Science Fiction

Science Fiction von Frauen #1: Nora K. Jemisin

Science Fiction von Frauen #1: Nora K. Jemisin
Judith Vogt
03.03.2019

Seit Jahren prägen Autorinnen mit ihren Geschichten das als Männerdomäne bekannte Genre der Science Fiction. Wir werfen ein Schlaglicht auf die Frauen in der Sci-Fi-Literatur. Und starten mit: Nora K. Jemisin.

Seit ich meine ersten Artikel hier veröffentliche, beschäftigt mich das Thema, dass insbesondere die Science-Fiction wenige bekannte Frauen aufweisen kann. Natürlich, da wäre Ursula K. Le Guin, die zu Recht als feministische Genre-Ikone gilt. Aber natürlich gibt es zahlreiche andere AutorInnen, die mit ihren Geschichten das Genre prägten und prägen. Zum Beispiel Nora K. Jemisin.

N.(ora) K. Jemisin wurde 1972 in Iowa geboren, wuchs in New York und Alabama auf und lebt nun in Brooklyn. Sie ist Psychologin und betreute drei Jahre lang die „Otherwordly“-Kolumne der New York Times. Jemisin schreibt Kurzgeschichten und Romane und gewann dafür bereits Nebula- und Locus-Awards sowie einige andere Auszeichnungen. Als schwarze US-Amerikanerin fiel ihr das nicht einfach so zu – das Genre ist nicht nur traditionell männerdominiert, es ist zudem sehr weiß.

Dennoch ist Jemisin die erste Autorin of color, die einen Hugo für den besten Roman („Broken Earth: The Fifth Season“) erhielt, aber nicht nur das: Niemand vor ihr wurde drei Jahre hintereinander mit der renommierten Auszeichnung bedacht. Seit diesem Jahr darf sich nun also jeder Band ihrer „Broken Earth“-Trilogie mit dem Hugo schmücken. Band 1, „Zerrissene Erde“, ist nun auf Deutsch bei Droemer Knaur erschienen, und ich möchte hier einen Blick auf die Autorin werfen, deren Weg zum Erfolg die Entwicklungen und den Diskurs der amerikanischen SFF-Szene spiegelt. Sich dessen vollkommen bewusst, sagte sie in einem Gespräch mit dem New Statesman: „Ich würde am liebsten nur schreiben, ohne dass alles, was ich tue, in einen politischen Kampf verwandelt wird.“

The Hundred Thousand Kingdoms

Jemisins hat, längst überfällig, auf eine einfache Tatsache hingewiesen: Menschen sind variantenreich. Warum also waren so lange also vor allen Dingen monochromatische, monokulturelle Geschichten erfolgreich? Epische, große Fantasy sollte sich nicht damit zufriedengeben – aber auch Jemisin brauchte einen Werdegang, um sich dessen bewusst zu werden. Als sie zu schreiben begann, waren es vor allen Dingen recht konservative Romane, Bücher, die in der dritten Person von männlichen Protagonisten erzählten, die auf Reisen gingen und Prüfungen bestanden. Natürlich, wir dachten alle lange Zeit, dass Fantasy-Romane eben genau diese Zutaten benötigen.

Zudem stand Jemisin vor einer besonderen Herausforderung: Als schwarze Autorin wurde sie nicht an anderen Autorinnen gemessen oder an anderen SFF-Autor*innen. Sie wurde an anderen Schwarzen gemessen. Als Mitte der 2000er die Neuveröffentlichung von „Imaro“ von Charles Saunders floppte, stand für verschiedene Verlage fest: Schwarze Autor*innen verkaufen sich nicht. Das Publikum interessiere sich nicht für sie.

Jemisin legte das Buch, das sie zu diesem Zeitpunkt Verlagen anbot, in die Schublade und überdachte ihre Strategie. Sie nahm sich ein fünfzehn Jahre altes Manuskript vor und bearbeitete es von Grund auf neu – heraus kam „The Hundred Thousand Kingdoms“ („Die Erbin der Welt“), und in der Zeit, in der sie daran schrieb, veröffentliche sie zudem mehr und mehr Kurzgeschichten. Sie war besser in ihrem Handwerk geworden – und zudem begann die Verlagslandschaft sich um sie herum zu verändern. Denn 2009 war das Jahr des

RaceFail – eine Online-Debatte über Rassismus in der Fantasy und Science-Fiction

RaceFail war war eine monatelange hitzige Konversation mit tausenden Teilnehmern und hunderten Blogartikeln, in denen es um die Darstellung von People of Color durch weiße Autor*innen und die fehlenden Own-Voice-Stimmen ging. Dabei wurden die existenten Probleme von einigen prominenten Autor*innen rasch relativiert und kleingeredet, weshalb die Debatte das „Fail“-Suffix erhielt, um auf die fehlende Bereitschaft zum Diskurs hinzuweisen. Jemisin schreibt dazu auf ihrem Blog: „Es war sehr bemerkenswert, dass ich das Thema in jedem anderen Aspekt meines Lebens aufs Tapet bringen konnte – im akademischen Bereich, im psychologischen Beratungsumfeld, natürlich beim politischen Aktivismus, bei genereller Literatur und Kunst – aber nicht in der SFF. Die Unterhaltungen dazu wurden einfach beendet, meist von respektablen Persönlichkeiten/Fans, die laut und deutlich deklarierten, dass es bis auf eine paar unwichtige Großmäuler keinen Rassismus im Genre gäbe, dass es keinen Sinn hätte, [die Darstellung von] Ethnien zu diskutieren, da es ja keinen Rassismus gäbe, und dass wir nun zu Interessanterem wie Quantenphysik fortschreiten mögen.“

