Fantasy

Die Funktion der Sexpositions in Game of Thrones

Die Funktion der Sexpositions in Game of Thrones
© HBO
Simon Spiegel
27.10.2016

Eigentlich geht es immer nur um Sex. Außer wenn es um Sex geht. Simon Spiegel erklärt in seinem Essay über die „Die Funktion der Sexpositions in Game of Thrones, warum der reine Schauwert selten alles ist. Der Aufsatz ist zuerst erschienen in Die Welt von Game of Thrones. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf George R.R. Martins »A Song of Ice and Fire«.

»Everything in the world is about sex, except sex. Sex is about power.«1

***

Unterhält man sich mit Serien-Fans darüber, was GOT gegenüber anderen Produktionen auszeichnet, landet das Gespräch früher oder später unweigerlich bei den für die Reihe typischen Sex- resp. Nacktszenen.2 Zweifellos sind der detaillierte Weltenbau, die beinahe unüberschaubare Anzahl von Figuren sowie die komplizierten Intrigen ebenfalls charakteristisch für GOT, kaum ein Aspekt sorgt aber für so viel Gesprächsstoff wie die ungewöhnliche Freizügigkeit gewisser Szenen. Die Ausführlichkeit, mit der die Serie die unterschiedlichsten Interaktionen nackter Figuren zeigt, ist dabei noch auffälliger als ihr ebenfalls ausgeprägter Hang zur Blutrünstigkeit. Denn drastische Gewaltdarstellungen ist man aus dem Kino eher gewohnt, dass US-Produktionen – zumal im Bereich Fantasy – derart viel nackte Haut zeigen, ist dagegen geradezu unerhört (oder vielmehr: unersehen).

Schon früh wurde zudem wahrgenommen, dass sich GOT nicht bloß durch die schiere Menge des gezeigten Sex auszeichnet, sondern dass auch die Art und Weise, wie die Sexszenen erzählerisch eingesetzt werden, ungewöhnlich ist. Entsprechend schnell hat sich der ursprünglich vom Film- und Fernsehkritiker Myles McNutt geprägte Begriff der Sexposition als Bezeichnung für diese spezifische Darstellungsform durchgesetzt; mittlerweile bildet er einen festen Bestandteil des Fandiskurses und ist sogar in einem eigenen Wikipedia-Eintrag verewigt.

Wie es bei derartigen Termini oft der Fall ist, ist Sexposition keineswegs eindeutig definiert und wird unterschiedlich gehandhabt. In diesem Artikel geht es mir allerdings nicht um eine Analyse der unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffes, stattdessen möchte ich untersuchen, welche erzählerischen Funktionen die Sexszenen in GOT übernehmen können und inwieweit sich das Fantasy-Epos darin von anderen Serien resp. Filmen unterscheidet.

Die Sexszenen sind zwar geradezu ein Markenzeichen der Serie, GOT ist aber beileibe nicht die erste Fernsehproduktion, die durch viel Sex von sich reden macht. Vielmehr handelt es sich hierbei um ein vom Pay-TV-Sender HBO gezielt eingesetztes Mittel, das dazu dient, die eigenen Produktionen von denjenigen der Konkurrenz abzuheben. Sex und Gewalt haben für den Sender nicht nur eine erzählerisch-ästhetische Funktion, sondern auch eine marketingtechnische, wobei die beiden Ebenen geschickt ineinandergreifen. Bevor ich mich der narrativen Bedeutung der Sexszenen in GOT widme, lege ich deshalb zuerst kurz dar, welche Rolle Sex (und Gewalt) bei der Vermarktung von Fernsehserien spielt.

1. It's not TV, it's HBO

Wie zahlreiche andere neuere US-Fernsehserien wurde GOT nicht von einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender oder einem traditionellen Kabelkanal produziert, sondern von einem Pay-TV-Sender, in diesem Fall von HBO. Im Unterschied zu öffentlich-rechtlichen Angeboten oder herkömmlichen Kabelsendern schließt der Zuschauer eines Pay-TV-Kanals gezielt ein Abonnement für einen Sender ab. Dieser finanziert sich nicht über Rundfunkbeiträge oder Werbung, sondern wird monatlich von den Zuschauern bezahlt. Damit ist dieses Geschäftsmodell noch direkter vom Publikumsinteresse abhängig, als dies beim von Einschaltquoten getriebenen Fernsehen ohnehin der Fall ist. Denn wenn das Publikum das Interesse an den angebotenen Inhalten verliert, schaltet es nicht bloß auf einen anderen Kanal um, sondern kündigt den Vertrag.

