Mehr Phantastik

Diversität in der deutschsprachigen Phantastik

Diversität in der deutschsprachigen Phantastik
© Pixabay/Gerd Altmann
Patricia Eckermann, 31.05.2022
 

Diversität ist mehr als nur ein Trendthema. Patricia Eckermann erklärt uns den Stand der Dinge, warum Diversität in der Phantastik und der Literatur allgemein so wichtig ist und warum immer noch viel zu tun ist.

Kurze Vorbemerkung der Autorin: Ich schreibe diesen Text aus einer Schwarzen Perspektive. Auch wenn ich andere marginalisierte Positionen nicht explizit benenne oder nur am Rande streife, sind sie ebenso wichtig, wenn es um die Diversität in der Literatur geht.

Diversität ist ein Medientrend geworden. In der Werbung, in Film und Fernsehen – und natürlich auch in der Literatur. Verlage schmücken sich mit Schwarzen Autor*innen, deren Werke eine große Zielgruppe ansprechen sollen. Da die Mehrheit der Menschen in den deutschsprachigen Ländern weiß ist, liegt es im Interesse der Verlage, dass diese Werke zuallererst die Bedürfnisse und Erwartungen weißer Leser*innen befriedigen. Was nichts anderes bedeutet, als dass es immer auch um das Anders-sein gehen soll. Um das Nicht-weiß-sein und damit um die Themen Rassismus und Diskriminierung.

Sicher gibt es eine Menge weißer Menschen, die schon einen Schritt weiter sind, aber wir sollten uns nichts vormachen: Der Großteil der durch ihre Hautfarbe privilegierten Leser*innen ist nicht gebildet, wenn es um Rassismus, Diskriminierung, kritisches Weißsein und Intersektionalität geht. Wenn diese Menschen sich „diverse“ Bücher kaufen, wollen sie sich bilden, und vielleicht auch zeigen, dass sie „zu den Guten“ gehören, also antirassistisch, offen und selbstkritisch sind. Sachbücher, in denen weißen Menschen erklärt wird, wie sie sich ihrer eigenen Privilegien bewusst und ihren internalisierten Rassismus quitt werden können, stehen deshalb hoch im Kurs. Und auch fiktionale Werke oder Autobiografien, in denen Schwarze Protagonist*innen in weißen Umgebungen leben und leiden, finden sich in den Bestsellerlisten. Es zeigt, dass sich etwas bewegt – hin zu mehr Sichtbarkeit für Marginalisierte. Das ist gut. Aber es ist noch lange nicht genug.

Denn erstens gibt es nicht nur Sachbücher und Belletristik. Wie Jade S. Kye in ihrem Text Broken Earth. Eine Schwarze Perspektive auf die Phantastik geschrieben hat, bietet sich besonders die Phantastik an, die Möglichkeitsräume des diversen Erzählens auszuloten. Klar gibt es dort, wo progressive Akteur*innen – Autor*innen, Verleger*innen, Journalist*innen, Blogger*innen, Rezensent*innen – neue Wege beschreiten, immer auch Gegenwehr. Da wird dann gern mal gegen Frauen und Non-Binäre in der Science Fiction Front gemacht. Oder man erklärt olle, vor Rassismus und anderen Ismen triefende Schmöker aus dem letzten Jahrhundert zum heiligen Gral – und reagiert auf jede berechtigte Kritik mit einem wutentbrannten Shitstorm. Auch die Diskussionen, ob man Werk und Autor*in voneinander trennen kann, werden regelmäßig geführt. Alles, um den Status quo zu halten und nicht realisieren zu müssen, dass die prägenden, positiv besetzten Leseerlebnisse der Vergangenheit von Rassismus und anderen Arten der Menschenfeindlichkeit durchdrungen waren.

Schwarze, queere Elfen und Amazonen, wie sie z.B. James A. Sullivan und Nora Bendzko in ihren Werken gezeichnet haben, scheinen diese Menschen ernsthaft zu triggern. Doch das sollte uns nicht aufhalten. Im Gegenteil: Egal ob Verlags- oder Hybridautor*innen oder Selfpublisher*innen, wir alle sind gefordert, die Diversität, die wir in unserem Alltag wahrnehmen, in unsere Geschichten einzuweben. 

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das nicht einfach ist, besonders, wenn man von seinen Werken leben möchte. Zu viele privilegierte Personen, die nicht im Thema sind, entscheiden mit, was veröffentlicht wird und was nicht. Viele Entscheider*innen, die eigentlich für die Sache sind, lehnen ein „Zuviel“ an Diversität ab, denn sie haben noch immer ihre weiße, nicht-gebildete und leider oft auch ignorante Zielgruppe im Sinn. Das vorsichtig formulierte Feedback lautet dann gern: Die Story ist zu überfrachtet, man solle sich besser nur auf ein Thema konzentrieren, das Figurenensemble wirke zu konstruiert (was nichts anderes heißt als zu wenige weiße Figuren) oder auch ganz direkt: „Das können unsere Vertriebler nicht verkaufen.“

Doch die Zeiten ändern sich gerade.

Und das ist der zweite Punkt, der deutlich macht, dass wir die Diversitätsschraube in der deutschen Phantastik noch ein ganzes Stück weiterdrehen müssen: Die Zielgruppe ist längst nicht mehr die Zielgruppe. Schwarze, People of Color, Menschen aus der LGBTQIA+–Community, Menschen mit Behinderungen, Menschen, die intersektional diskriminiert werden: Sie alle lesen auch. Und viele von ihnen bekommen oder haben Kinder, die hoffentlich ebenfalls Leser*innen werden. Dazu kommen täglich mehr Menschen aus allen Teilen der Welt, die hier bei uns eine neue Heimat finden. Für diese wachsende Zielgruppe braucht es Geschichten, in denen Diversität nicht als Beweis für Wokeness oder um einen Trend zu befriedigen benutzt wird. Für all diese Menschen braucht es Geschichten, in denen Diversität ganz selbstverständlich ist.

