Science Fiction

"Mein Verhältnis zur DDR ist zwiespältig": Interview mit Brandon Q. Morris

"Mein Verhältnis zur DDR ist zwiespältig": Interview mit Brandon Q. Morris
Melanie Wylutzki, 11.05.2022
 

Im Interview zu seinem neuen Science-Fiction-Roman "Die letzte Kosmonautin" spricht Brandon Q. Morris über sein Verhältnis zur DDR in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

TOR ONLINE: Hallo Brandon, danke, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast. Magst du uns deinen neuen SF-Roman "Die letzte Kosmonautin" kurz in drei Sätzen pitchen?

Brandon Q. Morris: A Space Odyssey meets Stalker meets Philip K. Dick in einer alternativen Zeitlinie, in der die DDR bis 2029 überlebt hat. Oder konkreter: Während auf einer alternativen Erde das mysteriöse Verschwinden eines Forschers aufzuklären ist, kämpft eine einsame Kosmonautin im Orbit gegen die Technik und eine Verschwörung um ihr Leben.

Spannend, die DDR existiert noch im Jahr 2029 und schickt Menschen ins All. Welche Beziehung hast du zur ehemaligen DDR?

Mein Verhältnis zur DDR ist zwiespältig. Ich bin dort aufgewachsen und weiß, wovon ich schreibe. Ich hatte insgesamt eine ziemlich glückliche Kindheit, aber ich habe das Land auch als die Diktatur erlebt, die sie war, und den Sozialismus als gescheiterte Wirtschaftsform. Überlebt hat die DDR im Buch nicht, weil sie erfolgreicher oder irgendwie besser gewesen wäre als andere Länder im ehemaligen Ostblock, sondern weil man in der Lausitz reiche Ölvorkommen fand. Das Land ist damit zu einer Art Ost-Scheichtum geworden, und ihre Bürger tauschen mehrheitlich ökonomisches Wohlergehen gegen bürgerliche Freiheiten, wie es heute in China oder den Emiraten der Fall ist.

ESA, NASA oder auch Space X – damit verbindet man wohl die letzten Raumfahrten. Über das Raumfahrtprogramm der DDR ist verhältnismäßig wenig bekannt beziehungsweise nicht in unserem Bewusstsein. Was war, deiner Ansicht nach, die größte Errungenschaft Ostdeutschlands in dieser Hinsicht?

Mit dem Begriff "Errungenschaft" tue ich mich ein bisschen schwer. Insgesamt hatte die Raumfahrt zwar eine hohe propagandistische Bedeutung, aber nur ein geringes Budget, pro Kopf etwa ein Achtel der Bundesrepublik. Die letzte Kosmonautin musste deshalb im Buch auch eine ausgediente Raketenstufe als "Raumstation Völkerfreundschaft" beziehen. Das geringe Budget hat Techniker und Forscher allerdings zwangsweise besonders kreativ werden lassen. Das beeindruckendste Ergebnis ist sicher die Multispektralkamera MKF-6, die technisch damals Weltspitze war. Sie hat so gut funktioniert, dass sie (zum Leidwesen der DDR, die jede Devisenquelle brauchte) auf Anordnung des "großen Bruders" nicht in den Westen exportiert werden durfte. Im Roman spielt ihr hypothetischer Nachfolger MKF-8 eine wichtige Rolle.

Eine Besonderheit, über die ich gleich schmunzeln musste, war, dass du neue Wortschöpfungen verwendest, um moderne Technik zu beschreiben. Sei mal ehrlich – wie oft hast du dich dabei ertappt, "Handy" statt "Handtelefon" zu schreiben?

