Science Fiction

Fünf Technologien, die unser Leben schon bald auf den Kopf stellen werden

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© geralt/pixabay

ESSAY

 

Joshua Tree, 17.06.2021

Autonom fahrende Autos, ein flächendeckendes 5G-Netz und die Identifikation von Krankheiten lange vor ihrem Ausbruch? Das ist keine Zukunftsmusik, weiß Joshua Tree, Autor des Science-Fiction-Romans "Singularity".

Seit einigen Jahren stehen verschiedene Technologien in den Startlöchern, die uns heute noch wie Science Fiction vorkommen, morgen aber schon unseren Alltag umkrempeln werden. Die beschleunigte technologische Progressionsrate sorgt dafür, dass wir uns immer mehr an Disruptionen gewöhnen und gleichzeitig blind für ihre Auswirkungen werden, weil es so »normal« wirkt.

Ein Beispiel? Die erste industrielle Revolution im 18. Jahrhundert war nach der Entdeckung des Feuers, der Erfindung des Rads und der Agrarrevolution die einschneidendste Disruption für die menschliche Zivilisation. Statt der reinen Muskelkraft setzte eine erste Mechanisierung ein, als die Dampfmaschine erfunden wurde. Menschen arbeiteten nicht mehr bloß auf Äckern für ihr Überleben, sondern in Kohlebergwerken und Fabriken. Die zweite industrielle Revolution begann etwa einhundert Jahre später mit Henry Fords Fließband und der weiten Nutzbarmachung von Elektrizität durch Nikola Tesla und Thomas Edison. Bis zur dritten industriellen Revolution dauerte es wieder etwa einhundert Jahre mit dem Aufkommen der Digitaltechnik und ihrer anschließenden rasanten Verbreitung Ende des 20. Jahrhunderts. Sie haben das Alltagsleben erneut auf den Kopf gestellt. Das haben die meisten von uns selbst miterlebt, wenn sie vor 1990 geboren wurden. Internet und Digitalisierung bestimmen unser Leben auch jetzt noch, wo wir uns mitten in der vierten industriellen Revolution befinden, knapp dreißig Jahre nach der dritten: dem Internet der Dinge und der Maschine-Maschine-Kommunikation. Ihre Anfänge sind weithin sichtbar, werden aber noch immer gerne übersehen, weil die größten ihrer Auswirkungen uns noch bevorstehen – allerdings unmittelbar.

Hinzu kommt, dass einzelne Technologien kleine Revolutionen für sich sind und nicht mehr bloß die ganz großen. Ich bin zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 34 Jahre alt und bin mit einem Wählscheibentelefon aufgewachsen, habe miterlebt, wie aus ihm ein Festnetztelefon mit ISDN-Anschluss wurde und dann ein klobiges Handy, das innerhalb weniger Jahre zu einem kleinen zum Ausklappen wurde, bis dann das Smartphone kam und heute die Smartwatch. Aus dem 56k-Modem (»Mama, hör auf zu telefonieren, ich will ins Internet!«) wurde ein DSL-Anschluss, dann ADSL, schließlich Kabel und Glasfaser und jetzt 5G. Die Zeichen für die technologische Beschleunigung sind überall zu sehen, wenn man für einen Augenblick innehält. Aber was sind kommende einschneidende Disruptionen, die uns schon in Kürze erwarten und heute noch wie Science Fiction klingen?

Internet of Things

Mit »Internet der Dinge« werden Technologien bezeichnet, die physische und virtuelle Dinge miteinander verknüpfen und in der Industrie längst etabliert sind. Alexa war ihr erster Fuß in unsere Haustüren, ein Gerät, das auf unsere Kommandos hört und mit digitalen Enzyklopädien, Musikstreams, aber auch mit Glühbirnen und Haushaltsgeräten verbunden wird, um diese mit unserer Stimme anzusteuern. Wir drücken nicht mehr selbst den Finger auf unser Smartphone, den Lichtschalter oder blättern in unserem im Regal Staub ansetzenden Brockhaus. Eine Maschine übernimmt die Interaktion mit Maschinen und Programmen für uns. Aber es gibt noch viel mehr Beispiele, die banal anmuten: Dazu gehört die Sendungsverfolgung bei der Post. Die Pakete werden per Strich- und 2D-Codes eingescannt und lassen sich fortan online über eine Website tracken. Auch das automatische Nachordern von Tintenpatronen durch moderne Drucker ist ein erster Vorbote des Internets der Dinge. Sie erkennen mittels sensitiver Sensoren den Füllstand der Patronen und kommunizieren über das Netz automatisch mit dem Lieferanten, um Ersatz zu bestellen, damit wir es nicht vergessen und auf dem Trockenen sitzen, wenn wir die nächste Steuererklärung ausdrucken müssen. Der Kühlschrank, der mittels Datenanalysen unsere Essgewohnheiten ermittelt und selbstständig Bestellungen abgibt und beliefert wird, ist nicht mehr weit entfernt. In den kommenden Jahren, wenn sich 5G flächendeckend durchgesetzt hat,  werden wir eine wahre Flut von miteinander kommunizierenden Geräten auf dem Markt sehen, denn dann werden auch riesige Datenmengen in großer Geschwindigkeit ausgetauscht werden können und damit eine der letzten Fesseln des »Allnetzes« gesprengt.

