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Der Einstieg ins Pen&Paper-Rollenspiel (Teil 1)

Der Einstieg ins Pen&Paper-Rollenspiel (Teil 1)

GAMES

 

Henning Mützlitz, 05.05.2021

Der Einstieg in das Pen&Paper-Rollenspiel kann schwierig sein – muss es aber nicht. In den letzten Jahren sind, nachdem lange Zeit fette Regelwerke in Spezialgeschäften fast der einzig gangbare Weg für Anfänger*innen waren, die Hürden dafür gesunken. Henning Mützlitz mit einer Übersicht und vielen Tipps.
 

Viele von uns werden sich wehmütig daran erinnern, wie sie „damals“ zum Hobby des Pen&Paper-Rollenspiels gekommen sind: neben der unmittelbaren Erfahrung und Einführung durch Geschwister oder ältere Freund*innen vor allem durch die Einführungsboxen, die es bis kurz vor die Jahrtausendwende noch relativ häufig im „normalen“ Spielwareneinzelhandel gab. Das Internet war noch nicht präsent, und wer nicht in einer größeren Stadt mit einem „Nerdladen“ wohnte, besaß keine andere Möglichkeit, sich die Spiele in einem Kaufhaus oder einem gut sortierten Spielwarengeschäft zu besorgen.

Die Auswahl war naturgemäß begrenzt, wenngleich auch damals schon eine große Vielfalt am Markt herrschte. Im normalen Einzelhandel fanden wir vor allem (A)D&D-Boxen, die von Amigo Spiele vertrieben wurden, Das Schwarze Auge von Schmidt Spiele mit den charakteristischen schnauzbärtigen Helden von Illustrator Ugurcan Yüce auf dem Cover oder manchmal sogar die MERS-Grundbox (Mittelerde-Rollenspiel) von Laurin bzw. Queen Games. Die Spiele waren aufgrund ihrer Pappbox für Kinder und Eltern tatsächlich als „Spiel“ erkennbar, obwohl darin Softcover-Hefte, Würfel sowie ein paar Schwarzweißkarten und Pappaufsteller enthalten waren.

Es galt, viel zu lesen und die Phantasie spielen zu lassen – ganz ohne Spielbrett. Begaben wir uns in diese Welten, konnten wir in unserer Phantasie Abenteuer ganz wie in einem spannenden Roman erleben – nur, dass wir diejenigen waren, die die Entscheidungen trafen. Für viele unserer Elterngeneration ist dieses Spielprinzip bis heute ein Buch mit sieben Siegeln geblieben, aber immerhin können wir dem Nachwuchs oder bislang nur Brettspiel-affinen Freund*innen den Start in die vielfältigen Welten des Pen&Paper-Rollenspiels wieder mit schön aufgemachten und gut ausgestatteten Starterboxen erleichtern.

Dungeons & Dragons

Die fünfte Edition von „D&D“ feiert seit ihrem Launch im Jahr 2015 große Erfolge und konnte nicht zuletzt durch die gute Zugänglichkeit und zeitgemäße Optik mit klassischen Anleihen viele alte wie auch neue Fans begeistern.

Beim Öffnen der Box des aktuellen „Starter Sets“ stellt sich jedoch erst einmal Ernüchterung ein: Sie ist nämlich keineswegs so gut ausgestattet wie suggeriert wird, da die Hälfte des Volumens durch eine Pappe belegt ist, um Kompaktheit vorzutäuschen, wo sich tatsächlich viel Luft befindet. Enthalten sind lediglich zwei Hefte, fünf vorgefertigte Charakterbögen mit Archetypen sowie ein Würfelset.

Das 32-seitige Regelbuch führt kurz in die D20-Regeln ein, die leicht zu erlernen sind, aber in der Tiefe eine hohe Komplexität bieten können – eines der Erfolgsmodelle des Systems, das bereits seit mehr als vier Jahrzehnten existiert. Leider findet sich darin nichts zu den vorgestellten Heldenklassen oder Völkern der Archetypen, ganz zu schweigen von der Möglichkeit, eigene Held*innen zu erschaffen.