Für den Sender ist es somit überlebenswichtig, die Zuschauer an sich zu binden, und dies geschieht durch besonders hochwertige, exklusiv auf dem jeweiligen Sender verfügbare Inhalte. Das können zum Beispiel Exklusivübertragungen von Sport-Events sein, aber eben auch Fernsehserien. HBO nahm insbesondere in diesem Bereich eine Pionierrolle ein; vom Sender produzierte Serien wie Oz (USA 1996–2003, Idee: Tom Fontana), The Sopranos (USA 1999–2007, Idee: David Chase), Sex and the City (USA 1998–2004, Idee: Darren Star), Six Feet Under (USA 2001–2005, Idee: Alan Ball) und The Wire (USA 2002–2008, Idee: David Simon) gelten vielerorts als Wendepunkt in der Geschichte des Fernsehens und als Beginn der Ära des so genannten Quality TV. Die neuen Qualitätsserien zeichnen sich gegenüber frühen Fernsehproduktionen durch aufwendigere Inszenierungen, komplexere narrative Muster, selbstreflexive Momente und zusehends durch bekannte Schauspieler und Regisseure aus sowie durch anspruchsvollere, ›erwachsene‹ Inhalte (dazu später mehr). HBO war und ist mit seinen Eigenproduktionen eine treibende Kraft auf diesem Gebiet.3

Mittlerweile haben andere Pay-TV-Kanäle wie Showtime, AMC oder FX das von HBO etablierte Modell übernommen und ihrerseits damit begonnen, anspruchsvolle Serien zu produzieren; zudem bieten mittlerweile auch Anbieter wie Netflix oder Amazon, die ursprünglich bloß als Vertreiber von Inhalten auftraten, eigene Serien an. Die verschiedenen Sender sind dabei gezwungen, stets von Neuem mit Inhalten aufzutrumpfen, die sie von der Konkurrenz absetzen. Und damit wären wir auch beim eigentlichen Thema dieses Artikels, denn Sex war praktisch von Anfang an ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal von HBO.

2. Erwachsenes Fernsehen

Nacktheit und Sex unterliegen im US-amerikanischen Fernsehen strengen Regeln; das betrifft sowohl die Darstellung des menschlichen Körpers wie auch so genannte ›profanities‹, also die Verwendung von Vulgärsprache. Allerdings gestaltet sich die Art und Weise der Regulierung je nach Ausstrahlungsform unterschiedlich. Die frei empfangbaren Netzwerke ABC, CBS, NBC und Fox senden ihre Inhalte über terrestrische Frequenzen und werden deshalb von der Federal Communications Commission (FCC) überwacht. Diese gibt klare Richtlinien vor, welche Inhalte zulässig sind – insbesondere, was ›indecent‹ und ›profane programming‹ betrifft –, und ahndet Zuwiderhandlungen drakonisch.

Obwohl nichtöffentliche Kabel- und Satellitensender nicht der FCC unterstehen, praktizieren sie ebenfalls eine strenge Selbstzensur. Denn diese Sender sind von Werbekunden abhängig, die oft nicht mit problematischen Inhalten in Verbindung gebracht werden möchten; folglich fallen bei vielen privaten Sendern die Regeln oft noch rigoroser aus als jene der FCC.

Bei Pay-TV-Sendern präsentiert sich die Situation gänzlich anders: Sie unterstehen nicht der FCC und müssen, da sie nicht auf Werbung angewiesen sind, auch sonst keinerlei Rücksicht nehmen. Diesen Umstand hat sich HBO konsequent zunutze gemacht. Der lange eingesetzte Werbeslogan »It’s not TV. It’s HBO« bringt es zum Ausdruck: Auf HBO sind all jene Dinge zu sehen – und zu hören –, die im ›normalen‹ Fernsehen nicht denkbar sind.

Betrachtet man die Entwicklung der von HBO produzierten Programme über die Jahre hinweg, lässt sich gut beobachten, wie die Inhalte zusehends ›verschärft‹ wurden.4 The Sopranos zeichnete sich noch vor allem durch für die für damalige Verhältnisse drastischen Gewaltdarstellungen und die zahlreichen ›profanities‹ aus, welche Tony Soprano und seine Freunde von sich gaben. Explizite Nacktheit hingegen beschränkte sich im Wesentlichen auf die Brüste der Stripperinnen in Tonys Stammlokal Bada Bing!. Im Vergleich dazu sind HBOs aktuelle Produktionen deutlich expliziter. Nicht nur werden besonders brutale und ekelerregende Momente genüsslich zelebriert, vor allem das Ausmaß der so genannten ›full frontal nudity‹ hat deutlich zugenommen. In dieser Hinsicht hat das Fernsehen mittlerweile sogar das Kino hinter sich gelassen: Szenen wie Cerseis Walk of Atonement (SE 05 EP 10), in der die Figur mehrere Minuten lang komplett nackt durch King’s Landing schreitet (Abb. 1 und 2), sind im Mainstream-Kino – zumal im US-amerikanischen – kaum je zu sehen. Selbst das männliche Geschlechtsorgan, das im Kino faktisch inexistent ist, wird in neueren HBO-Produktionen gezeigt – unter anderem auch in GOT.5

