Auf den ersten Blick kann man eine recht hohe Varianz der Wortzahlen erkennen, besonders in der High Fantasy, wo die Bücher auch schon mal über die 200.000er Marke gehen können oder sogar unter die 50.000er Marke fallen. Im Segment der paranormalen Fantasy oder der Jugendfantasy jedoch scheinen die Romane häufig im Rahmen zwischen 80.000 und 120.000 zu liegen, wobei die Bücher, die eher auf noch jüngeres Publikum abzielen auch mal auf 50.000 bis 70.000 abrutschen.
Es ist aber angebracht, hier darauf hinzuweisen, dass Jugendfantasy meist etwas länger ist als generelle Jugendromane – das Fantasy-Element scheint also auch hier Wortzahl des Buches zu vergrößern.
Wie lang will die Industrie Fantasy-Romane haben?
Verlage
Hier sind – wiederum auf englische Verlage bezogen – einige Hinweise von wichtigen Verlagshäusern im Bereich Fantasy und Science Fiction zu den Erwartungen hinsichtlich Wortzahl für die Einreichungen:
Tor (UK): „Als direkte Einreichung akzeptieren wir nur vollständige und nicht veröffentliche Science-Fiction-, Fantasy- und Horrorromane mit einer Länge von 95.000 bis 150.000 Worten.“
Gollancz: „Wir akzeptieren nur SF, Fantasy, Horror oder Jugend-Crossover-Romane. Sie müssen vollständig und mehr als 80.000 Worte lang sein.“
Angry Robot: „Die ideale Länge eines Romans hängt vom Genre ab, in dem du schreibst, wie auch davon, was als ideal für das Buch zu gelten hat, an dem du gerade schreibst. Allgemein aber suchen wir nach (circa) 70.000 bis 110.000 Worten für die Science Fiction oder 95.000 bis 140.000 für die Fantasy.“
DAW: „Die durchschnittliche Länge der Romane, die wir veröffentlichen variiert, ist aber fast nie geringer als 80.000 Worte.“
Agenturen
Auch wenn die meisten Agenten behaupten, dass sie ein Buch niemals ausschließlich wegen seiner Länge ablehnen würden, sagen sie eben auch, dass die Länge eine Rolle spielt. Ich habe diverse Gründe gehört oder gelesen, warum dies so ist:
- längere Bücher zu drucken ist ein Kostenfaktor (über 100.000 Worten kann ein Buch zusätzliche Kosten generieren) und daher für Verlage weniger interessant
- es besteht die Sorge, das Buch sei unnötig lang (weil es nicht gut lektoriert wurde, das Tempo nicht stimmt, zu viel Detail vorhanden ist)
- es gibt sogenannte „Idealwerte“ für Buchlängen, in die viele erfolgreiche Bücher fallen, je nach Genre
- Agenten erhalten viele Manuskripte und haben nur begrenzt Zeit, diese zu lesen
Die Wortzahl-Vorgaben variieren entsprechend von Agent zu Agent. Janet Reid etwa rät für eine ausladende epische Fantasy zu mindestens 150.000 Worten. Sie behauptet, man „könne es gar nicht richtig machen“, wenn man weniger brauche – für Jugendromane empfiehlt sie 65.000 bis 100.000 Worte. Nathan Bransford hingegen denkt, dass deine Erfolgsaussichten auf Agentur-Betreuung deutlich geringer ausfallen, wenn dein Werk die 150.000er Marke überschreitet (wobei er nicht spezifisch von Fantasy spricht). Und die ehemalige Agentin Colleen Lindsay hat in einem Blogpost zur Wortzahl in der Fantasy eine vorsichtigere 120.000 als Marke vorgeschlagen:
„Die meisten „dicken Fantasybücher“, die ihr auf den Regalen seht, haben tatsächlich eine Wortzahl von 100.000 bis 120.000. Die Ausnahmen sind dann meist Autoren, die schon gute Verkaufszahlen erreicht haben, meist mit kürzeren Büchern, wie etwa George R.R. Martin. Und ja, manchmal sieht man auch ein Debut von herausragender Länge. Aber dann muss die Schreibarbeit absolut grandios sein – umwerfend, überwältigend, lässt-mich-nicht-mehr-los grandios.“
Und dieser Artikel auf Writer’s Digest schlägt auch eine Länge von 100.000 bis 115.000 Worten vor und untersucht die Ideallängen für verschiedene Genres.