Spannender ist dagegen das 64-seitige Abenteuerheft, das an der Schwertküste im Kampagnensetting der „Vergessenen Welten“ angesiedelt ist, der wohl bekanntesten D&D-Spielwelt. Nach einer Einführung in das Leiten eines Abenteuers geht es in den Kampf gegen eine Goblinbande – klassisches Schwertfutter für den Einstieg. Die weiteren Kapitel des Abenteuers führen in die Stadt Phandalin, in die Wildnis, eine Burg sowie in ein abschließendes größeres Dungeon. Während ihrer Reise treffen die Held*innen auf Dunkelelfen, Untote, Spinnen, sogar auf einen Beholder und einen Drachen. Das Abenteuer ist schön gestaltet und zeigt exemplarisch auf, was D&D zu bieten hat.

Abgesehen von der lieblosen Präsentation der Archetypen sowie der nur vermeintlich dicken Spielbox bietet der Abenteuerband durchaus einen guten Einstieg und einige Stunden Spielspaß. Sollte man nicht völlig neu im Bereich des Pen&Paper -Rollenspiels sein, empfehlen wir statt des „Starter Sets“ aber eher das „Essentials Kit“, das deutlich besser aufgemacht ist und mehr Inhalt bietet, allerdings bislang nur auf Englisch erhältlich ist.

Das Schwarze Auge

Mit „Das Geheimnis des Drachenritters“ bietet das bekannteste deutsche Fantasy-Rollenspiel „Das Schwarze Auge“ einen richtig fetten Einstieg in die aktuelle, im Jahr 2015 erschienene fünfte Regeledition.

Ulisses Spiele wirft mit der fast zwei Kilo schweren Box ein richtiges Schwergewicht ins Rennen: Nicht weniger als 14 Hefte sowie begleitendes Spielmaterial sind darin enthalten. Eine Kurzanleitung bietet eine Einführung in das Prinzip des P&P und stellt den Inhalt vor. Auf rund 60 Seiten gibt es eine Einführung in die Regeln von DSA5, natürlich ohne Details und Sonderfälle, jedoch ausreichend für die Anwendung von Eigenschaften, Talenten, Kampfmanövern und Magie.

Den Einstieg in die Hintergrundwelt bietet das Heft „Die Grafschaft Heldentrutz“ mit 40 Seiten – bzw. neben allgemeinen Infos über den Kontinent Aventurien vor allem Details zur titelgebenden Region, bei der es sich um eine klassische pseudomittelalterliche Fantasy-Provinz mit Burgen, Wäldern und Bergen handelt, die in der ständigen Bedrohung durch Orks lebt. Die Gefahr lauert hier hinter jeder Ecke, und es braucht tapfere Spieler*innen, die sich dieser mit ihren Figuren annehmen.

Auf die individuelle Heldenerschaffung müsst ihr zwar auch in dieser Grundbox verzichten, dafür hat man sich mit den vier beiliegenden Archetypen (Kriegerin, Zwerg, Elfe, Magier) viel Mühe gegeben: Ein ausführlicher Charakterbogen mit Erläuterungen sowie ein jeweils passendes zwölfseitiges Soloabenteuer vertiefen die vier Figuren stimmungsvoll und verleihen ihnen einen individuellen Hintergrund.

Auch der Umfang der beiliegenden Abenteuer ist ungewöhnlich groß: „Die Räuber vom Dunkeltann“ führt auf 48 Seiten mit zahlreichen Tipps in die Leitung eines P&P-Abenteuers ein, während es „Der Turm im Nebelmoor“ mit seiner Mini-Kampagne sogar auf 96 Seiten Umfang bringt und nicht nur für Neulinge geeignet ist. Daneben liegen ein Würfelset, Spielpläne, Pappmarker sowie hochwertig gestaltetes Kartenmaterial bei.

