-Produktionen seiner Zeit heraus, als dass er kein Barbarenstreifen und keine Märchenadaption ist, sondern tatsächlich versuchte, ein echtes High-Fantasy-Abenteuer zu sein – in der Sprache des Buchmarkts: ein All-Age-High-Fantasy-Abenteuer. Etliche Kritiker warfen ihm damals vor, bloß ein Effektspektakel zu bieten, hinter dem die menschliche Botschaft zurückbleibt. Doch im Kontext einer Fantasy-Film-Geschichte betrachtet, kann man Willow kaum genug wertschätzen.

Denn, ja, es wurden damals von der Star Wars-Effektschmiede ILM alle tricktechnischen Register gezogen, um eine phantastische Welt zu erschaffen. In überdimensionierten Kulissen gefilmte Brownie-Darsteller, vor Bluescreen zum Schweben gebrachte Feen, elektronisch animierte Ungeheuer und erste Experimente überhaupt mit digitalem Morphing machen den Film zum Lehrbeispiel für Spezialeffekte, der, wie sich ILM-Altmeister Dennis Muren erinnert, an der Schwelle der alten, photochemischen Ära zum neuen Digital-Zeitalter stand.

Insbesondere für die Transformation der Zauberin Fin Raziel (Patricia Hayes) ist „Willow“ berühmt. Es wurde überlegt, die Szene, in der Willow verzweifelt versucht, Fin Raziel aus ihrer tierischen Form in einen Menschen zurückzuverwandeln, mit Modellen, Überblendungen und Schnitten weg vom Geschehen zu realisieren. Doch Muren glaubte, dass es seinen Leuten gelingen könnte, die Szene ohne Tricks wie Gegenschnitte auf Willow zu lösen. Dazu wurden verschiedene Tiermodelle und Modelle tierischer Zwischenstadien gefilmt (gebraucht wurden eine Ziege, ein Strauß, eine Schildkröte und ein Tiger). Anschließend wurde ein von ILM extra für „Willow“ entwickeltes Computerprogramm namens MORF mit dem Bildmaterial gefüttert. Das führte danach eine Aufnahme in eine andere über, indem digital die Zwischenbilder generiert wurden – wer sich dafür im Detail interessiert, mag sich die Dokumentation auf der Willow-Blu-Ray anschauen. Das Ganze sorgte am Ende für eine fließende Metamorphose, die gleichzeitig der erste Blick in die Zukunft des Filmemachens war.

Doch es sind nicht nur die Effekte, sondern auch George Lucas’ Wille, eine glaubwürdige phantastische Welt zu schaffen, der Willow sehenswert und gewissermaßen zu einem frühen Vorfahren von Fantasy-Epen wie Peter Jacksons „Herr der Ringe“-Verfilmung macht. Wer sich heute das Dorf der Nelwyns in Willow genau anschaut, wird nicht nur wegen seiner kleinwüchsigen, lebenslustigen Bewohner unwillkürlich an die Welt der Hobbits denken, auch wenn nicht im landschaftlich üppigen Neuseeland, sondern im englischen Wald vor London gedreht wurde. Andere Drehorte waren übrigens Wales und die berühmten Elstree Studios in England, in denen auch Star Wars entstanden war und in denen die am Ende des Films umkämpfte Burg Tir Asleen komplett künstlich erreichtet wurde. Tatsächlich ging es übrigens auch kurz nach Neuseeland, denn für einen Plotteil im eisigen Gebirge gab es im Sommer 1987 während der Dreharbeiten einfach zu wenig Schnee in Großbritannien.

Willow lief damals – aufgrund einiger Konkurrenz in den Lichtspielhäusern – nur mit mittelmäßigem Erfolg und die Kritiken fielen durchwachsen aus. Trotzdem wurde die Geschichte fortgesetzt und zwar in Buchform. Shadow MoonShadow Dawn und Shadow Star von Chris Claremont erschienen zwischen 1995 und 2000 (etwas später bei Heyne auch auf Deutsch) und handelten von der inzwischen zur jungen Frau herangewachsenen Elora Danan.

Fun-Fact: In einem eigenwilligen „Racheakt“ an seinen Kritikern benannte George Lucas die Figur des unbarmherzigen General Kael in Willow seinerzeit nach der bekannten Filmkritikerin Pauline Kael. Und auch der zweiköpfige Drache, im Drehbuch als Eborsisk bezeichnet, verdankte seinen Namen zwei Filmkritikern: Roger Ebert und Gene Siskel. (Beide fanden den Film übrigens doof.)

Bernd Perplies

Bernd Perplies, geboren 1977 in Wiesbaden, studierte Film- und Literaturwissenschaft in Mainz. Parallel zu einer Anstellung beim Deutschen Filminstitut (DIF) in Frankfurt am Main, wandte er sich nach dem Studium dem professionellen Schreiben zu. Heute ist er als Schriftsteller, Übersetzer und Journalist tätig. Er ist Redakteur der Website Ringbote.de sowie des "Corona Magazine" und gehört zum Übersetzungsteam der "Star Trek"-Romane von Cross Cult. Im August 2008 kam sein Debütroman "Tarean - Sohn des Fluchbringers" auf den Markt, weitere Werke folgten."Drachengasse 13" ist sein erstes Kinderbuch. Bernd Perplies lebt in der Nähe von Stuttgart, zusammen mit etwa 1000 Büchern und einer einzelnen tapferen Grünpflanze. Mehr über ihn erfahrt ihr auf: www.bernd-perplies.de