Viele beschwerten sich über den wütenden Tonfall, in dem die Debatte geführt wurde – man hätte mäßigender darüber reden müssen, in einem anderen Rahmen. Aber natürlich sind nicht 2009 plötzlich ein paar Autor*innen „woke“ geworden und allen davor war der Gedanke niemals gekommen. Schon Jahrzehnte vorher haben Autorinnen wie Octavia Butler und Joanna Russ Rassismus angesprochen, und dennoch hat sich in der Verlagslandschaft nichts geändert – bis 2009. Es war einfach Wut nötig – und Wucht –, um das alte System zumindest teilweise aus seinem erstarrten Zustand zu wecken. Jemisin ist mit dieser Wut, dieser Wucht, durch die Tür gebrochen – aber steht diese Tür auch anderen offen? Sie sagt, ein epidemisches Problem der amerikanischen Verlagslandschaft im Hinblick auf Minderheiten ist das Highlander-Motto „There can be only one!“ – die Suche nach der nächsten Octavia Butler, die 2006 starb und bis dahin die prominenteste (und vielleicht einzige prominente) schwarze Science-Fiction-Autorin war. Als der Platz vakant wurde, durfte er von der nächsten Schwarzen Frau gefüllt werden. Jemisin versucht, die Tür auch für andere marginalisierte Autor*innen offen zu halten und fördert seitdem vor allen Dingen Women of Color.

Fantasy, Science-Fiction und alles dazwischen

Ihr erster Roman „The Killing Moon”, war in einem multikulturellen, ägyptisch inspirierten Setting angesiedelt – eine Idee, die sich nicht sofort verkaufte, denn das beinahe komplett schwarze Charakterensemble und das Setting wurden als zu riskant erachtet. 2010 erschien daher „The Hundred Thousand Kingdoms”, eine Geschichte über ein Herrscherhaus, das Götter versklavt hat, die für den Hugo, den Nebula und den World Fantasy Award nominiert wurde und „The Killing Moon“ und dessen Fortsetzung den Weg öffnete.

Bei einem Blick aufs deutsche Cover wird recht schnell klar: Ganz auf Jugendbuch getrimmt (es ist ja schließlich von einer Frau) wird es vom stereotypen Kapuzenmädchen geziert – blond und weiß. Jemisins Roman wurde in Deutschland ganz klassisch „weißgewaschen“. Sie trat mit Blanvalet in Dialog, wobei der Verlag ihr versicherte, dass es sich um ein Versehen handele, und für die nächsten Teile der Trilogie diversere Cover versprachen – nun ja. Ich bin nicht überzeugt …

Von traurigen und tollwütigen Welpen

2016 wurde N.K. Jemisin dann für ihre postapokalyptische Rassismus-Allegorie „Zerrissene Erde“ mit dem prestigeträchtigsten Phantastik-Preis ausgezeichnet – dem Hugo. Jemisin hielt sich von der Verleihung fern, und war nach eigener Angabe schockiert, als sie hörte, dass vor ihr noch nie ein*e Schwarze Autor*in den Hugo für den besten Roman erhalten hatte und dass sie zudem noch die erste Woman of Color war, die diesen Preis mit nach Hause nahm.

„Für ein Genre, das sich selbst, um Gene Roddenberry zu zitieren, mit unendlicher Vielfalt in unendlichen Kombinationen brüstet und dass sich für progressiver als den Rest der Welt hält […], ist es einfach nur bizarr, dass es die Auszeichnung für den besten Roman noch niemals einer Schwarzen Person gegeben hat.“

Dass Jemisin nicht bei der Verleihung anwesend war, ist der Sad-Puppies-Bewegung geschuldet, einem lauten Teil der Hugo-Wähler*innen, die in den vergangenen Jahren versucht hatten, ihren Einfluss bei den Hugo-Wahlen auszudehnen, um die Auszeichnung wieder in eine „traditionellere“ (sprich: weiße, männliche, heterosexuelle) Richtung zu lenken – unter dem Vorwand, dass Science-Fiction und Fantasy wieder „weniger Politik/Ideologie und mehr Unterhaltung sein solle“. Noch in diesem Jahr bezeichnete einer der Anführer der Puppies, Vox Day, Jemisin als „gebildete Halbwilde“, deren Dankesrede eine Zumutung gewesen sei. 