Cerseis Walk of Shame

Walk of Shame
HBO

Cerceis Walk of Shame

HBO folgt keineswegs bloß der simplen Devise »Sex sells«. Wie Ivo Ritzer in Fernsehen wider die Tabus darlegt, bedient sich der Sender vielmehr einer raffinierten Strategie, bei der Sex und Gewalt zu eigentlichen Qualitätsindikatoren werden. Die expliziten Darstellungen dienen nach HBO nie dazu, nur die Schaulust des Publikums zu befriedigen, sondern sind Ausdruck des erwachsenen, realistischen Anspruchs der Produktionen. In HBO-Serien werden die Dinge so gezeigt, ›wie sie sind‹, ohne die durch die FCC diktierte Prüderie. Produzenten und Serienschöpfer verweisen in diesem Zusammenhang gerne auf den realistischen Roman des 19. Jahrhunderts, der angeblich nicht nur in Sachen narrativer Komplexität, sondern auch in seiner ungeschminkten Darstellungsweise als Vorbild dient.

In dieser Argumentation sind Tabubruch – HBO zeigt, was eigentlich nicht gezeigt werden darf – und der Rückbezug auf gesellschaftlich akzeptierte kulturelle Formen wie den Roman kein Widerspruch, sondern fallen zusammen; HBO gelingt so das Kunststück, »gleichzeitig transgressive Inhalte zu transportieren und eine bürgerliche Existenz zu wahren« (Ritzer 2011: 62). Im Sinne von Pierre Bourdieus Distinktionstheorie ist der ›indecent content‹ nicht mehr problematisch und anrüchig, stattdessen wird er zum Unterscheidungsmerkmal, zum kulturellen Kapital, das den erwachsenen Serien-Connaisseur vom prüden Mainstream-Spießer abhebt. Verfeinerter Geschmack zeigt sich gerade darin, dass man in der Darstellung von Sex und Gewalt nicht bloß die Befriedigung niederer Triebe sieht, sondern sie als Ausdruck einer »gritty, uncompromising authenticity« (Hassler-Frost 2015: 192) sowie künstlerischer Konsequenz versteht.6

Im Falle eines Senders wie HBO muss die transgressive Qualität solcher Darstellungen freilich relativiert werden. Als Teil des Medienkonglomerats Time Warner ist HBO eigentlich denkbar ungeeignet, um in subversiver Weise gegen den Mainstream aufzubegehren. Aus marketingtechnischer Sicht dienen die Tabubrüche vor allem dazu, HBO als Marke zu positionieren. Die vermeintlichen Transgressionen sind nie ungefilterter Ausdruck der künstlerischen Sensibilität der Serienmacher, sondern genau abgewägt und sogfältig inszeniert. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass man auf Kritik – wie etwa im Falle der Szene, in der Jaime Lannister seine Schwester Cersei am Sarg ihres gemeinsamen Sohnes vergewaltigt (SE 04 EP 03) – durchaus reagiert. So wurde in Staffel fünf der Anteil an Gore-Elementen spürbar reduziert; es geht somit weniger um das Brechen von Tabus als um ein vorsichtiges Austarieren dessen, was vom Publikum noch toleriert wird.

Dass Dan Hassler-Frost im Zusammenhang mit einer Fantasy-Serie wie GOT, die erklärtermaßen in einer nicht-realistischen Welt spielt, von einem Anspruch auf Authentizität spricht, mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen. Für Hassler-Frost eignet sich aber gerade Fantasy besonders gut für eine Ummodelung in HBO-Manier, weil es in der allgemeinen Wahrnehmung oft als belächeltes, tendenziell infantiles Genre erscheint, das primär von Teenagern konsumiert wird. Zu dieser Einschätzung passt, dass die Fantasy-Großproduktionen der vergangenen Jahre wie die Lord-of-the-Rings-, Harry-Potter- oder Narnia-Filme alle mit dem Rating PG oder PG-13 versehen waren, was Sexszenen unmöglich macht.7 Fantasy-Filme sind eine weitgehend sexfreie Zone, und wenn es mal eine Liebesgeschichte wie jene zwischen Aragorn und Arwen in The Lord of the Rings: The Fellowship of the Ring (NZ/USA 2001. Peter Jackson) gibt (Abb. 3), dann beschränkt sich diese auf einen keuschen Kuss (was allerdings auch in den jeweiligen literarischen Vorlagen so angelegt ist).