Wettbewerbe
Ich habe mal an einem Wettbewerb teilgenommen, der ein Limit von 80.000 Worten für einen Jugendroman festgesetzt hat und 100.000 für ein Buch für Erwachsene. Mein Manuskript einer Jugendfantasy lag bei 140.000 Worten. Aber sie wollten nur Auszüge haben und so habe ich das Limit ignoriert, weil ich gedacht hatte, ich würde eh nicht ausgewählt. Zum Glück schaffte ich es auf die Auswahlliste, was aber bedeutete, dass ich meinen Roman nun fast halbieren musste. Ich habe ganze Nebenhandlungen rausgeworfen und ein paar Charaktere, bis ich irgendwie an die 80.000er Grenze herankam.
Der Aufwand hat sich aber gelohnt, ich wurde ausgewählt, konnte einige großartige angehende Autoren treffen und habe wichtiges und wertvolles Feedback von einem Verleger bekommen. Allerdings ist mir hinterher aufgefallen, dass ich mir vielleicht zu viele Sorgen um die Regeln gemacht habe und ein Manuskript mit 100.000 Worten auch angenommen worden wäre. Natürlich hatte das Kürzen auch einige Vorteile und mein Manuskript ist in Teilen besser geworden, aber eben nicht alle. Viele der Hinweise von Seiten des Verlegers waren Additionen, so dass mein Manuskript am Ende wieder 120.000 Worte hatte. Und trotzdem war das Buch dann für einige Verleger oder Agenten, denen ich es hinterher vorgelegt habe, wiederum zu lang. Die Absagen forderten mich wiederum zum Kürzen auf.
Wenn man an Wettbewerben teilnimmt, dann sieht man regelmäßig Zielangaben zwischen 60.000 und 100.000 Worten für das Manuskript, manchmal erhöhte Werte von 120.000 oder 150.000 Worten bei Fantasy, speziell wenn es sich um epische Fantasy handelt. Die Hinweise zum Terry-Pratchett-Erstlingsroman-Wettbewerb von 2012 forderten:
„Ein vollständiges und bislang unveröffentlichtes Werk von nicht weniger als 80.000 Worten und nicht mehr als 150.000 Worten, das auf ein erwachsenes Publikum zielt und in englischer Sprache verfasst ist.“
Was mich all das hier gelehrt hat, ist, dass man die Wortzahl als Debutautor auf einem traditionellen Weg via Verlag und Agentur nicht einfach ignorieren kann. Dein Roman von 200.000 oder 50.000 Worten mag zwar das Interesse eines Agenten auf sich ziehen, seine Länge jedoch könnte es von Chancen ausschließen, die ein Roman mit 100.000 Worten Länge gehabt hätte.
Wie lang sollte ein Roman für die Leser sein?
Ohne eine Vielzahl statistischer Daten ist es schwierig genau zu sagen, wie die Länge die Popularität eines Buches beeinflusst. In diesem Post auf Fantasy Author’s Handbook gibt es den Hinweis, dass viele der bestverkauftesten Bücher aller Zeiten eben nicht die 200.000-Wort-Epen sind, die man mit dem Genre gerne in Verbindung bringt.
