ESSAY
Nicola Alter, 21.02.2017
Bösewichte gibt es in der Fantasyliteratur jede Menge – aber echte Anti-Helden, denen man beim Bösewerden zuschauen kann, nur wenige. Ist Fantasy per se eine Literatur der Happy Ends und der Hoffnung?
Die typische Heldenreise ist eine Erzählstruktur, die man nicht nur in der Fantasy-Literatur findet, sondern in vielen anderen Genres auch. Man kann die Irrungen und Wirrungen der Handlung genauestens untersuchen – man kann sie sogar bis auf kleineste archetypische Elemente wie „den Mentor“, „den Helfer“, oder „die Schwelle“ herunterbrechen. Im Grundsatz aber geht es in der Heldenreise um einen Charakter, der Hindernisse überwinden und sich gegen alle Schwierigkeiten beweisen muss, um heroische Taten zu vollbringen und eindrucksvolle Gegner zu besiegen. Dabei wächst der Held an seinen Aufgaben und verändert sich, er wird zu einem besseren Menschen oder wird sogar „neu geboren“. Tatsächlich ist der innere Konflikt des Helden, sein Umgang mit Ängsten und Zweifeln, zumeist ebenso wichtig wie das Überwinden der äußeren Hürden.
Was aber passiert, wenn diese Reise ins Gegenteil verkehrt wird? Was passiert, wenn sich eine Schlüsselfigur von einem guten in einen bösen Menschen wandelt, und das Erreichen (oder auch das Nicht-Erreichen) ihrer Ziele sie weiter auf den dunklen Pfad führt?
Unsere Faszination am Untergang
Es gibt wahrscheinlich kein Beispiel, das typischer für die Umkehr der Heldenreise ist als die Filmreihe Der Pate. Die Hauptfigur wandelt sich von einem anständigen, gesetzestreuen Kriegshelden in einen skrupellosen, mordenden Kriminellen. Am Ende der drei Filme bleibt bei den wenigsten Zuschauern Mitgefühl für Michael Corleone übrig.
Geschichten wie diese scheinen in der letzten Zeit immer beliebter zu werden. Serien wie Breaking Bad oder deren Spin-Off Better Call Saul sind gute Beispiele für typische Antihelden, die sich auf die Reise zur dunklen Seite begeben. Und auch House of Cards zeigt zwei garstige Charaktere dabei, wie sie in ihrem Streben nach der Macht immer niederträchtiger werden.
Dabei darf man jedoch bemerken, dass die erwähnten Serien nicht dem Genre der Fantasy angehören.
Kann die Fantasy die Heldenreise umkehren?
Gerade in der Science Fiction gibt jede Menge Charaktere, die sich vom Guten zum Schurken wandeln. Man braucht sich nur Star Wars zuzuwenden und schon fallen einem reihenweise Jedi-Ritter ins Auge, die sich von der Dunklen Seite haben einwickeln lassen. Und auch SF-Dystopien wie 1984 bestechen durch Charaktere, denen Stück für Stück ihre Hoffnung, Menschlichkeit und der letzte Funken Anstand abhanden kommt.
In der Fantasy jedoch scheint die Umkehr der Reise weniger häufig vorzukommen. Ja, auch hier gibt es genügend Charaktere von zweifelhafter Moral, jede Menge Figuren, die sich als Schurken oder Verbrecher klassifizieren ließen. Im Allgemeinen jedoch sind diese Charaktere von einem Wunsch nach Veränderung getrieben und versuchen sich zu bessern. Eine Geschichte, die einen guten Hauptcharakter, also einen echten Helden einführt und diesen dann in einem voll und ganz zu verachtenden Bösewicht wandelt, die findet sich nicht so leicht. Und selbst wenn so etwas vorkommt, dann gibt es eigentlich immer so etwas wie mildernde Umstände für unseren Heros.
Es liegt lange zurück
Häufig ist der Niedergang zum Bösen etwas, dass in der Vergangenheit der Fantasy-Welt liegt. Zwar gibt es jede Menge Geschichten, die sich um das Abgleiten des Schurken zum Bösen ranken, aber die sind eben nicht zentraler Teil der aktuellen Erzählung. So könnte vielleicht später einmal ein Prequel die Vorgeschichte und den Niedergang erzählen, aber nur selten beginnt eine Serie damit. Charaktere wie die Nazgûl und Voldemort haben eine Vergangenheit, aber dabei bleibt es auch – diese Geschichte wird nie zum zentralen Fokus der Erzählung.