5G-Netzwerke

Bleiben wir noch beim Thema 5G, das eine eigene Erwähnung verdient. Viele denken bei dem neuen Mobilfunkstandard an schnelleres Buffern ihrer Youtube-Clips und einen besseren Ping beim Spielen von Mobile-Games, obwohl beides in Städten bereits problemlos möglich ist mit 4G. Aber das geht an der eigentlichen disruptiven Kraft dieser Technologie vorbei. Die Geschwindigkeit von 5G-Verbindungen wird deutlich mehr als das Zehnfache des bereits sehr schnellen 4G-Standards erreichen. Das Wort »Latenz« wird in Vergessenheit geraten. Für unsere nahe Zukunft bedeutet das eine Menge freier Bandbreite, also Datenvolumen, und während 4G vorhandene Services bloß schneller gemacht hat, machen ihre Nachfolger den Weg für ganz neue frei: Sämtliche Haushaltsgeräte lassen sich über das Smartphone steuern, Autos werden in der Lage sein, lückenlos und ohne Verzögerung miteinander zu kommunizieren und damit den Boden für die nächste disruptive Technologie bereiten: Das autonome Fahren.

Autonomes Fahren

Die Technologie für autonomes Fahren gibt es bereits und ihr Besitzer heißt »Tesla«. Was viele nicht wissen ist, dass der Kampf um das autonome Fahren längst entschieden ist: Der kalifornische Tech-Konzern von Elon Musk will bereits Ende dieses Jahres für seine Fahrzeuge volle Autonomie erreicht haben. Und der berüchtigte Optimismus des Physikers und Ingenieurs ist nicht unberechtigt: Autonomes Fahren lebt von künstlicher Intelligenz und einer schnellen, lückenlosen Netzabdeckung auf allen Straßen. Letzteres wollen die USA mit ihrem 5G-Netz bis (Überraschung) Ende des Jahres schaffen. Ersteres lebt von Daten: Moderne KIs, die sich durch maschinelles Lernen selbst trainieren, haben prinzipiell nur ein Limit in ihrem Verbesserungspotenzial, und zwar die Menge an Daten, mit denen man sie »füttert«. Derzeit steigt der Datenberg des Unternehmens exponentiell und erreichte vor genau einem Jahr bereits drei Milliarden real gefahrene Meilen durch die stetig wachsende Zahl von Tesla-Fahrern (zum Vergleich: 2016 waren es noch 100 Millionen Meilen). Der nächste Konkurrent ist die Google-Tochter Waymo. Sie liegt noch im Millionen-Meilen-Bereich und vertraut größtenteils auf Simulationen und abgesperrte Teststrecken, verfügt also kaum über Daten aus "echten" Verkehrssituationen. Der Durchbruch zu voller Autonomie steht kurz bevor, auch wenn die Massenmedien das noch nicht sehen können.

Selbstfahrende Fahrzeuge werden dafür sorgen, dass unsere Straßen deutlich leerer sein werden, denn 95 Prozent der Zeit stehen unsere Autos nur herum – während wir schlafen, arbeiten, unseren Hobbys nachgehen. Wenn Autos autonom fahren, könnte der Besitz von ihnen uninteressant werden und wir sie nur noch mit Apps rufen, wenn wir sie gerade benötigen – als selbstfahrende Taxis. Da diese Wagen elektrisch angetrieben sein werden, können wir der schlechten Stadtluft und Lärmverschmutzung genau wie der Parkplatzsuche adieu sagen. Womöglich schon ab Ende dieses Jahres.