Ich kenne Fantasy-Leser, die dicke Wälzer lieben und sich den fetten Einband im Regal wünschen, aber ich kenne auch Leser, die vom selben Buch eher abgeschreckt wären. Hier sind ein paar Argumente von beiden Seiten:
Gründe, warum Leser ein kurzes Buch bevorzugen:
- Weniger einschüchternd, wenn man es zur Hand nimmt, insbesondere für Leser, die ein Buch auch beenden müssen, wenn sie einmal angefangen haben, es zu lesen. Ich scheue mich nicht davor, ein Buch einfach „aufzugeben“, wenn ich nach einer bestimmten Anzahl von Seiten keinen Gefallen gefunden habe. Ich war früher aber deutlich obsessiver darin, dass ein Buch zu Ende gelesen gehört und ich kenne Leser, die das genau so sehen.
- Es ist einfacher, Leseziele zu erreichen, etwa auf Goodreads.
- Es gibt weniger Füllmaterial, kein unnötigen Beschreibungen oder erweiternde Szenen und Nebenstränge.
- Man kann sie besser als Audiobücher hören. Ich persönlich bevorzuge Hörbücher von 10-15 Stunden, während ich 30 Stunden oder mehr als anstrengend empfinde und ihnen aus dem Weg gehe.
- Man wird schneller müde, wenn man ein langes Buch liest. Bei einem langen Buch ist es wahrscheinlicher, dass ich irgendwann aufgebe, wenn es mich nicht fesselt. Ein kurzes Buch lese ich auch dann durch, wenn es nicht ganz so fesselnd ist, weil es ja schneller zur Sache kommt.
- Lange Bücher haben gerne mal einen recht gemächlichen Anfang, für den man eine gewisse Aufwärmphase benötigt.
Gründe, warum Leser ein langes Buch bevorzugen:
- Der Genuss, sich richtig in die Geschichte hineinzuversetzen. Die Länge ermöglicht genügend Raum, die Charaktere zu entwickeln, Details und Nebenhandlungen einzufügen und der Narration ein Auf und Ab zu verleihen.
- Ausführlicher Weltenbau. Man kann viel mehr über die Welt und über die Charaktere erfahren und sich in ihr verlieren.
- Mehr Buch fürs Geld. Wenn zwei Bücher den selben Preis haben, aber eines davon dreimal so lang ist, dann scheint das lange Buch einen besseren Wert zu liefern.
- Kein „Zurechtschrumpfen“ oder „Durchhecheln“ in der Geschichte. D.h. es gibt nicht das Gefühl, dass die Geschichte von einem Lektor verhackstückt wurde.
- Teil einer geliebten Serie oder Fantasy-Welt, in der man so viel Zeit verbringen möchte, wie nur möglich.
- Sieht einfach beeindruckend aus, wenn es da so auf deinem Regal steht oder die Anzeige der „in diesem Jahr gelesenen Seiten“ auf dem eReader hochrutscht. (Ok, das hat mir zwar noch niemand so gesagt, aber ich kann nicht umhin zu glauben, das es einen kleinen Anteil an der Entscheidung hat.)
Ich persönlich finde sehr wohl, dass die Länge meine Entscheidung beeinflusst – zumindest zum Teil – und dass ich eher zu einem kürzeren Buch neige. Ich würde ein Buch als „lang“ bezeichnen, wenn es über 500 Seiten hat, was in etwa 140.000 Worten entsprechen dürfte, je nach Schriftgröße. Ich würde sicher ein längeres Buch nicht einfach abtun, wenn es mit Empfehlungen daherkommt, aber ich würde es vielleicht ein wenig zurückstellen und erst etwas anderes lesen.
Zusammenfassend
Im Endeffekt variiert die Ideallänge eines Fantasy-Romans mit jedem Leser, von Subgenre zu Subgenre, von Agent zu Agent von Verlag zu Verlag ... aber wie auch immer man es betrachtet, eine Länge von circa 90.000 bis 120.000 Worten scheint für die meisten Optionen gut geeignet ... vielleicht mit dem Hinweis, dass eine epische Fantasy eher zu 150.000 Worten neigt und ein Jugendroman oder eine paranormale Fantasy bei 60.000 Worten liegen.