Denn um es einmal ganz klar zu formulieren: Als nicht-weiße Person nehme ich einen Raum anders wahr. Mein Fokus liegt auf denjenigen, die ebenso wie ich anders sind und nicht der weißen Mehrheitsnorm entsprechen. Eine weiße Person neigt eher dazu, sich auf andere weiße Personen zu fokussieren und uns zu übersehen/marginalisieren. Und sie hat auch nicht den Impuls, aus Sicherheitsgründen Verbündete zu finden, die ihr in Notsituationen zur Seite stehen. Für anders Gelesene ist das aber oft eine Überlebensstrategie.

Würden diese weiße Person und ich auf eine Party gehen und im Anschluss eine Geschichte darüber schreiben, wäre mein Figurenensemble garantiert höchst divers, mit vielen anderen, nicht-weißen Figuren, denn so hätte ich den Abend erlebt. Im Gegensatz dazu wäre es möglich, dass in der Geschichte der weißen Autor*in kaum diverse Figuren auftreten würden. Und ob oder wie wichtig diese Figuren für die Handlung wären, hängt stark davon ab, wie bewusst sich die Autor*in ihres Weißseins ist, ob sie dem Thema Diversität gegenüber aufgeschlossen ist – und nicht zuletzt, wie mutig sie ist, über etwas zu schreiben, was nicht ihrer Lebenswelt entspricht (und bei dem sie eventuell Fehler macht, auf die sie nach der Veröffentlichung hingewiesen wird).

Zusammengefasst

Es gibt eine stetig wachsende Zielgruppe von nicht-weißen, nicht-privilegierten Menschen, für die Diversität sehr stark im Fokus liegt. Diese Zielgruppe muss weder antirassistisch gebildet werden, noch muss sie vor einem Übermaß an Diversität beschützt werden. Im Gegenteil: Diese Zielgruppe wünscht sich Diversität, progressive Erzählwelten und progressive Erzählformen. Für diese Menschen schreiben bereits einige wenige Autor*innen mit Verlagsverträgen und eine größere Menge Selfpublisher*innen und Hybrid-Autor*innen. Verglichen mit der Anzahl der Autor*innen, die nicht progressiv schreiben und in deren Fokus immer noch eine weiße, privilegierte Zielgruppe steht, ist das aber leider noch sehr überschaubar.

Eine neue literarische Normalität

Zum Schluss noch einige Gedanken zur Diversität in der Literatur an sich: Es reicht nicht, am Ende des Schreibprozesses aus einer weißen Figur eine Schwarze zu machen. Denn mit dem Schwarz-sein ändert sich die Perspektive, mit der die Figur die Welt betrachtet. Ihre Gedanken und Handlungen leiten sich davon ab. Es reicht auch nicht, unwichtige Nebenfiguren der LGBTQIA+–Community zuzuorden, sie in den Rollstuhl zu setzen oder ihnen eine psychische Erkrankung anzudichten. Das Anders-sein der Figuren sollte auch nicht das prägende Element sein, das ihr Vorhandensein in der Geschichte begründet (Ausnahmen bestätigen die Regel), und sie sollten auch nicht als Opfer erzählt werden, denen die weißen Figuren rettend zu Hilfe kommen.

Dazu bezieht sich Diversität auf alle Facetten einer Geschichte, also auch auf den Weltenbau und die Storyline. Ich persönlich glaube, dass wir nur weiterkommen, wenn wir progressiv an die Sache herangehen. Wie Judith C. Vogt und James A. Sullivan es in ihrem Text „Lasst uns progressive Phantastik schreiben“ herausarbeiten, beruht die Progressive Phantastik „auf einer Haltung, die Traditionen auf allen Ebenen hinterfragt, die obsoleten oder unpassenden fallen lässt, um dann mit den übrigen weiterzuarbeiten“. Mit anderen Worten: Wir müssen Geschichten, Welten UND Figuren neu denken und anders schreiben. Damit erschreiben wir uns eine neue, literarische Normalität, aus der die Diversität nicht mehr herauszulösen ist.

Wie ich oben angeführt habe, ist Diversität im Literaturbetrieb ein Trend geworden. Und wie es mit Trends so ist, markieren sie zuverlässig das mediale Ende eines Themas. Um es dennoch lebendig zu halten, sind alle Schreibenden aufgerufen: Sorgt mit euren Geschichten dafür, dass die deutschsprachige Phantastik auch weiterhin noch viel diverser wird! Denn literarische Vielfalt entsteht aus dem liebevollen, manchmal irritierenden und dabei immer bereichernden Sichtbarmachen der verschiedenen Perspektiven auf unsere Gesellschaft.

Patricia Eckermann

Patricia Eckermann wurde in Bielefeld geboren. Sie machte eine Handwerker-Lehre und eine zweite Ausbildung zur Beamtin, engagierte sich dabei stark für die Gewerkschaft und studierte dann in Köln Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Pädagogik und Anglistik. Heute arbeitet sie als freiberufliche Fernsehautorin im Team der antagonisten, schreibt Romane und engagiert sich für mehr Diversität in den Medien.

twitter / insta: @feireficia

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