Der Kuss zwischen Aragorn und Arwen in "Herr der Ringe"

Der Kuss zwischen Aragorn und Arwen in "Herr der Ringe"

Umso größer ist damit die Diskrepanz zu GOT, das dank expliziten Sexszenen nicht mehr als typische – kindische – Fantasy erscheint, sondern einen ganz neuen, ernsthafteren Status erhält. »The inclusion of such sexually explicit material simultaneously adapts fantasy as a genre that is appropriate for an adult audience« (Hassler-Frost 2015: 191). GOT ist kein gewöhnlicher Genrevertreter mehr – ja eigentlich gar keine Fantasy –, sondern wird zu etwas, das man ernst nehmen muss. Die Sexszenen dienen dabei nicht nur dazu, Fantasy als ›erwachsenes Genre‹ zu adeln, sondern auch als Alleinstellungsmerkmal gegenüber dem Kino: Die Fantasy-Filme seit der Jahrtausendwende assoziiert man typischerweise mit aufwendigen Kulissen und Spezialeffekten. Damit kann eine Serie wie GOT trotz der im Vergleich zu früheren Fernsehproduktionen massiv gestiegenen Budgets nicht mithalten.8 Was sie aber bieten kann, ist der ›Spezialeffekt‹ des nackten menschlichen Körpers, der wiederum den Kinofilmen verwehrt ist.9

3. Sex erzählen

Die bisherigen Ausführungen mögen den Eindrücken erwecken, dass Sex und Gewalt in GOT einzig dazu dienen, die Serie resp. HBO imagemäßig möglichst geschickt zu platzieren. Obwohl dies zweifellos eine ihrer Aufgaben ist, liegt das Ingeniöse von GOT just darin, dass sich insbesondere die Funktion der Sexszenen nicht in reinem Marketing erschöpft, sondern dass sie auch erzählerisch von Bedeutung sind.

Der Begriff der Sexposition wurde von Myles McNutt erstmals am 29. Mai 2011 auf seinem Blog verwendet, damals noch ohne genauere Definition. Nachdem der Terminus vielerorts aufgegriffen wurde, umschrieb ihn McNutt in einem späteren Eintrag folgendermaßen: »the use of nudity or sexual acts in conjunction with the communication of information related to character, plot, or mythology« (McNutt 2011). McNutt weist den Sexszenen in GOT somit eine besondere Funktion zu: sie dienen dazu, Informationen zu Figuren, zur Handlung oder zur Mythologie der Handlungswelt zu vermitteln – deshalb auch der Zusammenzug aus »sex« und »exposition«. Ohne vorerst darauf einzugehen, wie treffend diese Charakterisierung ist, kann schon ein Punkt festgehalten werden: Offensichtlich kommt dem Liebesakt damit eine ungewohnte Rolle innerhalb der filmischen Erzählung zu – ansonsten wäre es ja nicht nötig, dafür eine eigene Bezeichnung einzuführen. Diese Feststellung wirft ihrerseits die Frage auf, welche Funktion Sexszenen denn normalerweise haben.

Es mag überraschen, aber in meinen Recherchen konnte ich so gut wie keine Literatur finden, die sich mit der narrativen Bedeutung von Sex- und Liebesszenen beschäftigt. Wohl gibt es reichlich Forschung zu den unterschiedlichsten Aspekten von Pornographie und Erotik sowie zu Geschlechterrollen, dabei steht aber kaum je die dramaturgisch-narrative Bedeutung des Liebesakts im Vordergrund.10 Eine Poetik der Liebesszene scheint nicht einmal in Ansätzen zu existieren.

Nach David Bordwell setzt sich die Struktur des klassischen Filmplots aus zwei Handlungssträngen zusammen, »one involving heterosexual romance (boy/girl, husband/wife), the other involving another sphere – work, war, a mission or quest, other personal relationships« (Bordwell 1997: 157). Was für den klassischen Hollywood-Film gilt, dürfte auf den Großteil des narrativen Kinos zutreffen, Liebesgeschichten – wenn auch nicht zwangsläufig heterosexuelle – gehören zum elementaren Bestand filmischen Erzählens. Dennoch gibt es kaum Literatur, die sich aus narratologischer Perspektive mit ihnen beschäftigen würde. Meine folgenden Überlegungen können deshalb nur einen allerersten, sehr verallgemeinernden Versuch in diese Richtung darstellen, mehr ist im Rahmen dieses Artikels nicht möglich.