3D-Drucker

Still und leise, durch die Coronapandemie weitgehend unbemerkt, ist es der Firma 3D Systems im vergangenen Jahr gelungen, Zellträger für menschliches Lungengewebe zu drucken. Ein Durchbruch, der sie ihrem Ziel näher gebracht hat, komplette menschliche Organe im Drucker herzustellen. Aus einer Zukunftsvision mit einem Zeithorizont von Jahrzehnten ist damit ein realistisches Szenario für die kommenden Jahre geworden. Wir können uns durch gleichzeitige Durchbrüche in der Stammzellenforschung darauf einstellen, dass wir individualisierte, aus unseren Stammzellen gedruckte Organe ordern können, um beschädigte zu ersetzen – ganz ohne Abstoßungsreaktionen wie bisher.

Aber der Einsatz von 3-D-Druckern geht noch weit über die medizinische Anwendung hinaus. Nicht nur Autoteile, Prothesen und die transparenten Spritzschutzmasken für das Gesicht stammen schon heutegrößtenteils aus dem Drucker und durchdringen weite Teile der Wirtschaft; in den USA wurden im vergangenen Jahr die ersten Häuser automatisiert gefertigt. Wieder ein Jahr zurück wurde in Shanghai die erste 3-D-gedruckte Betonbrücke eingeweiht. Dadurch dass keine verschiedenen Komponenten zusammengesetzt werden müssen, weisen diese Bauwerke weniger Schwachstellen auf, sind weniger wartungsintensiv und können schneller und mit weniger Personalaufwand gebaut werden. Übrigens werden wir in den nächsten Jahren auch immer häufiger Flugzeuge sehen, die mithilfe von 3-D-Druck gebaut wurden. Wie bei den Häusern auch bedeutet  eine geringere Anzahl an Einzelteilen weniger Schwachstellen, zudem sind damit bessere aerodynamische Eigenschaften und geringere Wartungskosten bei gesenktem Verbrauch verbunden.

All das kratzt nur an der Oberfläche der disruptiven Kraft, die diese Technologie besitzt. Sie ist ähnlich wie 5G ein massiver Beschleuniger des technischen Fortschritts, da mit ihrer Hilfe Ideen um ein Vielfaches schneller in Prototypen umgesetzt werden können. Hinzu kommt, dass komplett neue Strukturen aus einem Guss generiert werden können, die mit herkömmlichen Fertigungsmethoden herstellbar sind.

Genomik

Im Jahr 2003 hat das "Human Genome Project" verkündet, dass es 20.000 Basenpaare sequenziert habe, die die Blaupause für den menschlichen Körper bilden. Die Folge waren deutlich bessere Wege, Krankheiten lange vor ihrem Ausbruch zu identifizieren, also ein Risikoprofil zu erstellen. Der wichtigste Effekt aber war, dass die Sequenzierung eine bislang verschlossene Tür für die Forschung aufgestoßen hat. Das "Wie2" war jetzt klar und nun wurden die Verfahren immer weiter verbessert, sodass sich die Entwicklung exponentiell beschleunigen konnte. Mittlerweile ist ein DNA-Profil für jeden erschwinglich und für unter 100(!) Dollar zu haben – mit weitaus mehr als jenen 20.000 Basenpaaren, die 2003 identifiziert werden konnten. Bis 2025 soll diese Zahl auf mindestens zwei Milliarden Basenpaare anwachsen und der Preis weiter fallen. Ein Krankenhausbesuch wird schon bald mit einem routinemäßigen DNA-Test beginnen, um personalisierte Medikamente im 3-D-Drucker herzustellen, die auf das genetische Profil des Patienten zugeschnitten sind.

Hinzu kommt natürlich die Entdeckung der Genschere CRISPR/Cas9, die so programmiert werden kann, dass sie präzise Änderungen an der DNA von Lebewesen ermöglicht. Einige Forschungsfelder für den Einsatz dieses winzigen Werkzeugs stehen bereits kurz vor dem Einsatz: Nutzvieh soll so verändert werden, dass es krankheitsresistenter ist, weibliche Moskitos sollen mittels eines Proteins sterilisiert werden, das männliche Exemplare bei der Paarung weitergeben. Dadurch könnten viele der tödlichsten Krankheiten bald verschwunden sein, die in den Tropen jährlich Millionen Menschen das Leben kosten. Doch auch über Tropenkrankheiten hinaus gibt es Einsatzgebiete für CRISPR, denn im vergangenen Jahr wurden mithilfe der programmierbaren Genschere Durchbrüche in der Behandlung von Virusinfektionen, Muskelschwund, Sichelzellanämie und Krebs erzielt. Auch viele andere Krankheiten könnten so bald ein Ding der Vergangenheit sein – und das ist womöglich nur eine Frage von Jahren.

