Fantasy

„Je wütender ich auf die Welt bin, desto sachter schreibe ich.“ Becky Chambers im Interview

Becky Chambers im Interview
© Julie Branson
Melanie Wylutzki, 20.07.2022
 

Becky Chambers hat mit Die Galaxie und das Licht darin ihre WAYFARER-Serie abgeschlossen. Wie es ihr dabei ging, was Hope Punk und Found Family für sie bedeuten, erzählt sie uns im Interview.

Hi Becky, lass uns über deine Wayfarer-Bücher sprechen – ein letztes Mal. Würdest du für unsere Leser*innen den vierten und letzten Band Die Galaxie und das Licht darin in drei Sätzen pitchen?

Drei völlig Fremde, Angehörige unterschiedlicher Spezies, stranden an einem intergalaktischen Rastplatz. Sie alle haben alle Geschichten zu erzählen und Orte, die sie erreichen wollen, doch bevor sie ihre Reise fortsetzen können, müssen sie rausfinden, mit wem sie dort festsitzen. Durch die Augen der zufälligen Gefährten erkunden wir die Kulturen, Konflikte und Gemeinsamkeiten der Galaxie, die wir alle miteinander teilen.

Denkt man an das Genre der Space Opera, hat man gleich Bilder von intergalaktischen Kriegen und männliche Raumschiffkapitäne vor Augen. In den letzten Jahren scheint sich jedoch eine Art „New Space Opera“ gebildet zu haben – ich denke da zum Beispiel an THE EXPANSE oder die letzten STAR WARS-Filme. Glaubst du, dass sich da etwas Neues entwickelt – vielleicht sogar etwas Gutes?

In der Science Fiction, nicht nur in der Space Opera, lässt sich definitiv der Trend beobachten, die Vielseitigkeit der Menschheit zu repräsentieren. Einer der aufregendsten Aspekte, jetzt in diesem Genre zu schreiben, ist die Vielfalt der Stimmen, die erstaunliche Geschichten erzählen. Schon immer haben Menschen, die keine weißen cis-Männer sind, Science Fiction geschrieben, aber erst in der jüngsten Geschichte des Genres bekommen wir die uns zustehende Anerkennung. Also, ja, ich glaube, dass es phantastisch ist, dass wir mehr fiktive Zukünfte lesen, die nach mehr Inklusion streben. Das ist lange überfällig.

Wo wir gerade von der „New Space Opera“ sprechen: Ein Bild, dass in diesem Zusammenhang immer wieder aufgegriffen wird, ist das Konzept der „Found Family“. So auch in deinen Romanen. Warum ist es deiner Meinung nach wichtig, das althergebrachte Bild, Familie sei an Blutlinien gebunden, zu überkommen?

Weil es einfach nicht wahr ist. In meinem Bekanntenkreis teilt niemand die Familienstruktur eines anderen, und für die große Mehrheit von uns ist die „Found Family“ lebenswichtig. Es ist unwichtig, ob du mit den Menschen, die dich umgeben, verwandt bist. Manchmal ist die Beziehung zu denjenigen, mit denen du die Gene teilst, sehr eng, aber manchmal auch nicht. Deshalb wollte ich in den WAYFARER-Büchern auch unterschiedliche Arten der Liebe erkunden – nicht nur Romantik, aber auch Liebe zwischen Freunden und Geschwistern, unerwartete Verbundenheit mit Fremden. Es ist unwichtig, wie eine Person in dein Leben tritt oder in welche Kategorie sie fällt. Was zählt, ist, dass sie dir ein Gefühl von Sicherheit und Vollständigkeit in einem chaotischen Universum gibt. Ich finde es nicht revolutionär, Beziehungsformen zu beschreiben, die außerhalb des traditionellen Familienbildes existieren. Es ist ehrlich.

In Die Galaxie und das Licht darin liegt der Schwerpunkt auf den inneren Konflikten der sechs Figuren, die wir hier näher kennenlernen. Das erinnert ein wenig an Zwischen zwei Sternen, allerdings wirken die in deinem neuen Roman thematisierten Probleme auf mich weniger fremd als in den anderen. Wie kommt es, dass die unterschiedlichen Spezies vertrauter, vielleicht sogar „menschlicher” wirken?