Ein Grund für das Fehlen von brauchbarer Forschung dürfte just darin liegen, dass in Liebesszenen meist gar nichts erzählt wird. Tanya Krzywinska, die sich als eine der wenigen Autorinnen etwas ausführlicher mit der erzählerischen Funktion von filmischem Sex beschäftigt, schreibt, es sei »extremely common to find that in romance-focused films the moment when a couple cement their relationship sexually is deferred until the end of the film« (Krzywinska 2006: 49). Die Vereinigung der Liebenden, die im klassischen Hollywood nur in der züchtigen Form der Heirat resp. des Kusses dargestellt werden kann, wird so lange wie möglich hinausgezögert. Erzählerisch kommt der Liebesszene in diesem Modell, das, wie Krzywinska betont, in ganz unterschiedlichen Genres anzutreffen ist, eine abschließende Funktion zu. In dem Moment, in dem die Liebenden endlich zusammenkommen, ist die Erzählung an ihrem Ende angelangt. Der dramatische Bogen entwickelt sich nicht mehr weiter, sondern kommt zum Stillstand, danach gibt es nichts mehr zu erzählen.

Diese Grundstruktur, bei der die Liebesszene einen erzählerischen Endpunkt darstellt, ist auch heute noch sehr gebräuchlich. So stellt Annette Kauffmann in ihrer Studie zum Liebesfilm fest, dass Romantic Comedies wie Sleepless in Seattle (USA 1993, Nora Ephron) oft mit einem Kuss – aber ohne eigentliche Beischlafszene – enden (Kaufmann 2011: 118). Freilich lassen sich auch zahlreiche Variationen dieses Musters beobachten. Zum einen kann die Liebesszene aufgrund gelockerter Zensurbestimmungen viel ausführlicher und expliziter ausfallen, zum anderen muss der erzählerische Bogen, der jeweils zu seinem Ende gelangt, nicht zwangsläufig mit dem Schluss des Films zusammenfallen. Sehr oft markiert die Liebesszene lediglich den Abschluss eines Handlungssegments und fungiert damit dramaturgisch gesehen als Wendepunkt. Als ein Beispiel unter vielen sei hier Titanic (USA 1997, James Cameron) genannt. Wenn sich Rose und Jack an Bord des Schiffes in einem Auto lieben, kommt damit die Phase der Annäherung zu ihrem Ende. Für den Verlauf des Films ist dies zentral, da sich die Handlung von nun an darum dreht, dass alle möglichen Kräfte – von Roses Verlobtem bis zum atlantischen Ozean – danach trachten, die Liebenden wieder zu trennen. Der Liebesszene schafft dabei überhaupt erst die Voraussetzung für die folgende Handlung, ihr eigentlicher erzählerischer Zweck besteht somit in der Verbindung zweier dramatischer Bögen. Für sich genommen zeigt die Szene dagegen lediglich an, dass die beiden Figuren von nun an zusammengehören.

Sehr verallgemeinert gesagt scheint mir diese Form der Liebesszene, die nur insofern etwas erzählt, als sie Handlungsendpunkte resp. -übergänge anzeigt, deren ›narrativer Eigenwert‹ ansonsten aber sehr gering ist, am gebräuchlichsten. Dabei muss nicht zwangsläufig signalisiert werden, dass das Liebespaar nun zusammengehört, wie es in Titanic geschieht. In anderen Filmen dienen Liebesszenen unter anderem dazu, einen Übertritt in Szene zu setzen. Die Figur tut mit dem Koitus etwas, was sie besser nicht tun sollte, das Folgen haben wird – z.B., wenn sie untreu und/oder geschwängert wird. Auch hier fungiert der Liebesakt als eine Art Scharnier zwischen den Handlungssegmenten, dessen erzählerische Bedeutung vor allem in seinem Verhältnis zum Rest der Handlung liegt und weniger in dem, was in der Szene selbst geschieht.

4. Sexpositions

Das skizzierte Modell ist zugegebenermaßen sehr rudimentär und zweifellos gibt es zahlreiche Filme, die ihm nicht entsprechen und Liebesszenen auf andere Weise einsetzen. Dennoch scheint mir damit die Standard-Funktion der filmischen Liebesszene einigermaßen adäquat beschrieben.