Das Bestreben, eigene Begriffe für im Westen erfundene Gegenstände zu prägen, war ja  typisch für die DDR. Nicht alles, was heute kolportiert wird, wurde tatsächlich so verwendet, aber die Grilletta (Burger), die Ketwurst (Hot Dog) oder die Nietenhose (Jeans) und das Nikki (T-Shirt) kenne ich selbst. Das Handtelefon ging mir beim Schreiben eigentlich immer gut von der Hand, vermutlich, weil ich "Handy" gar nicht so gern verwende. Das Fake-Englisch dieses Begriffs kommt mir so falsch vor …

In der DDR gab es ja durchaus eine rege Science-Fiction-Szene und prägende Autor*innen – ich denke beispielsweise an Angela und Karlheinz Steinmüller und ihren Roman "Andymon". Gab es da Werke oder Autor*innen, die dich besonders geprägt haben, die du empfehlen kannst?

Ich habe als Jugendlicher jedes SF-Buch gekauft, das ich in die Finger bekam. Meine Lieblingsautoren kamen allerdings weiter aus dem Osten: Ganz vorn Lem, dann die Strugatzkis, aber z.B. auch Snegow ("Menschen wie Götter").

Im Gegensatz zu einigen deiner anderen Bücher wie "Die Störung", scheint mir "Die letzte Kosmonautin" mehr figurenbezogen zu sein: Es geht auch viel um Politik und Vertuschung, um persönliche Beziehungen, und eben darum, das Verschwinden eines renommierten Wissenschaftlers aufzuklären. Was waren für dich die größten Herausforderungen im Schreibprozess?

Am schwierigsten war für mich tatsächlich die Darstellung der DDR. Ich wollte ein realistisches Land ohne falsche Romantisierung. In meinem Kopf war das alles vollkommen klar, aber wie beschreibe ich die Verhältnisse so, dass sie auch jemand versteht, der sie nicht erlebt hat? Es gab privates Glück, es gab Solidarität unter den Menschen, aber eben auch Schwäche, Verrat und Druck und die Notwendigkeit, zwischen zwei Gesichtern wechseln zu können. Und dazu die Unterdrückung und Verfolgung derer, die das nicht konnten oder wollten. Aber dann gab es auch die bedingungslose Liebe der Eltern zu ihren Kindern, Großherzigkeit, Mut, Zusammengehörigkeitsgefühl angesichts des Drucks von außen.

Du erzählst die Geschichte hauptsächlich aus zwei Perspektiven: die der Kosmonautin im All Mandy Neumann, und die des regimetreuen Volkspolizisten Tobias Wagner. Welcher lag dir mehr?

Oh, ich mochte sie beide gern. Die Kosmonautin ist zwar in der weitaus schwierigeren Lage, hat es aber im Grunde leichter, weil Freund und Feind nach einer Weile klar sind. Tobias ist ein Abschnittsbevollmächtigter der Volkspolizei. Das wird man nicht, wenn man nicht vom Sinn dieser Arbeit überzeugt ist, weil der Weg dorthin gar nicht so einfach war. Im Laufe der Geschichte wird er allerdings mit Vorgängen konfrontiert, die er sich nicht hätte träumen lassen. Er wird gezwungen zu wachsen. Dadurch wird er nicht zum Musterhelden, das wäre unrealistisch, aber er legt sicher einen weiteren Weg zurück als die Kosmonautin, deren Konflikt eher extern ist.

Kannst du uns verraten, wie es bei dir weitergeht, woran du momentan arbeitest?

Ich habe gerade mit einer epischen Trilogie angefangen, die in der ferneren Zukunft spielt.  Sie wird im Frühjahr nächsten Jahres bei FischerTOR erscheinen. Aber zuvor kommt Ende Mai noch "Die Störung 2: Die Antwort" in den Handel, das die Geschichte von "Die Störung" (nominiert für den Deutschen Science-Fiction-Preis) weitererzählt.

Vielen Dank, Brandon, dass du dir die Zeit genommen hast! Und viel Erfolg für "Die letzte Kosmonautin"!

Melanie Wylutzki

Melanie Wylutzki lebt in Berlin und verdient ihr Brot mit Lektoraten und Korrektoraten, die mal mehr, mal weniger phantastisch ausfallen. Seit 2019 wird ihr und Hardy Kettlitz die Ehre zuteil, DAS SCIENCE FICTION JAHR herausgeben zu dürfen.