Es ist interessant, dass du das erwähnst. Immerhin gibt es in Die Galaxie und das Licht darin nicht eine menschliche Figur. Aber ich weiß, was du meinst. Die grundsätzlichen Fragen, die die Figuren im Roman bewegen, sind gut übertragbar: Familie, sozialer Druck, physische Sicherheit, das Gefühl von Zugehörigkeit. Ich würde trotzdem behaupten, dass diese Sorgen nicht allein die menschliche Spezies, selbst hier in der realen Welt betreffen. Alle Tiere streben auf gewisse Art nach diesen Dingen. Wir Menschen haben in dieser Hinsicht kein Alleinstellungsmerkmal. Tiere haben Freunde, sie kämpfen, sie haben Angst, fühlen Tauer und Liebe. Jedes Lebewesen möchte in Sicherheit und Zufriedenheit leben. Wir können vielleicht nicht wissen, worüber andere Wesen nachdenken oder ob sie ihre Gefühle genauso wahrnehmen wie wir, aber das ist genau, wo Science Fiction ins Spiel kommt. Ich kann einen riesigen Insektenmann beschreiben, wie er mit einer kleinen federlosen Vogelfrau spricht, und du – ein fast haarloser Primat – kannst immer noch eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Ein zentrales Ziel mit WAYFARERS war, nicht die Menschen ins Zentrum des Universums zu stellen, und das war mir im Schreibprozess immer sehr bewusst.

Obwohl in all deinen Romanen die Figuren mit schweren Schicksalsschlägen konfrontiert werden, hinterlassen sie bei den Leser*innen doch ein positives Gefühlt. Einige Leute sprechen bei dieser Art von SF von Hope Punk. Denkst du in solchen Kategorien während des Schreibprozesses?

Nein, das tue ich nicht. Hoffnung ist zwar definitiv ein Aspekt, auf den ich in meinen Romanen abziele. Ich glaube fest daran, dass wir uns Zukünfte vorstellen müssen, die ein Gefühl von Willkommensein vermitteln, statt uns Angst einzujagen, besonders mit Blick auf die aktuelle Weltlage. Ich möchte, dass sich die Leser*innen in meinen Romanen sicher fühlen, selbst wenn die Geschichten düster oder traurig werden. Aber ich würde nicht zu viel kategorisieren. Ich freue mich, dass die Menschen meine Bücher so wahrnehmen, aber es ist nichts, woran ich beim Schreiben denke.

Gerade jetzt, nach zwei Jahren Pandemie und diversen politischen Hiobsbotschaften haben viele Menschen die Nase voll von schlechten Nachrichten. Inwiefern beeinflussen dich politische und gesellschaftliche Entwicklungen beim Schreiben?

Ich muss feststellen, je mehr Wut über die Welt sich in mir anstaut, desto sachter schreibe ich. Das trifft nicht immer zu – manchmal muss ich einfach etwas schreiben, was sich genauso verletzt anfühlt wie ich mich. Aber öfter als das schwingt in meinen Texten eine Art von Trotz  mit. Ich bin müde und wütend und verängstigt zur selben Zeit, und das oft auf eine Weise, dass ich sage „Nein, ich lehne das ab. Ich glaube noch immer daran, dass sich die Welt zum besseren entwickeln kann, auch wenn alle Hoffnung trostlos scheint. Und dann schreibe ich Geschichten darüber.

Wie fühlt es sich für dich an, die WAYFARER-Reihe zu beenden? Dich von den liebgewonnenen Fremden, die wir in den vier Romanen kennenlernen durften, zu verabschieden?

Es war bittersüß, aber ich habe die Entscheidung, die Reihe zu beenden, nie infrage gestellt. Ich wusste, dass es einfach Zeit war, sich zu verabschieden und neue Geschichten zu erkunden. Immerhin habe ich angefangen, WAYFARERS zu entwickeln, als ich in meinen frühen Zwanzigern war. Jetzt stecke ich in den Enddreißigern, und das ist schon eine lange Zeit, in der meine Vorstellungskraft an einem Ort herumgelungert hat. Ich freue mich, jetzt in anderen Sandkästen spielen zu können. Auch wenn es ergreifend war, den alten Spielplatz hinter sich zu lassen. Ich bin stolz auf das Werk, was dabei herausgekommen ist, und sehr dankbar für die Gesellschaft, die mir diese Figuren und Orte geleistet haben.

Und zu guter Letzt: Darfst du verraten, woran du gerade arbeitest?

Derzeit arbeite ich an einem neuen Roman in einem neuen Setting. Aber ich darf noch nicht viel verraten, außer dass es wieder sehr, sehr fremdartig wird.

Melanie Wylutzki

Melanie Wylutzki lebt in Berlin und verdient ihr Brot mit Lektoraten und Korrektoraten, die mal mehr, mal weniger phantastisch ausfallen. Seit 2019 wird ihr und Hardy Kettlitz die Ehre zuteil, DAS SCIENCE FICTION JAHR herausgeben zu dürfen.