Vergleicht man die Sexszenen in GOT mit dem beschriebenen Muster, zeigen sich in der Tat deutliche Unterschiede. Ein Beispiel hierfür ist die Szene, in der Tyrion Lannister eingeführt wird (SE 01 EP 01). Nachdem er von einer Prostituierten oral befriedigt wurde – wobei man nur Tyrions verzücktes Gesicht sieht und Schmatzgeräusche hört – unterhält er sich mit der nackten jungen Frau. Dabei kommt das Gespräch auf die Brüder der Königin – also auf Tyrion und Jaime:

Prostituierte: The queen has two brothers?

Tyrion: There’s the pretty one, and there’s the clever one.

Prostituierte: I hear they call him the imp.

Tyrion: I hear he hates that nickname.

Prostituierte: Oh? I hear he’s more than earned it. I hear he’s a drunken little lecher, prone to all manner of perversions.

Tyrion: Clever girl.

Prostituierte: We’ve been expecting you, Lord Tyrion.

Kurz darauf stößt Jaime dazu und erinnert seinen Bruder daran, dass sie beim Bankett der Starks erwartet werden. Auf Tyrions Bemerkung, dass er an einem privaten Festschmaus sei und noch viele Gänge vor sich habe, schickt Jaime drei weitere Frau ins Zimmer, die sich lachend entkleiden und zu Tyrion ins Bett steigen.

Ganz im Sinne McNutts dient diese Szene primär der Charakterisierung von Tyrion und seiner Beziehung zu Jaime. Wir sehen nicht nur, dass der jüngere der Lannister-Brüder Frauen und Wein in hohem Maße zugeneigt ist, wir erfahren auch einiges über sein ambivalentes Verhältnis zu Jaime. Einerseits sind die beiden sehr vertraut. Zwar beschwert sich Tyrion, als ihn sein Bruder ohne anzuklopfen beim Techtelmechtel unterbricht, sein Protest scheint aber eher spielerischer Natur. Umso mehr, als Jaime ihn kurz darauf mit ›Nachschub‹ versorgt. Aus dem vorangegangenen Gespräch mit der Prostituierten wird aber ersichtlich, dass er, der Missgestaltete, neidisch auf seinen gut aussehenden Bruder ist – die Bezeichnung als Kobold verletzt ihn offensichtlich – und deshalb hervorhebt, dass er zwar nicht schön, dafür aber schlau sei – was impliziert, dass Jaime dumm ist.

Szenen dieser Art, bei denen sich nackte Figuren vor, während oder nach dem Geschlechtsakt unterhalten und dabei wesentliche Informationen vermitteln, gibt es viele in GOT. Für McNutt beschränkt sich Sexposition im Wesentlichen auf diese Konstellation. Der Begriff hat für ihn eindeutig etwas Pejoratives:

»It’s a solution to a problem: the writers need both a reason for the scene to exist (with the intimacy of sex, taking place behind closed doors, offering an easy justification) and a reason for the audience to pay attention during what is otherwise a pretty basic info dump« (McNutt 2011).

Nach McNutt geht es bei der Sexposition darum, das, was im Englischen gerne als info dump bezeichnet wird, also das unbeholfene Einstreuen wichtiger Hintergrundinformation (›exposition‹), möglichst attraktiv zu verpacken. Entsprechend sieht er darin einen eher billigen erzählerischen Trick. Obwohl an dieser Einschätzung etwas dran ist, scheint sie mir insgesamt zu kurz zu greifen. Bereits in der beschriebenen Szene leistet die Nacktheit der Figuren mehr, als bloß die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu steigern. Sie unterstreicht die Unbekümmertheit der beiden Brüder und ihre Nähe, die trotz aller Spannungen existiert (und die für den weiteren Verlauf der Handlung ja von Bedeutung sein wird).

McNutt unterscheidet zwischen reinen Sexposition-Szenen, in denen Sex und Nacktheit im Grunde überflüssig sind und nur den info dump garnieren, und Szenen »in which the point of the scene is related to sex itself« (ebd.). Als Beispiel für Letzteres führt er den Moment an, als Melisandre Stannis verführt (SE 02 EP 02) und die beiden anschließend auf dem Kartentisch Sex haben – »it is technically a scene in which sex is used in conjunction with specific information, but that information is about the sexual energy of Melisandre as a character« (ebd.).

Ob diese Unterscheidung wirklich trägt, scheint mir zweifelhaft, denn natürlich sagt es auch etwas über die Figur Tyrions aus, wenn er sich mit vier Prostituierten auf einmal vergnügt. Unabhängig davon scheint McNutt aber nur teilweise zu erkennen, wie raffiniert GOT an manchen Stellen verfährt. Sexszenen dienen nicht nur als plumpe info dumps, vielmehr werden im Geschlechtsakt Machtverhältnisse ausgehandelt sowie die Entwicklung von Figuren illustriert.