Die Technologie prescht voran – kommen wir mit?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir gerade eine Menge Technologien sehen, die sich gegenseitig beschleunigen, weil sie ineinander verzahnt sind. Künstliche Intelligenz profitiert in ihrer Ausbreitung und Effizienz von 5G, das Internet of Things von beiden, 3-D-Druck von allen dreien und die Genomik von alledem. Fakt ist, dass wir bereits jetzt keine Kulturtechniken entwickeln konnten, um das Smartphone in unser Alltagsleben vernünftig zu integrieren. Social Media gibt es in etwa genauso lange und noch immer haben wir kulturell, aber auch von Seiten des Gesetzgebers keinen Umgang damit gefunden. Es ist weder klar, wer für was haftet, noch wie viel und was davon gut für uns ist. 2013 bezeichnete Angela Merkel das Internet noch als »Neuland«, gut 25 Jahre nach Beginn des World Wide Web.

Wir können uns darauf einstellen, dass sich diese Probleme staccatoartig fortsetzen werden. Wie integrieren wir eine deutlich längere Lebenserwartung in unseren Alltag? Wie die deutliche Reduktion oder das Verschwinden von Zivilisationskrankheiten? Dazu ein Gedanke, den es sich lohnt, mitzunehmen: Googles Tochterunternehmen Calico, das sich menschliche Unsterblichkeit zum Ziel gesetzt hat, ist guter Dinge, Mitte des Jahrhunderts das Altern stoppen zu können. Dieser Optimismus ist nicht unbegründet (da es den Rahmen sprengen würde, empfehlen sich kurze Google-Recherchen zu den Stichwörtern »NAD+« und »Seneszente Zellen«) und könnte uns schon in Kürze vor die Herausforderung stellen, nicht mehr oder nur noch sehr langsam zu altern. Die Frage, die sich dann stellt, ist: Was macht das mit uns?

Wir kommen schon jetzt nicht mehr mit, was die ständige Konfrontation mit neuen Technologien angeht. Wenn wir keine Angst mehr vor Krebs oder dem Tod haben müssen, fehlt uns dann nicht die Motivation, etwas auf die Beine zu stellen? Ist es nicht das Wissen, dass unser Leben endlich und kurz ist, das uns an der Verwirklichung von Träumen arbeiten lässt? Dieser Sinn der Dringlichkeit, der uns stets begleitet? Und laufen wir nicht Gefahr, eine Schwemme von Angstneurotikern zu erschaffen, wenn wir keinen Tod an Altersschwäche fürchten müssen? Eine einfache Autofahrt oder ein Spaziergang zum Supermarkt könnte dann als ein unnötig hohes Risiko betrachtet werden, ein jahrhundertelanges Leben aufs Spiel zu setzen. Und dabei haben wir noch gar nicht darüber gesprochen, dass an entsprechende Kulturtechniken zur gesellschaftlichen Implementierung eines solchen Fortschritts noch gar nicht zu denken ist, wenn wir das nicht einmal mit Smartphones und Sozialen Medien schaffen. Wer wird sich diesen Fortschritt leisten können? Und wird es zwei Spezies von Menschen geben? Menschen und Menschen 2.0? All das ist aktuell noch der Stoff für Spekulationen von Science Fiction Autoren wie mir, aber schon bald das, womit wir uns als Gesellschaft auseinandersetzen müssen.

Foto Joshua Tree
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Joshua Tree

Joshua Tree, Jahrgang 1986, ist Kommunikationstrainer, Weltreisender und Wortmaler. Unterwegs mit Motorrad, Auto und Fahrrad, erkundet er unsere Welt – und die seiner Phantasie. Seine Thriller und Science-Fiction-Romane führen regelmäßig die Amazon-SF-Charts an. Er lebt und arbeitet in Peyia, auf Zypern.

www.weltenblume.de