Seit Kurzem kann diese Box, die für sich genommen schon Material für viele Spielsitzungen bietet, mit der Erweiterung „Die Hexe vom Schattenwasser“ ergänzt werden, die mit Hexe und Streuner zwei neue Held*innentypen und weiteres Abenteuermaterial bietet. Potenzieller Spielspaß für viele Wochen, viele inhaltliche Anregungen, die Lust auf die Spielwelt Aventurien machen – mehr kann man von einer Rollenspiel-Einstiegsbox eigentlich nicht verlangen.

Cyberpunk Red

Es muss zum Einstieg aber nicht unbedingt Fantasy sein: Im vergangenen Jahr stellte R. Talsorian Games die Starterbox für „Cyberpunk Red“ vor, die auf Deutsch von Truant Spiele umgesetzt wird. Das Starterset beinhaltet die neue Version des Dark-Future-Rollenspiels, basierend auf dem ebenfalls noch erhältlichen Klassiker „Cyberpunk 2020“. Kommt euch der Titel bekannt vor, obwohl ihr noch nie etwas mit Pen&Paper zu tun hattet? Klar, der (zweifelhafte ... *hust*) Release des großen digitalen Aushängeschilds liegt ja noch nicht lange zurück: „Cyberpunk Red“ schließt inhaltlich die Lücke in der Timeline hin zum Videospiel „Cyberpunk 2077“ und ist somit zwischen dem vierten Corporate War 2022 und dem Jahr 2077 angesiedelt.

Die Einstiegsbox enthält zwei Softcover-Hefte: In den 44-seitigen Regeln wird eine Einführung in Geschichte, Welt, Lifestyle und Technologie (vor allem Cybertechnologie) von „Cyberpunk“ geliefert, daneben ein Überblick über rollenspielspezifische Begriffe wie Charakter, Attribute, Fertigkeiten oder Lebenspunkte. Mit einer Hintergrundtabelle kann man der eigenen Figur eine Backgroundstory verleihen, daneben gibt es Regeleinführungen in Jobs, Netruns und Actionsequenzen. Sechs leider nur knapp umrissene Archetypen sind auf dieser Grundlage vorgefertigt wählbar.

Das zweite Buch zur Hintergrundwelt ist dagegen vor allem für die Spielleitung vorgesehen und befasst sich mit dem Schauplatz Night City, mit Konzernen, Waffen und anderer Technik sowie mit der Ausgestaltung von Abenteuern. Neben einem Kurzabenteuer umfasst es zudem drei weitere Szenariovorschläge.

Enthalten ist auch ein Bogen Charakterblips mit Aufstellern, um die vielen actionreichen Szenen und Kämpfe auf einem Spielplan zu visualisieren – gerade für Einsteiger*innen ins Pen&Paper eine wertvolle Hilfe.

Insgesamt bietet die Starterbox von „Cyberpunk Red“ einen optisch gut gemachten Eindruck einer coolen Cyberpunkwelt mit fazinierender Ästhetik, die gleichermaßen futuristisch wie vertraut erscheint. Hinsichtlich der Ausgestaltung der Charaktere und des Abenteuerinhalts bietet sie aber tatsächlich nur eine grundlegende Einführung.

Im Zuge des Hypes um den Release des digitalen Spiels wurde dem Verlag die Box nach Angaben von Verleger Mario Truant „schier aus den Händen gerissen“ – seit März ist sie aber wieder erhältlich.

  

Henning Mützlitz

Henning Mützlitz durchwandert bereits seit seiner Kindheit phantastische Welten, bis er beschloss, seine eigenen zu erschaffen. Seit einem Redaktionsvolontariat ist er als freier Journalist und Schriftsteller tätig. Er ist unter anderem stellv. Chefredakteur des Genre-Magazins Geek!, in dem er sich mit verschiedenen Formen der Phantastik in Wort und Bild beschäftigt. Daneben schreibt er phantastische und historische Romane.

 

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