Im Folgenden möchte ich dies am Beispiel der Entwicklung von Daenerys in der ersten Staffel illustrieren. Wir sehen Daenerys zum ersten Mal gemeinsam mit ihrem Bruder. Nach einem kurzen Gespräch entkleidet Viserys seine Schwester, betrachtet ihren Körper und betastet schließlich ihre Brüste (SE 01 EP 01). Obwohl Daenerys für den Rest der Szene nackt ist, geht kaum erotische Ausstrahlung von ihr aus. Vielmehr unterstreicht ihre Nacktheit die Machtverhältnisse: Viserys hat das Sagen, seine Schwester dagegen ist unsicher und verletzlich. Obwohl Viserys’ Interesse nicht eindeutig inzestuöser Art ist, erscheint er als widerlicher Kerl. Seine Schwester ist für ihn lediglich ein Tauschobjekt im Handel mit Khal Drogo. Entsprechend kühl ist der Blick, mit dem er ihren Körper mustert.

Daenerys
HBO

Viserys mustert den Körper seiner Schwester

Daenerys ist zu diesem Zeitpunkt noch eine schwache Figur, eine Ware im Machtspiel der Männer. Daran ändert sich vorerst auch nichts durch ihre Heirat. Im Gegenteil: Die Hochzeitsnacht kann kaum anders bezeichnet werden denn als Vergewaltigung. Ohne ihr in die Augen zu schauen, streift Drogo der weinenden Daenerys die Kleider ab und drückt sie nach unten. Die Szene endet an dieser Stelle, der eigentliche Akt wird nicht gezeigt, doch eine Szene in der nächsten Folge erscheint fast wie eine direkte Fortsetzung. Wieder nimmt Drogo die weinenden Daenerys von hinten, ohne sich um sie zu kümmern. Im Geschlechtsakt wird ein klares Machtverhältnis etabliert – Drogo ist der Herrscher, seine brutal nieder gedrückte Gattin muss sich fügen, ist ohnmächtig.

Im Folgenden verschieb sich diese Konstellation signifikant. Daenerys erhält von ihrer Magd Doreah den Ratschlag, nicht wie eine Sklavin Liebe zu machen, sondern beim Sex die Reiterstellung einzunehmen, damit sie Drogo in die Augen schauen kann. Auf den ängstlichen Einwurf, dass sei nicht der »Dothraki way«, entgegnet Doreah: »If he wanted the Dothraki way, why did he marry you? «

Im Anschluss an diese Lektion, bei der beide Frauen übrigens vollständig bekleidet sind, setzt Daenerys das Gelernte sogleich in die Tat um – mit Erfolg. Nach kurzem Widerstand willigt Drogo in die neue Spielart ein und zum ersten Mal scheinen beide den Liebesakt zu genießen. Die veränderte Stellung hat weitreichende Folgen: Nicht nur nähern sich die beiden Figuren an und lernen sich lieben, das gesamte Machtgefüge verschiebt sich. Obwohl Drogo nominell noch immer der Anführer der Dothraki ist, folgt er nun dem Willen seiner Frau, was in seiner Ankündigung gipfelt, Westeros zu erobern.

Kal Drogo

Zu Beginn nimmt Drogo seine Frau noch nicht als gleichwertiges Gegenüber war

Man kann geteilter Meinung sein, wie subtil die Darstellung von Daenerys’ Entwicklung ist, aber auf jeden Fall sind die Sexszenen hier nicht bloß erzählerische Scharniere, in denen im Grunde nichts geschieht. Ganz im Gegenteil vollzieht sich die Entwicklung der Figur wesentlich in den Sexszenen; und zwar nicht über den Dialog, nicht in Form eines info dump, sondern im Akt selbst. Die Nacktheit der Figur wird dabei erzählerisch eingesetzt. Es ist kein Zufall, dass Daenerys zu Beginn, als sie noch machtlos ist, komplett nackt zu sehen ist, später aber, als ihr Selbstvertrauen erwacht, Kleidung trägt.

5. It’s just an act

Zum Schluss möchte ich noch auf ein besonders schönes Exempel eingehen: In der Folge You Win or You Die (SE 01 EP 07) unterrichtet Petyr Baelish Ros und eine weitere Prostituierte, wie sie einem Freier einen lesbischen Liebesakt vorspielen sollen, und offenbart dabei seine Liebe zu Catelyn Stark sowie seinen frühen Entschluss, sich – da er im Kampf Mann gegen Mann nicht bestehen kann – List und Tücke zu bedienen.

