HBO folgt keineswegs bloß der simplen Devise »Sex sells«. Wie Ivo Ritzer in Fernsehen wider die Tabus darlegt, bedient sich der Sender vielmehr einer raffinierten Strategie, bei der Sex und Gewalt zu eigentlichen Qualitätsindikatoren werden. Die expliziten Darstellungen dienen nach HBO nie dazu, nur die Schaulust des Publikums zu befriedigen, sondern sind Ausdruck des erwachsenen, realistischen Anspruchs der Produktionen. In HBO-Serien werden die Dinge so gezeigt, ›wie sie sind‹, ohne die durch die FCC diktierte Prüderie. Produzenten und Serienschöpfer verweisen in diesem Zusammenhang gerne auf den realistischen Roman des 19. Jahrhunderts, der angeblich nicht nur in Sachen narrativer Komplexität, sondern auch in seiner ungeschminkten Darstellungsweise als Vorbild dient.
In dieser Argumentation sind Tabubruch – HBO zeigt, was eigentlich nicht gezeigt werden darf – und der Rückbezug auf gesellschaftlich akzeptierte kulturelle Formen wie den Roman kein Widerspruch, sondern fallen zusammen; HBO gelingt so das Kunststück, »gleichzeitig transgressive Inhalte zu transportieren und eine bürgerliche Existenz zu wahren« (Ritzer 2011: 62). Im Sinne von Pierre Bourdieus Distinktionstheorie ist der ›indecent content‹ nicht mehr problematisch und anrüchig, stattdessen wird er zum Unterscheidungsmerkmal, zum kulturellen Kapital, das den erwachsenen Serien-Connaisseur vom prüden Mainstream-Spießer abhebt. Verfeinerter Geschmack zeigt sich gerade darin, dass man in der Darstellung von Sex und Gewalt nicht bloß die Befriedigung niederer Triebe sieht, sondern sie als Ausdruck einer »gritty, uncompromising authenticity« (Hassler-Frost 2015: 192) sowie künstlerischer Konsequenz versteht.6
Im Falle eines Senders wie HBO muss die transgressive Qualität solcher Darstellungen freilich relativiert werden. Als Teil des Medienkonglomerats Time Warner ist HBO eigentlich denkbar ungeeignet, um in subversiver Weise gegen den Mainstream aufzubegehren. Aus marketingtechnischer Sicht dienen die Tabubrüche vor allem dazu, HBO als Marke zu positionieren. Die vermeintlichen Transgressionen sind nie ungefilterter Ausdruck der künstlerischen Sensibilität der Serienmacher, sondern genau abgewägt und sogfältig inszeniert. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass man auf Kritik – wie etwa im Falle der Szene, in der Jaime Lannister seine Schwester Cersei am Sarg ihres gemeinsamen Sohnes vergewaltigt (SE 04 EP 03) – durchaus reagiert. So wurde in Staffel fünf der Anteil an Gore-Elementen spürbar reduziert; es geht somit weniger um das Brechen von Tabus als um ein vorsichtiges Austarieren dessen, was vom Publikum noch toleriert wird.
Dass Dan Hassler-Frost im Zusammenhang mit einer Fantasy-Serie wie GOT, die erklärtermaßen in einer nicht-realistischen Welt spielt, von einem Anspruch auf Authentizität spricht, mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen. Für Hassler-Frost eignet sich aber gerade Fantasy besonders gut für eine Ummodelung in HBO-Manier, weil es in der allgemeinen Wahrnehmung oft als belächeltes, tendenziell infantiles Genre erscheint, das primär von Teenagern konsumiert wird. Zu dieser Einschätzung passt, dass die Fantasy-Großproduktionen der vergangenen Jahre wie die Lord-of-the-Rings-, Harry-Potter- oder Narnia-Filme alle mit dem Rating PG oder PG-13 versehen waren, was Sexszenen unmöglich macht.7 Fantasy-Filme sind eine weitgehend sexfreie Zone, und wenn es mal eine Liebesgeschichte wie jene zwischen Aragorn und Arwen in The Lord of the Rings: The Fellowship of the Ring (NZ/USA 2001. Peter Jackson) gibt (Abb. 3), dann beschränkt sich diese auf einen keuschen Kuss (was allerdings auch in den jeweiligen literarischen Vorlagen so angelegt ist).