Sowohl die Sad Puppies als auch die Rabid Puppies machten sich mit dem Gamergate gemein, einer ebenfalls reaktionären „Bewegung“, die Frauen aus der Videospielindustrie vertreiben wollte. Dabei wird stets der Vorwurf wiederholt, diversity sei aufgepfropft, künstlich hinzugefügt, und man würde im Falle der Hugos eine zufällige schwarze Autorin auswählen und ihr eine Ehrung zuteilwerden lassen, ohne dass sie sie verdient habe. Jemisin fasst es zusammen: „Man, fuck those guys.“

Ich wiederhole mich, aber: Alles ist politisch!

Ich habe an dieser Stelle schon einmal davon geschrieben: Fiktion strebt entweder danach, den Status Quo zu erhalten, oder ihn zu verändern. Beides ist eine politische Haltung. Jemisin hat kein Interesse daran, den Status Quo, der inhärent rassistisch und sexistisch ist, zu erhalten. Sie hat nicht das Privileg, alles Nicht-Weiße als fremd und somit allenfalls als freiwilliges Add-on ihrer Geschichten zu betrachten.

Jemisin kam als Fan in Online-Foren in die Szene und erinnert sich noch daran, dass Leute dort öffentlich diskutierten, ob Schwarze (oder Frauen) überhaupt richtige Menschen seien. „Fantasy hatte immer schon eine zugrundeliegende Rhetorik weißer Überlegenheit, einen inhärenten Konservativismus. Es gibt immer noch viel Müll da draußen, aber ich sehe immer mehr und mehr Fantasystories, die zu den alten Tagen zurückkehren, vor die Zeit der Tolkien-Klone und der endlosen kapuzentragenden Leute. Wir sehen wieder die großen Themen, die Geschichten von Veränderung. Ich freue mich darauf.“ Jemisin ist Teil dieses Wandels in der Science-Fiction und Fantasy.

Seit sie ihr erstes Manuskript an einen Verlag geschickt hat, ist viel passiert, und zugleich liegt noch ein langer Weg vor ihr.

Die wichtigsten Bücher der Autorin

„Zerrissene Erde“, der Auftakt der „Broken Earth“-Trilogie, schafft das beinahe Unmögliche: Die Bücher schlagen die Brücke zwischen etwas ganz Neuem, etwas, das vielleicht Science-Fiction ist, vielleicht Fantasy, und knüpfen sie an das allzu Vertraute an: an ein zutiefst rassistisches System, an Ungleichheit und die Wut darüber, an eine drohende Naturkatastrophe. Der Schreibprozess war schwierig, und Jemisin war mehrmals kurz davor, die Arbeit daran aufzugeben, betrachtete ihre eigene Perspektive, ihre eigenen Fähigkeiten als zu begrenzt, um der Gesellschaft auf diese Weise den Spiegel vorzuhalten. Ermuntert von Verlag und Lektorin ließ sie sich Zeit, um sich zu sammeln, um kristallklar herauszuarbeiten, was sie sagen möchte. Der Roman hält sich nun schon völlig zurecht seit Monaten auf Platz 1 der „Phantastischen Bestenliste“.

Mit „How Long ‘Til Black Future Month?“ ist Ende November ihre erste Kurzgeschichtensammlung erschienen, die ihre gesamte Karriere als Autorin umfasst. Sie wechselt mit jeder Geschichte Genres und Tonfall, schreibt über Soziales und Unsoziales, über Wut und Freude, Utopie und Dystopie – und immer wieder über Städte! Direkt in der ersten Geschichte spricht sie Leser*innen direkt an und fragt, warum sie die Vision einer gleichgestellten Gesellschaft als unrealistisch empfinden oder warum der Gedanke sie sogar wütend macht – und löst damit vielleicht den einen oder anderen Gedankengang aus. Wer des Englischen mächtig ist und Kurzgeschichten mag, sollte auf jeden Fall hineinlesen!

Und zum Abschluss überlasse ich Jemisin mit einem Zitat aus ihrem Interview mit der GQ noch mal das Feld:

„Ich denke, wir sehen im Moment, dass es unvermeidlich war, dass der Großteil der Welt Geschichten fordert, die den Großteil der Welt repräsentieren. Der Großteil der Welt ist die Zwänge des Kolonialismus und dessen Einzelperspektive leid. Wir stecken hier in einer Art kultureller Apartheid, bei der eine kleine Minderheit den öffentlichen Diskurs bestimmt, alles bestimmt, sogar die Art und Weise zu denken und sich etwas auszumalen. Aber Apartheid war instabil. Sie dauerte nicht lange, denn so etwas lässt sich nicht lange aufrechterhalten. Ich denke, an diesem Punkt sind wir gerade. Ich denke, deshalb gibt es diesen Backlash. Das ist der verzweifelte Versuch des herrschenden Regimes, so lange wie möglich an der Macht zu bleiben, statt in Würde zurückzutreten, wie es das vermutlich hätte tun sollen.“

Judith Vogt

Judith Vogt, aufgewachsen in einem Hundert-Seelen-Dorf in der Nordeifel und gelernte Buchhändlerin, steht seit 2010 als Schriftstellerin am anderen Ende der Buchnahrungskette. Sie lebt in Aachen und schreibt Romane, Rollenspiele, journalistische Artikel und Übersetzungen in ihrem Lieblingsgenre Phantastik und SF.

www.jcvogt.de