Für McNutt ist dies ein typisches Beispiel für seine Konzeption von Sexposition. Tatsächlich hat er den Begriff ursprünglich in Zusammenhang mit dieser Szene geprägt. Baelishs langer Monolog besitzt durchaus info-dump-Qualitäten, daneben geschieht hier aber noch weitaus Interessanteres. Indem Littlefinger die beiden Frauen instruiert, wie sie glaubhaft sexuelle Ekstase vortäuschen sollen, erscheint er nicht nur als durchtriebener Psychologe und Stratege, sondern entwickelt en passant noch eine ganze Fiktionstheorie.

»Slowly. You’re not fooling them, they just paid you. They know what you are. They know it’s all just an act. Your job is to make them forget what they know. And that takes time. You need to … ease into it. Well, go ahead. Ease into it. He’s winning you over in spite of yourself. You’re starting to like this. He wants to believe you. He’s enjoyed his cock since he was old enough to play with it, why shouldn’t you? He knows he’s better than other men. He’s always known it, deep down inside, now he has proof. He’s so good, he’s reaching something deep inside of you that no one even knew was there. Overcoming your very nature. « (SE 01 EP 07)

Baelish formuliert hier sowohl eine Poetik der Verführung wie auch eine Umschreibung dessen, was mit einem Begriff von Samuel Taylor Coleridge oft als willing suspension of disbelief bezeichnet wird. Als Konsumenten von Fiktion – etwa als Zuschauer von GOT – wissen wir wie der Freier, den Baelish im Blick hat, dass das, was wir sehen, »just an act« ist. Und so, wie dieser glauben will, dass die Show, die ihm die Prostituierten bieten, echt ist, tauchen wir, solange der Fernseher läuft, in die Welt von Westeros ein und fiebern mit den Figuren mit.

Littlefingers Monolog ist somit hochgradig selbstreflexiv, ein metafiktionaler Moment, in dem die Serie ihre eigene Gemachtheit überdeutlich ins Zentrum rückt. Indem sie offenbart, dass alles ohnehin nur ein Spiel ist, unterläuft sie geschickt McNutts Vorwurf, dass die Nacktheit der Figuren nur ein Trick, »a solution to a problem«, sei. Denn authentisch oder echt ist hier ja ohnehin nichts, allen Beteiligten ist bewusst, dass GOT nur Fiktion ist – but we enjoy it despite ourselves.

Obwohl ich in diesem Artikel nur einige wenige exemplarische Momente untersuchen konnte, sollte deutlich geworden sein, dass sich die Bedeutung von Sexszenen in GOT von anderen Filmen und Serien unterscheidet. Dabei beschränkt sich ihre Funktion keineswegs nur auf info dumps. Sex wird in GOT regelmäßig strategisch eingesetzt, ist eine Waffe, und Liebesszenen dienen deshalb nicht selten dazu, Machtverhältnisse neu auszuloten.

Sex und Nacktheit werden in der Serie auf unterschiedliche Weise verwendet. In Cerseis Walk of Atonement ist die intendierte Wirkung eine andere als bei Littlefingers Monolog oder in den Szenen mit Daenerys. Dadurch, dass die einst stolze Cersei völlig entblößt auftritt, wirkt die Schmähung, die sie erleiden muss, umso intensiver. Die ungewohnt lange Nacktheit hat eine Schockwirkung – und übernimmt gerade dadurch auch eine erzählerische Funktion.

Die Frage, ob man für die verschiedenen beschriebenen Formen den Begriff der Sexposition verwenden soll, scheint mir weniger entscheidend als die Erkenntnis, dass Sexszenen in GOT nicht nur dazu dienen, info dumps zu garnieren. Das soll freilich nicht heißen, dass GOT nicht an die Schaulust der Zuschauer appellieren würde. Es ist natürlich kein Zufall, dass die – meist weiblichen – Figuren, die nackt gezeigt werden, durchwegs Modelmaße besitzen, während etwa Peter Dinklage, der diesem Idealbild nicht entspricht, nie in »full frontal nudity« zu sehen ist. In Szenen wie jener mit Littlefinger wird aber einmal mehr das raffinierte Doppelspiel von HBO offenbar: indem die Serie ihre eigenen Verfahren offenlegt, erscheint Sex zugleich als publikumswirksamer Skandal und als avancierte künstlerische Strategie.

Simon Spiegel ist Filmwissenschaftler aus Zürich und hat mit einer Arbeit über die Die Konstitution des Wunderbaren. Zu einer Poetik des Science-Fiction-Films promoviert. Er ist Mitherausgeber der Zeitschrift für Fantastikforschung.

www.simifilm.ch

www.utopia2016.ch