Lena Richter, 15.09.2021
Was bringt Künstler*innen immer wieder dazu, ihre Werke gratis ins Netz zu stellen? Und was macht das mit der Kunst? Ein Streifzug durch die Welt kostenloser Online-Erzählungen. Von Lena Richter
In letzter Zeit wird oft die Frage gestellt, ob Künstler*in und Werk getrennt werden können oder sollten – eine Frage, bei der das Internet und die Sozialen Medien durchaus eine Rolle spielen. Aber das ist nicht Thema dieses Artikels, der sich stattdessen die Frage stellt: Was passiert, wenn wir die Künstler*innen von kapitalistischen Zwängen trennen? Nein, bitte, lest weiter, das hier ist (leider) kein Text darüber, wie wir endlich den Kapitalismus überwinden. Das hier ist ein Text über Kunst, die entsteht, wenn sie nicht Marktvorlieben unterworfen ist und wenn nicht Gatekeeper darüber entscheiden, wer sie machen darf.
Bis vor wenigen Jahren war das Veröffentlichen von Kunst – seien es Filme, Bücher, Musik, Malerei oder Schauspiel – stets davon bestimmt, ob die Künstler*innen einen Verlag, ein Studio, eine Galerie usw. finden konnten, die bereit waren, an sie zu glauben und sie zu unterstützen. Das hat sich mit dem Internet grundlegend geändert: das World Wide Web und Social Media haben die Art und Weise revolutioniert, wie wir Geschichten erzählen und wer überhaupt die Chance bekommt, gehört zu werden. Selfpublishing von E-Books, Plattformen wie Bandcamp oder Soundcloud und die Tatsache, dass man mit dem eigenen Smartphone qualitativ gute Videos und Fotos aufnehmen kann, machen es möglich, dass Künstler*innen ihre Kunst selbst im Internet veröffentlichen. Oft sind die Inhalte sogar kostenfrei zugänglich, generieren also auch keine direkten Einnahmen. Trotzdem ist Kunst aus dem Internet nicht mehr wegzudenken. Offenbar ist für viele Künstler*innen wichtig, ihre Geschichte erzählen und mit anderen teilen zu können, auch wenn sie nicht (direkt) dafür bezahlt werden. Allein das ist in unserer zutiefst kapitalistischen Welt schon bemerkenswert. Höchste Zeit also, mal genauer hinzuschauen: Von Webcomics über Browserspiele, von Podcasts über Fanfiction – dieser Artikel möchte einen kleinen Streifzug durch die Welt kostenloser Online-Erzählungen unternehmen und aufzeigen, was entsteht, wenn Kunst ohne Gewinnabsicht gemacht wird.
Pionierarbeit
Wenn es um neue Konzepte geht, gibt es immer diejenigen, die ihnen skeptisch gegenüberstehen und die, die es einfach mal ausprobieren. Dafür kennt die Idee, Inhalte online und dann auch noch kostenlos bereitzustellen, viele Beispiele. Zwei davon: das Clarkesworld Magazine und die Web-Serie The Guild. Als 2006 auf dem US-Markt Science-Fiction generell als auch Kurzgeschichten im Besonderen immer weniger erfolgreich waren und viele der gedruckten Magazine sich finanziell nicht mehr halten konnten, hatte Neil Clarke die Idee, ein reines Online-Magazin zu machen, das zudem noch kostenfrei verfügbar war. Das kam zunächst nicht gut an: „Ich erinnere mich daran, wie bekannte Autor*innen mir klipp und klar sagten, dass sie online nicht veröffentlichen würden. Das sei etwas für ‚Newbie-Schreibende und Raukopierer*innen‘”, erinnert sich Clarke in einem Interview. Inzwischen ist Clarkesworld mehrfach Hugo-prämiert, finanziert sich über ein Abo-Modell und Patreon und vertont zusätzlich die Geschichten – ebenfalls kostenfrei – im eigenen Podcast. Die Geschichte von The Guild begann zu einer ähnlichen Zeit, nämlich 2005, als YouTube gerade erst gestartet war. Felicia Day hatte für ihre Idee einer Serie über eine Gruppe von Gamern Absagen über Absagen von Studios erhalten – und entschied sich nach einer Anregung ihrer Freundin Kim Evey dazu, die Serie gemeinsam mit dieser komplett selbst zu produzieren und auf YouTube zu veröffentlichen. Als sie Schauspielkolleg*innen davon erzählte, verstanden die gar nicht, was sie meinte. Eine Serie? Im Internet? Inzwischen ist auch Felicia Day erfolgreiche Produzentin verschiedener Online-Formate, Autorin von zwei Büchern und weiterhin als Schauspielerin aktiv.
Natürlich sind das zwei Beispiele, die deshalb so bekannt sind, weil die Experimentierfreude der Kreativen durch großen Erfolg belohnt wurde. Aber trotzdem zeigen sie, was oft der Antrieb dafür ist, Kunst kostenfrei ins Internet zu stellen: Studios oder Verlage glauben nicht an die Geschichte(n) – aber der Wunsch, sie zu erzählen, ist so groß, dass Künstler*innen einen eigenen Weg suchen.